Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 16 U 208/21
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 03.12.2021 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 2 O 208/21 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Dieses und das erstinstanzliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 7.083,20 € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
1
G r ü n d e :
2A.
3Der Kläger begehrt die Rückzahlung einer geleisteten Anzahlung für von ihm bei der Beklagten gebuchte Hotelzimmer.
4Der Kläger veranstaltet mit seinem Reisebusunternehmen „A" unter anderem touristische Gruppenreisen. Für seine Saisoneröffnungsfahrten vom 19.-22.03.2020 und vom 26.-29.09.2020 buchte er bei der Beklagten auf deren Angebot vom 17.10.2019 (GA 183) in deren Hotel „B" in C Übernachtungen einschließlich Frühstücksbuffet, Mittagessen, Kaffeetafel und Abendessen mit kalten und warmen Speisen. In dem Angebot heißt es u.a.: „Im Anhang übersende ich Ihnen gerne Ihr persönliches ALL-INKLUSIVE Angebot für Ihre Saisoneröffnung 2020 für beide März Termine … . Einen Reiseleiter für Ausflüge können wir leider nicht stellen = vielleicht kann Ihnen die Touristeninformation D weiterhelfen? Einen Musikabend in unserem Hause können wir gerne in unserem E organisieren.“ Die von dem Kläger unterzeichnete Reservierungsbestätigung der Beklagten vom 25.10.2019 (GA 76 f.) enthielt unter anderem Hinweise auf die Stornierungsbedingungen, auf ein zwei Wochen vor Veranstaltungsbeginn zu zahlendes Deposit in Höhe von 80% der vereinbarten Gesamtsumme sowie auf die separat vor Ort zu leistende Kurtaxe.
5Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Buchungsumfangs stellte die Beklagte dem Kläger unter dem 26.02.2020 eine Depositrechung in Höhe von insgesamt 10.356 € aus, auf die der Kläger am 04. bzw. 05.03.2020 vereinbarungsgemäß 8.426,40 € als Vorauszahlung überwies.
6Angesichts der einbrechenden Corona-Epidemie verständigten sich die Regierungschefs der Bundesländer und die Bundesregierung am 16.03.2020 auf Leitlinien zum einheitlichen Vorgehen zur weiteren Beschränkung von sozialen Kontakten im öffentlichen Bereich. Auf Basis eines Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 16.03.2020 betreffend „Einschränkung sozialer Kontakte“ wies dieses mit Schreiben vom 17.03.2020 (GA 108 ff.) die Niedersächsischen Landkreise im Wege der Fachaufsicht an, eine Allgemeinverfügung mit sofortiger Wirkung bis zum 18.04.2020 des Inhalts zu verkünden, dass es Betreibern von Hotels „ab sofort“ untersagt ist, „Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen“. Die entsprechende Allgemeinverfügung des Landkreises C vom 18.03.2020 (GA 213 ff.) galt „ab sofort“ und wurde unter anderem über das Internet verbreitet. Das in ganz Niedersachsen angeordnete Beherbergungsverbot für Touristen war seinerzeit auch Gegenstand medialer Berichterstattung.
7Am 17.03.2020 telefonierte der Kläger mit der bei der Beklagten angestellten und für die Reservierung des B zuständigen Frau F. Mit E-Mail vom 18.03.2020 (GA 136) teilte diese dem Kläger unter dem Betreff „Storno“ mit: „Die Gruppenreise für Rendezvous-Tours haben wir erstmals bei uns Storniert. Die Anzahlung haben wir auf ein „Gutschein“ Konto umgebucht & halten dieses bis zum Umbuchungstermin offen. Wie würden uns sehr über einen Alternativtermin freuen.“
8Auf E-Mail-Aufforderungen des Klägers zur Rückzahlung seiner Vorauszahlung teilte die Beklagte diesem mit E-Mails vom 22.05.2020 (GA 184) bzw. 30.07.2020 (GA 186) mit, dass man den Vorgang an die Buchhaltung der Beklagten zur Rückzahlung weitergeleitet habe.
9Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 16.09.2020 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis einschließlich 30.09.2020 auf, die geleistete Vorauszahlung nebst Zinsen, Mahn- und vorgerichtlich entstandene Rechtsverfolgungskosten zurückzuerstatten (GA 25 f.).
