Urteil vom Oberlandesgericht München - 2 Ws 130/20, 2 Ws 195/20

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 13. Dezember 2019 gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen vom 9. Dezember 2019 wird als unbegründet verworfen.

II. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 13. Dezember 2019 gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen vom 29. Mai 2019 wird als unbegründet verworfen.

III. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Dieburg vom 02.02.2011 wurde gegen den Verurteilten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verhängt. Die gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe wurde ab 11.06.2012 in der Justizvollzugsanstalt K. vollzogen. Mit Beschluss vom 22.07.2014 setzte die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen die Reststrafe ab 11.10.2014 zur Bewährung aus.

Mit Verfügung vom 27.08.2018 beantragte die Staatsanwaltschaft Darmstadt, die Reststrafe zu erlassen. Diesen Antrag nahm die Staatsanwaltschaft Darmstadt unter dem 25.09.2018 wegen eines noch offenen Ermittlungsverfahrens zurück. Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Schwandorf vom 22.02.2019 wurde gegen den Verurteilten wegen falscher Versicherung an Eides Statt (Tatzeit: 21.06.2018) eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 40 € verhängt. Unter dem 23.04.2019 beantragte die Staatsanwaltschaft Darmstadt daraufhin, die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern.

Mit Beschluss vom 29.05.2019 verlängerte die Strafvollstreckungskammer die mit Beschluss vom 22.07.2014 festgesetzte Bewährungszeit um ein Jahr ab Zustellung des Verlängerungsbeschlusses. Dieser Beschluss wurde dem Verurteilten am 07.06.2019 zugestellt.

Mit Verfügung vom 26.09.2019 beantragte die Staatsanwaltschaft Darmstadt, die Reststrafe zu erlassen. Mit weiterer Verfügung vom 26.11.2019 begründete die Staatsanwaltschaft Darmstadt ihren Erlassantrag.

Dieser Antrag wurde mit dem angegriffenen Beschluss vom 09.12.2019, der Staatsanwaltschaft Darmstadt zugestellt am 12.12.2019, zurückgewiesen.

Mit Verfügung vom 13.12.2019, eingegangen beim Amtsgericht Nördlingen am 19.12.2019 legte die Staatsanwaltschaft Darmstadt Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 09.12.2019 ein. Dieser Beschwerde half die Strafvollstreckungskammer mit Verfügung vom 27.12.2019 nicht ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verfügung der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 26.11.2019 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Vorlagebericht vom 29.01.2020 beantragt, die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 13.12.2019 gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen vom 09.12.2019 als unbegründet zu verwerfen.

II.

l.) a.) Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen ist zulässig. Der Senat kann offenlassen, ob gegen die Ablehnung des Erlasses der Reststrafe das Rechtsmittel der sofortigen oder der einfachen Beschwerde statthaft ist.

Gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO können Entscheidungen über den Erlass einer Strafe nur mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Zum Teil wird in Rechtsprechung und Literatur die Ansicht vertreten, dass die sofortige Beschwerde auch dann das statthafte Rechtsmittel ist, wenn das Gericht den Antrag auf Straferlass ablehnt. Nach dieser Ansicht kann die Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung über den Erlass der Strafe nämlich nicht längere Zeit in der Schwebe bleiben (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 453 Rn. 13; Coen in: BeckOK, StPO, 35. Edition, 01.10.2019, StPO § 453 Rn. 14 jeweils m. w.Nachw.).

Nach anderer Ansicht ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nur bei Ablehnung des Bewährungswiderrufs oder der Ablehnung einer Bewährungszeitverlängerung das statthafte Rechtsmittel (so Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 453 Rn. 43; Appl in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, StPO § 453 Rn. 16 jeweils m.w.Nachw.).

Nach einer dritten Auffassung ist eine analoge Anwendung des § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO ausgeschlossen (vgl. Nestler in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2019, StPO § 453 Rn. 29). Nach dieser Auffassung ist die Annahme einer die analoge Anwendung des Abs. 2 S. 3 rechtfertigenden planwidrigen Lücke angesichts des fortdauernden Schweigens des Gesetzgebers zu der Streitfrage nicht nahe liegend (vgl. Appl in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, StPO, § 453 Rn. 16 a.E.).

Auf eine Entscheidung der Rechtsfrage kommt es für die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels vorliegend nicht an, weil die Staatsanwaltschaft Darmstadt ihre Beschwerde innerhalb der Wochenfrist unter Beachtung der in § 306 Abs. 1 StPO vorgesehenen Form eingelegt hat.

