Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 U 38/12

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 29. Februar 2012 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.500,00 EUR nebst Zinsen für das Jahr in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 4/7 und die Beklagte 3/7.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543 Abs. 1, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO abgesehen.

I.

2

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil des Landgerichts beruht auf Rechtsverletzungen, aus denen sich Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der ersten Instanz ergaben (§§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Im Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und der durchgeführten Beweisaufnahme hat der Kläger gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2, 3 Abs. 1, 4 Abs. 3 Satz 1 ProdHaftG. Der Kläger hat bewiesen (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 ProdHaftG), durch die im Geschäft der Beklagten erworbene fehlerhafte Tischfeuerstelle eines nicht festzustellenden Herstellers an Körper und Gesundheit verletzt worden zu sein. Hierfür ist er gemäß § 8 Satz 2 ProdHaftG und § 253 BGB durch ein Schmerzensgeld von 4.500,00 EUR nebst den nach §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1 BGB angefallenen Verzugszinsen zu entschädigen. Einen weitergehenden, auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten gerichteten Schadensersatzanspruch hat der Kläger allerdings schon deshalb nicht, weil er das Erleiden eines solchen Schadens nicht dargelegt und bewiesen hat. Für die Kosten der Rechtsverfolgung des Klägers kam vielmehr eine Rechtsschutzversicherung auf.

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1. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil sich der Einzelrichter nicht von der Richtigkeit der Aussage der Ehefrau des Klägers überzeugen konnte, sie habe die Tischfeuerstelle mit einem Zettel erworben, nach dem der Kaufgegenstand mit Bioethanol habe betrieben werden können. Es sei ebenso möglich, dass der Kläger Bioethanol in eine ausschließlich zum Betrieb mit Brennpaste freigegebene Tischfeuerstelle gegeben habe. Wenn es keine Bedienungsanleitung gäbe, hätte der Kläger die Feuerstelle grob fahrlässig „einfach so“ mit Bioethanol befüllt, weil er gemeint habe, er könne mit dem Produkt so verfahren, wie er das von seiner im Jahr 2005 erworbenen Ethanolsäule kenne.

4

Dies begegnet unter mehreren Gesichtspunkten durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5

a) Zu Recht rügt die Berufung die Beweiswürdigung als fehlerhaft. Unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO berücksichtigt und würdigt das Landgericht das Ergebnis seiner Beweisaufnahme und mündlichen Verhandlung nur unvollständig und zieht, auch aus dem späten Bestreiten des Inhalts der E-Mail der Beklagten vom 20. 7. 2009 durch den Kläger, Schlüsse, die nicht den Gesetzen der Logik und der Lebenserfahrung folgen.

