Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Senat für Familiensachen) - 8 UF 4/13

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin (Betroffenen) wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Aschersleben vom 04. Dezember 2012 aufgehoben und das Verfahren, auch zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Familiengericht zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert beträgt EUR 2.000.

Gründe

I.

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Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin (Betroffenen) die Feststellung, nicht ihr Vater zu sein.

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Der (am 14. Dezember 1941 in H. geb.) Antragsteller hat mit der (am 20. August 1942 in H. geb.) H. R. geb. G. am 22. Juli 1961 in H. (damals DDR, heute Sachsen-Anhalt) die Ehe geschlossen. Nach der Eheschließung brachte die Ehefrau des Antragstellers

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die (am 03. Oktober 1965 geb.) Antragsgegnerin (Betroffene)

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zur Welt. Um die Frage, ob der Antragsteller der Vater der Antragsgegnerin (Betroffenen) ist, geht es im vorliegenden Vaterschaftsanfechtungsverfahren.

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Da der Antragsteller bei der Geburt der Antragsgegnerin mit der Kindesmutter verheiratet war, wurde er rechtlicher Vater der Antragsgegnerin (§ 1591 BGB in der damals in der DDR geltenden a.F.). An seiner rechtlichen Vaterschaft änderte sich mit dem Inkrafttreten des DDR-FGB am 01. April 1966 nichts (§ 27 Nr. 1, § 28 DDR-EGFGB in Verbindung mit § 63 Abs. 3 Satz 3 DDR-FGB). Auch das mit der Wiedervereinigung vom 03. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet wieder in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch (Art. 8 EVertr i.V.m. Art. 230 Abs. 2 und Art. 234 § 1 EGBGB) sieht den Antragsteller – mit Rücksicht auf seine Ehe mit der Mutter der Antragsgegnerin – als rechtlichen Vater der Antragsgegnerin an (§ 1592 Nr. 1 BGB in der heute geltenden n.F.).

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Am 01. Dezember 2005 verstarb die Mutter der Antragsgegnerin (Betroffenen).

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Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 13. Februar 2007 entschieden hatte, aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 des Grundgesetzes ergebe sich nicht allein das Recht eines Mannes auf Kenntnis der Abstammung eines ihm rechtlich zugeordneten Kindes, sondern auch ein Anspruch des Mannes auf Verwirklichung seines Rechts, so dass der Gesetzgeber dem Mann – unabhängig von den Voraussetzungen eines Vaterschaftsanfechtungsantrags und der Darlegungs- und Feststellungslast in einem derartigen Verfahren (§§ 1600 ff. BGB) – einen Verfahrensweg eröffnen müsse, mit dem er sein Recht auf Kenntniserlangung durchsetzen könne (BVerfG, FamRZ 2007, 441 ff.), und der Gesetzgeber diesen Vorgaben mit dem Gesetz zur Klärung der Vaterschaft vom 26. März 2008 Folge geleistet hatte, mit dem die am 01. April 2008 in Kraft getretene Bestimmung zu § 1598a BGB in das vierte Buch des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingefügt wurde (BGBl. 2008 I, S. 441 ff.), forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin auf der Grundlage der neu geschaffenen Bestimmung zu § 1598a BGB mit Schreiben vom 12. August 2009 auf, in eine genetische Abstammungsuntersuchung einzuwilligen und die Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe zu dulden (§ 1598a Abs. 1 Nr. 1 BGB).

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1. Als die Antragsgegnerin nicht reagierte, machte der Antragsteller am 03. September 2009 beim Familiengericht den Antrag anhängig, die Antragsgegnerin zu verpflichten, in die Abstammungsuntersuchung einzuwilligen und die Entnahme der Probe zu dulden (§ 169 Nr. 2 FamFG in Verbindung mit § 1598a Abs. 1 Nr. 1 BGB). In jenem Verfahren (BA 4 F 242/09 AG Aschersleben) begründete der Antragsteller nicht, aus welchem Grund er seine biologische Vaterschaft geklärt wissen wollte, d.h. ob er etwa Kenntnis von Tatsachen erlangt hatte, welche die Annahme rechtfertigen konnten, die Voraussetzungen für eine Vaterschaftsanfechtung seien gegeben, und zu welchem Zeitpunkt eine Kenntniserlangung stattgefunden hatte (§§ 1600 ff. BGB). Lediglich die Antragsgegnerin wandte ein, der Antragsteller habe die – für eine Vaterschaftsanfechtung maßgebende – zweijährige Anfechtungsfrist (§ 1600b BGB) nicht eingehalten, weil es schon „Zeit ihres Lebens Zweifel an ihrer biologischen Abstammung“ gebe, wie sie mit einem – in Ablichtung zu den Akten gereichten – „handgeschriebenen Schriftstück“ des Antragstellers (Bl. 54 d.A.) beweisen könne. Die Antragsgegnerin führte weiter aus, „der Antragsteller und ihre Mutter“ hätten sie, die Antragsgegnerin, schon im Alter von sechs Monaten „weggegeben“, so dass sie bei ihrer Urgroßmutter habe aufwachsen müssen; eine „Kollegin ihrer Mutter“ habe ihr, der Antragsgegnerin, bereits bei einem Berufspraktikum im Jahre 1994 „ins Gesicht gesagt“, nicht die leibliche Tochter des Antragstellers zu sein (Bl. 16 f., 36 ff. BA 4 F 242/09 AG Aschersleben = 8 UF 26/10 OLG Naumburg).