Zwar ist der Prüfungsmaßstab, den der erkennende Senat anzuwenden hat, davon abhängig, ob das Rechtsmittel der einfachen Beschwerde oder die sofortige Beschwerde statthaft ist. Gem. § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO prüft der Senat nämlich lediglich, ob die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer gesetzeswidrig ist. Die sofortige Beschwerde ermöglicht dagegen eine weitergehende Prüfung (vgl. Graalmann-Scheerer in: Löwe Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2010, § 453 Rn. 44). Eine Entscheidung der Rechtsfrage ist letztlich auch unter diesem Gesichtspunkt nicht geboten, weil die Beschwerde der Staatsanwaltschaft bereits aus formalen - die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffenden - Erwägungen unbegründet ist (siehe unten 3.). Auf eine Prüfung der Zweckmäßigkeit kommt es vorliegend nicht an.

b.) Der Senat legt die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 13.12.2019 im Übrigen auch als Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 29.05.2019 aus. Gemäß § 300 StPO sind bei der Klärung der Frage, gegen welche Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, der gesamte Inhalt der Verfahrenserklärung und die Erklärungsumstände maßgebend. Das Rechtsmittel ist so zu deuten, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist. Im Zweifel gilt deswegen das Rechtsmittel als eingelegt, das die umfassendere Nachprüfung erlaubt (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., 2019, § 300 Rn. 3 m.w.Nachw.).

Zwar ist die Rechtsprechung bei der Auslegung von Rechtsmitteln, die von einer Staatsanwaltschaft eingelegt wurden, „vergleichsweise“ streng, weil bei Staatsanwälten regelmäßig besondere Rechtskenntnisse vorausgesetzt werden müssen, die einer - erweiternden Auslegung - grundsätzlich entgegenstehen (Cirener in: BeckOK, StPO, 35. Edition, 01.10.2019, StPO § 300 Rn. 1; Allgayer in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2016, StPO § 300 Rn. 9).

Vorliegend sieht sich der Senat allerdings nicht daran gehindert, das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entsprechend auszulegen. Aus dem Beschwerdevorbringen in der Verfügung vom 13.12.2019, die ihrerseits auf die Verfügung vom 26.11.2019 inhaltlich verweist, ergibt sich nämlich, dass sich die Staatsanwaltschaft gegen den Verlängerungsbeschluss wendet, soweit dieser bestimmt, dass die Verlängerung der Bewährungszeit erst mit der Zustellung des Verlängerungsbeschlusses beginnen soll. Das von der Staatsanwaltschaft Darmstadt erstrebte Ziel ihres Rechtsmittels ist vorliegend aber nur zu erreichen, wenn die mit der einfachen Beschwerde angreifbare Verlängerungsentscheidung - entsprechend der Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Darmstadt - korrigiert wird.

Zu Recht weist die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrem Vorlagebericht vom 29.01.2020 in diesem Zusammenhang darauf hin, dass - sofern sich das Rechtsmittel nicht auch gegen den Verlängerungsbeschluss richtet - die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Darmstadt allein deswegen als unbegründet zurückzuweisen wäre, weil gemäß § 56g Abs. 1 StGB der Erlass der Freiheitsstrafe nur nach Ablauf der Bewährungszeit in Betracht kommt. Da der Verlängerungsbeschluss der Strafvollstreckungskammer ausdrücklich vorsieht, dass die Bewährungszeit um ein Jahr ab Zustellung des Beschlusses verlängert wird, die Bewährungszeit somit also bei Wirksamkeit des Beschlusses bis 06.06.2020 laufen würde, wäre der Erlass der Reststrafe zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits aus Rechtsgründen unzulässig.

2. Die Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 29.05.2019 war zu verwerfen, weil der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer der Sach- und Rechtslage entspricht.

a.) Gemäß § 56f Abs. 2 StGB sieht ein Gericht von dem Widerruf einer Reststrafenbewährung trotz erneuter Straffälligkeit ab, wenn es ausreicht, die Bewährungszeit zu verlängern. Vorliegend wurde der Verurteilte wegen einer falschen Versicherung an Eides statt, welche er im Verlauf der 4-jährigen Bewährungszeit verübt hatte, zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft sah die Strafvollstreckungskammer von einem nach § 56f Abs. 1 StGB grundsätzlich möglichen Bewährungswiderruf ab. Der Senat teilt die Ansicht der Strafvollstreckungskammer, dass vorliegend eine Bewährungszeitverlängerung von 1 Jahr erforderlich aber auch ausreichend war, da der Verurteilte wegen der neuerlichen Straftat zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt wurde.

b.) Nach ständiger Rechtsprechung aller Strafsenate des Oberlandesgerichts München (vgl. etwa Beschluss vom 21.03.2012, 3 Ws 239-240/12, Rn. 17) wirkt eine Bewährungszeit nach bereits abgelaufener Bewährungszeit nicht ex tunc, sondern ex nunc. Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer deswegen in ihrer Fortdauerentscheidung vom 29.05.2019 den Beginn der Bewährungszeit auf den Zeitpunkt der Zustellung des Verlängerungsbeschlusses festgesetzt.

