Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 16 U 80/13
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das am 10.04.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Köln – 32 O 424/12 – teilweise abgeändert und der Beklagte auf den Klageantrag zu 1) im Wege des Teilurteils verurteilt, den Klägern über den Bestand des bei der L geführten Depots mit der Depotnummer 500xxxxxx zum 20.02.2009 und über dessen Verbleib, insbesondere über alle seit dem Erbfall über die genannten Wertpapiere vorgenommenen Verfügungen und sonstigen Geschäfte (einschließlich des Datums, des jeweiligen Kurswerts, etwaig erzielten Veräußerungserlöses, Zielkontos, Begünstigten) Auskunft durch Vorlage von Depot- und Kontoauszügen zu erteilen.
Im Übrigen wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 10.04.2013 - 32 O 424/12 - aufgehoben und hinsichtlich der Verhandlung und Entscheidung über die weiteren Anträge an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt mit Ausnahme der der Streithelferin entstandenen Kosten, die diese selbst zu tragen hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger in der Hauptsache gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 € und wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in der Hauptsache in Höhe von 3.000,00 € und wegen der Kosten in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Die Kläger, die Erben und Testamentsvollstrecker über den Nachlass der zwischen dem 19. und 20.02.2009 verstorbenen Frau U sind (im folgenden: Erblasserin), nehmen den Beklagten im Wege der Stufenklage auf Auskunft über den Bestand eines bei der Streithelferin geführten Wertpapierdepots Nr. 500xxxxxx, dessen Verbleib sowie die über die Wertpapiere vorgenommenen Verfügungen zum 20.02.2009, Versicherung der erteilten Auskunft an Eides statt und Herausgabe der noch vorhandenen Wertpapiere sowie Ersatz etwaiger Verzugsschäden in Anspruch.
4Mit Vertrag vom 13.09.1976 zwischen der Erblasserin und der Streithelferin des Beklagten hatte die Erblasserin verfügt, dass das streitgegenständliche Depot mit ihrem Tod auf die Streithelferin übergehen und der Beklagte das Recht erwerben sollte, von der Streithelferin die Übertragung des Eigentums an den Wertpapieren zu verlangen. Dem Beklagten wurde dieser Vertrag zu Lebzeiten der Erblasserin nicht bekannt gegeben. Mit privatschriftlichem Testament vom 19.04.2007, das in amtliche Verwahrung gegeben wurde, wurden die Kläger zu Erben und Testamentsvollstreckern eingesetzt. Hinsichtlich des Kapitalvermögens bei der Streithelferin setzte die Erblasserin ein Vermächtnis zugunsten der Familien I und X aus. Im Mai 2009 erhielt der Beklagte von dem am 09.04.2009 eröffneten Testament der Erblasserin vom 19.04.2007 Kenntnis. Erst zwei Jahre nach der Testamentseröffnung benachrichtigte die Streithelferin unter dem 27.05.2011 den Beklagten telefonisch von dem Vertrag vom 13.09.1976 und der darin enthaltenen Verfügung von Todes wegen. Das Depot wurde anschließend auf den Beklagten übertragen. Unter dem 11.07.2011 widerriefen die Kläger die Verfügung der Erblasserin für den Todesfall zugunsten des Beklagten gegenüber der Streithelferin. Die Parteien streiten darüber, ob das Wertpapierdepot aufgrund des Vertrags vom 13.09.1976 noch Bestandteil des Nachlasses ist oder nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und der gestellten Anträge wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
5Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass von einem wirksamen Zugang des in der letztwilligen Verfügung vom 19.04.2007 enthaltenen Widerrufs des Schenkungsangebots der Erblasserin gegenüber dem Beklagten nicht ausgegangen werden könne. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen.
