Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 39/21
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 10.02.2021 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 226/18 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Der am xx.xx.1969 geborene Kläger macht Ansprüche auf Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht gegen die Beklagten, die den Kläger nach einem erlittenen Sturz behandelten, geltend und behauptet Mängel der Befunderhebung.
4Der Kläger wurde in der Nacht vom 02.06.2013 auf den 03.06.2013 von seiner Lebensgefährtin bewusstlos aufgefunden. Er wurde in das Krankenhaus der Beklagten zu 1), deren Unfallchirurgie von dem Beklagten zu 2) geleitet wird, eingeliefert. Aufgrund der Auffindeumstände war von einem Sturz im häuslichen Bereich, vermutlich von einer Leiter, auszugehen. Der Kläger wurde von der angestellten Ärztin A untersucht. Bei der radiologischen Untersuchung der Wirbelsäule konnte mit Ausnahme der Halswirbel die zweite, seitliche Ebene nicht dargestellt werden. Der Kläger befand sich durchgängig auf einem „Spineboard“ zum Schutz der Wirbelsäule. Ein CT-Untersuchung des Schädels ergab die Diagnosen „Felsenbeinfraktur rechts, subdurale Blutung rechts, Subarachnoidalblutungen beidseits rechts mehr als links, occipitale Kalottenfraktur links mit möglicher Hirnkontusion“. Es erfolgte die unmittelbare Überweisung des Klägers in die Klinik für Neurochirurgie der Beklagten zu 3), deren Chefarzt der Beklagte zu 4) ist, um dort eine operative Entlastung des vorhandenen Hämatoms im Schädel vorzunehmen. Die Verlegung wurde telefonisch angekündigt, wobei die Einzelheiten des Telefonats streitig sind. Die Ärztin A veranlasste weiterhin eine groborientierende Abdomensonografie sowie eine Laborkontrolle.
5Der Kläger wurde noch in der Nacht vom 03.06.2013 im Haus der Beklagten zu 3) durch den Beklagten zu 5) operiert, wobei eine operative Entlastung des Hämatoms epidural und auch subdural erfolgte und die Kalottenfraktur versorgt wurde. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Der Kläger wurde am 11.06.2013 in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) zurückverlegt, wo er bis zum 18.06.2013 weiterbehandelt wurde. Im Anschluss fand vom 18.06.2013 bis zum 17.07.2013 im Hause der Beklagten zu 6) unter Verantwortung der Beklagten zu 7) eine neurologische Rehabilitationsbehandlung statt. Im Anschluss an die Reha-Maßnahme suchte der Kläger die Fachärzte für Orthopädie „Orthoteam“ auf, die eine Computertomografie der Lendenwirbelsäule am 30.07.2013 veranlassten. Dabei wurden Kompressionsfrakturen von LWK 1 und LWK 2 diagnostiziert.
6Hinsichtlich des unstreitig vorgerichtlich durchgeführten Gutachterverfahrens, der weiteren vom Kläger eingeholten Gutachten und der vorgerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber den Versicherern wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils nebst der dort in Bezug genommenen Anlagen verwiesen.
7Über das Vermögen der Beklagten zu 6) wurde am 01.01.2020 durch das Amtsgericht Aachen unter dem Az. 93 IN 217/19 das Insolvenzverfahren eröffnet. Insolvenzverwalter ist der Beklagte zu 8).
8Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, die Behandler der Beklagten zu 1), 3) und 6) hätten behandlungsfehlerhaft die Frakturen der LWK 1 und LWK 2 übersehen. Die erforderliche Befunderhebung, insbesondere in Form einer Röntgendiagnostik in zwei Ebenen, sei nicht durchgeführt worden. Bei der Beklagten zu 6) habe eine Physiotherapeutin ausdrücklich den Verdacht auf Wirbelsäulenbruch geäußert, worauf jedoch keine Reaktion erfolgt sei. Die von ihm in allen Häusern mitgeteilten Rückenschmerzen seien ebenfalls behandlungsfehlerhaft ignoriert worden. Die bei der Beklagten zu 6) erfolgte Mobilisation sei bei bestehendem Wirbelbruch kontraindiziert gewesen. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagten hätten grobe Befunderhebungsfehler zu vertreten, die zu einer Beweislastumkehr führten.
9Die Versäumnisse der Beklagten hätten zu einer Keilwirbelbildung und Höhenminderung bis 30 %, zum Achsenknick nach ventral und dazu geführt, dass die Rückenmuskulatur des Klägers die biomechanische Mehrbelastung nicht habe kompensieren können. Stattdessen seien die dorsal liegenden Facettengelenke überlastet worden. Die in Fehlstellung verheilte LWK 1 und LWK 2- Kompressionsfraktur mit ventralen Sinterungen habe zu erheblichen dauerhaften Schäden geführt, insbesondere einer Funktionsblockade im Segment L1 und L2 in Achsenfehlstellung mit Zerstörung des Bandscheibenlagers. Die Lendenwirbelsäule sei in der Beweglichkeit endgradig schmerzhaft eingeschränkt mit reaktiver Muskelweichteilminderung der Musculus erector spinae- Gruppe. Der Kläger leide unter permanenten Schmerzen, die mit Schmerzmitteln behandelt werden müssten. Es sei zu einer Wesensveränderung bei Verlust der Lebensfreude gekommen. Schwere Lasten könnten nicht mehr getragen werden. Berufsleben und Freizeit seien eingeschränkt. Eine Verschlechterung des Zustandes sei nicht auszuschließen, Verdienstausfall und Haushaltsführungsschaden sei entstanden.