Der Senat ist sich darüber bewusst, dass die Mehrzahl der Oberlandesgerichte und die herrschende Meinung in der Literatur bei Auslegung des § 56f Abs. 2 StGB eine hierzu abweichende Auffassung vertreten (vgl. Heintschel-Heinegg in BeckOK, StGB, 44. Edition, Stand 01.11.2019, § 56f Rn. 30 m.w.Nachw.). Im Kern wird die abweichende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur damit begründet, dass das Wort „verlängern“ der Bewährungszeit für einen unmittelbaren Anschluss an die alte Bewährungszeit spricht, zumal damit unerheblich wäre, ob diese vor oder nach ihrem Ablauf verlängert würde. (Kinzig in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 56f Rn. 19). Nach dieser Rechtsansicht ist ein Beginn der verlängerten Bewährungszeit ex nunc nicht hinnehmbar, weil dies im Einzelfall zu einer zeitlichen Ausdehnung des Bewährungsverfahrens führen kann, (OLG Bamberg, Beschluss vom 27.8.2009 - 1 Ws 409/09). Diese Erwägungen überzeugen im Ergebnis nicht:

(1) Soweit in Rechtsprechung und Literatur die Meinung vertreten wird, dass der Begriff „verlängert“ bei grammatikalischer Auslegung nur dahingehend zu verstehen sei, dass die Verlängerungszeit unmittelbar an die ursprünglich festgesetzte Bewährungszeit anschließe, hält der Senat diese Auslegung keineswegs für zwingend. Zwar schließen sich Verlängerungsfristen nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in der Rechtssprache häufig unmittelbar an das Ende des festgesetzten Fristenlaufs an. Sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch in der Rechtssprache kann der Begriff der Verlängerung im Einzelfall aber auch dann gebraucht werden, wenn der Verlängerungszeit eine zeitliche Zäsur vorangeht. So ist beispielsweise die Verlängerung einer schon abgelaufenen prozessualen Frist nach den Verwaltungsprozessordnungen ausdrücklich vorgesehen (§ 139 Abs. 3 S. 3 VwGO; § 160a Abs. 2 S. 2 SGG, § 164 Abs. 2 S. 2 SGG; § 120 Abs. 2 S. 3 FGO) (vgl. Grothe in Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2018, § 190 Rn. 2).

Gegen die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur spricht, dass eine grammatikalische Auslegung des Begriffs „verlängert“, die den Beginn der Verlängerungszeit fiktiv in die Vergangenheit verlegt, dazu führt, dass in Wahrheit für diesen Zeitraum keine Verlängerung der Bewährungszeit erfolgt. Nach einhelliger Auffassung befindet sich nämlich ein Verurteilter, dessen Bewährungszeit abgelaufen war, in einer bewährungsfreien Zeit bis zu dem Zeitpunkt, an welchem die Strafvollstreckungskammer über den Verlängerungsantrag entscheidet (vgl. etwa OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2008, 221; BVerfG NStZ 1995, 437). In dieser Phase unterliegt der Bewährungsproband also auch nicht der Pflicht, Auflagen und Weisungen zu erfüllen. Eine „Verlängerung“ der Bewährungszeit ex tunc könnte im Einzelfall dazu führen, dass trotz formaler Anordnung durch die Strafvollstreckungskammer die Bewährungszeit faktisch nicht verlängert wird, weil die angeordnete Verlängerungszeit vollständig auf den bis zur Entscheidung verstrichenen Zeitraum anzurechnen ist. Eine derartige Auslegung ist mit dem Gesetzeswortlaut, der eine „echte“ Verlängerung der Bewährungszeit sprachlich voraussetzt, nicht vereinbar.