6Die Kläger wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und führen ergänzend aus, das Landgericht gehe unzutreffend davon aus, dass eine zielgerichtete Abgabe der Widerrufserklärung erforderlich gewesen sei. Die Voraussetzungen für einen Zugang des Widerrufs lägen ebenfalls vor. Ausreichend sei, dass die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelange, dass er unter gewöhnlichen Umständen von ihr Kenntnis nehmen könne. Der testamentarische Schenkungswiderruf sei dem Beklagten tatsächlich zugegangen. Die Erblasserin habe auch mit dem Zugang beim Beklagten gerechnet und rechnen dürfen. Sie habe alle notwendigen Vorkehrungen getroffen, die für einen Zugang der letztwilligen Verfügung beim Beklagten erforderlich gewesen seien. Der Beklagte habe im Hinblick auf die Vermögensangelegenheiten der Erblasserin eine herausgehobene Stellung gehabt und sei in alle Vorgänge um den streitgegenständlichen Nachlass involviert gewesen. Er habe für die Erblasserin zudem als Hausverwalter agiert. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei das Testament als Widerruf des Schenkungsangebots aus dem Jahr 1976 auszulegen. Aus der letztwilligen Verfügung vom 19.04.2007 ergebe sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Erblasserin über ihr gesamtes Kapitalvermögen habe verfügen und frühere Verfügungen aufheben wollen. Hätte die Erblasserin das dem Beklagten zugewendete Depot von der Verfügung im Testament ausnehmen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie dies im Testament ausdrücklich klargestellt hätte.
7Die Kläger beantragen,
8das Urteil des Landgerichts Köln vom 10.04.2013 - 32 O 424/12 – abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,
91. Auskunft zu erteilen über den Bestand des bei der L geführten Depots mit der Depotnummer 500xxxxxx zum 20.02.2009 und über dessen Verbleib, insbesondere über alle seit dem Erbfall über die unter Ziffer 1. a. genannten Wertpapiere vorgenommenen Verfügungen und sonstigen Geschäfte (einschließlich des Datums, des jeweiligen Kurswerts, etwaig erzielten Veräußerungserlöses, Zielkontos, Begünstigten) durch Vorlage von Depot- und Kontoauszügen;
102. für den Fall, dass die Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt errichtet wird, an Eides statt zu versichern, dass er die erteilten Auskünfte nach bestem Wissen so vollständig abgegeben habe, wie er dazu in der Lage war;
113. an die Kläger die sich aufgrund der zu erteilenden Auskunft noch vorhandenen Wertpapiere nebst etwaiger Verzugsschäden seit dem 09.05.2012 herauszugeben;
124. bezüglich der nach dem 31.12.2010 veräußerten Wertpapiere den Verkaufserlös nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszins seit dem 19.05.2012 an die Kläger zu zahlen.
13Der Beklagte beantragt,
14die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
15Die Streithelferin des Beklagten beantragt ebenfalls,
16die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
17Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und macht darüber hinaus geltend, dass die Erblasserin ihr Recht zum Widerruf des im Vertrag vom 13.09.1976 liegenden Schenkungsangebots gegenüber dem Beklagten dahin beschränkt habe, dass ein Widerruf nur durch schriftliche Erklärung gegenüber der Streithelferin möglich sein sollte. Damit habe die Erblasserin teilweise auf ihr Recht zum Widerruf der Schenkung verzichtet. Das Testament sei nicht als Schenkungswiderruf auszulegen, weil dem Beklagte in dem Zeitpunkt, als er von dem Inhalt des Testaments Kenntnis erhielt, die Schenkung auf den Todesfall aus dem Jahr 1976 nicht bekannt gewesen ist. Das dem Beklagten zu Lebzeiten zugewendete Depot sei nicht von dem Testament vom 19.04.2007 erfasst gewesen, weil diese letztwillige Verfügung lediglich auf die Verteilung der bei dem Tod der Erblasserin „noch vorhandenen Sparbücher, Wertpapiere sowie sonstigen Vermögensgegenstände“ gerichtet gewesen sei. Die lebzeitige Verfügung der Erblasserin zugunsten des Beklagten habe jedoch zur Folge gehabt, dass das streitgegenständliche Depot mit dem Tod der Erblasserin nicht in den Nachlass gefallen sei. Hierfür spreche auch der Umstand, dass die Erblasserin den Wert ihrer Hinterlassenschaft bei der Übergabe des Testaments in amtliche Verwahrung im Jahr 2007 mit 500.000,00 € angegeben habe. Das tatsächliche Vermögen habe zu diesem Zeitpunkt unter Einschluss des streitgegenständlichen Depots jedoch bei ungefähr 950.000,00 € gelegen. An einer zielgerichteten Willenserklärung der Erblasserin, die Schenkungsvereinbarung aus dem Jahr 1976 zu widerrufen, fehle es, weil der Beklagte nicht Adressat des Testaments sei. Die Erblasserin habe auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Beklagte über seine Ehefrau Kenntnis von dem Inhalt des Testaments erhalten würde, weil sie nicht auf den Fortbestand der Ehe habe vertrauen dürfen.
18Die Streithelferin schließt sich dem Vorbringen des Beklagten an und verteidigt das angefochtene Urteil.
19Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und der Streithelferin wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
20II.
21Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger hat auch in der Sache Erfolg.
22Die Kläger können von dem Beklagten Auskunft über den Bestand des bei der Streithelferin bestehenden Depots Nr. 500xxxxxx und über den Verbleib der Wertpapiere unter Vorlage der Depot- und Kontoauszüge gemäß § 260 BGB i. V. mit § 2205 BGB verlangen, weil den Erben gegen den Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung der durch die Übertragung des Depots erlangten Vermögenswerte nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB zusteht. Der Beklagte hat die mit der Übertragung des Depots erhaltenen Vermögenswerte ohne Rechtsgrund erlangt.
23Dem Beklagten ist das bei der Streithelferin bestehende Wertpapierdepot Nr. 500xxxxxx nicht wirksam von der Erblasserin geschenkt worden. Der zwischen der Erblasserin und der Streithelferin am 13.09.1976 geschlossene Vertrag über eine Schenkung an den Beklagten von Todes wegen ist durch die testamentarische Verfügung der Erblasserin vom 19.04.2007 wirksam widerrufen worden. Bei diesem Vertrag handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall gemäß § 331 BGB. Nach § 331 Abs. 1 BGB erwirbt der begünstigte Dritte, wenn die Leistung an ihn nach dem Tode des Versprechensempfängers erfolgen soll, das Recht auf die Leistung im Zweifel mit dem Tod des Versprechensempfängers. Beim Vertrag zugunsten Dritter ist zwischen dem Deckungsverhältnis und dem Valutaverhältnis zwischen dem Versprechensempfänger und dem Dritten - hier zwischen Erblasserin und Beklagtem - zu unterscheiden. Der Dritte darf den Gegenstand der Zuwendung nur behalten, wenn in seinem Verhältnis zum Versprechensempfänger ein rechtlicher Grund für die Vermögensverschiebung bestand. Andernfalls ist er dem Erben mangels Bestehens eines rechtlichen Grundes zur Herausgabe verpflichtet (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1996, 590; BGH NJW 75, 382; NJW 84, 480; WM 76, 1130).
24Nach Auffassung des Senats liegt im Verhältnis zum Beklagten keine wirksame Schenkung vor. Die Streithelferin hat dem Beklagten das in der vertraglichen Vereinbarung vom 13.09.1976 liegende Schenkungsangebot nach dem Vorbringen des Beklagten am 27.05.2011 zwar telefonisch übermittelt und hat diesem nach Annahme des Angebots das Eigentum an dem Depot übertragen. Der darin liegende Vollzug der Schenkung ist jedoch ohne Rechtsgrund erfolgt, weil das Schenkungsangebot vor Zugang an den Beklagten ihm gegenüber wirksam widerrufen worden ist. Eine gegenüber einem Abwesenden abzugebende Willenserklärung wird nach § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie diesem zugeht, wenn dem Empfänger nicht vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Der Beklagte konnte das Schenkungsangebot der Erblasserin, das ihm durch die Streithelferin übermittelt worden war, am 27.05.2011 nicht mehr annehmen, weil er unstreitig zuvor bereits Kenntnis von den testamentarischen Bestimmungen des Testaments der Erblasserin vom 19.04.2007 hatte, mit denen die Erblasserin eine anderweitige, von der Vereinbarung vom 13.09.1976 abweichende Verteilung des Depotvermögens getroffen und damit die im Jahr 1976 verfügte Schenkung auf den Todesfall widerrufen hatte.