10Der Kläger hat weiter behauptet, dass bei rechtzeitiger Befunderhebung mithilfe eines neurochirurgischen Konsils operative Maßnahmen oder geeignete konservative Maßnahmen mit dem Ziel der Entgegenwirkung der Keilwirbelbildung hätten erfolgen müssen. Bei rechtzeitiger weiterer Befunderhebung durch Anfertigung ausreichender Röntgenbilder hätte sich mit höchster Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiger Befund ergeben, der zu einer Therapie geführt hätte. Im günstigsten Fall wäre der Kläger dann heute schmerzfrei gewesen und könne sich normal bewegen. Dies führt der Kläger im Einzelnen unter Berufung auf die Gutachten seiner Privatgutachter aus.
11Der Kläger hält ein Schmerzensgeld von mindestens 40.000 € für angemessen.
12Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
13- nunmehr hinsichtlich des Beklagten zu 8) mit der Maßgabe, dass eine Verurteilung beschränkt auf die Höhe der Versicherungssumme begehrt wird -,
141. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn aus der fehlerhaften Behandlung ab Juni 2013 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 40.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz, und zwar hinsichtlich der Beklagten zu 6) und 7) seit dem 26.11.2014, hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis 5) seit dem 31.12.2014;
152. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn den nicht anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr zu zahlen, und zwar in Höhe von 2.976,79 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
163. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm infolge der fehlerhaften Behandlung ab Juni 2013 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
17Die Beklagten haben beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagten zu 1) und 2) haben behauptet, sämtliche Befunde seien der Beklagten zu 3) übermittelt worden, eine telefonische Information sei vollständig erfolgt. In einem handgeschriebenen Kurzbrief seien sämtliche Untersuchungsbefunde einschließlich einer Information zum Abbruch der Wirbelsäulendiagnostik mitgeteilt worden. Eine ausführlichere Untersuchung des Klägers sei aufgrund der Notfallsituation nicht indiziert gewesen, da ersichtlich gewesen sei, dass im Wirbelsäulenbereich keine lebensbedrohlichen Verletzungen vorgelegen hätten, andererseits lebensrettende Maßnahmen durch die Neurochirurgie hätten erfolgen müssen. Dies habe im Vordergrund gestanden. Eine für die weitere Röntgendiagnostik erforderliche Sedierung hätte die unverzügliche Verlegung zur Beklagten zu 3) verzögert, was nicht vertretbar gewesen sei. Nach Rückverlegung des Klägers hätten sich die Ärzte der Beklagten darauf verlassen dürfen, dass im Haus der Beklagten zu 3) sämtliche notwendigen Befunde erhoben worden wären. Klinische und körperliche Untersuchungen des Klägers hätten keine Hinweise für Wirbelsäulenschmerzen ergeben, der Kläger hätte solche auch nicht geäußert. Im Übrigen bestreiten die Beklagten zu 1) und 2) die Kausalität der unterlassenen radiologischen Überprüfung. Eine Veränderung der Therapie wäre auch im Falle der Kenntnis der Wirbelbrüche nicht erfolgt. Im Übrigen bestünden keine Anhaltspunkte für die Haftung des Beklagten zu 2) als Chefarzt.
20Die Beklagten zu 3) -5) haben behauptet, der Kläger habe lediglich über Kopfschmerzen geklagt, die analgetisch behandelt worden seien. Anhaltspunkte für die Erhebung weiterer Befunde hätten nicht bestanden. Wären die Frakturen erkannt worden, hätte dies kein reaktionspflichtiges Ergebnis dargestellt, da weitere Maßnahmen im Hause der Beklagten nicht durchgeführt hätten werden müssen. Im Übrigen hätten sich die Beklagten zu 3) -5) im Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung auf die Mitteilung der Beklagten zu 1), wonach die Spinalachse des Klägers ohne Befund gewesen sei, verlassen dürfen. Gründe für eine Mithaftung der Beklagten zu 4) und 5) seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
21Die Beklagten zu 6) und 7) behaupten, die Rehabilitationsbehandlung sei lege artis erfolgt. Ohne weiteren Hinweis der Vorbehandler hätten sie sich darauf verlassen dürfen, dass die wesentliche Diagnostik in der Akutklinik bereits erfolgt sei. Auf die vom Kläger allein bei Aufnahme geklagten und auf das lange Liegen zurückgeführten Schmerzen der Lendenwirbelsäule sei schmerzdämpfende Medikation erfolgt. Im Verlaufe habe der Kläger keine starken Rückenschmerzen geäußert. Ein Behandlungsfehler hätte sich nicht kausal auf die klägerseits behaupteten Beeinträchtigungen ausgewirkt, da es allenfalls zu einer Verzögerung der Heilbehandlung gekommen sei. Es sei ohnehin eine konservative Behandlung angezeigt gewesen, die durchgeführt worden sei.