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Da der Klärungsanspruch nach § 1598a BGB, den der Antragsteller in jenem Verfahren geltend machte, nicht – wie ein Vaterschaftsanfechtungsantrag (§§ 1600 ff. BGB) – von weiteren Voraussetzungen abhängig war (von einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Anspruchs nach § 1598a BGB einmal abgesehen, für die es keine Anhaltspunkte gab), verpflichtete das Familiengericht die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 07. Januar 2010 zur Einwilligung in die Abstammungsuntersuchung sowie zur Duldung der Probe (4 F 242/09 AG Aschersleben), und der Senat wies die Beschwerde der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 03. März 2010 als unbegründet zurück (8 UF 26/10 OLG Naumburg). Eine von der Antragsgegnerin beim Bundesgerichtshof eingelegte Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg, weil die Antragsgegnerin sich nicht anwaltlich vertreten ließ, und das Gesuch der Antragsgegnerin, die Vollstreckung des Beschlusses des Familiengerichts auszusetzen, wurde mit Beschluss des Familiengerichts vom 15. Juli 2011 abgewiesen.

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Mit Rücksicht darauf stimmte die Antragsgegnerin einer Begutachtung – durch den vom Antragsteller beauftragten – Prof. Dr. habil. S. von der Abstammungsgenetik M. zu, jedenfalls wird die Zustimmung der Antragsgegnerin im Sachverständigengutachten von Prof. Dr. habil. S. erwähnt und es kam, wie gesagt, auch zur Begutachtung. In dem vom Antragsteller eingeholten Privatgutachten des Sachverständigen heißt es, der Antragsgegnerin und dem Antragsteller seien am 30. Juli 2012 im Gesundheitsamt B. „Blutproben“ entnommen worden und die anlässlich der Probenentnahmen angefertigten „Niederschriften zur Identitätssicherung“ habe der Sachverständige zu seinen Akten genommen. In seinem DNA-Gutachten vom 09. August 2012 gelangte der Sachverständige zu der Feststellung, der Antragsteller sei nicht der Vater der Antragsgegnerin (Bl. 6 ff. der Akten des vorliegenden Verfahrens 4 F 335/12 AG Aschersleben = 8 UF 4/13 OLG Naumburg).

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2. Ausgehend von dem von ihm in Auftrag gegebenen Privatgutachten hat der Antragsteller am 30. August 2012 das vorliegende Vaterschaftsanfechtungsverfahren beim Familiengericht anhängig gemacht, in dem er die gerichtliche Feststellung begehrt, nicht der Vater der Antragsgegnerin zu sein (§§ 1600 ff. BGB; 4 F 335/12 AG Aschersleben = 8 UF 4/13 OLG Naumburg). Zur Wahrung der zweijährigen Vaterschaftsanfechtungsfrist (§ 1600b BGB) trägt der Antragsteller nunmehr vor, erst als ihm das Privatgutachten von Prof. Dr. habil. S. zugegangen sei, habe er Kenntnis von Tatsachen erhalten, welche die Annahme rechtfertigen, nicht der Vater der Antragsgegnerin zu sein.

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Auf der Grundlage des vom Antragsteller im vorangegangenen Verfahren nach § 1598a BGB eingeholten Privatgutachtens hat das Familiengericht dem Vaterschaftsanfechtungsantrag des Antragstellers mit einem am 04. Dezember 2012 verkündeten Beschluss entsprochen und die Feststellung getroffen, der Antragsteller sei nicht der Vater der Antragsgegnerin.