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Zwischen der von der Beklagten in der E-Mail vom 20. 7. 2009 behaupten Lüge des Klägers, dem Zeitpunkt des Bestreitens dieser Behauptung im Prozess durch den Kläger und der Aussage der Zeugin T., ein der Feuerstelle beiliegender Zettel habe auf die Verwendbarkeit von Bioethanol hingewiesen, besteht kein Zusammenhang, der für oder gegen die Richtigkeit der Bekundungen der Zeugin in Erwägung gezogen werden kann. Hat der Kläger vorprozessual der Beklagten gegenüber tatsächlich behauptet, die Bedienungsanleitung der Feuerstelle befinde sich im Büro seines Rechtsanwalts, kann hieraus nur dann etwas für die Unwahrheit der Aussage der Zeugin gewonnen werden, wenn die behauptete Erklärung des Klägers gestimmt, er also nicht gelogen und die Zeugin damit das Vorliegen einer Bedienungsanleitung verschwiegen hätte. Gerade dies stellt das Landgericht aber nicht fest, sondern lässt diesen Umstand (mehr oder weniger) unentschieden. In Bezug auf die negative Tatsache des Nichtvorliegens einer Bedienungsanleitung hat die Beklagte in erster Instanz nicht einmal behauptet, der Tischfeuerstelle hätten Instruktionen beigelegen. Der Kläger könnte zudem damals möglicherweise sogar den Zettel gemeint haben, den die Zeugin nach ihrer Aussage vorfand und der die Verwendung von Bioethanol ausdrücklich hervorgehoben haben soll. Was das Prozessverhalten des Klägers mit der Aussage der Zeugin zu tun hat, erschließt sich ebenso wenig. Der Kläger hatte dem Landgericht darüber hinaus hinreichend dargelegt, warum es zu dem vermeintlich späten Bestreiten, damals gelogen bzw. sich zu einer Bedienungsanleitung geäußert zu haben, kam. Grundsätzlich darf jede Partei bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ihr Vorbringen ändern, auch Unstreitiges nunmehr streitig stellen. Ihr droht in der Regel nur die Präklusion durch Verspätung (PG/Prütting, ZPO, 5. Aufl., § 138 Rdn. 14). Auch der übliche Gebrauch von Sicherheits- und Gebrauchshinweisen im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Feuerstellen eignet sich nicht für Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin. Zunächst hat die Zeugin gerade einen solchen Hinweis bekundet. Außerdem kommen erfahrungsgemäß in allen Bereichen des täglichen Lebens Nachlässigkeiten vor, die auch zum Fehlen notwendiger Begleitpapiere führen (können). Warum das ausgerechnet in einem Groschenmarkt anders sein soll, legt das Landgericht nicht dar. Das mögliche Verlorengehen der Gebrauchsanweisung während des Anbietens der Ware zieht der Einzelrichter fehlerhaft ebenfalls nicht in Erwägung. Dies lag umso näher, als die Zeugin T. ausgesagt hat, sie habe die letzte der angebotenen Tischfeuerstellen gekauft. Das Produkt habe sich im unverpackten Zustand befunden.

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b) Gleichfalls bleibt die materielle Rechtsanwendung des Landgerichts lückenhaft. Für einen Fehler des Produktes kommt es nicht ausschließlich auf dessen Verkauf als „Bioethanol-Tischfeuerstelle“ an. Auch der Gebrauch, mit dem billigerweise zu rechnen ist, bestimmt die an die Produktsicherheit zu stellenden Anforderungen (§ 3 Abs. 1 ProdHaftG), zumindest was die Darbietung betrifft. Der Hersteller muss nicht ganz fern liegende Fehlanwendungen und nahe liegende Missbräuche bei seinen Gebrauchshinweisen berücksichtigen. Das Fehlen des die Benutzung von Bioethanol zulassenden Zettels macht nicht die Gebrauchsanweisung entbehrlich, die auf Gefahren hinweist und erklärt, wie die Tischfeuerstelle gefahrlos zu verwenden ist. Dem hat sich das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht zugewandt.

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2. Die Tischfeuerstelle des Klägers ist als Produkt i.S.v. § 2 ProdHaftG mit einem Fehler nach §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 ProdHaftG behaftet. Sie bietet in Konstruktion und Darbietung nicht die Sicherheit, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann.

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Nach dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. F. vom 27. 8. 2013, das der Sachverständige dem Senat nochmals mündlich erläutert hat, führt die Konstruktion der in Augenschein genommenen Tischfeuerstelle zwangsläufig zu dem vom Kläger beschriebenen Schadenshergang. Die Feuerstelle besteht aus einem Übertopf, in den ein Brenngefäß eingebracht wird, das mit dem Übertopf nicht fest verbunden ist. Gerät beim Eingießen von flüssigem Brennstoff, wie Ethanol, etwas daneben, kann die Flüssigkeit ungehindert in den Übertopf laufen. Durch die sich dort nach dem Entzünden des Brenngefäßes entwickelnden Temperaturen verdunstet das fehlgeleitete Ethanol im Übertopf und bildet mit der über ein kleines Loch einströmenden Luft ein explosives Gemisch, das infolge der im weiteren Brennvorgang steigenden Temperatur des Brenngefäßes mit Erreichen der Zündtemperatur verpufft und dabei, gleich dem Prinzip des Verbrennungsmotors, das Brenngefäß aus dem Übertopf schleudert, womit sich das brennende Restethanol auf die Umgebung ergießt. Dieses auch von den gehörten Zeugen bekundete Geschehen konnte vom Sachverständigen experimentell nachweisen werden. Nachdem der Senat den hierzu gefertigten Film in Augenschein genommen hat, ist er von der Gefährlichkeit des Produktes überzeugt.

