I.
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrages im sogenannten „VW-Diesel-Skandal“.
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am 21.08.2018 verstorbenen Ehemanns (vgl. Erbschein des Amtsgerichts München vom 16.01.2019 - 615 VI 13471/18, Anlage K1a). Dieser erwarb am 04.10.2011 von der M. … einen VW Golf VI 2.0 TDI mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer …89, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet ist, zum Preis von 27.900 € (Anlage K1). Der Kilometerstand betrug 50 km. Die Beklagtenpartei ist die Herstellerin des Fahrzeugs und auch des in ihm verbauten Motors.
Die im Zusammenhang mit dem Motor EA 189 verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und erließ 2015 - dem Jahr des Bekanntwerdens des Diesel-Skandals - Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung. Die Beklagtenpartei bot daraufhin die Durchführung von Software-Updates an, mit denen diese Software aus allen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 mit 2,0-Liter-Hubraum entfernt werden sollte. Das Update wurde aufgespielt.
Am 22.09.2015 informierte die Beklagte die Öffentlichkeit über die Tatsche, dass in VW-Konzernfahrzeugen mit einem EA 189-Dieselmotor eine Software eingebaut war, die zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstands- und realem Fahrbetrieb führte. Über die Verwendung der Umschaltlogik wurde in den Medien ab dem 22.09.2015 umfassend berichtet.
Die Klägerin hat - formal als Vertreterin ihres bereits verstorbenen Ehemanns handelnd (vgl. Anlage K19) - ihre Ansprüche am 27.11.2018 zur Eintragung in das Klageregister der am 01.11.2018 eingereichten und am 12.11.2018 zugestellten Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte angemeldet. Die Musterfeststellungsklage wurde mit beim Gericht am 30.04.2020 eingegangenen Schriftsatz der klageführenden qualifizierten Einrichtung zurückgenommen. Die Zustimmung der Gegenseite ging am 04.05.2021 bei Gericht ein (vgl. auch Bekanntmachung des Bundesamts für Justiz zum einschlägigen Musterfeststellungsverfahren, dort unter Ziff. 5.1). Eine Abmeldung der Klägerin war nicht erfolgt.
Mit Schreiben der Klägervertreter vom 19.06.2020 forderte die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, die Beklagtenpartei zur Zahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung (Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs) mit Frist bis zum 26.06.2020 auf und machte zugleich ihren Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.
Bei Klageeinreichung am 04.01.2021 betrug der Kilometerstand 44.810 km, am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 21.05.2021 49.387 km und am 08. Dezember 2021 53.241 km.
Die Klagepartei führt aus, die Beklagtenpartei habe durch die Verwendung einer Manipulations-Software die Klagepartei vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Wenn ihr Ehemann Kenntnis von dieser Software gehabt hätte, hätte er den Pkw nicht gekauft. Der Vorstand der Beklagtenpartei habe von der Software gewusst. Dies müsse sich die Beklagtenpartei nach § 31 BGB zurechnen lassen.
In rechtlicher Hinsicht macht sie Ansprüche aus § 826 BGB geltend, die auch nicht verjährt seien. Hilfsweise stützt sie Ansprüche auf § 852 BGB. Bei der Schadensbemessung ließ sich die Beklagte erstinstanzlich Nutzungsvorteile auf der Basis einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 350.000 km anrechnen.
Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 27.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.06.2020 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Golf mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …89 gegen Zahlung einer angemessenen Nutzungsentschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht mehr als 3.572,00 € zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des VW Golf mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …89 seit spätestens 27.06.2020 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.899,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.06.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragte
Klageabweisung.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Ihrer Ansicht nach lief die Verjährungsfrist bereits Ende 2015 an; zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin bzw. ihr Ehemann entweder Kenntnis von der EA 189-Problematik und der Betroffenheit ihres Fahrzeugs gehabt oder seien sie zumindest in grob fahrlässiger Unkenntnis hierüber gewesen. Auch ein Restschadensersatz nach § 852 BGB stehe der Klägerin nicht zu.
