Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 11 Wx 81/03

Tenor

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Baden-Baden vom 21. Juli 2003 - 1 T 6/03 - aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren Beschwerde, an das Landgericht Baden-Baden zurückverwiesen.

2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Festsetzung des Geschäftswerts durch das Landgericht wird zurückgewiesen.

3. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind Mitglieder der Wohnungsgemeinschaft B.straße 86 in B.. Der Antragsteller hat seine Wohnung an den Zeugen T. vermietet. Mit der Behauptung, die Antragsgegnerin habe aus dem Briefkasten seines Mieters mehrere Briefe entwendet, hat der Antragsteller von der Antragsgegnerin Unterlassung verlangt. Das Amtsgericht hat mit rechtskräftigem Beschluss vom 14.8.2002 den Rechtsweg zur freiwilligen Gerichtsbarkeit für zulässig erklärt und nach Beweisaufnahme dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Landgericht, auf dessen Beschluss wegen des weiteren Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers, der die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses erstrebt sowie mit der Beschwerde die Heraufsetzung des Geschäftswerts auf 4.000,00 EUR, den das Landgericht im Beschluss für beide Verfahren in Abweichung vom Amtsgericht auf 1.000,00 EUR festgesetzt hat.
II. 1. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig und hat vorläufigen Erfolg.
Der Antragsteller macht in der sofortigen weiteren Beschwerde zu Recht geltend, dass sich ein Anspruch auf Unterlassung gegen die Antragsgegnerin aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer in Verbindung mit §§ 869, 861 oder 1004 BGB ergeben kann.
a) Dies ergibt sich allerdings nicht aus der Bindungswirkung des rechtskräftigen Beschlusses vom 14.08.2002, mit dem das Amtsgericht analog § 17a GVG die Verfahrenszuständigkeit im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach §§ 43 ff. WEG angenommen hat.
Für die Zuständigkeit des Wohnungseigentumsgerichts nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG ist allein entscheidend, ob das von einem Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist (vgl. BGHZ 130, 159, 165; Bärmann/Pick/Merle - Merle, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Auflage, § 43 Rn. 6). Wie stets in Fragen der Zulässigkeit des Rechtswegs ist diese anhand des vom Antragsteller zur Entscheidung gestellten Begehrens zu ermitteln. Auch wenn danach das Wohnungseigentumsgericht zuständig ist, so bedeutet dies nicht, dass der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch sich auch zwingend aus dem Gemeinschaftsverhältnis ergeben muss. Eine solche Bindungswirkung gibt es nicht.
b) Der Senat kann sich jedoch der Rechtsauffassung des Landgerichts, eine Anspruchsgrundlage für das Unterlassungsbegehren des Antragstellers sei nicht ersichtlich, nicht anschließen.
Das Wohnungseigentumsgericht hat nach § 17 Abs. 2 GVG über den Anspruch eines Wohnungseigentümers unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Hier kommt ein Unterlassungsanspruch des Antragstellers - seinen Vorwurf als wahr unterstellt - sowohl aus §§ 862 Abs. 1 S. 2, 869 BGB als auch aus § 1004 BGB i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG in Betracht.
aa) Der Vermieter einer Wohnung ist gem. § 868 BGB mittelbarer Besitzer der Wohnung. Sein Besitz erstreckt sich auch auf die zu der Wohnung zugehörigen Nebenräume und Einrichtungen. Dazu gehört auch der Briefkasten. Wird die bestimmungsgemäße tatsächliche Nutzung der Sache durch einen Dritten durch verbotenen Eigenmacht, also widerrechtlich (§ 858 BGB) gestört, so hat der Besitzer gem. § 861 Abs. 1 S. 2 BGB einen Unterlassungsanspruch. Dieser steht gem. § 869 BGB auch dem mittelbaren Besitzer zu.
bb) Darüber hinaus kann der Wohnungseigentümer gegenüber den anderen Mitgliedern der Wohnungseigentumsgemeinschaft auch die allgemeinen Rechte der §§ 861 ff., 1004, 1007 BGB geltend machen, wenn diese ihre Pflichten aus dem Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander verletzen (vgl. nur Bärmann/Pick/Merle - Pick a.a.O., § 14 Rn. 67, § 13 Rn. 203 f.). Nach den bisherigen Feststellungen ist ein solcher Anspruch hier wegen einer Verletzung der Pflichten aus § 14 Nr. 1 WEG gegeben.
