Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Rev 41/19

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 16, vom 7. März 2019 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 6. August 2018 wegen „vorsätzlichen“ unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt und die Höhe eine Tagessatzes auf 8 EUR festgesetzt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten, deren Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch der Angeklagte nach Rücksprache mit seiner Verteidigerin und unter anschließender Zustimmung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in der Berufungshauptverhandlung vom 7. März 2019 erklärt hat, hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 7. März 2019 mit der Maßgabe verworfen, dass ein Tagessatz auf 4 EUR festgesetzt worden ist.

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Gegen das landgerichtliche Urteil wendet sich der Angeklagte mit am 7. März 2019 eingelegter Revision, die er über seine Verteidigerin am 29. April 2019 mit der Sachrüge begründet hat.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, gemäß § 354 Abs. 1a StPO wegen Angemessenheit der verhängten Geldstrafe von der Aufhebung des angefochtenen Urteils abzusehen und mit dieser Maßgabe die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

4

Die zulässige, insbesondere statthafte, fristgerecht eingelegte und begründete (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat in der Sache – vorläufigen – Erfolg.

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Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Rechtsfolgenbestimmung – über die das Landgericht nach formell wie materiell wirksamer Beschränkung der von dem Angeklagten eingelegten Berufung (§ 318 StPO) allein zu entscheiden hatte – halten der auf die Sachrüge hin veranlassten revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

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1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht greift insoweit nur im Falle des Vorliegens von Rechtsfehlern ein, insbesondere bei widersprüchlicher oder unvollständiger Bewertung von Strafzumessungsfaktoren, bei Lückenhaftigkeit der Strafzumessung oder wenn einzelnen Zumessungsgründen erkennbar zu hohes oder zu geringes Gewicht beigemessen worden ist, Zumessungsgründe gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder die erkannte Strafe sich von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (zum Ganzen BGH, StV 2000, 553; BGH, Urt. v. 1. August 2018, Az.: 2 StR 42/18, BeckRS 2018, 18142; BGH, Beschl. v. 24. Oktober 2017, Az.: 1 StR 226/17 (juris); LK-Theune § 46 Rn. 341 m.w.N.; Fischer § 46 Rn. 147 ff. m.w.N.; vgl. auch Senat, Urt. v. 20. Februar 2019, Az.: 2 Rev 98/18; Senat, Beschl. v. 19. Februar 2019, Az.: 2 Rev 78/18).

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2. Nach diesen Maßstäben liegen hier mehrere tragende Rechtsfehler in der konkreten Strafzumessung vor.

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a) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht zunächst nicht zugunsten des Angeklagten gewürdigt, dass nach den Feststellungen der verurteilungsgegenständliche Verkauf von Marihuana durch den Angeklagten an einen verdeckt auftretenden Polizeibeamten erfolgte und daher Verkauf und Übergabe in einer Weise unter polizeilicher Überwachung durchgeführt worden sind, nach der eine tatsächlich von dem Betäubungsmittel ausgehende Gefährdung ausgeschlossen war, was regelmäßig neben dem Umstand der – vom Landgericht berücksichtigten – tatsächlichen Sicherstellung der Betäubungsmittel einen weiteren bestimmenden Strafzumessungsgrund darstellt (vgl. BGH Beschl. v. 8. Juni 2004, Az.: 5 StR 173/04; vgl. Körner/Patzak/Volkmer-Patzak, Betäubungsmittelgesetz § 29 BtMG Rn. 284).

9

b) Ebenfalls als rechtsfehlerhaft erweist sich die strafschärfend berücksichtigte Erwägung, der Angeklagte habe „mit dem Handeltreiben die gefährlichste Begehungsweise des § 19 Abs. 1 BtMG verwirklicht“.

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aa) Die strafschärfende Berücksichtigung der Begehungsvariante des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als besonders „verwerflich“ oder – wie hier – „gefährlich“ stellt jedenfalls dann eine nicht strafschärfend zu berücksichtigende und deshalb rechtsfehlerhafte „Leerformel“ dar, wenn sich nach den weiteren Umständen des Einzelfalls das Handeltreiben gerade als weniger gewichtige Tatvariante darstellt. Insoweit kann dahinstehen, ob die strafschärfende Berücksichtigung bereits einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot darstellt (so BGHSt 44, 361), jedenfalls liegt aber in diesen Fällen ein Wertungsfehler nach §§ 46 Abs. 1 und 2 StGB vor (vgl. dazu allgemein Senat, Beschl. v. 12. Juni 2002, Az.: II – 19/02, m.w.N., auch zum Meinungsstand, ob und unter welchen Voraussetzungen die unterschiedlichen Begehungsweisen des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG als in einem faktischen Stufenverhältnis zueinander stehend angesehen werden können; vgl. BGH Beschl. v. 27. Juli 1999, Az.: 5 StR 331/99).

