Urteil vom Hanseatisches Oberlandesgericht - 1 Rev 7/18

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2017 im Ausspruch über die Einziehung von € 5.000 aufgehoben; der Einziehungsausspruch entfällt.

Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels; jedoch wird die Gebühr für das Revisionsverfahren um ein Fünftel ermäßigt. Ein Fünftel der dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 21. April 2017 wegen „schweren Bandendiebstahls in 3 Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt; vermögensabschöpfende Anordnungen hatte das Amtsgericht weder ausdrücklich getroffen noch in den Urteilsgründen abgelehnt. Entscheidungen nach § 421 Abs. 1 oder § 422 Satz 1 StPO hatte es zum Zeitpunkt seiner Hauptverhandlung noch nicht treffen können. Die gegen seine Verurteilung unbeschränkt geführte Berufung des Angeklagten - die Staatsanwaltschaft hat kein Rechtsmittel geführt - hat das Landgericht verworfen. Die Berufungsstrafkammer hat darüber hinaus erstmalig die Wertersatzeinziehung von € 5.000 angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, die er in der Revisionshauptverhandlung mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft auf die Anordnung der Wertersatzeinziehung beschränkt hat.

II.

2

Das Rechtsmittel hat in dem verbleibenden Umfang Erfolg. Die - erstmalig vom Berufungsgericht - auf der Grundlage von § 73 Abs. 1, § 73c StGB in der ab dem 1. Juli 2017 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872 ff.) angeordnete Einziehung kann keinen Bestand haben.

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1. Die Einziehungsanordnung verstößt gegen Art. 316h Satz 2 EGStGB. Zwar schließt die in Art. 316h Satz 1 EGStGB normierte Übergangsvorschrift § 2 Abs. 5 StGB und damit die entsprechende Anwendung der Absätze 1 bis 4 dieser Vorschrift für die Neuregelung des Rechts der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung aus. Insoweit findet das Meistbegünstigungsprinzip (§ 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB) keine Anwendung. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung gelten grundsätzlich ausschließlich die neuen Regelungen (vgl. BT-Drucks. 18/11640, S. 84). Auch für bereits laufende Verfahren sind seit dem 1. Juli 2017 ausschließlich die neuen Regelungen anzuwenden. Ratio der Übergangsvorschrift in Satz 1 ist es, die Strafrechtspraxis von der komplizierten Prüfung zu entbinden, welches Recht im Einzelfall als das mildere anzuwenden ist und ein jahrelanges Nebeneinander von altem und neuem Recht zu vermeiden (BT-Drucks. 18/11640, S. 84). Nach § 316h Satz 2 EGStGB gilt dies aber nur, soweit bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Entscheidung über die Anordnung des Verfalls oder Wertersatzverfalls getroffen worden ist. Damit erfährt die grundsätzlich angeordnete Rückwirkung in Satz 2 eine Rückausnahme, die der Gesetzgeber im Wesentlichen damit begründet, dass es vermieden werden soll, erstinstanzliche Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren allein wegen der Gesetzesveränderung aufheben zu müssen (BT-Drucks. a.a.O.).

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a) Als eine solche Entscheidung ist auch die späterhin im Berufungsrechtszug angegriffene erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts zu verstehen. Eine Entscheidung “über die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von Wertersatz“ im Sinne von Art. 316h Satz 2 EGStGB liegt auch dann vor, wenn sich die Verfallsentscheidung als rechtsfehlerhaft erweist (Köhler/Burkhard, NStZ 2017 665, 682) oder wenn Verfall oder Wertersatzverfall nicht angeordnet wurden (vgl. BT-Drucks., a.a.O).

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b) Dies gilt zur Erreichung der vom Gesetzgeber angestrebten rechtsfriedenstiftenden Wirkung der Übergangsvorschrift selbst dann, wenn sich die Entscheidung zu diesen Rechtsfolgen der ausgeurteilten Tat gar nicht verhält, mithin die Anordnung von Verfall oder Wertersatzverfall nicht ausdrücklich abgelehnt worden ist. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

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Ein Strafurteil bestimmt nach herkömmlichem Rechtsverständnis grundsätzlich für den dem Gericht unterbreiteten Verfahrensstoff in den Grenzen des § 264 StPO abschließend alle Rechtsfolgen für die von ihm ausgeurteilte prozessuale Tat. Rechtsfolgen, die notwendig in die Urteilsformel aufzunehmen sind, gelten als nicht verhängt oder als abgelehnt, wenn die verkündete Formel über sie schweigt (so schon RG, Beschl. v. 7. Juni 1929 - I 275/29, RGSt 63, 184 185; KK-StPO/Ott, 7. Aufl. § 260 Rn. 8 und 17; LR-Stuckenberg, 26. Aufl. § 260 Rn. 34. Vgl. zur Kostenentscheidung Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 464 Rn. 8, m.w.N.; andererseits aber zur StrEG-Entscheidung Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 8 StrEG, Rn. 7). Teilurteile (vgl. § 301 ZPO) oder „verdeckte“ Teilurteile sind der Strafprozessordnung - jenseits von Adhäsionsentscheidungen (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 406 Rn. 3a) - grundsätzlich ebenso fremd (vgl. KK-StPO/Ott, a.a.O, Rn. 17), wie eine zivilprozessual mögliche Urteilsergänzung bei versehentlich übergangenem Verfahrensstoff (vgl. § 321 ZPO).