10Der Kläger hat behauptet, Vertragsgegenstand sei die Beherbergung zweier touristischer Reisegruppen gewesen. Weiter habe die Beklagte die Reisen in dem Telefonat am 17.03.2020 abgesagt.
11Der Kläger hat zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn in der Hauptsache 8.426,40 € zu zahlen. Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Verhandlungstermin vom 8.10.2021 die Klageforderung in Höhe eines Teilbetrages von 1.343,20 € anerkannt, worauf das Landgericht am selben Tag ein entsprechendes Teilanerkenntnisurteil erlassen hat.
12Der Kläger hat daher zuletzt beantragt,
13die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.083,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 8.426,40 € seit dem 30.07.2020 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 679,10 € und Mahnkosten in Höhe von 10,00 € zu zahlen.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagte hat behauptet, ihr sei die Art des von dem Kläger gebuchten Aufenthaltes nicht bekannt und nicht erkennbar gewesen. Weiter habe der Kläger die Zimmer am 17.03.2020 telefonisch storniert.
17Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe die Zimmer unbeschadet der Allgemeinverfügung des Landkreises C weiterhin für nicht-touristische Übernachtungsgäste zur Verfügung stellen können. Der Kläger habe das Risiko, die von ihr angebotene Leistung für seine Zwecke nicht verwenden zu können, zu tragen. Gemäß ihren in den Vertrag einbezogenen Stornierungsbedingungen dürfe sie 80% der Übernachtungspreise, also insgesamt 7.084,20 € behalten.
18Das Landgericht hat die noch offenen Klageforderungen mit Urteil vom 03.12.2021 - bis auf im Berufungsverfahren nicht streitgegenständliche Mahnkosten iHv 10 € - zugesprochen. Die Beklagte müsse insbesondere dem Kläger gemäß § 346 Abs. 1 i. V. m. §§ 275, 326 Abs. 1, 4 BGB die geleistete Vorauszahlung in voller Höhe zurückerstatten, da ihr die Bewirkung der gemäß § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB geschuldeten Hauptleistung nach Vertragsschluss pandemiebedingt aufgrund öffentlich-rechtlichen Verbots im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden sei. Insoweit ergebe die Auslegung der auf den Abschluss eines Beherbergungsvertrags gerichteten Willenserklärungen der Parteien gemäß den §§ 133, 157 BGB, dass die Beherbergung und Bewirtung der Busreisegruppen zu touristischen Zwecken Vertragsinhalt gewesen sei.
19Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
20Die Beklagte begehrt mit ihrer Berufung die vollständige Klageabweisung. Sie rügt insbesondere die erstinstanzliche Auslegung zu dem Vorliegen eines touristischen Reisezweckes sowie die Anwendung der Unmöglichkeitsregeln. Für die in Rede stehende Konstellation sei die Vorschrift über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) einschlägig, zumindest über den Weg der Analogie, weil der Gesetzgeber diese nicht speziell geregelt habe. Des Weiteren habe das Landgericht die fehlende Darlegung des Klägers unberücksichtigt gelassen, dass er im Verhältnis zu seinen Gästen Einnahmeausfälle erlitten habe, so dass eine ungerechtfertigte Bereicherung des Klägers auf ihre Kosten zu besorgen sei. Zudem werde sie auch dadurch geschädigt, dass sie die vereinnahmten Vorauszahlungen beim Finanzamt und bei der Beantragung staatlicher Coronahilfen als eigenen Umsatz angegeben habe.
21Die Beklagte beantragt,
22unter Abänderung des am 03.12.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Bonn, Az. 2 O 154/21, die Klage abzuweisen.
23Der Kläger beantragt,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die angegriffene Entscheidung.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
27B.
28Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die dem Kläger in dem angefochtenen Urteil zugesprochenen Ansprüche stehen diesem zu.
29I.