Das Landgericht hat die Klage mit der Klägerin am 14.07.2021 zugestelltem Urteil - auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO) - abgewiesen. Ansprüche seien jedenfalls verjährt. Dabei ging das Landgericht von einem Anlauf der Verjährungsfrist bereits Ende 2015 aus. Die Teilnahme an der Musterfeststellungsklage hemme vorliegend vom 12.11.2018 - dem Tag der Zustellung der Musterfeststellungsklage - bis zum 30.04.2021. Daraus errechne sich unter Berücksichtigung der 6-Monatsfrist nach § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB unter Hinzurechnung der Hemmungszeit 2018 ein Ablauf der Verjährungsfrist mit dem 19.12.2020.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer am 10.08.2021 beim Oberlandesgericht eingelegten und dort am 13.09.2021 begründeten Berufung, mit der sie insbesondere die Annahme der Verjährung angreift. In der Berufung lässt sie sich mittlerweile - vgl. Schriftsatz vom 23.11.2021, Bl. 314 ff. d.A. - Nutzungsvorteile aus einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km anrechnen, die allerdings aus dem Nettokaufpreis zu berechnen seien.
Sie beantragt nunmehr:
1. Unter Abänderung des am 09.07.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 32 O 145/21 wird die Berufungsbeklagte verurteilt, an die Klägerin 27.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.06.2020 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Golf mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …89 gegen Zahlung einer angemessenen Nutzungsentschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht mehr als 4.143,72 € zu zahlen.
2. Unter Abänderung des am 09.07.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 32 O 145/21 wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des VW Golf mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …89 seit spätestens 27.06.2020 in Annahmeverzug befindet.
3. Unter Abänderung des am 09.07.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 32 O 145/21 wird die Berufungsbeklagte verurteilt, an die Klägerschaft vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.899,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.06.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Sie verteidigt die Annahme von Verjährung und wendet sich vorsorglich gegen eine Inanspruchnahme aus § 852 BGB. Außerdem macht sie Ausführungen zur Nutzungsentschädigung und zu vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Der Senat hat über die Berufung am 08.12.2021 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift und die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Berufung hat im tenorierten Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie zurückzuweisen. Der Klagepartei stehen - allerdings nicht in Höhe des klägerischen Antrags - Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB zu, die entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht verjährt sind.
1. Wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, besteht im Grundsatz ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB. Der Senat verweist zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen auf die Erwägungen der einschlägigen BGH-Entscheidung vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 Rn. 13-63, und macht sie sich ausdrücklich zueigen.
2. Die klägerischen Ansprüche sind vorliegend nicht verjährt (§ 214 Abs. 1 BGB). Dabei unterstellt der Senat zugunsten der Beklagten, dass die Verjährungsfrist wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der Klagepartei tatsächlich bereits Ende 2015 - dem Jahr der ad-hoc-Mitteilung der Beklagten und einer erstmaligen bundesweiten Medienberichterstattung über den Diesel-Abgasskandal - anlief. Danach ergäbe sich zwar grundsätzlich ein Ablauf der Verjährungsfrist Ende 2018, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB. Zu berücksichtigen ist jedoch der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB wegen Teilnahme der Klägerin am Musterfeststellungsverfahren. Die dadurch ausgelöste Hemmung endete erst mit Ablauf des 04.01.2021. An diesem Tag wurde die Klage eingereicht und begründete - in Zusammenschau mit § 167 ZPO - den weiteren Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass Verjährung nicht eingetreten ist. Im einzelnen:
2.1 Die Beteiligung der Klägerin an der Musterfeststellungsklage hemmte den Verjährungslauf gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB vom 01.11.2018 bis zum 04.05.2020.
Die Hemmung beginnt nicht erst mit der Zustellung der Musterfeststellungsklage (und der damit verbundenen Erhebung der Klage gemäß § 253 Abs. 1, § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO) am 12.11.2018, sondern wegen der Vorwirkung nach § 167 ZPO bereits mit der Einreichung der Klage am 01.11.2018 (Peters/Jacoby in Staudinger, Neubearbeitung 2019, Stand: 18.06.2020, § 204 Rn. 48h). Es sind keine Gründe ersichtlich, warum auf Musterfeststellungsklagen § 167 ZPO keine Anwendung finden sollte. Dem Wortlaut der Norm nach (verkürzt lautet er: „Soll die Verjährung nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst bewirkt wird.“) fällt die Musterfeststellungsklage unproblematisch in ihren Anwendungsbereich. Es wäre auch schlechterdings sinnwidrig, wollte man die Rechtswirkung von gegen Ende eines Jahres eingereichten Musterfeststellungsklagen von Zufälligkeiten des Zustellbetriebs abhängig machen. Dies aber wäre die Folge, wenn man die Anwendung von § 167 ZPO auf sie verweigerte.