22Der Beklagte zu 8) wendet ein, dass dem Kläger Ansprüche gegen ihn als Insolvenzverwalter mangels Anspruchs gegen die Beklagte zu 6) nicht zustehe. Insoweit macht er sich das Vorbringen der Beklagten zu 6) zu Eigen. Im Übrigen sei er bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrags eines Aussonderungsrechts ipso jure mangels Massebezug nicht passivlegitimiert. Der Kläger übersehe auch die aufgrund von §§ 110 VVG, §§ 170, 171 InSO erforderlichen Beschränkungen der Klageanträge.
23Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 906 ff d.A.) Bezug genommen.
24Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten des fachorthopädischen / unfallchirurgischen Sachverständigen B vom 21.07.2019 (Bl. 482 ff. d. A.) und des neurochirurgischen Sachverständigen C vom 21.11.2019 (Bl. 697 ff. d. A.). Beide Sachverständige haben ihre Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2020 erläutert. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2020 (Bl. 882 ff. d. A.) Bezug genommen.
25Das Landgericht hat die Klage sodann insgesamt abgewiesen. Es hat den Feststellungsantrag zu 3) für teilweise unzulässig gehalten, soweit der Kläger diesen trotz der Geltendmachung von materiellem Schadensersatz mit bezifferten Anträgen nicht auf weitere Schäden begrenzt habe.
26Im Übrigen bestehe ein Anspruch gegen die Beklagten aufgrund eines behandlungsfehlerhaften Verhaltens nicht.
27Eine Haftung der Beklagten zu 2) und 4), die ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Chefarzt in Anspruch genommen worden seien, bestehe bereits mangels konkret dargelegter Versäumnisse, auch im Bereich etwaiger Organisationspflichten, nicht.
28Hinsichtlich der übrigen Beklagten scheide eine Haftung ebenfalls aus. Zwar sei sowohl zulasten der Beklagten zu 1), 3) und 6) festzustellen, dass jeweils kunstgerecht zu erhebende Befunde, nämlich die seitliche Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule, alternativ ein CT der Lendenwirbelsäule, nicht vorgenommen worden seien, sodass von einem Befunderhebungsfehler jeweils auszugehen sei.
29Hinsichtlich der Behandlung im Hause der Beklagten zu 1) sei zunächst, in Anschluss an den gerichtlichen Sachverständigen B, festzustellen, dass die notfallmäßige Behandlung vom 03.06.2013 frei von Behandlungsfehlern erfolgt sei, insbesondere die weitere Befunderhebung betreffend der Wirbelsäule zugunsten einer schnellen Behandlung der lebensgefährlichen Hirnblutung zurückzustellen gewesen sei. Allerdings hätte im Hause der Beklagten zu 1) nach Rückverlegung nachvollzogen werden müssen, inwieweit die ursprünglich nicht komplettierte Diagnostik in der Uniklinik komplettiert worden sei.
30Die Behandler der Beklagten zu 3) hätten - nach der vordringlich durchzuführenden Operation- prüfen müssen und erkennen können, dass die Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule nicht vollständig waren, sondern die standardmäßig erforderliche zweite Aufnahme im seitlichen Strahlengang fehlte. Dies habe sich sowohl aus dem Verlegungsbrief ergeben als auch aus dem handschriftlichen vorläufigen Arztbrief, der eine Röntgenaufnahme lediglich „a.p.“ , d. h. anterior posterior, nicht von der Seite, erwähnt.
31Die Behandler der Beklagten zu 6) schließlich hätten ebenfalls aufgrund der vorliegenden Unterlagen die Unvollständigkeit der Wirbelsäulendiagnostik erkennen können und spätestens mit Hinzutreten von geschilderten Schmerzen weiterführende Diagnostik vornehmen müssen.
32Das Landgericht hat diese Befunderhebungsfehler jeweils lediglich als einfache Fehler eingestuft und ist insofern den gerichtlichen Sachverständigen B und C gefolgt. Aus diesen einfachen Befunderhebungsfehlern resultiere keine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers. Denn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang zwischen dem Unterlassen der gebotenen Röntgenaufnahme und den bei dem Kläger verbliebenen Folgen bestehe nicht, da eine nennenswerte Veränderung des Behandlungsschemas oder eine andere Therapieform nicht notwendig geworden wäre. Dies hätten die gerichtlichen Sachverständigen übereinstimmend ausgeführt. Eine Operation wäre lediglich indiziert gewesen, wenn ein Kyphosewinkel über 20° vorhanden gewesen wäre oder man den Kläger aufgrund von Schmerzen nicht hätte mobilisieren können. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Insofern hätte eine konservative Behandlung, wie sie tatsächlich auch erfolgt sei, mit analgetischer Medikation und Schonung, erfolgen müssen. Diese Behandlung sei tatsächlich vorgenommen worden. Die Kammer setzt sich sodann im Einzelnen mit den unterschiedlichen, in den Privatgutachten vertretenen Auffassungen auseinander und hält diese im Ergebnis für nicht durchgreifend (Bl. 20-25 des angefochtenen Urteils).
33Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger unter Einreichung einer erneuten Stellungnahme des Den sowie eines neuen Gutachtens des E. Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass allen Beklagten ein grober Befunderhebungsfehler zur Last zu legen sei, da alle standardwidrig die Wirbelsäule nicht in der zweiten Ebene geröntgt hätten. Dem Kläger käme daher eine Beweislastumkehr zugute. Die Kammer hätte nicht ausreichend durch Befragung der Gutachter aufgeklärt, ob die Nichtreaktion auf die Erkennung eines solchen Bruches einen eindeutigen Behandlungsfehler darstelle oder nicht. Hiervon könne jedoch ausgegangen werden. B habe auch darauf hingewiesen, dass es möglich sei, dass sich der Kyphosewinkel von 10° auf 15° verschlechtert habe infolge der fehlerhaften Therapie. Dass diese Folge auch bei ordnungsgemäßer Therapie eingetreten wäre, hätten die Beklagten zu beweisen. Bei dem Kläger liege ein chronisches Schmerzsyndrom vor, eine adäquate Schmerztherapie hätte die Etablierung eines Schmerzgedächtnisses verhindert. Auch die partielle Zerstörung des Bandscheibenlagers sei möglicherweise durch die Nichtbeachtung und Nichterkennung der Fraktur erst später eingetreten.
34Unter Berufung auf das neue Gutachten von E wiederholt der Kläger den bereits erhobenen Behandlungsfehlervorwurf gegenüber allen drei Beklagten. Bei der beim Kläger vorliegenden, deutlich ausgeprägten Deckplattenimpressionsfraktur ohne Hinterkantenfragment wäre eine Ballonkyphoplastie indiziert gewesen, die man mit dem Kläger hätte besprechen müssen, alternativ hätte eine konservative Behandlung mittels einer Orthese erfolgen können. Mobilisierende Maßnahmen seien hingegen kontraindiziert gewesen. Das Unterlassen hätte zu progredienter Sinterung an den Lendenwirbelkörperdeckplatten geführt.
35Den konzentriert sich in seinem ergänzenden Gutachten auf die bei dem Kläger eingetretenen Rückenschmerzen, wie sie dem gerichtlichen Sachverständigen B geschildert worden sind. Er schließt aus der chronischen Schmerzsituation des Klägers, dass bei den Beklagten die Schmerzen nicht ausreichend behandelt worden seien, sodass sich ein Schmerzgedächtnis ausgebildet hätte. Die Entstehung eines solchen Schmerzgedächtnisses führt er im Einzelnen aus. Die Verhinderung eines Schmerzgedächtnisses im Rückenmarksbereich bedürfe einer anderen Vorgehensweise als der Analgesie nach einem Schädelhirntrauma (Bl. 1068 der Akte). Wäre ein adäquate zielgerichtete analgetische Therapie im Wirbelsäulenbereich erfolgt, z.B. durch eine Infiltrationsanästhesie, eine Leitungsanästhesie o. ä., hätte die chronische Schmerzentwicklung möglicherweise komplett verhindert werden können.
36Der Kläger rügt weiterhin, die Kammer habe nicht hinreichend aufgeklärt, dass er, der Kläger immer wieder, auch im Beisein der Beklagten bzw. des Pflegepersonals über Rückenschmerzen geklagt habe. Dazu habe er als Zeugen seine Eltern und seine Lebensgefährtin benannt, die das Landgericht hätte anhören müssen. Weiterhin vertritt der Kläger die Auffassung, es hätte ein neurologisches sowie ein schmerztherapeutisches Gutachten eingeholt werden müssen zu der Frage, ob bei adäquater Therapie die Chronifizierung des Schmerzes hätte verhindert werden können.
37Der Kläger beantragt nunmehr,
38unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Aachen vom 10.02.2021,
39- hinsichtlich des Beklagten zu 8) mit der Maßgabe, dass eine Verurteilung beschränkt auf die Versicherungsleistung begehrt wird -,
401. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn aus der fehlerhaften Behandlung ab Juni 2013 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 40.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz, und zwar hinsichtlich der Beklagten zu 6) und 7) seit dem 26.11.2014, hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis 5) seit dem 31.12.2014;
412. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn den nicht anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr zu zahlen, und zwar in Höhe von 2.976,79 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
423. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm infolge der fehlerhaften Behandlung ab Juni 2013 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
43Die Beklagten haben beantragt,
44die Berufung zurückzuweisen.
45Die Beklagten zu 1) und 2) verteidigen das landgerichtliche Urteil im Ergebnis nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung, wobei sie weiterhin eine Verpflichtung zur Überprüfung der bei der Beklagten zu 3) durchgeführten Diagnostik und Nachholung der zweiten Röntgenaufnahme in Abrede nehmen. Sie verweisen darauf, dass im Falle einer Beweisaufnahme über Schmerzäußerungen des Klägers auch die gegenbeweislich von Beklagtenseite benannten Zeugen vernommen werden müssten.
46Der Beklagte zu 8) verteidigt das angefochtene Urteil und macht insbesondere erneut geltend, dass nach Vortrag des Klägers es dem Insolvenzverwalter bereits an der Passivlegitimation fehle.