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Mit dem Sachverständigen sieht der Senat das Sicherheitsdefizit zunächst in der Konstruktion des Produktes. Wie bereits oben angedeutet, muss der Hersteller einen schlichten Fehlgebrauch, mit dem zu rechnen ist, berücksichtigen (§ 3 Abs. 1 Bst. b) ProdHaftG). Nach den Feststellungen des Sachverständigen im am 23. 5. 2013 mündlich erstatteten Teil seines Gutachtens lässt das äußere Erscheinungsbild der Tischfeuerstelle, insbesondere ihre wahrnehmbare Konstruktion keine Beschränkung des Brennstoffs auf Brennpaste und damit keine aus der Verwendung von Bioethanol folgende Gefahr erkennen. Wird größtmögliche Sorgfalt an den Tag gelegt, also keine Flüssigkeit verschüttet, die in den Übertopf gelangen kann, ist die Tischfeuerstelle problemlos mit Ethanol zu betreiben.

11

Wenn das Landgericht ausführt, der Kläger habe „einfach so“ Bioethanol verwendet, dann gereicht das nicht selbstverständlich dem Kläger zum Verschulden, sondern der Hersteller musste genau dieses nicht fern liegende Nutzungsverhalten in Betracht ziehen und ihm bei der Produktgestaltung Rechnung tragen. Dazu gehört auch das versehentliche Verschütten von brennbarer Flüssigkeit und deren Eindringen in den Übertopf. Für die Erkennbarkeit kommt es auf das objektiv zugängliche Gefahrenwissen an (BGH NJW 2009, 2952, 2954), das insoweit bei einem Hersteller vorliegen musste. So hat der Sachverständige festgestellt, die mittlerweile große Anzahl derartiger Feuerstellen sei mit Sicherheitshinweisen ausgestattet, die ein Verschütten des Brennstoffes in Betracht zögen. Es liege also eindeutig eine vorhersehbare Fehlanwendung vor.

12

Es hätte nach den Feststellungen des Sachverständigen durchaus auch die Möglichkeit bestanden, konstruktiv Abhilfe zu schaffen, insbesondere Brenngefäß und Übertopf fest und flüssigkeitsundurchlässig zu verbinden. Natürlich hätte dies Einfluss auf den Preis gehabt und die Feuerstelle wäre nicht für etwas mehr als einen Euro zu erwerben gewesen. Doch selbst bei einem solchen geringen Preis darf die Konstruktion nicht derart gefährlich sein. Auch Billigprodukte müssen eine gewisse Basssicherheit aufweisen (Erman/Schiemann, BGB, 13. Aufl., § 3 ProdHaftG Rdn. 7).

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Es kann offen bleiben, ob das Produkt ausdrücklich mit dem Hinweis auf die Verwendung von Bioethanol verkauft wurde. Seine Darbietung war jedenfalls nicht geeignet, die sich bei nahe liegender Fehlanwendung aus der Konstruktion ergebende Gefährlichkeit zu kompensieren. Eine Instruktion/Warnung war der Tischfeuerstelle nicht beigefügt. Selbst wenn der Kläger seine Behauptung nicht beweisen kann, ein „Waschzettel“ habe die Nutzung von Bioethanol erlaubt, bedeutet das nicht, eine das Gegenteil enthaltende Gebrauchsanweisung sei der Feuerstelle beigelegt gewesen.