13

Gegen diese – ihr am 06. Dezember 2012 zugestellte – Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit der am 03. Januar 2013 beim Familiengericht eingelegten Beschwerde, die sie am 06. Februar 2013 begründet hat. Sie erhebt Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten: Abgesehen davon, dass es sich nicht um ein vom Familiengericht eingeholtes unparteiliches Gutachten, sondern lediglich um ein vom Antragsteller bezahltes Privatgutachten handele, habe man ihr, der Antragsgegnerin, keine „Blutprobe“ entnommen, da sie, die Antragsgegnerin, nicht in die Entnahme einer solchen Probe eingewilligt habe; die nicht hinreichend qualifizierte „Sachbearbeiterin“ des Gesundheitsamts S. Sch. habe bei ihr lediglich einen „Mundschleimhautabstrich“ vorgenommen. Von einer Probe ihrer (verstorbenen) Mutter habe man verfahrensfehlerhaft gänzlich abgesehen. Im Übrigen sei vor der angeblichen Probeentnahme beim Antragsteller dessen Identität nicht festgestellt worden.

II.

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Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin (§§ 58 ff. FamFG) ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet:

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1. Bei Abstammungsverfahren (§ 111 Nr. 3 FamFG) handelt es sich nicht um Familienstreitsachen (§ 112 FamFG), in denen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) verfahren werden kann (§ 113 FamFG) mit der Folge, dass vom Antragsteller behauptete Tatsachen, die von der Antragsgegnerseite nicht hinreichend bestritten werden, als zugestanden gelten könnten (§ 138 Abs. 1 bis 3 ZPO), sondern um Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, auf das die allgemeinen Vorschriften des Familienverfahrensgesetzes (§§ 1 ff. FamFG) Anwendung finden. Das Gericht hat also nach dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) zu verfahren, nach dem auch nicht hinreichend bestrittene Tatsachen einer Aufklärung von Amts wegen bedürfen. Dies gilt für die vom Antragsteller behauptete Wahrung der zweijährigen Vaterschaftsanfechtungsfrist (§ 1600b Abs. 1 BGB) ebenso wie für seine Behauptung, nicht der biologische Vater der während seiner Ehe mit der Mutter der Antragsgegnerin, H. R. geb. G., geborenen Antragsgegnerin zu sein (§ 171 Abs. 2 FamFG). Allerdings hat der Staat grundsätzlich – von der behördlichen Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB abgesehen – kein Interesse daran, eine wirksam begründete rechtliche Vaterschaft (hier: des Antragstellers) wieder zu beseitigen (NK-BGB/Gutzeit, Vor §§ 1591 – 1600d, Rn 36 m.w.N.). Dies bringt der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck, dass nur an die Feststellungslast des die Vaterschaft anfechtenden Antragstellers erhöhte Anforderungen gestellt werden. So „sollen“ in dem Vaterschaftsanfechtungsantrag des Antragstellers nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BGB nicht nur „Umstände angegeben werden, die gegen die Vaterschaft sprechen“, und es „soll“ der „Zeitpunkt, in dem diese Umstände bekannt wurden“, bezeichnet werden, um die Wahrung der Anfechtungsfrist überprüfen zu können (§ 171 Abs. 2 Satz 2 FamFG), sondern es dürfen von den Verfahrensbeteiligten nicht vorgebrachte Tatsachen vom Gericht lediglich dann berücksichtigt werden, wenn sie geeignet sind, dem „Fortbestand der Vaterschaft“ zu dienen, oder wenn „der die Vaterschaft anfechtende“ einer Berücksichtigung nicht vorgebrachter Tatsachen „nicht widerspricht“ (§ 177 Abs. 1 FamFG). Letzteres hat zur Folge, dass das Gericht für das Anfechtungsbegehren günstige Tatsachen, die von Amts wegen ermittelt wurden, nicht berücksichtigen darf, wenn sie zu dem in sich widerspruchsfreien Tatsachenvortrag des Anfechtenden in Widerspruch stehen (sog. eingeschränkter Amtsermittlungsgrundsatz; NK-BGB/Gut-zeit, Vor §§ 1591 – 1600d, Rn 36 unter Bezugnahme auf BGH, FamRZ 1990, 507, 508 m.w.N.).