25Ein Widerruf eines durch Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall erklärten Schenkungsangebots ist auch in einer letztwilligen Verfügung möglich, sofern der Erblasser Vorkehrungen für ein Zugehen der Erklärung an den Empfänger getroffen hat (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1996, 590 m.w.N.). Die im Testament vom 19.04.2007 durch die Erblasserin getroffene letztwillige Verfügung ist nach Auffassung des Senats als Widerruf der zu Lebzeiten getroffenen Schenkungsvereinbarung anzusehen, weil die Erblasserin mit dieser Verfügung umfassend über ihr Vermögen und damit auch über das streitgegenständliche Depotvermögen verfügt hat. Die Erblasserin hat Verfügungen sowohl hinsichtlich ihres Kapitalvermögens als auch ihres Immobilienbesitzes und darüber hinaus im Einzelnen hinsichtlich ihrer Möbel, ihres Schmucks, der Haushaltsgegenstände und ihres sonstigen Besitzes getroffen. Dies rechtfertigt die Annahme, dass die Erblasserin eine abschließende und umfassende letztwillige Verfügung über ihr Vermögen treffen wollte. Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin über ihr Vermögen mit Ausnahme des im Jahr 1976 dem Beklagten zugewendeten Depotvermögens bei der Streithelferin verfügen wollte, ergeben sich aus dem Testament nicht. Mit der Formulierung „mein gesamtes Kapitalvermögen“ bei der Streithelferin werden nach Auffassung des Senats sämtliche Vermögenswerte bei der Streithelferin erfasst, die im Zeitpunkt der Testamentserrichtung tatsächlich vorhanden waren. Dass der Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung möglicherweise nicht mehr bewusst war, dass sie hinsichtlich des streitgegenständlichen Depots bereits eine anderweitige Verfügung durch einen begünstigenden Vertrag zugunsten des Beklagten auf den Todesfall getroffen hatte, hindert nicht die Auslegung der letztwilligen Verfügung dahin, dass sämtliche Vermögenswerte erfasst sein sollten und hinsichtlich der zuvor beabsichtigten Schenkung an den Beklagten somit ein Widerruf des Schenkungsangebots vorliegt. Im Hinblick auf die eindeutige Formulierung im Testament und dem erkennbaren Willen der Erblasserin, eine umfassende Regelung bezüglich ihres Vermögens zu treffen, hätte es nach Auffassung des Senats vielmehr einer Klarstellung bedurft, wenn das streitgegenständliche Depot von der letztwilligen Verfügung ausgenommen werden sollte. Eine solche Klarstellung wäre erst recht zu erwarten gewesen, wenn mit dem Beklagten davon ausgegangen würde, dass der Erblasserin aufgrund der ihr laufend erteilten Abrechnungen des Depotkontos und des darauf befindlichen Vermerks stets vor Augen gestanden habe, dass sie eine lebzeitige Verfügung zugunsten des Beklagten getroffen hatte. Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus dem Umstand, dass die Erblasserin den Wert des Nachlassvermögens im Jahr 2007 gegenüber dem Amtsgericht bei Übergabe ihres Testaments in amtliche Verwahrung mit 500.000,00 € beziffert hatte. Für diese Auslegung spricht im Übrigen auch der Umstand, dass der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat geäußert hat, dass er bei Kenntnisnahme der letztwilligen Verfügung der Erblasserin erstaunt gewesen sei, dass er nicht bedacht worden sei. Daraus geht hervor, dass der Beklagte die testamentarische Verfügung der Erblasserin vom 19.04.2007 selbst dahin verstanden hat, dass die Erblasserin abschließend und umfassend über ihr Vermögen verfügt hatte.
26Anders als das Landgericht ist der Senat allerdings der Auffassung, dass sich der Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen kann, die letztwillige Verfügung der Erblasserin sei ihm lediglich per Zufall in zeitlichem Zusammenhang mit ihrer Eröffnung im April 2009 zur Kenntnis gekommen. Nach Auffassung des Senats fehlt es im vorliegenden Fall nicht an hinreichenden Vorkehrungen der Erblasserin dazu, dass dem Beklagten ihr Widerruf tatsächlich zuging. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Annahme des Zugangs einer empfangsbedürftigen Willenserklärung neben ihrem tatsächlichen Zugehen erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Willenserklärung mit Willen des Erklärenden in den Verkehr gelangt und der Erklärende damit rechnen konnte und gerechnet hat, sie werde den Erklärungsempfänger erreichen (vgl. BGH NJW 1979, 2032 m. w. N.). Dies ist hier der Fall. Die Erblasserin konnte im vorliegenden Fall damit rechnen, dass ihr privatschriftliches Testament, das in besondere amtliche Verwahrung übergeben worden war, eröffnet werden würde und sein Inhalt den Beteiligten, u.a. auch dem Beklagten, zur Kenntnis gebracht werden würde. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass der Beklagte mit der Erblasserin im gleichen Haus gelebt hat und nach seinen Angaben die Erblasserin zu Lebzeiten in Vermögensangelegenheiten umfassend unterstützt hat. Der Beklagte ist als Ehemann der Nichte der Erblasserin, die als gesetzliche Erbin von dem Testament in Kenntnis zu setzen war, nicht als Außenstehender, sondern als Familienmitglied anzusehen. Der Senat ist daher überzeugt, dass die Erblasserin davon ausging und nach den Umständen auch davon ausgehen durfte, dass er mit der Testamentseröffnung von dem Inhalt der letztwilligen Verfügung Kenntnis erhielt.