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c) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den hier vorliegenden „Altfall“ erweist sich die Entscheidung des Amtsgerichts vom 21. April 2017 als „stillschweigende“ Ablehnung einer Wertersatzverfallsanordnung mit der Folge, dass im Sinne von Art. 316h Satz 2 EGStGB eine Entscheidung “über die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von Wertersatz“ bereits getroffen wurde. Demnach hätte die Berufungsstrafkammer ihrer Entscheidung nicht den ab dem 1. Juli 2017 geltenden Rechtszustand zugrunde legen dürfen. Vielmehr hätte sie den bis zum 30. Juni 2017 maßgeblichen Rechtszustand anwenden müssen. Insoweit notwendige Erwägungen - etwa zu § 73c StGB a.F. - enthält das Urteil nicht, so dass die vom Berufungsgericht angeordnete Einziehung bereits aus diesem Grunde aufgehoben werden musste.

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2. Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 354 Abs. 1 StPO). Es bedarf keiner Zurückverweisung, weil gegen diesen Angeklagten wegen der verfahrensgegenständlichen Tat im subjektiven Verfahren in diesem „Altfall“ keine Einziehungsentscheidung mehr ergehen kann.

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a) Nach § 331 Abs. 1 StPO darf die Berufungsstrafkammer das amtsgerichtliche Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat dann nicht zum Nachteil des Angeklagten abändern, wenn nur dieser Berufung eingelegt hat. Rechtsfolgen im Sinne des § 331 StPO sind dabei auch vermögensabschöpfende Maßnahmen, jedenfalls dann, wenn sie den Angeklagten betreffen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 331 Rn. 21).

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b) Das Amtsgericht hat mit seiner Entscheidung sämtliche möglichen Rechtsfolgen der Tat bestimmt. Der Verhängung weitergehender Rechtsfolgen steht § 331 Abs. 1 StPO entgegen. Wird - wie hier - das Urteil nicht von der Staatsanwaltschaft angefochten, steht das Verbot der reformatio in peius einer späteren Anordnung von vermögensabschöpfenden Maßnahmen durch das Berufungsgericht entgegen. Einer der in § 331 Abs. 2 StPO normierten - vom Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung unverändert gelassenen - Ausnahmetatbestände liegt nicht vor.

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3. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, wie es sich verhielte, wenn die amtsgerichtliche Entscheidung bereits unter Geltung des neuen Rechtszustands ergangen wäre. Vor dem Hintergrund des Ziels des Reformgesetzgebers, die Vermögensabschöpfung zu vereinfachen und nicht vertretbare Abschöpfungslücken zu schließen (BT-Drucks, a.a.O. S. 1), liegt es allerdings nahe, das bisherige, allein richterrechtlich hergeleitete Konzept abschließender Rechtsfolgenbestimmung im Urteilstenor zu modifizieren. Jedenfalls zukünftig dürfte die Annahme, dass ein Tatgericht im subjektiven Verfahren über die Einziehung von Taterträgen entschieden hat, nur dann begründbar sein, wenn sich entweder die Urteilsformel (im Sinne einer positiven Anordnung) oder die Gründe des Urteils (im Sinne einer Nichtanordnung) hierzu ausdrücklich verhalten.

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a) Dies entspricht dem ausdrücklichen Willen des deutschen Gesetzgebers. Hiernach soll eine Einziehungsanordnung, die bei der Verurteilung wegen der Straftat unterblieben ist, im Wege der selbständigen Einziehung nachgeholt werden können (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 72). Erfasst werden sollen hiervon auch versehentlich unterlassene Einziehungsanordnungen (BT-Drucks., a.a.O.; so auch Köhler/Burkhard, NStZ 2017 665, 682).