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Demnach hat das Gericht zunächst die Schlüssigkeit des Vaterschaftsanfechtungsantrags zu prüfen; der Antragsteller soll Umstände vortragen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an seiner biologischen Vaterschaft zu wecken (hinreichender Anfangsverdacht), und er soll auch die Wahrung der zweijährigen Anfechtungsfrist (§ 1600b Abs. 1 BGB) nachvollziehbar und widerspruchsfrei darlegen (§ 171 Abs. 2 Satz 2 FamFG), anderenfalls sein Vaterschaftsanfechtungsantrag - nach erfolglosem gerichtlichem Versuch, auf hinreichende Angaben hinzuwirken (§ 28 Abs. 1 FamFG) - wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht (§ 27 Abs. 1 FamFG) als unzulässig (keine Wahrung der Anfechtungsfrist) oder als unbegründet (kein hinreichender Anfangsverdacht) abzuweisen ist (Stößer, FamRZ 2009, 923, 925). Erst wenn der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts genügt und zur Wahrung der Anfechtungsfrist sowie zum hinreichenden Anfangsverdacht schlüssig vorgetragen hat, hat das Gericht das Vorbringen zu überprüfen und den tatsächlichen Sachverhalt zu ermitteln (§ 26 FamFG). Insoweit unterliegt die Amtsermittlungspflicht – abweichend von der Auffassung des Familiengerichts – keinen (weiteren) Einschränkungen. Dies gilt – insbesondere – hinsichtlich der Überprüfung der Darstellung der Antragsgegnerseite. Wenn „nach Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel von Amts wegen“ noch Zweifel an der Einhaltung der Anfechtungsfrist verbleiben, gehen diese zu Lasten der übrigen Beteiligten des Vaterschaftsanfechtungsverfahrens, d.h. der Antragsgegnerseite; dann hat der Antragsgegner also die objektive Feststellungslast für die von ihm behauptete Nichteinhaltung der Anfechtungsfrist zu tragen (Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast, 2. Auflage, § 1600b Rn 2).

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2.a) Der Vortrag des Antragstellers zur Wahrung der zweijährigen Anfechtungsfrist (§ 1600b Abs. 1 BGB) sowie zu Zweifeln an seiner biologischen Vaterschaft (hinreichender Anfangsverdacht) ist schlüssig. Denn die Zweifel an seiner biologischen Vaterschaft ergeben sich aus dem von ihm eingeholten Privatgutachten von Prof. Dr. habil. S., und hinsichtlich der Wahrung der Vaterschaftsanfechtungsfrist (§ 1600b BGB) trägt der Antragsteller schlüssig vor, erst als ihm das Privatgutachten vom 09. August 2012 zugegangen sei, habe er Kenntnis von Tatsachen erhalten, welche die Annahme rechtfertigten, nicht der Vater der Antragsgegnerin zu sein. Ein Anfangsverdacht im Sinne von § 1600b Abs. 1 Satz 2 BGB kann über ein nach Maßgabe von § 1598a BGB eingeholtes Privatgutachten begründet werden (NK-BGB/Gutzeit, § 1600b Rn 6). Nach der Darstellung des Antragstellers ist die zweijährige Vaterschaftsanfechtungsfrist gewahrt; denn der Antragsteller hat seine rechtliche Vaterschaft innerhalb von zwei Jahren ab dem Zugang des Gutachtens vom 09. August 2012 - am 30. August 2012 - beim Familiengericht angefochten.

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b) Im Rahmen des – nunmehr uneingeschränkten – Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 26 FamFG) hat das Gericht die Angaben des Antragstellers zu überprüfen und in diesem Zusammenhang auch den Behauptungen der Antragsgegnerin nachzugehen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Vorbringen der Antragsgegnerin widerspruchsfrei und nachvollziehbar ist. Die gerichtliche Amtsermittlungspflicht bezieht sich auf die Überprüfung des Vorbringens des Antragstellers:

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aa) Im vorausgegangenen Verfahren nach § 1598a BGB hat die Antragsgegnerin zwar eingewendet, der Antragsteller habe die – für eine Vaterschaftsanfechtung maßgebende – zweijährige Anfechtungsfrist (§ 1600b BGB) nicht eingehalten, weil es bereits „Zeit ihres Lebens Zweifel an ihrer biologischen Abstammung“ gebe, wie sie mit dem – in Ablichtung zu den Akten gereichten – „handgeschriebenen Schriftstück“ des Antragstellers (Bl. 54 d.A.) beweisen könne. „Der Antragsteller und ihre Mutter“ hätten sie, die Antragsgegnerin, schon im Alter von sechs Monaten „weggegeben“, so dass sie bei ihrer Urgroßmutter aufgewachsen sei; außerdem habe eine „Kollegin ihrer Mutter“ ihr, der Antragsgegnerin, bereits bei einem Berufspraktikum im Jahre 1994 „ins Gesicht gesagt“, nicht die leibliche Tochter des Antragstellers zu sein.