Vorliegend hat die Klägerin unstreitig bis zum Ende an dem Musterfeststellungsverfahren teilgenommen. Dieses endete nicht schon mit dem Eingang der Klagerücknahme beim zuständigen Oberlandesgericht. Da bereits eine mündliche Verhandlung (etwa am 30.09.2019) stattgefunden hatte, setzte die Rücknahme die Zustimmung der Gegenseite, die dem Gericht gegenüber zu erklären war, voraus (§ 269 Abs. 1 und 2 Satz 1, § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO; zur Anwendbarkeit vgl. Menges, in MüKo ZPO, 6. Aufl., § 610 Rn. 15, 20; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657, 663). Die Zustimmung zur Klagerücknahme ging - wie das Oberlandesgericht Braunschweig in seinem Beschluss vom 05.05.2020 - 4 MK 1/18 ausgeführt hat - dort erst am 04.05.2020 ein. Erst damit war das Musterfeststellungsverfahren beendet. Die Hemmungswirkung endete folglich erst sechs Monate nach dem Abschluss des Verfahrens, § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB, mithin mit Ablauf des 04.11.2020 (ebenso OLG Frankfurt, Urteil vom 08.07.2021 - 26 U 5/21, juris-Rn. 53).
Die Tage, an denen die Hemmung eintritt oder wegfällt, sind dabei in den Hemmungszeitraum einzubeziehen (BGH, Urteil vom 17.01.2017 - VI ZR 239/15, juris-Rn. 20; Ellenberger in Palandt, BGB, 80. Aufl., § 209 Rn. 1).
Damit trat aber noch nicht Verjährung ein. Vielmehr ist die Zeitspanne vom 01.11.2018 bis zum 31.12.2018 (61 Tage) - während derer der Lauf der regelmäßigen Verjährungsfrist gehemmt war - hinzuzurechnen, § 209 BGB.
Demnach endete die Verjährungsfrist erst mit Ablauf des 04.01.2021.
Unschädlich ist, dass die Klägerin im Musterfeststellungsverfahren Ansprüche formal als Vertreterin ihres verstorbenen Ehemanns anmeldete. In der Anmeldung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Ehemann verstorben ist und dass die Klägerin sich für seine Erbin hielt.
2.2 Am 04.01.2021 - mithin am letzten Tag der Verjährungsfrist - wurde die Klage der Klägerin eingereicht und begründete den weiteren Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Zwar setzt der Wortlaut der Norm - wie bereits zur Musterfeststellungsklage ausgeführt - die Erhebung der Klage und damit die Zustellung der Klage der Klageschrift (die hier erst am 16.02.2021 erfolgte) voraus, § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO. Der Klägerin kommt jedoch auch insoweit die Vorwirkung des § 167 ZPO zugute, da die Zustellung noch demnächst erfolgte, weil der Klägerin keine Zustellungsverzögerung von mehr als 14 Tagen zuzurechnen ist:
Der Gerichtskostenvorschuss wurde mit Verfügung vom 21.01.2021 beim Klägervertreter angefordert (vgl. Kostenbeleg II). Einer vorherigen Anfrage bei Gericht zur Gerichtskostenvorschussanforderung bedurfte es bei einem Zeitraum von weniger als drei Wochen zwischen Einreichung der Klage und Anforderung des Vorschusses nicht (BGH, Versäumnisurteil vom 25.09.2015 - V ZR 203/14, juris-Rn. 13; Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 167 Rn. 15 mwN). Unterstellt man zugunsten der Beklagten einen Eingang beim Klägervertreter bereits am (Freitag, den) 22.01.2021, standen diesem drei Werktage zur Prüfung und Weiterleitung zur Verfügung zu, so dass die Klägerin so zu behandeln ist, als ob ihr die Vorschussanforerung am 27.01.2021 zugegangen wäre (BGH, Urteil vom 10.07.2015 - V ZR 154/14 juris-Rn. 8; bestätigt BGH, Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/16, juris-Rn. 14 f.). Für die Einzahlung verblieb ihr sodann ein Zeitraum von einer Woche, mithin bis zum 03.02.2021. Tatsächlich wurde die Einzahlung erst am 08.02.2021 vorgenommen (Kostenbeleg III). Die Zahlung erfolgte somit zwar verspätet, jedoch noch innerhalb eines unschädlichen Zeitraums von 14 Tagen, der die Annahme einer Zustellung „demnächst“ nicht hindert (BGH, Urteil vom 10.07.2015 - V ZR 154/14 juris-Rn. 9 und Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/16, juris-Rn. 15).