27Der Beklagte hat unstreitig über seine Ehefrau im Mai 2009 auch Kenntnis von der letztwilligen Verfügung vom 19.04.2007 erhalten. Unerheblich ist, ob ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst war oder überhaupt sein konnte, dass in der testamentarischen Verfügung ein Widerruf des ihn begünstigenden Schenkungsversprechens aus dem Vertrag vom 13.09.1976 lag. Denn es genügt gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn dem Empfänger zugleich mit der Erklärung ein Widerruf zugeht. Jedenfalls im Zeitpunkt der Mitteilung der Streithelferin an ihn am 27.05.2011, dass die Erblasserin ihm zu Lebzeiten das streitgegenständliche Depot zugewendet hatte, konnte und musste der Beklagte erkennen, dass dieser Zuwendung die abweichenden testamentarischen Bestimmungen des Testaments vom 19.04.2007 entgegenstanden. Das ist jedenfalls ausreichend, ohne dass letztlich entschieden werden muss, ob es auf den Zeitpunkt ankommt, in dem der Empfänger den Sinn der schließlich widerrufenen Willenserklärung letztlich vollständig inhaltlich erfassen kann und erfasst hat. Auf die Frage, ob die Kläger auf ihr Widerrufsrecht verzichtet haben und ob der am 11.07.2011 erklärte Widerruf noch rechtzeitig war, kommt es danach nicht entscheidend an.
28Unerheblich ist ferner, ob die der Streithelferin erteilte Vollmacht zur Übermittlung des Schenkungsangebots an den Beklagten dieser gegenüber widerrufen worden ist oder nicht. Denn unabhängig von dem Deckungsverhältnis besteht ein Recht des Beklagten, die zugewandten Vermögenswerte behalten zu dürfen, im Verhältnis zu den Erben der Erblasserin nur dann, wenn im Valutaverhältnis eine wirksame Schenkung vorliegt. Dies ist nach den vorstehenden Ausführungen jedoch unabhängig von der Wirksamkeit des Deckungsverhältnisses nicht der Fall. Die Vereinbarung vom 13.09.1976 enthält nach Auffassung des Senats auch keine Einschränkung der Widerrufsmöglichkeit des Schenkungsversprechens gegenüber dem Beklagten in der Weise, dass ein eventueller Widerruf in jedem Fall schriftlich gegenüber der Streithelferin hätte erklärt werden müssen. Die Formulierung in der Vereinbarung vom 13.09.1976 ist nach Ansicht des Senats nicht dahin auszulegen, dass ein Widerruf gegenüber dem Beklagten selbst ausgeschlossen werden sollte. Da der Beklagte zu Lebzeiten von der Vereinbarung keine Kenntnis erhalten sollte, war es nicht naheliegend oder erforderlich, in der Vereinbarung die Möglichkeit des Widerrufs durch Erklärung gegenüber dem Beklagten zu regeln. Es kann daher dahin stehen, ob in dem an die Streithelferin gerichteten Schreiben der Kläger vom 06.03.2009, mit dem sie gebeten worden ist, über das Nachlassvermögen nicht zu verfügen, ein Widerruf der Schenkung zu sehen ist.
29Der Senat ist, da er die von den Klägern erhobene Stufenklage auf der ersten Stufe für begründet erachtet, gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO befugt, von Amts wegen zusammen mit der Verurteilung zur Auskunft, die dem Berufungsantrag der Kläger entspricht, die Klageabweisung im übrigen aufzuheben und die Sache insoweit an die Vorinstanz zurückzuverweisen (vgl. BGH NJW-RR 1987, 1029).
30Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
31Die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil die für die Entscheidung erheblichen Rechtsfragen hinreichend geklärt sind. Es handelt sich lediglich um die Würdigung des Sachvortrags der Parteien in einem Einzelfall. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.
32Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 270.000,00 €.
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Referenzen
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- Schlussurteil vom Landgericht Köln - 32 O 424/12 3x
- BGB § 130 Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden 2x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- ZPO § 101 Kosten einer Nebenintervention 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 538 Zurückverweisung 1x
- BGB § 2205 Verwaltung des Nachlasses, Verfügungsbefugnis 1x
- BGB § 331 Leistung nach Todesfall 1x
- BGB § 260 Pflichten bei Herausgabe oder Auskunft über Inbegriff von Gegenständen 1x