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Nach § 1600b Abs. 1 Satz 2 BGB beginnt die Anfechtungsfrist allerdings erst dann, wenn der Anfechtende (Antragsteller) subjektiv eine „sichere Kenntnis“ von „Tatsachen“ hat, die auf Grund objektiver Beurteilung aus der Sicht eines verständigen Beobachters ernsthafte Zweifel an der Vaterschaft begründen und die Möglichkeit der Vaterschaft eines anderen Mannes als nicht ganz fern liegend erscheinen lassen. Bloße subjektive „Zweifel“ des Anfechtenden an seiner Vaterschaft genügen nicht, vielmehr muss der Anfechtende die „Gewissheit“ haben, dass Tatsachen wahr sind, die ernsthafte Zweifel an seiner Vaterschaft wecken (NK-BGB/Gutzeit, § 1600b Rn 4 m.w.N.).

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Nach Darstellung der Antragsgegnerin hat der Antragsteller vor dem Zugang des von ihm eingeholten Privatgutachtens keine solche „Gewissheit“, sondern lediglich „Zweifel“ gehabt; bloße „Zweifel“ des Anfechtenden setzten die zweijährige Anfechtungsfrist nicht in Lauf. Allein der Umstand, dass „der Antragsteller und die Mutter der Antragsgegnerin“ die Antragsgegnerin schon im Alter von sechs Monaten zur Urgroßmutter „weggegeben“ haben, sowie der weitere Umstand, dass eine „Kollegin der Mutter der Antragsgegnerin“ ihr, der Antragsgegnerin, bereits 1994 „ins Gesicht gesagt“ hat, nicht die leibliche Tochter des Antragstellers zu sein, mögen zwar darauf schließen lassen, dass die inzwischen verstorbene Mutter der Antragsgegnerin die „Gewissheit“ hatte, dass die Antragsgegnerin nicht vom Antragsteller, sondern von einem anderen Mann abstammt, auf eine „Gewissheit“ des Antragstellers lassen die besagten Umstände aber noch nicht schließen. Eine „Gewissheit“ des Antragstellers konnte vielmehr erst ab dem Zeitpunkt bestehen, an dem die Mutter der Antragsgegnerin ihr Wissen dem Antragsteller mitteilte, ihm gegenüber also ein „Geständnis“ abgab (vgl. NK-BGB/Gutzeit, § 1600b Rn 5). Für ein „Geständnis“ der Mutter der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, zumal der Antragsteller unwiderlegt vorträgt, der Mutter der Antragsgegnerin „in der Empfängniszeit … beigewohnt“ zu haben (Bl. 2 d.A.). Die Antragsgegnerin hat – auf eine entsprechende Verfügung des Senats – zwar das von ihr erwähnte „handgeschriebene Schriftstück“ des Antragsgegners vorgelegt, aus dem sich Einzelheiten zu „Zweifeln“ des Antragstellers an seiner biologischen Vaterschaft ergeben sollen. Das Schriftstück ist aber weder unterzeichnet noch mit einem Datum versehen, so dass sich auch dem Schriftstück keine „sichere Kenntnis“ des Antragstellers von Tatsachen entnehmen lässt, welche die Möglichkeit der Vaterschaft eines anderen Mannes als nicht ganz fernliegend erscheinen lassen. In Ermangelung eines Datums braucht der Senat der Frage nicht nachzugehen, ob sich aus dem Inhalt des Schriftstücks Anhaltspunkte für eine – damalige – „Gewissheit“ des Antragstellers hinsichtlich seiner fehlenden Vaterschaft ergeben. Die Amtsermittlung des Senats bleibt somit erfolglos, was den von der Antragsgegnerin behaupteten – früheren – Beginn der zweijährigen Anfechtungsfrist und deren Ablauf vor Einreichung des vorliegenden Vaterschaftsanfechtungsantrags des Antragstellers beim Familiengericht (30. August 2012) anbelangt. Da die Antragsgegnerin die objektive Feststellungslast für die von ihr behauptete Nichteinhaltung der zweijährigen Anfechtungsfrist zu tragen hat, ist – zu ihren Lasten – von der Einhaltung der Anfechtungsfrist durch den Antragsteller auszugehen.