(2.) Eine „Verlängerung“ der Bewährungszeit ex tunc entspricht im Übrigen weder dem Sinn und Zweck einer Bewährungszeitverlängerung noch der Gesetzessystematik. Im Verlauf der Bewährungszeit hat nämlich das Gericht die Lebensführung des Verurteilten, namentlich die Erfüllung von Auflagen und Weisungen sowie von Anerbieten und Zusagen zu überwachen (§ 453b Abs. 1 StPO). Das Gericht kann nach § 56e StGB Entscheidungen nach §§ 56b bis 56d nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Eine ex-tunc-“Verlängerung“ der Bewährungszeit führt dazu, dass weder eine Überwachung der Lebensführung noch eine Prüfung von Maßnahmen im Rahmen der Bewährungsaufsicht möglich sind. Insbesondere ist das Gericht nicht in der Lage, Weisungen nach § 56c StGB zu erteilen, die kriminogenen Faktoren entgegenwirken und den Verurteilten bei der Wiedereingliederung unterstützen sollen, obwohl gerade diese notwendig sein können, um ein Absehen vom Bewährungswiderruf überhaupt rechtfertigen zu können. Dies ist vor allem bei Bewährungsprobanden von Relevanz, die infolge von Substanzmittelmissbrauch straffällig geworden sind und die deswegen bei ihrem Weg aus der Sucht mit Abstinenz-Kontroll- oder Therapieweisungen begleitet werden müssen. Die Ansicht der h.M. in Rechtsprechung und Literatur ist deswegen mit dem Gesetzesziel und der Gesetzessystematik nicht in Einklang zu bringen.

(3.) Der Bewährungszeitverlängerung ex nunc steht auch nicht entgegen, dass der Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass der Reststrafe um die Dauer der „bewährungsfreien“ Zeit hinausgeschoben wird. Ein Bewährungsproband wird durch diese Verzögerung nicht unangemessen benachteiligt.

Nach einhelliger Auffassung ist der Verurteilte nach Ablauf der Bewährungszeit bis zur Entscheidung über die Verlängerung nicht an Weisungen und Auflagen aus dem Bewährungsbeschluss gebunden. Ihm erwachsen aus dem ursprünglichen Bewährungsbeschluss somit keine grundrechtsrelevanten Beschränkungen. Ebenso scheidet nach vorzugswürdiger Auffassung auch der Widerruf der Bewährung wegen einer während der bewährungsfreien Zeit verübten Straftat aus (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 221, anders BVerfG NStZ 1995, 437 für den Fall einer nachträglichen Verlängerung ex tunc).

Der Verurteilte wird auch nicht dadurch unangemessen benachteiligt, dass durch die Verlängerung der Bewährungszeit ex nunc der Erlass der Freiheitsstrafe hinausgezögert wird. Diese sich insoweit aus der Verzögerung ergebende Belastung mag im Einzelfall bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und der Bemessung der Dauer der Bewährungszeitverlängerung Berücksichtigung finden. Ausnahmsweise wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob eine Bewährungszeitverlängerung aus Gründen des Vertrauensschutzes unzulässig ist, sofern die Entscheidung des Gerichts aus Gründen, die dem Verurteilten nicht zuzurechnen sind, erheblich verzögert wurde (vgl. zur Unverhältnismäßigkeit eines Bewährungswiderrufs OLG Köln BeckRS 2008, 25645, beck-online; Heintschel-Heinegg in BeckOK StGB, 44. Edition, Stand 01.11.2019, StGB § 56f Rn. 2).

Sofern die Verzögerung aber nicht durch ein Versäumnis der Strafverfolgungsbehörden oder die Gerichte verursacht wurde, hat der Verurteilte den sich daraus ergebenden Nachteil letztlich hinzunehmen. Im Ergebnis wird der Verurteilte allenfalls „mental“ belastet, sofern man es als eine Belastung ansehen mag, dass sich der Verurteilte wegen des noch schwebenden Bewährungsverfahrens zu rechtstreuem Verhalten veranlasst sieht. Ein rechtlicher Nachteil ergibt sich aus dieser bewährungsfreien Zeit allerdings nicht. Nachdem der Verurteilte in der bewährungsfreien Zeit weder tatsächliche noch rechtliche Nachteile aus dem Bewährungsbeschluss zu tragen hat, entspricht seine Bewährungszeit bei einer Verlängerung ex nunc genau der Spanne, innerhalb derer er unter Bewährung stünde, wenn seine Bewährungszeit noch vor ihrem Ablauf, also ohne zeitliche Zäsur verlängert worden wäre. Durch eine Verlängerung ex nunc wird er deswegen auch nicht benachteiligt. Für eine Bevorzugung - wie sie sich aus einer ex-tunc-“Verlängerung“ - de facto ergibt, sieht der Senat hingegen keine gesetzliche Rechtfertigung.

3. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 09.12.2019 war abzulehnen, weil die Bewährungszeit noch bis zum 06.06.2020 dauert. Der Erlass der Reststrafe kommt gem. § 56 Abs. 1 StGB erst nach Ablauf der Bewährungszeit in Betracht.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

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