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b) Dieses Normverständnis legt auch eine systematische Betrachtung nahe. Die zur Erreichung dieses Zwecks nach Abschluss des subjektiven Verfahrens notwendige Regelung hat der Gesetzgeber in § 76a StGB vorgesehen (BT-Drucks. 18/9525, a.a.O). Zwar wird nach § 76a Abs. 1 Satz 3 letzte Variante StGB die selbständige Einziehung dann nicht angeordnet, wenn bereits rechtskräftig über die Einziehung entschieden wurde. Dies erhellt aber zugleich, dass der Gesetzgeber die „schweigende“ Nichtanordnung erkennbar zukünftig nicht als eine der Rechtskraft fähige Ablehnung gedeutet wissen wollte, weil sich sein Regelungskonzept sonst als perplex erwiese (vgl. zur früheren Rechtslage schon RG, Urt. v. 25. Mai 1883 - Rev. 922/83, RGSt 8, 349, 350).

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c) Diese Auslegung ist auch durch die RL 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union (ABl. L 127, S. 39 ff.) geboten (vgl. zur Verpflichtung richtlinienkonformer Auslegung BGH, Urt. v. 5. März 2014 - 2 StR 616/12, NJW 2014, 2595 ff.). Nach Art. 4 der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Tatwerkzeuge und Erträge vorbehaltlich einer rechtskräftigen Verurteilung eingezogen werden können. Dies gilt auch für Einziehungen im Anschluss an eine rechtskräftige Verurteilung (14. Erwägungsgrund).

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d) Ausgangspunkt für die Überprüfung, ob eine Einziehungsentscheidung übersehen worden ist, sind dabei allein die schriftlichen Urteilsgründe. Eine anhand des Hauptverhandlungsprotokolls oder gar des sonstigen Akteninhalts erfolgende Ermittlung von Hinweisen darauf, ob sich das Tatgericht mit der Frage der Vermögensabschöpfung irgendwie befasst hat, ist nicht veranlasst (weitergehend aber Köhler/Burkhard, NStZ 2017 665, 670 f.: jedenfalls die Sitzungsniederschrift ist zu überprüfen.). Zu prüfen ist darüber hinaus lediglich, ob Entscheidungen nach § 421 oder § 422 StPO getroffen worden sind.

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e) Für den Berufungsrechtszug folgt hieraus absehbar: Der nachträglichen Anordnung einer Einziehung durch die Berufungsstrafkammer im subjektiven Verfahren stünde künftig das Verbot der reformatio in peius auch dann nicht entgegen, wenn nur der Angeklagte Berufung eingelegt hat.

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(1) Jene Rechtsgarantien des § 331 Abs. 1 StPO sind nämlich dann nicht berührt, wenn gegen den Angeklagten ohnehin nachträglich das selbständige Einziehungsverfahren (§ 435 ff. StPO, § 76a StGB) betrieben werden könnte (dazu Köhler/Burkhard, a.a.O.). Zwar wird nach § 76a Abs. 1 Satz 3 letzte Variante StGB die selbständige Einziehung dann nicht angeordnet, wenn bereits rechtskräftig über die Einziehung entschieden wurde. Dies dürfte aber - wie oben dargelegt - künftig in Fällen „schweigender“ Urteilsgründe nicht mehr der Fall sein. Insoweit würde ein amtsgerichtliches Urteil auch keine Teilrechtskraft erlangen können.

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(2) Insoweit besteht kein Vorrang des objektiven Verfahrens nach § 435 ff. StPO, § 76a StGB. Dieses bildet - zur gesetzgeberisch angeordneten Beseitigung rechtswidriger Vermögenslagen - lediglich ein „Auffangregime“ für diejenigen Fälle, in denen die Vermögensabschöpfung im subjektiven Verfahren - sei es aus Zweckmäßigkeitserwägungen heraus ausdrücklich (vgl. §§ 421, 422 StPO) oder versehentlich - unterblieben ist, oder das subjektive Verfahren nicht durchgeführt werden konnte. Schutz vor Überraschungsentscheidungen des Berufungsgerichts erfährt der Angeklagte hinreichend dadurch, dass die Nachholung der im amtsgerichtlichen Verfahren allseits übersehenen Einziehungmöglichkeit durch die Berufungsstrafkammer an die ebenfalls neugeschaffene Hinweispflicht (§ 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO) und an ein hiermit korrespondierendes Aussetzungsrecht (§ 265 Abs. 3 StPO) geknüpft ist.

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4. Der Senat ist mit Blick auf die nichtveröffentlichte, ihm aber bekannt gewordene Entscheidung des Kammergerichts (KG, Beschl. v. 1. Dezember 2017 - [5] 161 Ss 148/17 [69/17]) nicht verpflichtet, die Sache nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Der Beschluss des Kammergerichts erging als „ergänzende Bemerkungen“ zu einer Antragsschrift der dortigen Generalstaatsanwaltschaft, so dass für den Senat unklar bleibt, welche Rechtssätze der Entscheidung tragend zugrunde liegen.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO soweit das Rechtsmittel zurückgenommen wurde; im Übrigen auf § 473 Abs. 3 StPO.

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