47Die Beklagten zu 3) bis 5) treten der Berufung nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung, auf die Bezug genommen wird, entgegen. Sie führen insbesondere aus, dass entgegen den Ausführungen des Sachverständigen F sowohl im Haus der Beklagten zu 3) als auch in der Weiterbehandlung durch die Beklagten zu 1) und 6) eine Schmerztherapie, die auch gegen mögliche Schmerzen aufgrund des Wirbelkörperbruches wirksam gewesen sei, vorgenommen worden sei.
48Die Beklagten zu 6) und 7) verteidigen das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung, auf die Bezug genommen wird.
49Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
50II.
51Die Berufung des Klägers ist frist- und formgerecht eingelegt. Sie ist auch in Bezug auf den Beklagten zu 8) als Insolvenzverwalter der Beklagten zu 6) zulässig. Der Kläger hat insoweit durch Schriftsatz vom 10.06.2021 (Bl. 1138 d.A.) klargestellt, dass sich der Klageantrag in Bezug auf den Beklagten zu 8) ausschließlich auf die Versicherungsleistung richtet. Ist hinsichtlich der Schadensersatzforderung eines Dritten gegen den Schuldner zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits ein Rechtsstreit anhängig, der durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 240 ZPO unterbrochen wird, kann der Dritte diesen Rechtsstreit gem. § 86 I Nr. 2 InsO insoweit aufnehmen, als er abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen die Versicherung gem. § 110 VVG geltend macht (vgl. BGH Urteil vom 18.07.2013, IX ZR 311/12, WM 2013, 1654). Einen solchen Anspruch macht der Kläger gegen den Beklagten zu 8) geltend.
52Die Berufung ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§ 280 Abs.1, 611, 823 Abs.1, 249, 253 Abs.2 BGB zu. Im Ergebnis kann der Kläger den Beweis für auf Behandlungsfehlern beruhende Gesundheitsschäden nicht erbringen. Auf die zutreffenden Gründe der landgerichtlichen Entscheidung nimmt der Senat Bezug. Die mit der Berufungsbegründung eingereichten Gutachten erfordern keine weitere Sachaufklärung. Im Einzelnen gilt Folgendes:
531. Die Behandlung des Klägers im Haus der Beklagten zu 1) am 03.06.2013, vor Überstellung zur Beklagten zu 3), war nicht behandlungsfehlerhaft. Zutreffend hat das Landgericht, insoweit im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen B, für den 03.06.2013 das Unterlassen der Röntgenaufnahme in seitlicher Ebene nicht als Behandlungs- oder Befunderhebungsfehler angesehen. Die durch die Ärztin A festgestellte erhebliche Kopfverletzung, die einen unmittelbaren neurochirurgischen Eingriff erforderte, war vordringlich zur Lebensrettung zeitnah zu behandeln. Eine problemlose weitere Untersuchung der Wirbelsäule in zweiter Ebene ohne Zeitverzug wäre nicht möglich gewesen. Insofern ist nicht bestritten, dass der Patient agitiert war und für diese weitere Untersuchung hätte sediert werden müssen. Die durchgeführte Röntgenaufnahme der Brust- und Lendenwirbelsäule in einer Ebene hatte - so jedenfalls die gerichtlichen Sachverständigen B (Bl. 513 d.A.) und C (Bl. 710 d. A.)– keine Fraktur ergeben. Für seine abweichende Auffassung (Bl. 596 der Akte) hat F keine schlüssige Darstellung erbracht, warum die Anzeichen für einen Bruch eindeutig gewesen sein sollten. Selbst wenn man aber der Auffassung von F folgen wollte, dass eine Fraktur zu erkennen gewesen wäre, so war diese jedenfalls nach Meinung aller Sachverständiger nicht akut lebensbedrohlich und nicht vor der Kopfverletzung in irgendeiner Weise zu behandeln. Dass die Wirbelsäule lediglich in einer Ebene geröntgt worden ist, hat die Ärztin jedenfalls handschriftlich durch die Bemerkung „a.p.“ (Bl. 325) kenntlich gemacht.
542. Den Beklagten zu 1), 3) und 6) fällt jedoch ein einfacher Befunderhebungsfehler zur Last, indem sie die Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule in seitlicher Aufnahme nicht – nach der Akutbehandlung – durchgeführt haben. Insoweit besteht kein Streit unter den Parteien und Sachverständigen, dass grundsätzlich zum sicheren Frakturausschluss die Wirbelsäule sowohl in der a.p. – Ebene wie auch seitlich geröntgt werden muss (beispielhaft Gutachten B, Bl. 523 d.A.). Für die einzelnen Beklagten ergibt sich daraus das Folgende:
55a. Es stellt einen Befunderhebungsfehler dar, dass im Haus der Beklagten zu 1) nach der Rückverlegung keine Überprüfung erfolgt ist, ob eine Röntgenaufnahme in der zweiten Ebene im Haus der Beklagten zu 3) nachgeholt worden war. Insoweit war im Haus der Beklagten zu 1) das Wissen, dass am 03.06.2013 lediglich eine Röntgenaufnahme in einer Ebene erfolgt war, bereits vorhanden. Aus dem Abschlussbericht der Universitätsklinik (Bl. 311-312 ff.) ergibt sich nicht, dass dort eine Röntgenaufnahme nachgeholt worden ist. Eine solche ist weder im Verlauf erwähnt noch – wie es wohl üblich sein dürfte – als separater Befund aufgeführt. Für die Behandler der Beklagten zu 1) war daher erkennbar, dass nach wie vor eine leitliniengerechte Untersuchung der Wirbelsäule durch Röntgen in zwei Ebenen nicht erfolgt war. Die gerichtlichen Sachverständigen und auch die Privatgutachter nehmen letztlich einvernehmlich an, dass daher die notwendige Röntgenaufnahme in zweiter Ebene hätte nachgeholt werden müssen, mithin ein Befunderhebungsfehler vorliegt.
