1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Italien zur Strafvollstreckung aufgrund des Europäischen Haftbefehls der Ermittlungsrichterin beim Gericht D. vom 03. März 2015 wird für derzeit unzulässig erklärt.
2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 03. Juni 2015 wird aufgehoben. Die sofortige Freilassung des Verfolgten wird angeordnet.
3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verfolgten fallen der Staatskasse zur Last.
4. Eine Entschädigung für die erlittene Auslieferungshaft wird nicht bewilligt.
5. Eine Entscheidung über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 24. August 2015, gemäß § 38 IRG die Zulässigkeit der Herausgabe der unter den laufenden Nummern 2.1-2.11 im Verzeichnis der in Verwahrung genommenen/ beschlagnahmten Gegenstände des LKA vom 07. Juli 2015 aufgeführten Gegenstände an die italienischen Justizbehörden festzustellen, erfolgt gesondert.
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| Der Verfolgte befindet sich seit 07.07.2015 in Auslieferungshaft aufgrund des Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 03.06.2015. Grundlage desselben ist ein Europäischer Haftbefehl der Ermittlungsrichterin beim Gericht D. vom 03.03.2015, aus welchem sich ergibt, dass gegen den Verfolgten ein nationaler Haftbefehl der Antimafia-Bezirksdirektion vom 17.02.2015 unter dem mit einer Höchststrafe von 24 Jahren Freiheitsstrafe strafbewehrten Vorwurf der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Mafiavereinigung gemäß Art. 416 bis Abs.1,2,3,4,5 und 6 des italienischen Strafgesetzbuches besteht. Dem Verfolgten wird im Europäischen Haftbefehl der Ermittlungsrichterin beim Gericht D. vom 03.03.2015 nebst rechtlicher Würdigung die Begehung folgender Straftat zur Last gelegt: |
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| Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 20.07.2015 beantragt, die Auslieferung im nachgesuchten Umfang für zulässig zu erklären; zugleich hat sie entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse geltend zu machen, und diese Entschließung am 24.08.2015 ergänzt. |
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| Die Auslieferung des Verfolgten, welcher seiner vereinfachten Auslieferung nicht zugestimmt hat, war - nach durchgeführter Sachaufklärung - als derzeit unzulässig zu erklären (§ 32 Satz 1 IRG). |
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| Die vom Senat von Amts wegen im Zulässigkeitsverfahren durchzuführende vertiefte Überprüfung der formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Auslieferung hat - abweichend von der noch auf eingeschränkter Erkenntnis- und Entscheidungsgrundlage beruhenden vorläufigen Beurteilung im Haftverfahren - ergeben, dass der Europäische Haftbefehl der Ermittlungsrichterin beim Gericht D. vom 03.03.2015 auch in Verbindung mit den dem Senat weiter vorliegenden Auslieferungsunterlagen den Formerfordernissen des § 83a Abs.1 Nr.5 IRG nicht genügt. |
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| 1. Nach § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG hat ein Europäischer Haftbefehl eine zureichende Beschreibung der Umstände zu enthalten, unter welchen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person (§ 83 a Abs.1 Nr. 5 IRG). Hierzu ist es notwendig, dass die Haftanordnung eine ausreichende Konkretisierung des Tatvorwurfs enthält, welche einen zureichenden Rückschluss auf das dem Verfolgten vorgeworfene Geschehen ermöglicht (Senat StV 2008, 429; 2007, 650; 2005, 232). Auch wenn - wie hier - der ersuchende Staat ein Verhalten als Katalogtat nach Art. 2 Abs. 2 RbEuHb i.V.m. § 81 Nr.4 IRG bezeichnet, muss die Ausschreibung darüber hinaus eine Schlüssigkeitsprüfung dahingehend ermöglichen, ob die Sachdarstellung einen nachvollziehbaren Rückschluss hierauf zulässt (Senat StV 2007, 139). Dabei ist zu beachten, dass gerade bei Serienstraftaten sowie - wie vorliegend - bei Dauer- oder Organisationsdelikten an die Sachdarstellung in einem Europäischen Haftbefehl keine übermäßigen und deutschen Bewertungen entsprechenden Anforderungen gestellt werden dürfen (Senat StV 2008, 429 und Beschluss vom 22.01.2013, 1 AK 76/12). Insoweit kann die gebotene Konkretisierung der Sachdarstellung im Zulässigkeitsverfahren erfolgen und vor allem dann geboten sein, wenn hierzu aufgrund konkreter und rechtlich erheblicher Einwendungen des Verfolgten Anlass besteht (vgl. hierzu auch Senat StV 2005, 402; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.01.2008, 1 Ausl 28/07). |