22

bb) Allerdings sind die Einwendungen der Antragsgegnerin gegen die Verwertung des vom Antragsteller im vorausgegangenen Verfahren nach § 1598a BGB eingeholten Privatgutachtens von Prof. Dr. Habil. S. begründet:

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Nach § 177 Abs. 2 FamFG hat in Vaterschaftsanfechtungsverfahren (§ 169 Nr. 4 FamFG) eine förmliche Beweisaufnahme stattzufinden (§ 177 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Die Begutachtung kann zwar auch durch Verwertung eines von einem Verfahrensbeteiligten „mit Zustimmung der anderen Verfahrensbeteiligten“ eingeholten Privatgutachtens erfolgen; dies gilt aber nur, wenn (1) das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der im Gutachten getroffenen Feststellungen hegt und (2) die anderen Verfahrensbeteiligten auch der Verwertung des mit ihrer Zustimmung eingeholten Privatgutachtens „zustimmen“ (§ 177 Abs. 2 Satz 2 FamFG).

24

Vorliegend hat der Antragsteller zwar das von ihm nach Abschluss des vorausgegangenen Verfahrens nach § 1598a BGB eingeholte Privatgutachten vorgelegt, bei dem es sich um ein Privatgutachten im Sinne von § 177 Abs. 2 Satz 2 FamFG handelt (vgl. NK-BGB/Gutzeit, § 1598a Rn 11). Auch kann die Antragsgegnerin, nachdem sie im Verfahren nach § 1598a BGB zur Einwilligung in die Abstammungsuntersuchung sowie zur Duldung der Entnahme einer geeigneten Probe verpflichtet worden ist (im vorausgegangenen Verfahren ergangener Beschluss des Familiengerichts vom 07. Januar 2010), nicht mehr mit Erfolg einwenden, das Gutachten sei nicht „mit ihrer Zustimmung eingeholt“, denn die fehlende Zustimmung der Antragsgegnerin ist durch die gerichtliche Entscheidung im vorausgegangenen Verfahren nach § 1598a BGB „ersetzt“ worden.

25

Die „Zustimmung“ der Antragsgegnerin „zur Einholung“ des Privatgutachtens genügt aber nicht, um das Privatgutachten im vorliegenden Vaterschaftsanfechtungsverfahren verwerten zu können. Denn nach § 177 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist außerdem erforderlich, dass die anderen Verfahrensbeteiligten der „Verwertung“ des Privatgutachtens im Abstammungsverfahren „zustimmen“. D.h., die Antragsgegnerin muss im Verlaufe des vorliegenden Abstammungsverfahrens auch „zugestimmt“ haben, das vom Antragsteller eingeholte Privatgutachten zur Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung zu machen (vgl. zum Ganzen Münchener Kommentar/Coester-Waltjen/Hilbig, ZPO, 3. Auflage, § 177 FamFG Rn 11 ff., insb. Rn 15; ferner Keidel/Engelhardt, FamFG, 17. Auflage, § 178 Rn 8; Prütting/Helms, FamFG, 2. Auflage, § 177 Rn 10).

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An einer derartigen Zustimmung der Antragsgegnerin fehlt es. Eine „Zustimmung zur Verwertung“ des Privatgutachtens kann nämlich nicht stillschweigend erteilt werden, sondern es ist eine „ausdrückliche“ Abgabe einer Zustimmungserklärung notwendig; Schweigen eines Verfahrensbeteiligten gilt als „Verweigerung“ der Zustimmung, und eine Verweigerung bedarf keiner weiteren Begründung (Schulte-Bunert/Weinreich/Schönberg, FamFG, 3. Auflage, § 177 Rn 17).

27

Demzufolge durfte das Familiengericht das vom Antragsteller im vorausgegangenen Verfahren nach § 1598a BGB eingeholte Privatgutachten nicht im vorliegenden Abstammungsverfahren verwenden. Das Familiengericht hatte, da im vorliegenden Abstammungsverfahren eine förmliche Beweisaufnahme stattzufinden hat (§ 177 Abs. 2 Satz 1 FamFG), ein gerichtliches Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben und einzuholen.

28

Dies wird das Familiengericht nachzuholen haben.

III.

29

Wegen des Verfahrensfehlers ist die angefochtene Entscheidung – auf den Antrag des Antragstellers – aufzuheben und an das Familiengericht zurückzuverweisen (§ 69 Abs. 1 FamFG).

30

Der Beschwerdewert folgt aus § 47 FamGKG in Verbindung mit § 169 Nr. 4 FamFG.


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