2.3 Die Teilnahme an der Musterfeststellungsklage ist, wie der BGH zwischenzeitlich entschieden hat (BGH, Urteil vom 29.07.2021 - VI ZR 1118/20, juris-Rn. 38 ff.), selbst dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn ein Kläger eine spätere individuelle Geltendmachung seiner Ansprüche erstrebt. So liegt der Fall aber nicht einmal. Die Klägerin hat sich vielmehr durch ihre Teilnahme am Musterfeststellungsverfahren über die erste mündliche Verhandlung hinaus einem etwaigen streitigen Ergebnis dieses Verfahrens unterworfen (§ 608 Abs. 3 ZPO). Die Verweigerung der Teilnahme an einem - hier außergerichtlichen - Vergleich ist in keinem Fall rechtsmissbräuchlich (vgl. § 611 Abs. 4 Sätze 2-4, Abs. 5 Satz 4 ZPO).
3. Der Klagepartei steht damit ein Anspruch auf Befreiung von der ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit, also auf Zahlung des Kaufpreises von 29.700 € Zug-um-Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, zu. Anzurechnen sind allerdings die gezogenen Nutzungsvorteile.
3.1 Vorliegend schätzt der Senat im Rahmen seines Ermessens nach § 287 ZPO, wie in der mündlichen Verhandlung ausführlich mit den Parteien erörtert, die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls auf 150.000 km.
Der Senat verkennt nicht, dass im Regelfall mit Rücksicht auf die auch von der Beklagten beworbene Langlebigkeit moderner Fahrzeuge ein Ansatz der Gesamtlaufleistung mit 250.000 km, ggf. auch 300.000 km, angezeigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021 - VIII ZR 111/20, juris-Rn. 71 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Etwas anderes muss aber dann gelten - worauf die Beklagte zutreffend hinweist -, wenn ein atypisches Nutzungsverhalten vorliegt. Die Klägerin bzw. ihr verstorbener Ehemann sind während der bisherigen 10-jährigen Nutzungszeit lediglich (gut) 50.000 km, mithin 5.000 km pro Jahr, gefahren. Würde man dieses Fahrverhalten hochrechnen, müsste das Fahrzeug (bei Annahme einer typischen Gesamtlaufleistung von 250.000 km) fünfzig Jahre gefahren werden, um wirtschaftlich aufgezehrt zu sein. Eine solche Annahme ist offensichtlich unzutreffend. Wirtschaftlich betrachtet bringt der Fahrzeuginhaber mit einem solchen atypischen Nutzungsverhalten zugleich zum Ausdruck, dass er seiner Nutzung des Fahrzeugs, die vorliegend nicht nur in der tatsächlichen Fahrleistung liegt, sondern zugleich in der Vorhaltung des Fahrzeugs zur ständigen freien Verfügbarkeit des Fahrzeuginhabers, einen atypischen Nutzungswert beimisst. Diesen Umstand hat der Senat im Rahmen seines Schätzungsermessens angemessen zu berücksichtigen.
Der Senat geht insoweit davon aus, dass ein Fahrzeug bei typisierender Betrachtungsweise - auch wegen Verschleißes sonstiger, oftmals empfindlicher elektronischer Teile - keine längere „Lebenserwartung“ als 20 Jahre hat. Umgekehrt erscheint eine Beschränkung der Gesamtlaufleistung allein anhand des bisherigen durchschnittlichen Fahrverhaltens auf 100.000 km (5.000 km multipliziert mit 20 Jahren) ebenso wenig sachgerecht, da sich ein Nutzungsverhalten ändern kann. Gerade der vorliegende Fall zeigt dies. In den letzten 11 Monaten ist die Klägerin mehr als 8.000 km gefahren. In der Gesamtbetrachtung erscheint dem Senat vorliegend eine Schätzung mit einer Gesamtlaufleistung von 150.000 km angezeigt.