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| 2. Erhöhte Anforderungen an die Sachdarstellung und Konkretisierung des Tatvorwurfs in einem Europäischen Haftbefehl sind allerdings dann unerlässlich, wenn hiervon die Beurteilung der Zulässigkeit der Auslieferung abhängt, etwa bei konkurrierender Gerichtsbarkeit im Hinblick auf die Beurteilung des Vorliegens des Auslieferungshindernisses der Verjährung nach § 9 Nr.2 IRG. |
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| Besteht nämlich im Rahmen der Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls auch die deutsche Gerichtsbarkeit, richtet sich auch bei nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzenden Verfolgten die Frage des Bestehens eines Auslieferungshindernisses aufgrund des Eintritts der Verfolgungsverjährung allein nach deutschem Recht (vgl. hierzu näher Senat NStZ 2013, 602). Insoweit kommt nämlich die Vorschrift des § 9 Nr.2 IRG i.V.m. §§ 82, 78 Abs. 1 IRG ausschließlich zur Anwendung, da der Achte Teil des IRG in den §§ 78 ff. IRG bezüglich der Frage der Verjährung keine ausdrückliche Sonderregelung enthält. Dieser Verweis auf § 9 Nr. 2 IRG, wonach eine Auslieferung unzulässig ist, wenn die Verfolgung oder Vollstreckung nach deutschem Recht verjährt wäre, beinhaltet die dem Vollstreckungsmitgliedstaat in Art. 4 Nr. 4 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/jI) eingeräumte Möglichkeit, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates verjährt ist und nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit besteht (vgl. hierzu näher Senat NStZ 2013, 602). Für die Frage des Eintritts der inländischen Verjährung kommt es auch nicht darauf an, ob gegen den Verfolgten - wie vorliegend allerdings der Fall - wegen der gleichen Tat in der Bundesrepublik Deutschland ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde oder nicht, vielmehr reicht es aus, dass die Anwendung deutschen Strafrechts möglich erscheint (Vogel/Burchard in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., 10. Lieferung 2009, § 9 IRG Rn. 62). Eine Auslieferung ist nämlich schon dann als nicht zulässig anzusehen, wenn die Straftat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden könnte (Senat NStZ-RR 2015, 87; OLG Hamm, Beschluss vom 13.06.2013, III-2 Ausl 47/13). |
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| 3. Da der Verfolgte mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen in der Bundesrepublik Deutschland begangen hat oder nach den bislang vorliegenden Auslieferungsunterlagen zumindest begangen haben soll, ist - auch - die deutsche Gerichtsbarkeit begründet (§§ 3, 9 StGB). Das dem Verfolgten von den italienischen Justizbehörden vorgeworfene Verhalten hätte damit als Straftat der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB auch im Inland verfolgt und ggf. geahndet werden können. Nach §§ 129 Abs. 1, 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB beträgt die insoweit maßgebliche Verjährungsfrist fünf Jahre, zumal der Verfolgte aufgrund seiner Stellung in der „Ndrangheta“ jedenfalls nach derzeitiger Erkenntnislage nicht als Rädelsführer i.S.d. § 129 Abs. 4 StGB mit der Folge einer möglicherweise längeren Verjährungsfrist eingestuft werden kann (vgl. zum Begriff BGHSt 57, 160). Die damit nach §§ 129 Abs. 1, 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB zu berechnende Verjährungsfrist hat mit der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes, hier also mit dem letzten eine mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung i.S.d. § 129 StGB darstellenden Tätigwerden für die kriminelle Vereinigung zu laufen begonnen (§ 78 a StGB; vgl. hierzu Satzger/Schmitt/Widmaier StGB 1. Aufl. 2009 § 129 Rdn. 54). Dass von der Staatsanwaltschaft U. im Ermittlungsverfahren „Santa“ (60 Js 8692/09) verjährungsunterbrechende Maßnahmen unternommen worden wären, ist den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen und wird von der Generalstaatsanwaltschaft ausweislich ihrer Erklärung vom 14.08.2015 auch nicht behauptet. Damit kommt eine Auslieferung des Verfolgten nach Italien zur Strafverfolgung nur dann in Betracht, wenn er in nicht verjährter Zeit, also innerhalb der letzten fünf Jahre, i.S.d. § 129 StGB in der bzw. für die kriminelle Vereinigung „Ndrangheta“ tätig geworden ist. |
