Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 5 UF 46/19

Tenor

1. Auf die Beschwerden der Antragsgegner zu 1 und 2 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lörrach vom 18.02.2019 abgeändert und in Ziffer 1 des Tenors wie folgt neu gefasst:

1. Die Antragsgegner zu 1 und 2 haben es gemäß § 1 Gewaltschutzgesetz zu unterlassen:

1.1 mit den Antragstellern durch Betätigung der Hupe oder der Lichthupe ihres Fahrzeugs Kontakt aufzunehmen;

1.2 den Antragstellern zu folgen, insbesondere per Pkw.

1.3 Die Dauer der Anordnungen wird befristet bis 31.07.2019.

1.4 Die Antragsgegner zu 1 und 2 werden darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen die Schutzanordnungen nach § 1 Gewaltschutzgesetz gemäß § 4 Gewaltschutzgesetz mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden kann. Die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.

Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegner zu 1 und 2 als Gesamtschuldner.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Antragsgegner zu 1 und 2 wenden sich mit der Beschwerde gegen im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgte Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz.
Die Antragsgegner zu 1 und 2 leben zusammen mit ihrem volljährigen Sohn, dem Antragsgegner zu 3, in der W. Straße in R.. Die Antragsteller zu 1 und 2 bewohnten zusammen mit ihren minderjährigen Kindern, den Antragstellern zu 3 und 4, das Anwesen W. Straße in R., aus dem sie im Sommer 2018 auszogen. Die Beteiligten waren damals Nachbarn (Lichtbild I, 77).
Mit Antrag vom 14.01.2019 machten die Antragsteller das vorliegende Verfahren anhängig, mit dem sie im Wege der einstweiligen Anordnung Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz beantragten. Mit Anwaltsschreiben vom 23.01.2019 (I, 205 ff.) wurde der Antrag weiter konkretisiert.
Die Antragsteller behaupten, sie würden immer wieder von den Antragsgegnern belästigt, beobachtet und verfolgt werden. Ihren Vortrag machten sie glaubhaft u.a. durch die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen des Antragstellers zu 1 (I, 179 f.), der Antragstellerin zu 2 (I, 175 ff.), der Zeugin Z. (I, 123 ff.), des Zeugen S. (I, 197 f.), der Zeugin W. (I, 201 f.), der Zeugin L. (I, 181 f.), der Zeugin R. (I, 185 ff.) und des Zeugen M. (I, 193 f.).
Die Antragsgegner zu 1 und 2 bestreiten die Vorfälle. Sie legten zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung von Frau G. vor, in der bestätigt wird, dass sich die Antragsgegner zu 1 und 2 am 09.12.2017 in der Schweiz aufgehalten haben (I, 285).
Am 08.02.2019 (I, 299 ff.) wurden die Antragsgegner zu 1 und 2 persönlich angehört, der Antragsgegner zu 3 erklärte, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.
Mit Beschluss vom 18.02.2019 (I, 363 ff.) untersagte das Amtsgericht - Familiengericht - Lörrach den Antragsgegnern zu 1 und 2, mit den Antragstellern in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, Ton-/Filmaufnahmen von den Antragstellern anzufertigen, den Antragstellern zu folgen oder sich ihnen auf weniger als 100 Meter zu nähern. Bei einem zufälligen Zusammentreffen haben sie sich unverzüglich zu entfernen. Die Anordnungen wurden bis 31.07.2019 befristet. Der Antrag gegen den Antragsgegner zu 3 wurde in den Beschlussgründen zurückgewiesen.
Gegen diese, den Antragsgegnern zu 1 und 2 am 19.02.2019 (I, 389 f.) durch den Gerichtsvollzieher zugestellte Entscheidung, wenden sich die Antragsgegner zu 1 und 2 mit den am 04.03.2019 beim Amtsgericht Lörrach eingegangenen Beschwerden. Sie tragen vor, dass sie mehrfach Zeugen von Gewalttätigkeiten der Antragsteller zu 1 und 2 gegenüber ihren Kindern, den Antragstellern zu 3 und 4, geworden seien und mehrfach versucht hätten, die Antragsteller zu 1 und 2 darauf anzusprechen. Diese Einmischung in die Kindererziehung sei der wahre Grund für die zahlreichen Falschbeschuldigungen der Antragsteller zu 1 und 2 gegenüber den Antragsgegnern.
Die Antragsteller sind den Beschwerden entgegengetreten (II, 21 f.).
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Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und der Gründe der angefochtenen Entscheidung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
11 
Die gemäß §§ 57 Satz 2 Nr. 4, 58 ff. FamFG zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden, haben in der Sache nur teilweise Erfolg.
12 
1. Nach §§ 214 Abs. 1, 49 Abs. 1 FamFG kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme getroffen werden, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Ein dringendes Regelungsbedürfnis ist anzunehmen, wenn ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht möglich ist, weil diese zu spät kommen würde, um die zu schützenden Interessen zu wahren bzw. wenn ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit dem Eintritt erheblicher Nachteile verbunden wäre (vgl. Keidel/Giers, FamFG, 19. Auflage 2017, § 49 Rn. 13; Zöller/Feskorn, ZPO, 32. Auflage 2018, § 49 FamFG Rn. 8). Es liegt in der Regel insbesondere dann vor, wenn eine Tat nach § 1 GewSchG begangen wurde oder aufgrund konkreter Umstände mit einer Begehung zu rechnen ist (§ 214 Abs. 1 Satz 2 FamFG).