30Der Kläger kann von der Beklagten die Rückzahlung des vorgeleisteten Betrages in Höhe von – nach dem Teilanerkenntnisurteil vom 08.10.2021 noch – 7.083,20 € gemäß den §§ 346 Abs. 1, 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 und 4 BGB verlangen. Denn der Beklagten ist die Erbringung ihrer vertraglichen Leistungspflicht – der Beherbergung von Touristen (dazu 1.) – aufgrund der coronabedingten Untersagung der Beherbergung von Personen zu touristischen Zwecken unmöglich geworden (dazu 2.), ohne dass der Kläger zuvor die vereinbarte Leistung storniert hätte (dazu 3.) oder die Parteien eine eigenständige Vereinbarung zur Regelung der Corona-Auswirkungen getroffen hätten (dazu 4.) oder dass eine analoge Anwendung des § 313 BGB in Frage kommt.
311. Das Landgericht hat anhand aller auslegungsfähigen Umstände gemäß §§ 133, 157 BGB festgestellt, dass auch nach dem objektiven Empfängerhorizont der Beklagten die Hotelzimmer von dem Kläger für die Unterbringung von Touristen gebucht worden waren. Soweit die Berufung rügt, dieses Auslegungsergebnis des Landgerichts sei falsch, ist der Senat nicht nur nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 BGB an die erstinstanzliche Feststellung gebunden, vielmehr tritt er dieser auch ausdrücklich bei.
32Der Senat hat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (s. insgesamt BGH, Urt. v. 18.10.2005 – VI ZR 270/04 = NJW 2006, 152 Rz. 9; v. 18.10.2005 – VI ZR 270/04 = NJW 2006, 152 Rz. 9).
33Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind keine hinreichenden Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts dargetan. Im Gegenteil ergibt sich aus folgenden Umständen, dass auch aus der maßgeblichen objektiven Sicht der Beklagten touristische Übernachtungen vereinbart worden waren:
34- Aus der Angebots-E-Mail der Beklagten vom 17.10.2019 ergibt sich der Zweck, dass die gebuchten Zimmer im Rahmen der „Saisoneröffnung“ des Klägers der Unterbringung von touristischen Busreisegruppen dienen sollten. Andernfalls hätte sie diesem nicht den Rat erteilt, sich hinsichtlich einer Reiseleitung für Ausflüge an die örtliche Touristeninformation zu wenden. Zudem hat die Beklagte dem Kläger auch ein gerade auf diese Zielgruppe zugeschnittenes „persönliches ALL-INKLUSIVE“ Angebot für dessen Saisoneröffnung offeriert und in diesem Zusammenhang zusätzlich angeboten, einen Musikabend zu organisieren.
35- In der Reservierungsbestätigung vom 25.10.2019 erwähnt die Beklagte eine „Kurtaxe“ (GA 76) und bestätigt damit einen Tourismusbezug, denn dabei handelt es sich um eine allein von Touristen erhobene Abgabe zwecks Erhaltung/Ausbau der Tourismusinfrastruktur.
36Den genannten Umständen hätte ein die Stelle der Beklagten einnehmender objektiver Dritter insbesondere auch vor dem Hintergrund der durch die ständige Vermietung von Hotelzimmern gewonnenen Erfahrungen ohne Weiteres entnommen, dass die Reisenden aus touristischen Zwecken bei ihr übernachten wollten.
372. Da der Beklagten aufgrund behördlicher Corona-Anordnungen die Beherbergung von Personen zu touristischen Zwecken untersagt geworden war, ist ihr diese von ihr im Verhältnis zum Kläger zu erbringende Leistung gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden.
38a. Wird eine vertraglich vereinbarte Leistung durch eine behördliche Corona-Anordnung untersagt, kommen bei der Frage der rechtlichen Zuordnung grundsätzlich die Rechtsfiguren der Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) und der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht – wobei sich die beiden Kategorien ausschließen (s. BGH, Urt. v. 04.05.2022 – XII ZR 64/21, NJW 2022, 2024 ff, Rz. 30; auch OLG Köln, Urt. v. 14.05.2021 – 1 U 9/21, MDR 2021, 1121 f., zitiert nach juris Rz. 27).
39b. Zur Abgrenzung dieser beiden Rechtsinstitute gilt grundsätzlich, dass Unmöglichkeit vorliegt, wenn der Leistungserfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann und eine Störung der Geschäftsgrundlage gegeben ist, wenn der Leistungserfolg noch herbeigeführt werden kann, der grundsätzlich das Verwendungsrisiko tragende Gläubiger an diesem Leistungserfolg aber kein Interesse mehr hat (s. OLG Köln, a.a.O.; Grüneberg-Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 313, Rz. 35).