Die übrigen Einwendungen der Beklagten gegen die Berechnung der Nutzungsentschädigung verfangen nicht. Zutreffend ist der Ansatz einer grundsätzlich linearen Berechnung der Nutzungsvorteile (vgl. BGH, Urteile vom 30.07.2021 - VI ZR 397/19, juris-Rn. 35; vom selben Tag - VI ZR 354/19 Rn. 12). Es geht nicht um - auf dem Markt tatsächlich degressiv verlaufende - Abschreibungen (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19, juris-Rn. 15), sondern - was je nach Fallgestaltung zum Vorteil oder zum Nachteil des Autokäufers ausfallen kann - um eine adäquate Bemessung des Nutzungsvorteils des Autokäufers.
3.2 Daraus ergibt sich ein Ansatz von Nutzungsvorteilen nach der Formel „gefahrene Kilometer multipliziert mit Bruttokaufpreis, geteilt durch Restlaufzeit bei Kauf“.
Der Klägerin ist nicht darin zu folgen, dass nur der Nettokaufpreis anzusetzen wäre. Dies ergibt sich auch nicht aus dem von ihr zur Begründung ihrer Sichtweise zitierten Urteil des BGH vom 13.04.2021 - VI ZR 274/20. Dort setzt der BGH (vgl. juris-Rn. 21) ebenfalls den Bruttokaufpreis an. Der Vergleich der Klägerin mit in die Berechnung des Nutzungsvorteils nicht einzubeziehende Finanzierungskosten trägt auch in der Sache nicht: Deren Einbeziehung in den Nutzungsvorteil hat der BGH abgelehnt, weil Finanzierungskosten nicht den objektiven Wert des Fahrzeugs, somit auch nicht den Gebrauchsvorteil erhöhten, den ein Käufer aus der Nutzung des Fahrzeugs zieht. Darum geht es vorliegend aber auch nicht. Der objektive Wert des Fahrzeugs - der wiederum die Basis des Nutzungsvorteils bildet - spiegelt sich vielmehr in dem Kaufpreis wider, den ein Käufer investieren muss, um den Nutzungsvorteil genießen zu können. Dies ist aber der Bruttokaufpreis (vgl. BGH, Urteil vom 09.04.2014 - VIII ZR 215/13, juris-Rn. 11f.; sogar für den hier nicht vorliegenden Fall des vorsteuerabzugsberechtigten Käufers: BGH, Urteil vom 26.06.1991 - VIII ZR 198/90, juris-Rn. 13f.).
Einzusetzen sind somit: 53.191 gefahrene Kilometer (unstreitiger km-Stand: 53.241 km abzüglich Kilometerstand bei Kauf mit 50 km), Kaufpreis von 27.900 € und eine Restlaufleistung bei Kauf von 149.950 km (150.000 km abzüglich 50 km). Der Nutzungsvorteil beträgt demnach 9.896,82 €, der zuzuerkennende Betrag somit 18.003,18 €.
Die Beklagte kann nicht verlangen, dass das Urteil nach der sog. Karlsruher Formel - d.h. unter Angabe der Berechnungsformel - tenoriert wird, die künftige Nutzungen berücksichtigen soll. Der Senat hat bereits Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit und Vollstreckbarkeit einer solchen Formel (so auch Brandenburgisches OLG, Urteil vom 08.06.2021 - 3 U 124/20, juris-Rn. 42). Jedenfalls hat die Beklagte keinen Anspruch auf eine solche Tenorierung, da der gewählte, konkret ausgerechnete Tenor den für die Urteilsfällung maßgeblichen Sachstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiedergibt.
4. Die zuerkannte Hauptsacheforderung ist ab dem 27.06.2020 zu verzinsen, da die Klägerin die Beklagte mit Fristsetzung bis zum 26.06.2020 zur Zahlung aufgefordert, mithin gemahnt und Verzug begründet hat (§ 280 Abs. 1, 2, § 286, § 288 Abs. 1 BGB).