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Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2b GewSchG kann das Gericht auf Antrag Schutzmaßnahmen anordnen, wenn eine Person widerrechtlich und vorsätzlich eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt.
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§ 51 Abs. 1 Satz 2 FamFG sieht vor, dass der Antragsteller den Antrag zu begründen und die Voraussetzungen für die Anordnung glaubhaft zu machen hat. Zur ausreichenden Glaubhaftmachung einer Tatsachenbehauptung (§ 31 FamFG) bedarf es nicht der vollen gerichtlichen Überzeugung, sondern es genügt ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung, der bereits vorliegt, sofern bei freier Würdigung des gesamten Verfahrensstoffes eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (Keidel/Gier, a.a.O., § 51 Rn. 6 m.w.N.).
15 
2. Die Antragsteller haben vorliegend die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlass der Anordnungen nach § 1 GewSchG hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Insoweit hat das Familiengericht zutreffend ausgeführt, dass die Antragsgegner zu 1 und 2 in der Zeit ab Herbst 2018 mehrfach mit dem Pkw dem Fahrzeug der Antragsteller zu 1 und 2 bewusst und gezielt gefolgt sind, was als ein wiederholtes Nachstellen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2b GewSchG zu bewerten ist.
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a) Die Antragsteller haben durch die eidesstattlichen Versicherungen der Antragsteller zu 1 und 2 glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin zu 2 Anfang Oktober 2018 die von den Antragstellern zu 3 und 4 besuchte KITA in R. unter Betätigung von Hupe und Abblendlicht passiert hat, während sich die Antragstellerin zu 2 dort aufhielt, um ihre Kinder abzuholen.
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b) Die Antragsteller haben durch die eidesstattlichen Versicherungen der Antragsteller zu 1 und 2 weiterhin glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegner zu 1 und 2 am 17.10.2018 abermals an der KITA in R. vorbeifuhren und den Antragsteller zu 1 verfolgten.
18 
c) Ebenfalls glaubhaft gemacht wurde durch die eidesstattlichen Versicherungen der Antragsteller zu 1 und 2 die Verfolgung der Antragsteller in ihrem Pkw am 15.11.2018 auf der BAB A 98 in Richtung Lörrach, wobei die Antragsgegnerin zu 2 dicht auffuhr, die Lichthupe betätigte und nach einem Überholvorgang gezielt die Antragsteller ausbremste.
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d) Die Antragsteller haben durch die eidesstattlichen Versicherungen der Antragsteller zu 1 und 2 glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 1 am 23.11.2018 in R. von der Antragsgegnerin zu 2 im Pkw mit Betätigung der Lichthupe verfolgt wurde.
20 
e) Letztlich wurde durch die eidesstattlichen Versicherungen der Antragsteller zu 1 und 2 glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegner zu 1 und 2 am 10.01.2019 erneut vor der KITA in R. auf die Antragsteller gewartet haben, woraufhin der Antragsteller zu 1 die Polizei gerufen hat.
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f) Eine unzumutbare Belästigung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz Nr. 2b GewSchG setzt voraus, dass der Verletzter gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Geschädigten handelt. Das heißt, dass der Täter unmissverständlich zum Unterlassen aufgefordert worden sein muss. Sind Belästigungen tatsächlich erfolgt, besteht bei solchen Belästigungen, deren Unerwünschtheit offensichtlich sind, eine tatsächliche Vermutung, dass das Opfer diese nicht wünscht und dies dem Täter zu erkennen gegeben hat. Es obliegt sodann dem Täter, diese Vermutung zu widerlegen (OLG Köln vom 26.01.2015 - 26 UF 197/14, juris Rn. 8). Die konkreten Umstände der glaubhaft gemachten Verfolgungsfahrt rechtfertigen hier die Vermutung, dass die Antragsgegnerin zu 2 gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Geschädigten gehandelt hat. Überdies hatte der Antragsteller zu 1 am 22.12.2018 Anzeige gegen die Antragsgegner Ziffer 1 und 2 u.a. wegen des Vorfalls vom 15.11.2018 erstattet (I, 11 ff.) und es gab bereits in der Vergangenheit Anzeigen beim Polizeirevier R. (I, 25) gegen die Antragsgegner Ziffer 2 und 3 wegen Nachstellung im Zeitraum vom 01.05.2017 - 08.03.2018 (Aktenzeichen: St/0455199/2018) und wegen Nötigung im Straßenverkehr am 03.08.2018 (Aktenzeichen: St/1643831/2018).
22 