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bb) So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung insbesondere zugunsten des Angeklagten gewürdigt, dass dieser Marihuana und damit eine sog. „weiche“ Droge mit relativ geringem Gefährdungspotential verkauft hat, und es sich ferner um einen „von der Polizei initiierten Kauf handelte“, bei dem „sämtliche Drogen sichergestellt werden konnten“, woraus sich außerdem ergibt, dass eine Gefahr, die verkauften Betäubungsmittel könnten im Ergebnis in den Verkehr gelangen, von Vornherein nicht bestand.

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Angesichts dieser Feststellungen stellt sich auch unter Zugrundelegung der Auffassung, dass zwischen den verschiedenen Begehungsvarianten des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG hinsichtlich des damit verbundenen Tatunrechts ein Stufenverhältnis im Sinne der vorstehenden Ausführungen besteht, im vorliegenden Fall das Handeltreiben im Rahmen des gesamten Anwendungsbereichs der Strafvorschrift nicht als gewichtige, eine strafschärfende Berücksichtigung rechtfertigende Tatvariante dar.

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c) Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer außerdem zu Lasten des Angeklagten gewürdigt, dass dieser im Vorfeld der Tat „illegal wieder nach Deutschland einreiste, [und] sich seitdem illegal in Deutschland aufhält“.

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aa) Zwar gehören das Vorleben des Täters und seine persönlichen Verhältnisse nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB zu den im Rahmen der Strafzumessung abzuwägenden Umständen. In diesem Zusammenhang können neben früheren strafrechtlichen Verurteilungen auch nicht rechtskräftig festgestellte Taten und im Grundsatz auch solche Straftaten, derentwegen (bisher) kein Strafverfahren durchgeführt worden ist, Berücksichtigung finden (vgl. BGH Beschl. v. 9. April 1991, Az.: 4 StR 138/91; BGH Beschl. v. 29. September 1997, Az.: 5 StR 363/97).

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Voraussetzung der Berücksichtigung solcher Taten im Rahmen der Strafzumessung ist aber, dass diese weiteren Straftaten prozessordnungsgemäß festgestellt sind. Es muss einwandfrei feststehen, welche weiteren Straftaten der Angeklagte begangen hat (BGH Beschl. v. 9. April 1991, Az.: 4 StR 138/91). Darüber hinaus kann die für den Angeklagten nachteilige Berücksichtigung von Straftaten, die weder zu einer Verurteilung geführt haben noch von dem Täter eingeräumt worden sind, nach der Rechtsprechung des EGMR einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung und damit gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK darstellen (zu den Einzelheiten vgl. Stuckenberg, StV 2007, 655 ff. m. zahlr. Nachw.).

16

bb) Vorliegend fehlt es an ausreichenden Feststellungen des Landgerichts, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte im Vorfeld der abgeurteilten Tat „illegal“ nach Deutschland eingereist ist und sich seit dieser Zeit „illegal“ in Deutschland aufhält (§§ 95 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 AufenthG).

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(1) Das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte sei am 26. Oktober 2015 erstmals in das Bundesgebiet eingereist und habe am 12. Februar 2016 einen Asylantrag gestellt. Am 29. März 2016 sei seine Überstellung an Italien angeordnet worden. Tatsächlich erfolgt sei die Überstellung am 21. September 2016 „mit Wirkung befristet bis zum 20. März 2017“. Spätestens seit dem 12. Juli 2017 halte sich der Angeklagte wieder im Bundesgebiet auf. An diesem Tag sei er in Abwesenheit der Ausländerbehörde der Stadt Dessau-Roßlau zugewiesen worden, wo er sich bisher nicht vorgestellt habe. Einen Asylfolgeantrag habe er bislang nicht gestellt.