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Die Briefkastenanlage an der Haustür des Mehrfamilienhauses steht im Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentümer. Allerdings ist durch die Zuordnung der einzelnen Briefkästen zu den jeweiligen Wohnungen einvernehmlich ein Sondernutzungsrecht an dem jeweils eigenen Briefkasten begründet. Insoweit besteht ein alleiniger Teilbesitz des Wohnungsinhabers (vgl. Bärmann/Pick/Merle - Pick a.a.O., § 13 Rn. 203), hier alleiniger unmittelbarer Teilbesitz des Mieters T., und alleiniger mittelbarer Teilbesitz des Antragstellers. Durch das - unterstellte - unerlaubte Entfernen der Briefe wird nicht nur der Besitz an den Briefen gestört und möglicherweise auch in das Postgeheimnis des Mieters eingegriffen, sondern auch die tatsächliche Sachherrschaft über den Briefkasten, dessen Funktion in der Bereitstellung eines geschützten Raums zum Einwurf der Briefsendungen besteht, gestört. Aus § 14 Nr. 1 WEG ergibt sich ein Anspruch des Wohnungseigentümers, seinen Mieter gegenüber Belästigungen oder - wie hier - Besitzstörungen eines anderen Wohnungseigentümers zu verteidigen. Dieser Abwehranspruch geht auf Unterlassung von Beeinträchtigungen des Mitbesitzers als abgeleitetem Nutzungsrecht des Mieters (vgl. Bärmann/Merle/Pick - Pick a.a.O., § 14 Rn. 43; so auch bereits OLG Frankfurt NJW 1961, 324).
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Der Nachteil, der dem Antragsteller durch das unterstellte Verhalten der Antragsgegnerin erwächst, ist auch nicht als ganz unerheblich und damit nach § 14 Nr. 1 WEG als nicht relevante Beeinträchtigung anzusehen. Dabei kommt es nicht unbedingt auf den Wert der Briefe an, sondern auf die Gefahr, dass wichtige Post den Empfänger nicht erreicht, falls das behauptete Verhalten sich wiederholt.
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c) Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Die sofortige weitere Beschwerde nach § 45 WEG ist Rechtsbeschwerde (§ 27 FGG), eine eigene Tatsachenfeststellung des Senats ist daher nicht möglich. Die bisherigen Feststellungen sind nicht geeignet, eine abschließende Entscheidung über den Anspruch des Antragstellers zu treffen. Das Landgericht hat offen gelassen, ob die Antragsgegnerin die beiden Briefe aus dem Briefkasten genommen hat. Gleichfalls hat es keine Feststellungen dazu getroffen, ob die unter Beweis gestellte Behauptung der Antragsgegnerin zutrifft, der Zeuge T. sei vor dem Vorfall immer damit einverstanden gewesen, dass sie, wenn der Briefkasten überfüllt war, die Briefe nach innen auf die Briefkastenanlage gelegt hat. Schließlich fehlt es an jeglichen Feststellungen zur Wiederholungsgefahr, die ein Unterlassungsanspruch nach § 14 Nr. 1 WEG voraussetzt. Diese kann zwar bei widerrechtlichem Eingriff in ein absolutes Rechtsgut vermutet werden, trotzdem ist es möglich, eine solche Wiederholungsgefahr aufgrund des nachträglichen Verhaltens der Antragsgegnerin als ausgeschlossen anzusehen. Das Landgericht wird in der neuen Verhandlung Gelegenheit haben, die notwendigen Feststellungen zu treffen.
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2. Die Beschwerde gegen die Festsetzung des Geschäftswerts auf 1.000,00 EUR für das amts- und landgerichtliche Verfahren ist unbegründet.
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Der gem. § 48 Abs. 3 S. 1 WEG nach dem Interesse der Beteiligten an der Entscheidung festzusetzende Geschäftswert von 1.000,00 EUR ist angemessen. Das Landgericht konnte von Amts wegen die Änderung gem. § 31 Abs. 1 S. 2 KostO vornehmen (BayObLG ZWE 2000, 170, 171). Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung den Ausführungen des Landgerichts an und hat dementsprechend den Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde ebenfalls auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

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