g) Der Senat vermag nicht - wie von den Antragsgegnern zu 1 und 2 behauptet - einen widersprüchlichen Vortrag der Antragsteller hinsichtlich dieser Vorfälle zu erkennen. Der Vorfall am 15.11.2018 wurde sowohl in der Antragsschrift vom 14.01.2019 (I, 2 f.) als auch bei der polizeilichen Anzeigenaufnahme am 20.12.2018 (I, 19) identisch geschildert. Der Vorfall vom 10.01.2019 ist Gegenstand eines Vermerks des Polizeireviers R. vom 11.01.2019 (I, 35). Alle fünf Vorfälle wurden auch im Anwaltsschriftsatz vom 23.01.2019 beschrieben (I, 205 ff.). Eventuelle weiterer Vorwürfe sind nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
23 
3. Diese unzumutbaren Belästigungen dienten nicht der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 2 GewSchG. Insoweit fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung der Behauptungen der Antragsgegner zu 1 und 2, die Antragsteller zu 1 und 2 würden ihre Kinder misshandeln. Ausweislich der Verfügung des Familiengerichts Lörrach vom 21.01.2019 liegen dem Jugendamt des Landratsamtes Lörrach keine Erkenntnisse zur Familie der Antragsteller vor (I, 79). Des Weiteren hätten die behaupteten Misshandlungen die Antragsgegner zu 1 und 2 auch nicht zu den Verfolgungen berechtigt. Vielmehr hätten sich die Antragsgegner an das Jugendamt oder die Polizei wenden müssen.
24 
4. Bei erfolgter Verletzung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 GewSchG spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass weitere Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Somit obliegt den Antragsgegnern zu 1 und 2 die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen einer Wiederholungsgefahr. An den Nachweis sind regelmäßig strenge Anforderungen zu stellen (Johannsen/Henrich/Götz, Familienrecht, 6. Auflage 2015, § 1 GewSchG Rn. 15 m.w.N.).
25 
Vorliegend machen die Antragsgegner schon gar nicht geltend, dass die Wiederholungsgefahr entfallen sei.
26 
5. Die im angefochtenen Beschluss unter Ziffer 1.1 bis 1.4 des Tenors angeordneten Verbote sind allerdings nur zum Teil zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlich (§ 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG).
27 
Nach § 1 Abs. 1 GewSchG hat das Gericht, sofern überhaupt die Voraussetzungen für ein gerichtliches Tätigwerden gegeben sind, auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Gewalttaten erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Bei den von ihm zu treffenden Anordnungen zum Schutz des Opfers hat das Gericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, da mit den Maßnahmen stets auch in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Täters eingegriffen wird (Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung BT-Drucksache 14/5429 S. 28). Deshalb müssen gerichtliche Anordnungen nicht nur verhältnismäßig im engeren Sinne sein, sondern auch geeignet und erforderlich zur Abwendung weiterer Verletzungen (vgl. OLG Celle vom 21.08.2014 - 10 UF 183/14, juris Rn. 24).
28 
Dem Gewaltschutzgesetz unterfallen als unzumutbare Belästigungen die wiederholte Nachstellung sowie die Verfolgung unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln. Dazu gehören eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die sich als erhebliche Belästigungen beim Opfer auswirken (Gesetzentwurf der Bundesregierung a.a.O. S. 29). Unter der Vielzahl denkbarer Belästigungen sind vorliegend 2 Arten der Rechtsverletzung glaubhaft gemacht. Dass Verletzungsformen anderer Art, insbesondere die erstinstanzlich verbotenen Ton- und Filmaufnahmen oder Kontaktaufnahmen mit Fernkommunikationsmitteln ernsthaft in Betracht kämen, ist nicht glaubhaft gemacht. Zum Schutze der Antragsteller vor unzumutbaren Belästigungen sind darüber hinausgehende Verbote weder geeignet noch erforderlich. Deshalb beschränkt der Senat das Kontaktaufnahmeverbot auf die Kontaktaufnahme mittels Hupe oder Lichthupe und hebt das Ton- und Filmaufnahmeverbot auf.
III.
29 
1. Der Senat sieht von der erneuten Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab, da hiervon keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG.
30 
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 84 FamFG. Der Senat hält trotz des teilweisen Beschwerdeerfolgs eine gesamtschuldnerische Haftung der Antragsgegner zu 1 und 2 für billig (vgl. MünchKomm/Schindler, FamFG, 3. Auflage 2018, § 81 Rn. 89; Heilmann/Dürbeck, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 1. Auflage 2015, § 81 FamFG Rn. 17; a.A. Keidel/Zimmermann, a.a.O., § 81 FamFG Rn. 15).
31 
3. Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus §§ 40, 41, 49 Abs. 1 FamGKG.
32 
4. Die vorliegende Entscheidung ist gemäß § 70 Abs. 4 FamFG unanfechtbar.
33 
5. Der Senat weist darauf hin, dass über den Antrag, Ordnungsmittel anzudrohen, bislang noch nicht entschieden worden ist.

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