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(2) Diese Feststellungen ergeben nicht, dass der Angeklagte sich der illegalen Einreise oder des illegalen Aufenthalts (§ 95 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 AufenthG) schuldig gemacht hat.

19

Welchen konkreten aufenthaltsrechtlichen Status der Angeklagte zu den verschiedenen im landgerichtlichen Urteil erwähnten Zeitpunkten innehatte, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Ebenso wenig teilt das Urteil konkret mit, in welcher Weise der Asylantrag des Angeklagten vom 12. Februar 2016 beschieden worden ist. Der Hinweis auf die Anordnung einer „Überstellung“ des Angeklagten an den italienischen Staat legt insoweit lediglich nahe, dass die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt worden und der Angeklagte anschließend abgeschoben worden ist, wobei sich allerdings aus den im Urteil verwendeten Begrifflichkeiten weitere Unklarheiten ergeben, da das Gesetz eine „befristete“ „Überstellung“ nicht vorsieht. Ob die erwähnte Befristung sich auf das im Zusammenhang mit der Abschiebung grundsätzlich anzuordnende und zu befristende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG bezieht, kann lediglich vermutet werden, wobei außerdem die genannte Befristung nach den Urteilsfeststellungen zu dem Zeitpunkt, für den der erneute Aufenthalt des Angeklagten in Deutschland festgestellt worden ist, bereits abgelaufen war und einer Wiedereinreise daher nicht mehr entgegenstand.

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Darüber hinaus mangelt es auch an landgerichtlichen Feststellungen dazu, ob und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis ein den Angeklagten betreffendes Asyl- oder sonstiges Verfahren in Italien durchgeführt worden ist und über welche Personalpapiere der Angeklagte bei seiner Wiedereinreise nach Deutschland verfügte, so dass der aufenthaltsrechtlichen Status des Angeklagten auch aus diesem Grunde unklar bleibt. Ob und gegebenenfalls welche aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen schließlich ergriffen worden sind, nachdem die Wiedereinreise des Angeklagten nach Deutschland bekannt geworden ist und er der Zuständigkeit einer regionalen Ausländerbehörde zugewiesen worden ist, ergibt das Urteil ebenfalls nicht.

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Nach alledem fehlt es an ausreichenden, die dem Urteil zugrunde gelegte Annahme aufenthaltsrechtlicher Straftaten des Angeklagten seit dem Jahr 2017 tragenden Feststellungen. Dass ein entsprechendes Fehlverhalten des Angeklagten bloß naheliegt, reicht nach den vorstehend erörterten Maßstäben nicht aus.

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3. Die dargelegten Rechtsfehler, auf denen jedenfalls in ihrer Gesamtheit der landgerichtliche Strafausspruch auch beruht, führen zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils mit den Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kleine Strafkammer, §§ 353 Abs. 1 und 2, 354 Abs. 2 StPO.

23

Für das von Seiten der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Absehen von der Urteilsaufhebung wegen Angemessenheit der verhängten Geldstrafe von 70 Tagessätzen gem. § 354 Abs. 1a StPO war vorliegend kein Raum, da insoweit ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung stehen muss, wohingegen das Fehlen tragfähiger Feststellungen zu den den Angeklagten belastenden Strafzumessungserwägungen oder eine Vielzahl von Zumessungsfehlern der Anwendung des § 354 Abs. 1a StPO entgegensteht (Meyer-Goßner/Schmitt § 354 Rn. 28a, 28b m.w.N.). Hieran gemessen liegen ausreichende Feststellungen für die eigene Beurteilung der verhängten Geldstrafe als angemessen durch den Senat nach den vorstehenden Ausführungen (oben Ziff. 2) nicht vor.

III.

24

Ergänzend bemerkt der Senat, dass das Gericht in Fällen der Aufhebung einer Verteidigerbestellung zu berücksichtigen hat, dass mit der Bestellung eine ursprünglich vorliegende Wahlverteidigervollmacht erloschen ist (vgl. BGH NStZ 1991, 94; HK-Julius/Schiemann § 141 Rn. 20), weshalb nach Aufhebung der Bestellung Zustellungen an den Verteidiger nach § 145a Abs. 1 StPO nur erfolgen können, wenn ein Wahlverteidiger neuerlich beauftragt wird und sich im Sinne der Vorschrift die entsprechende Vollmacht bei den Akten befindet.

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