Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Rev 43/20
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 5, vom 27. März 2020 im Ausspruch über die Gesamtstrafen mit der Maßgabe aufgehoben, dass die erforderlichen Entscheidungen über eine Gesamtstrafenbildung sowie über die Kosten des Revisionsverfahrens in dem Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen sind.
2. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Liste der angewendeten Vorschriften um § 17 BZRG ergänzt wird.
Gründe
I.
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Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten am 21. Oktober 2019 wegen Diebstahls in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte mit am 23. Oktober 2019 bei dem Amtsgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz „Rechtsmittel“ eingelegt, welches er mit Verteidigerschriftsatz vom 26. Januar 2020 als Berufung konkretisiert hat.
- 2
In der Berufungshauptverhandlung vom 27. März 2020 hat der Angeklagte seine Berufung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf die Rechtsfolge beschränkt. Das Landgericht hat sodann mit in Anwesenheit des Angeklagten verkündetem Urteil vom 27. März 2020 seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 3. Juni 2019 in Form der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 19. Februar 2020 zuerkannten Einzelstrafen unter Auflösung der dortig verhängten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung der durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 31. August 2017 verhängten Geldstrafe wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten sowie darüber hinaus wegen Diebstahls in vier Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wird.
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Gegen das Berufungsurteil hat der Angeklagte mit am 29. März 2020 bei dem Landgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz Revision eingelegt und diese nach am 16. Mai 2020 nach Fertigstellung des Protokolls erfolgter Zustellung des schriftlichen Urteils mit einer am 13. Juni 2020 bei dem Landgericht eingegangenen und von dem Verteidiger unterzeichneten Schrift mit der Sachrüge begründet und Urteilsaufhebung beantragt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil des Landgerichts im Ausspruch über die beiden Gesamtstrafen mit der Maßgabe aufzuheben, dass eine nachträgliche Entscheidung über die Gesamtstrafen nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist und die weitergehende Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
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Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sowie rechtzeitig und formgerecht begründete Revision des Angeklagten (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) hat mit der allgemeinen Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
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1. Das Urteil ist gemäß § 349 Absatz 4 StPO im Ausspruch über die beiden gebildeten Gesamtstrafen aufzuheben, weil es insoweit revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält.
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a) Hinsichtlich der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gilt das Folgende: Sind die abzuurteilenden Taten vor mehreren danach erfolgten Vorverurteilungen begangen worden, deren zugrundeliegende Taten ihrerseits vor der ersten Verurteilung begangen worden sind, so entfaltet nur die erste Vorverurteilung Zäsurwirkung. Den weiteren Verurteilungen kommt in diesen Fällen gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung mehr zu (BGH, Beschluss vom 12. September 2019, Az.: 4 StR 40/19, juris Rn. 11; Beschluss vom 17. November 2015, Az.: 4 StR 276/15, NStZ 2016, 627; Beschluss vom 7. Mai 2013, Az.: 4 StR 111/13, StraFo 2013, 345; Beschluss vom 20. September 2007, Az.: 4 StR 431/07, juris Rn. 4; Beschluss vom 28. Oktober 2004, Az.: 5 StR 430/04, NStZ 2005, 163; Fischer, § 55 Rn. 12c).
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b) Gemessen an diesen Maßstäben entfaltet vorliegend ausschließlich der nicht erledigte Strafbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 31. August 2017 Zäsurwirkung im Hinblick auf die früheren Straftaten, da die den Urteilen des Amtsgerichts Norderstedt vom 22. September 2017 und des Landgerichts Hamburg vom 3. Juni 2019 zugrundeliegenden Taten sämtlich vor dem 31. August 2017 begangen worden sind. Die Urteile des Amtsgerichts Norderstedt vom 22. September 2017 und des Landgerichts Hamburg vom 3. Juni 2019 entfalten daher keine eigenständige Zäsurwirkung mehr, weshalb vorliegend ausschließlich aus den sechs der hiesigen Verurteilung zugrundeliegenden Einzelstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden gewesen wäre.
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2. Im Übrigen ist der Revision der Erfolg verwehrt, da die auf die allgemeine Sachrüge hin veranlasste Überprüfung des Urteils darüber hinaus keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht hat (§ 349 Absatz 2 StPO).
- 10
3. Der Senat macht von der auch in der vorliegenden Konstellation durch § 354 Absatz 1b StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, bei ausschließlich die Bildung einer Gesamtstrafe betreffenden Rechtsfehlern auf eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung nach den §§ 460, 462 StPO zu verweisen (vgl.BGH, Beschluss vom 20. August 2014, Az.: 3 StR 320/14, juris Rn. 3; Beschluss vom 16. November 2004, Az.: 4 StR 392/04, NStZ 2005, 223; HK/Temming, § 354 Rn. 25; KK-StPO/Gericke, § 354 Rn. 26i; LR/Franke, § 354 Rn. 59; MK-StPO/Knauer/Kudlich, § 354 Rn. 44). Das gemäß 462a Absatz 3 StPO zur Entscheidung berufene Gericht wird bei der Bildung der neuen Gesamtstrafe aus den nunmehr rechtskräftig feststehenden sechs Einzelstrafen das Verschlechterungsverbot zu beachten (BGH, Beschluss vom 15. März 2006, Az.: 2 StR 583/05, BeckRS 2006, 4827; Urteil vom 1. September 2005, Az.: 4 StR 331/05, juris Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, § 354 Rn. 31; KK-StPO/Gericke, § 354 Rn. 26j) und eine neue Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zu treffen haben. Dem Beschlussverfahren bleibt auch die abschließende Kostenentscheidung vorbehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2014, Az.: 3 StR 320/14, juris Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 354 Rn. 31).
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