40c. Für den Fall, dass eine vertraglich vereinbarte Leistung konkret verboten ist oder generell einen Rechtserfolg herbeiführt, den die Rechtsordnung nicht anerkennt, liegt eine rechtliche Unmöglichkeit vor (vgl. BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, NJW 2008, 1070 Rz. 21; Urt. v. 22.10.2015 – VII ZR 58/14, NZBau 2016, 213 Rz. 14). Diese Unmöglichkeit aus Rechtsgründen ist bei hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie dann zu bejahen, wenn die Anordnungen eine bestimmte Leistungserbringung untersagen, die gerade Gegenstand des Vertrages ist (vgl. BGH, Urt. v. 04.05.2022 – XII ZR 64/21, NJW 2022, 2024 ff, Rz. 18 für die Leistung eines Fitnessstudio-Betreibers im Verhältnis zu seinen Kunden bei coronabedingter Schließung des Fitnessstudios).
41d. Im Streitfall ist gerade die vertragsgegenständliche Bereitstellung der Hotelzimmer für touristische Übernachtungen durch die behördliche Anordnung untersagt, womit der vereinbarte Leistungserfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann und rechtliche Unmöglichkeit vorliegt.
42e. Diese Zuordnung fügt sich in die bisherige BGH-Rechtsprechung zu den Auswirkungen coronabedingter Gewerbe-Schließungs-Anordnungen auf die dahinter stehenden zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse ein:
43- So hat der BGH (Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21, MDR 2022, 147 ff. und v. 16.02.2022 – XII ZR 17/21, MDR 2022, 418 ff.) für gewerbliche Mietverträge zwecks Betreibung eines Einzelhandelsgeschäfts entschieden, dass bei Vorliegen einer Allgemeinverfügung, wonach Geschäfte coronabedingt schließen müssen, keine Unmöglichkeit vorliegt, da durch diese Allgemeinverfügung dem Vermieter nicht die Überlassung der Mieträume an den Mieter verboten werde (BGH, Urt. v. 12.01.2022, a.a.O., Rz. 34; v. 16.02.2022, a.a.O., Rz. 22).
44- Weiter hat der BGH (Urt. v. 04.05.2022, a.a.O., Rz. 22) zu einem Fitnessstudiovertrag erkannt, dass der Studiobetreiber seinen Kunden die Möglichkeit schuldet, fortlaufend das Studio zu betreten und sich regelmäßig sportlich zu betätigen, so dass ihm diese Leistungserbringung unmöglich ist, wenn er aufgrund der hoheitlichen Corona-Schutzmaßnahmen sein Fitnessstudio schließen muss. Diese Konstellation entspricht der streitgegenständlichen vertraglichen Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger Hotelzimmer für Touristen zur Verfügung zu stellen.
45f. Es liegt auch keine nur vorübergehende Unmöglichkeit vor, die von § 275 Abs. 1 BGB nicht erfasst würde (vgl. BGH, Urt. v. 04.05.2022, a.a.O., Rz. 19). Zwar konnte die Beklagte nach der behördlichen Aufhebung der Untersagungsanordnungen wieder Hotelzimmer für touristische Zwecke bereit stellen, dies aber nicht für die von dem Kläger konkret gebuchten Zeiträume, zu denen sich auch bereits individualisierte Reisende bei dem Kläger angemeldet hatten. Das zeitweilige Erfüllungshindernis ist insoweit einem dauernden gleichzustellen, denn dem Kläger konnte nicht mehr zugemutet werden, die Leistung nach dem Zeitablauf noch zu fordern.
463. Der Kläger hat auch nicht vor Eintritt der Unmöglichkeit das Vertragsverhältnis in der Form storniert, dass der Beklagten die in der Reservierungsbestätigung vom 25.10.2019 festgehaltenen Stornierungsgebühren zustehen.