56b. Auch hinsichtlich der Beklagten zu 3) hat das Landgericht zutreffend und in Übereinstimmung mit sämtlichen Sachverständigen einen Befunderhebungsfehler angenommen. Für die Beklagte zu 3) war - jedenfalls bei genauer Prüfung - aufgrund des handschriftlichen Kurzbriefes mit dem Zusatz „a.p.“ und aufgrund der auf der mitgegebenen CD zwar als Datei angelegten, aber tatsächlich nicht abgespeicherten Röntgenaufnahme in der zweiten Ebene erkennbar, dass im Haus der Beklagten zu 1) eine vollständige Diagnostik hinsichtlich der Wirbelsäule nicht stattgefunden hatte. Dies hätte nachgeholt werden müssen.
57c. Bei der Beklagten zu 6), die eine Reha-Einrichtung und kein Akutkrankenhaus ist, ist dennoch, letztlich auch nach übereinstimmender Auffassung aller Sachverständigen, ein Befunderhebungsfehler anzunehmen. Zwar durfte sich die Beklagte zu 6) zunächst darauf verlassen, dass die Akutkrankenhäuser die Diagnostik lege artis durchgeführt hatten. Allerdings äußerte der Kläger im Verlauf der Behandlung Rückenschmerzen. Da sich insoweit aus dem Abschlussbericht der Beklagten zu 1) (Bl. 356, insbesondere 357) jedoch ergab, dass die Röntgenaufnahmen der BWS und LWS lediglich in der Aufsicht und nicht seitlich vorgenommen worden waren, hätte im Hause der Beklagten zu 6) auffallen müssen, dass die Diagnostik nicht komplett war und vervollständigt werden musste.
583. Für keinen der Behandler stellt sich das Unterlassen der weiteren Röntgenaufnahme als grober Behandlungsfehler im Sinne eines eindeutigen Verstoßes gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf, dar.
59a. Zwar durfte sich die Beklagte zu 1), wie auch B in seinem Gutachten ausführt (Bl. 525), nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass der Patient in der Uniklinik umfassend weiter untersucht worden ist, zumal sich weitere Untersuchungen der Wirbelsäule aus dem Arztbrief der Beklagten zu 3) nicht ergaben. Andererseits hatten sich in der Zeit, in der sich der Patient in der Uniklinik aufgehalten hatte, keine weiteren Traumafolgen klinisch manifestiert. Probleme des Rückens waren nicht vordringlich erkennbar, der Patient war zu mobilisieren. Damit war das Fehlen der Röntgenaufnahme zwar zu bemerken, aber dies musste sich nicht aufdrängen.
60b. Auch hinsichtlich der Beklagten zu 3) ist ein nicht mehr verständliches Unterlassen einer Befunderhebung nicht anzunehmen. Zunächst stand für die Ärzte der Beklagten zu 3) die Behandlung des Schädelhirntraumas im Vordergrund. Dass die Röntgenaufnahmen noch fehlten, hätte zwar durch eine sehr gründliche Überprüfung der übermittelten Unterlagen der Beklagten zu 1) auffallen müssen. Für eine solche Prüfung gab aber der klinische Zustand des Klägers keinen unmittelbaren Anlass. Eine auf eine Verletzung der Lendenwirbelsäule hinweisende Symptomatik bestand während des stationären Aufenthaltes des Klägers bei der Beklagten zu 3) nicht.
61c. Schließlich kann auch bei der Beklagten zu 6) ein objektiv nicht mehr verständlicher Verstoß gegen Behandlungsregeln nicht festgestellt werden. Als Rehabilitationseinrichtung durfte die Beklagte zu 6) grundsätzlich mit einer vollständigen diagnostischen Abklärung der Unfallverletzungen durch die Akutkrankenhäuser rechnen. Der Patient ließ sich, trotz dokumentierter Rückenschmerzen, während der Rehabilitation zunehmend gut mobilisieren, nahm an Therapiemaßnahmen teil und die Schmerzmedikation konnte im Verlauf reduziert werden. Die von Klägerseite mehrfach zitierte Vermutung eines Wirbelbruchs, die von der Physiotherapeutin geäußert worden sein soll, ergibt sich aus der vorgelegten E-Mail der Physiotherapeutin nicht, sodass sich auch insoweit nicht auf einen unbedingten, evident ersichtlichen Handlungsbedarf schließen lässt.