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| 4. Insoweit ist vorliegend in tatsächlicher Hinsicht zunächst festzustellen, dass sich aus den dem Senat vorliegenden Auslieferungsunterlagen, insbesondere dem Bericht der Staatsanwaltschaft am Gericht D. vom 17.03.2015 sowie dem Bericht des Landeskriminalamt vom 28.05.2010 zum Ermittlungsverfahren „Z.“ der Staatsanwaltschaft U. deutlich und nachvollziehbar ergibt, dass der Verfolgte in der im Europäischen Haftbefehl geschilderten Funktion als führendes Mitglied „capo locale“ der Mafia-Vereinigung ´Ndrangheta locale V. tätig gewesen war und insoweit auch Beteiligungshandlungen erbracht hat. Unklar bleibt jedoch weiterhin der konkrete Zeitraum dieses mitgliedschaftlichen Tätigwerdens. Diesbezüglich enthält zunächst der Europäische Haftbefehl der Ermittlungsrichterin beim Gericht D. vom 03.03.2015 selbst keine Angaben, in welchem Zeitraum der Verfolgte dieser Vereinigung angehörte. Allerdings ergeben sich aus dem Bericht der Staatsanwaltschaft am Gericht D. vom 17.03.2015 konkrete und sichere Hinweise auf mitgliedschaftliche Aktivitäten des Verfolgten bis April 2010. Auch die im Ermittlungsverfahren „Z.“ durchgeführten Ermittlungen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zeigen konkrete weitere mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen des Verfolgten im Bereich von V. bis April 2010 auf. |
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| Soweit sich aufgrund des Berichts der Staatsanwaltschaft am Gericht D. vom 17.03.2015 Hinweise dafür ergeben, dass der Verfolgte auch nach diesem Zeitraum der Mafia-Vereinigung ´Ndrangheta locale V. angehört und konkrete Beteiligungshandlungen im Februar 2011 und Oktober 2011 - also in nicht verjährter Zeit - erbracht haben könnte, hat der Senat mit Beschluss vom 07.09.2015 eine weitere Sachaufklärung für erforderlich angesehen und die italienischen Justizbehörden um Ergänzung ihrer Auslieferungsunterlagen im Hinblick auf die Beantwortung folgender Fragen gebeten: |
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| Insoweit hat der Senat die Generalstaatsanwaltschaft gebeten, die entsprechenden ergänzenden Auslieferungsunterlagen und Erklärungen der italienischen Justizbehörden einzuholen, hierzu von von der Möglichkeit des § 30 Abs.1 Satz 2 IRG Gebrauch und für die Beibringung eine Frist bis zum 08. Oktober 2015 gesetzt. |
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| Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 09.10.2015 mitgeteilt, dass eine Erklärung der italienischen Justizbehörden innerhalb der gesetzten Frist nicht eingegangen sei. |
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| Da vorliegend in rechtlicher Hinsicht die Frage der innerstaatlichen Verjährung in Rede steht, reichen die sich aus dem Bericht der Staatsanwaltschaft am Gericht D. vom 17.03.2015 ergebenden vagen Hinweise zu einer über den April 2010 andauernden Mitgliedschaft des Verfolgten in der Mafia-Vereinigung ´Ndrangheta locale V. zur Erfüllung der formellen Voraussetzungen des § 83a Abs.1 Nr. 5 IRG nicht aus, zumal das gesprochene Wort des Verfolgten selbst nicht abgehört wurde, sondern die Erkenntnisse aus überwachten und aufgezeichneten Gesprächen dritter Personen stammen, welche sich in diesen zur Person des Verfolgten geäußert haben sollen. |
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| Damit besteht vorliegend aber ein der Zulässigkeit der Auslieferung entgegenstehendes Auslieferungshindernis nach § 9 Nr.2 IRG (vgl. hierzu Senat NStZ 2013, 602). |
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| Der Senat hat geprüft, ob vorliegend noch zeitnah mit der Vorlage der erbetenen ergänzenden Auslieferungsunterlagen durch die italienischen Justizbehörden gerechnet werden kann, und hat dies im Ergebnis verneint, zumal auch keinerlei Mitteilung der italienischen Justizbehörden bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe über mögliche Verzögerungsgründe eingegangen ist. Die Erklärung der Auslieferung als derzeit unzulässig lässt jedoch die Möglichkeit eines Nachverfahrens nach § 33 IRG offen, falls sich gleichwohl für die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe noch neue Erkenntnisse ergeben sollten. |
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| Die Entscheidung über die Zulässigkeit bedingt die Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls vom 03.06.2015 und führt zur Anordnung der sofortigen Freilassung des Verfolgten. |
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| Dagegen scheidet eine Entschädigungspflicht der Staatskasse nach dem Gesetz über die Entschädigung in Strafverfolgungsmaßnahme (StrEG) für die vollzogene Auslieferungshaft aus, weil eine entsprechende Anwendung dieses Gesetzes auf die Auslieferungshaft grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGHSt 32, 221) und ein Fall, in welchem Behörden der Bundesrepublik Deutschland die nach deutschem Recht unberechtigte Verfolgung zu vertreten hätten, nicht vorliegt (OLG Hamm StraFo 1997, 93 ff.; BVerfG, Beschluss vom 05.06.1992, 2 BvR 1403/91). |
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