47a. Es fehlt bereits ein hinreichend substantiiertes Vorbringen. Zwar behauptet die Beklagte insoweit, der Kläger habe die gebuchten Hotelzimmer in dem Telefonat am 17.03.2020 storniert. Dieses Vorbringen ist indes anhand der auch von der Beklagten eingereichten Unterlagen nicht plausibel. Denn in der E-Mail der Beklagten vom 18.03.2020 ist davon die Rede, die Reise „haben wir erstmals bei uns Storniert“, nicht aber, dass der Kläger die Reise storniert hat. Im Zusammenhang mit den weiteren Ausführungen zur Umbuchung der Anzahlung auf ein „Gutschein“-Konto und den zukünftigen Umbuchungs- bzw. Alternativterminen wird deutlich, dass die Beklagte selbst nicht davon ausging, dass der Kläger aufgrund einer von ihm ausgesprochenen Stornierung die in der Reservierungsbestätigung vom 25.10.2019 aufgeführten Stornierungskosten schuldete. Der zuletzt genannte Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Beklagte auch auf die Nachfrage des Klägers nach der vollständigen Auskehr seiner Anzahlung diesem mit E-Mail-Schreiben vom 22.05.2020 und 30.07.2020 jeweils mitgeteilt hat, dass man den Vorgang an die Buchhaltung der Beklagten zur Rückzahlung weitergeleitet habe.
48b. Aber auch dann, wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, der Kläger habe am 17.03.2020 die Stornierung veranlasst, so war zu diesem Zeitpunkt bereits das Unmöglichkeits-Stadium eingetreten. Denn nach der Verständigung der Regierungschefs der Bundesländer und der Bundesregierung vom 16.03.2020, des Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 16.03.2020 und der Fachaufsicht-Anweisung an die Niedersächsischen Landkreise vom 17.03.2020, es Betreibern von Hotels „ab sofort“ zu untersagen, „Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen“, war das Beherbergungsverbot für Touristen schon hoheitlich beschlossen – es bedurfte für das streitgegenständliche Hotel der Beklagten in C lediglich noch der Umsetzung durch den Landkreis C, die dann durch die absehbare Allgemeinverfügung vom 18.03.2020 auch erfolgte.
494. Es ist auch nicht feststellbar, dass die Parteien in dem Telefonat vom 17.03.2020 im Rahmen der ihnen zustehenden Privatautonomie eine von den allgemeinen Rechtsfolgen der Unmöglichkeit abweichende Vereinbarung getroffen haben. Zwar ist in der E-Mail der Beklagten vom 18.03.2020 davon die Rede, dass die Anzahlung auf ein „Gutschein“-Konto umgebucht wurde. Dass dies einer dahingehenden Vereinbarung der Parteien entspricht, hat aber auch die Beklagte nicht vorgetragen. Dagegen spricht auch, dass die Beklagte in ihren noch zeitnahen E-Mails vom 22.05.2020 und 30.07.2020 ohne jede Erwähnung einer Gutschein-Abrede die Rückzahlung der Anzahlung angekündigt hat.
505. Entgegen der Ansicht der Beklagten scheidet auch vor dem Hintergrund ihres umfangreichen Vortrages, wonach allein sie die wirtschaftlichen Nachteile der Corona-Untersagung träfen und eine ungerechtfertigte Bereicherung des Klägers auf ihre Kosten möglich sei, eine analoge Anwendung des § 313 BGB aus. Insoweit fehlt es bereits an der für die Analogie erforderlichen Regelungslücke, denn der Gesetzgeber hat für die vorliegende rechtliche Unmöglichkeit mit den §§ 275, 326 BGB ein abgeschlossenes System von Rechtsnormen geschaffen, die zudem – wie bereits erwähnt – von dem Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage gerade streng zu unterscheiden sind (s. BGH, Urt. v. 04.05.2022 – XII ZR 64/21, a.a.O., Rz. 30).
51II.
52Hinsichtlich der vom Landgericht zugesprochenen Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 679,10 € sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 8.426,40 € seit dem 01.08.2020 – die beide von der Berufung nicht konkret angegriffen werden – wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung des Landgerichts auf Seite 10 des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
53C.
54Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
55Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen vor. Die Rechtsfolgen der coronabedingten Schließung eines touristischen Zwecken dienenden Hotels im Verhältnis zu einem mehrere Zimmer anmietenden (Reise-)Unternehmers sind in der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.
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Referenzen
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- BGB § 535 Inhalt und Hauptpflichten des Mietvertrags 1x
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