624. Die Voraussetzungen, unter denen der den Beklagten zu 1), 3) und 6) zur Last zu legende einfache Befunderhebungsfehler zu einer Beweislastumkehr führen würde, liegen nicht vor.
63a. Zwar besteht keinerlei Streit darüber, dass eine Befunderhebung in Form einer Röntgenaufnahme von der Seite den Befund von Wirbelkörperfrakturen LWK 1 und LWK 2 mit hoher Wahrscheinlichkeit erbracht hätte.
64b. Auf den Befund der Wirbelkörperfrakturen nicht durch andere Maßnahmen, als sie bei den Beklagten ohnehin ergriffen worden sind, zu reagieren, war jedoch nicht grob fehlerhaft. Vielmehr hätte sich die Therapie, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, auch bei richtiger Diagnose der Wirbelkörperfrakturen nicht ändern müssen. Insoweit haben die gerichtlichen Sachverständigen B und C übereinstimmend erklärt, dass eine konservative Behandlung der Frakturen mit Mobilisation und Analgesie kunstgerecht war.
65aa. B hat insbesondere auch ausgeführt, dass eine Behandlung durch ein Korsett bei einem ansonsten gesunden, mit 44 Jahren jungen Mann wie dem Kläger nicht notwendig war (Bl. 526 der Akte). Dies wird, ungeachtet der wohl anderen Auffassung von Den (Bl. 637), durch die von Den ausführlich zitierte, zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung jedoch noch nicht existente Leitlinie „Verletzungen der thorakolumbalen Wirbelsäule“ aus dem Jahr 2018 (Bl. 645 ff. der Akte) bestätigt, die die Korsettbehandlung als „seltenes Verfahren“ bezeichnet.
66bb. Auch eine andere Schmerzmedikation als die erfolgte war nicht zu verabreichen. Dies wird mit der Berufung unter Bezugnahme auf das in zweiter Instanz eingereichte Gutachten von Den erstmals behauptet. Den führt insoweit aus (Bl. 1068), dass zur Verhinderung eines Schmerzgedächtnisses eine andere Analgesie als nach einem Schädelhirntrauma erforderlich gewesen wäre, nämlich eine Infiltrationsanästhesie, eine Leitungsanästhesie oder eine Plexusanästhesie mit eventuell zusätzlicher Medikation mit einem Ketamin oder Memantin. Dabei gibt Den weder an, welche dieser unterschiedlichen Therapien für den Kläger richtig gewesen wäre, noch setzt er sich im Einzelnen mit der dem Kläger tatsächlich verabreichten Schmerzmedikation, ihrer Auswirkung und der Tatsache, dass diese im Verlauf der Behandlung bei sich verringernden Schmerzen reduziert werden konnte, auseinander. Demgegenüber hat der gerichtliche Sachverständige B jedoch bereits ausgeführt, dass für die Behandlung der Wirbelkörperfrakturen eine andere Medikation nicht erforderlich geworden wäre (Bl. 528 der Akte). Dass der Patient auch nach Gabe der Schmerzmittel fortdauernde Rückenschmerzen verspürt hat, ergibt sich aus keiner Dokumentation der drei beklagten Häuser, noch hat es der Kläger selbst behauptet. Aus der bereits zitierten Leitlinie ergibt sich lediglich die Empfehlung einer adäquaten Schmerztherapie (Bl. 663), ohne dass diese näher konkretisiert würde. Selbst wenn daher im Einzelfall die Infiltrationsanästhesie in Betracht gekommen wäre, lässt sich eine Unterlassung ohne konkrete klinische Anhaltspunkte nicht als fehlerhaft oder gar als grob fehlerhaft einordnen. Die Ausführungen von B zur Schmerzmittelgabe werden nicht in Frage gestellt.
67Entgegen der Auffassung der Berufung war eine weitere Sachaufklärung durch Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen darüber, ob und wann der Kläger über Rückenschmerzen geklagt hätte, nicht erforderlich. Die in ihr Wissen gestellten Tatsachen sind der Beurteilung ohnehin zugrunde zu legen. Dass bei dem Kläger Rückenschmerzen auftraten, ist unstreitig und ergibt sich bereits durch die Behandlungsdokumentation. Die Schmerzen sind auch durch die gegebenen Schmerzmittel behandelt worden und entwickelten sich im Verlauf unstreitig so, dass bei der Beklagten zu 6) die Schmerzmedikation stark reduziert werden konnte.