5. Entgegen der Auffassung der Beklagtenpartei hat die Klagepartei gemäß §§ 826, 249 Abs. 1 BGB Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, allerdings nur in Höhe einer 1,3-Gebühr zzgl. Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer aus einem Gegenstandswert von bis zu 22.000 €.
5.1. Zuzustimmen ist der Beklagtenpartei zwar insoweit, als ein Schädiger nicht schlechthin alle durch ein Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten des Geschädigten, sondern nur solche Kosten zu ersetzen hat, die aus der ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person in der Situation des Geschädigten nach den Umständen des Falles zur Wahrung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Ob die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der ergriffenen Maßnahme gegeben ist, entzieht sich dabei einer generalisierenden Betrachtung. Dabei gilt, dass in einfach gelagerten Fällen, bei denen mit rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten nicht zu rechnen ist, der Geschädigte eine erstmalige Geltendmachung seiner Rechte grundsätzlich selbst vornehmen kann, und dass es unter diesen Umständen zur sofortigen Einschaltung eines Rechtsanwalts zusätzlicher Voraussetzungen in der Person des Geschädigten wie etwa eines Mangels an geschäftlicher Gewandtheit oder einer Verhinderung zur Wahrnehmung seiner Rechte bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - VIII ZR 277/11, juris-Rn. 4). Um einen solchen einfach gelagerten Fall handelt es sich streitgegenständlich jedoch gerade nicht, da die „Rückabwicklung“ des streitgegenständlichen Autokaufs weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht einfach gelagert ist.
5.2. Der Berechnung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren war jedoch nicht - wie die Klagepartei meint - eine 2,0-Gebühr, sondern nur eine 1,3-Gebühr zuzüglich der Kostenpauschale und Umsatzsteuer zu Grunde zulegen. Zwar wirft der streitgegenständliche Fall eine Fülle komplexer tatsächlicher und rechtlicher Probleme auf, jedoch handelt es sich gleichzeitig um ein Massenverfahren, in dem in den klägerischen Schriftsätzen erkennbar Textbausteine zur Anwendung kamen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 27. Februar 2020 - 7 U 325/19, Rdnr. 76).
5.3. Die 1,3-Gebühr errechnet sich dabei aus einem Gegenstandswert von bis zu 22.000 €.
Kostenerstattung aufgrund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur insoweit verlangen, als seine Forderung - im Zeitpunkt der Anspruchsstellung - diesem gegenüber auch objektiv berechtigt ist. Zum Zeitpunkt der Antragstellung wies das Fahrzeug jedoch einen geringeren km-Stand auf; bei Klageerhebung am 04.01.2021 ist dieser mit 44.810 km angegeben. Daraus errechnet sich unter Berücksichtigung der Nutzungsvorteile auf dieser Basis ein damaliger Anspruch der Klägerin von mehr als 19.000 €. Für die Bemessung der Anwaltsgebühren ist daher die Gebührenstufe für Gegenstandswerte von bis zu 22.000 € einschlägig.
5.4. Auf die Bezahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten durch die Klagepartei kommt es im Hinblick auf die ernsthafte und endgültige Weigerung der Beklagtenpartei, die Anwaltskosten zu begleichen, nicht an (§ 250 BGB). Die Beklagte weist selbst darauf hin, dass sie sich zu einer freiwilligen Leistung außergerichtlich nicht hätte bewegen lassen (Berufungserwiderung, S. 53).
6. Nicht zuzusprechen war die Feststellung eines Annahmeverzugs. Die Klägerin berühmte sich eines wesentlich höheren - nämlich um 25% überhöhten - Schadensersatzanspruchs, als ihr bei zutreffendem Berechnung der Nutzungsvorteile zustand. Auch in der Verhandlung vor dem Senat hat die Klagepartei ihre Klageforderung nicht an die dort mitgeteilte Rechtsauffassung des Senats angepasst. Eine solchermaßen überhöhte Forderung schließt den Annahmeverzug aus (BGH, Urteil vom 20. April 2021 - VI ZR 521/19, juris-Rn. 7).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO (bei Berücksichtigung eines Streitwertes von 24.328 € in beiden Instanzen), diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO. Eine Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil die maßgeblichen Rechtsfragen des vorliegenden Falles höchstrichterlich geklärt sind, sich somit keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO stellen.