68Ebensowenig ist es im Zusammenhang mit der – nach Auffassung von Den - unzureichenden Schmerzmedikation mit der Folge einer Chronifizierung der Schmerzen erforderlich, weitere Gutachten eines neurologischen Sachverständigen oder eines Schmerztherapeuten einzuholen. Nach dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung war hier bezüglich der Beklagten zu 1) und 6) die Art und Weise derBehandlung durch einen Orthopäden bzw. Unfallchirurgen, bezüglich der Beklagten zu 3) durch einen Neurochirurgen zu beurteilen. Die Sachverständigen B wie auch C haben zwar, da dies erstinstanzlich nicht im Fokus des klägerischen Vortrags stand, von der Kammer nicht explizit den Auftrag erhalten, die verabreichten Schmerzmedikamente zu überprüfen, allerdings waren sie gehalten, die Behandlungsunterlagen umfassend durchzuarbeiten und – entsprechend Ziffer 1.3. des Beweisbeschlusses vom 12.2.2019 – die Behandlungsvorgänge auf sämtliche, auch nicht bereits in der Akte angesprochenen Fehler im Behandlungsablauf zu überprüfen. Dies schloss die stattgehabte Medikation ein. Beide Sachverständige haben Fehler nicht festgestellt bzw. im Falle von B (Bl. 528 d.A.) sogar ausgeschlossen.
69cc. Eine zwingend zu ergreifende Therapie, deren Unterlassen grob fehlerhaft gewesen wäre, liegt auch nicht in der von E im Gutachten vom 12.03.2021 (Bl. 1073 ff.) erstmals als empfehlenswert dargelegten Ballonkyphoplastie (Bl. 1077). Abgesehen davon, dass der gerichtliche Sachverständige C eine operative Therapie von vornherein nicht als Alternative gesehen hat (Bl. 719 d.A.), führt selbst E aus, dass eine solche Operation durchaus auch indiziert sei und man dies dem Patienten zumindest hätte mitteilen müssen. Er fügt gleichermaßen hinzu, dass man die Fraktur auch rein konservativ behandeln könne. Bereits aus den Ausführungen von E selbst heraus ergibt sich, dass die Durchführung einer Ballonkyphoplastie keineswegs zwingend war, ihr Unterlassen damit auch nicht fehlerhaft oder gar grob fehlerhaft sein kann. Ähnlich hatte sich bereits Den (Bl. 639 d.A.) geäußert.
70dd. Schließlich hätte auch im Haus der Beklagten zu 6) eine Änderung der Therapie nicht erfolgen müssen. Soweit bei richtiger Diagnose von den Rücken belastenden, beugenden oder stauchenden physiotherapeutischen Übungen abzuraten war, haben weder die gerichtlichen Sachverständigen die Vornahme solcher Übungen anhand der Behandlungsunterlagen feststellen können noch hat der Kläger einen entsprechenden Sachverhalt vorgetragen.
715. Der Kläger, der den Vollbeweis dafür zu erbringen hat, dass die bei ihm verbliebenen Schäden, insbesondere dauerhaft in Abständen auftretende Rückenschmerzen, Einschränkungen beim Heben und die weiteren, dem Sachverständigen B gegenüber beschriebenen Folgen, kausal auf die unterlassene Befunderhebung und die nicht veränderte Therapie zurückzuführen sind, kann diesen Beweis nicht führen. Hätte sich nach der Diagnose einer Fraktur die Therapie nicht verändern müssen und damit nicht sicher verändert, hätte sich kein anderes Ausheilungsergebnis ergeben. Der gerichtliche Sachverständige B (Bl. 539, 540 d.A.) hat vielmehr nachvollziehbar begründet, dass die geklagten Beschwerden auf die posttraumatische Bandscheibendegeneration zurückzuführen sind, nicht hingegen auf die geringe Kyphose, die sich durch den Wirbelbruch eingestellt hat. Das Entstehen der Bandscheibendegeneration trete jedoch behandlungsunabhängig ein. Diese Auffassung bestätigt der gerichtliche Sachverständige C (Bl. 720 d.A.). Auch die vorgerichtlich tätig gewordenen Sachverständigen G (Bl. 80 d.A.) und H (Bl. 116 d.A.) gehen davon aus, dass die verbliebenen Beeinträchtigungen auf den Unfall selbst, nicht aber auf die übersehene Fraktur zurückzuführen sind, die vielmehr regelrecht verheilt sei. Auch die Privatgutachter gehen nur von einer Möglichkeit des Kausalzusammenhanges aus, nicht von einer sicheren Feststellung. So nimmt der Sachverständige I an, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Keilwirbelbildung ein geringeres Ausmaß gehabt hätte (Bl. 153 d.A), wobei er bereits nicht deutlich macht, ob die Keilwirbelbildung als solche die Beschwerden auslöst. Auch Den geht selbst für den Fall der von ihm propagierten operativen Behandlung (Bl. 639 d.A.) bzw. der angepassten Schmerztherapie (Bl. 1069 d.A.) nur von einer Wahrscheinlichkeit dafür aus, dass die bleibenden Rückenschmerzen und der gesundheitliche Schaden vermieden worden wären.
726. Da der Kläger wie dargelegt den Beweis einer Ursächlichkeit des Befunderhebungsfehlers für die fortdauernden Schmerzen und Beeinträchtigungen nicht führen kann, scheitert auch der Anspruch auf Feststellung der künftigen Haftung. Die Nebenforderungen auf Zinsen und Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann der Kläger mangels Hauptanspruches nicht verlangen.
73III.
74Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
75Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls. Die Entscheidung des Senates setzt sich, soweit ersichtlich, in keinem Punkt in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts.
76Berufungsstreitwert: 90.000 €
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