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Letzteres behauptet die Beklagte auch erst im Berufungsrechtszug, allerdings lediglich im Zusammenhang mit der Erkennbarkeit des Herstellers. Hierbei handelt es sich um ein neues Verteidigungsmittel, das nur unter den Voraussetzungen der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen ist. Der Zulassung steht die Nachlässigkeit der Beklagten entgegen. Die Beklagte hatte schon in erster Instanz genügend Anlass, sich auf das Vorliegen einer Bedienungsanleitung zu berufen. Mehrfach hat sie vor dem Landgericht die Bedienungsanleitung thematisiert, ohne allerdings ausdrücklich zu bestreiten, dass dem Kläger eine solche nicht zur Verfügung stand. Auch jetzt liegen ihr keine anderen Erkenntnisse vor und die Beklagte hebt ausdrücklich hervor, sich zur Darbietung der Feuerstelle aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr äußern zu können. Genaueres wäre aber beim Hersteller in Erfahrung zu bringen, den die Beklagte im Dezember 2010 benennen konnte. Nachlässig handelt die Partei nicht bloß, wenn sie ihr bereits bekannte Tatsachen nicht vorträgt, sondern auch dann, wenn sie ihr mögliche und zumutbare Tatsachen nicht ermittelt (PG/Oberheim, § 531 Rdn. 11).

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Außerdem hat die Zeugin T. glaubhaft bekundet, sie habe eine weitergehende Gebrauchsanweisung nicht vorgefunden.

16

Der Hersteller muss den Verwender jedoch auf Gefahren hinweisen, die sich selbst bei einwandfreier Herstellung aus der Verwendung der Sache ergeben. Auch die Warnpflicht erstreckt sich nicht nur auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Produkts, sondern ebenso auf einen innerhalb des allgemeinen Verwendungszwecks nahe liegenden und für den Hersteller erkennbaren Fehlgebrauch, wobei besonders strenge Maßstäbe dort anzulegen sind, wo Körper- und Gesundheitsschäden drohen (BGH NJW 1992, 560 f.; 1999, 2815 f.; 2009, 2952). Verhinderte die Konstruktion nicht das Eindringen flüssigen Brennstoffes in den Übertopf und führte sie in diesem Fall sogar zwangsläufig zur Ausbildung eines explosiven Gemisches, das den Brennbehälter in ein Geschoss verwandelte, musste der Hersteller der Gefahr begegnen und vor diesem Effekt und ggf. vor der Verwendung flüssiger Brennstoffe oder den damit verbundenen Gefahren warnen. Eine Warnung ist schon dann auszusprechen, wenn ein ernst zu nehmender Verdacht auf drohende Gesundheitsschäden besteht (BGH NJW 2009, 2952, 2955). Hieran hätte sich der Kläger vermutlich gehalten (BGH NJW 1992, 560, 562; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. 6. 2012, 14 U 248/99 - zitiert in juris Rdn. 52 m.w.N.).

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Der Sachverständige hat zur Instruktion der Verwender in Bezug auf die vorliegende Feuerstelle sogar festgestellt, dass die für den Ethanolbetrieb typischerweise gegebenen Produktsicherheitshinweise der Hersteller nicht einmal ausgereicht hätten, um den berechtigten Sicherheitserwartungen zu entsprechen. Da das Ethanol im Falle des Verschüttens unbemerkt in den Übertopf gelangen könne, genüge es nicht, den Verwender vor dem Anzünden auf ein notwendiges Abtrocknen des Produktes zu orientieren. Man sehe bei der vorliegenden Tischfeuerstelle keine Flüssigkeit mehr und wiege sich in Sicherheit, weil es bis zur Explosion je nach der Menge des Ethanols im Brenngefäß einige Zeit dauere. Möge der Nutzer, der Brennstoff verschüttet habe, im ersten Moment noch misstrauisch sein, habe er voraussichtlich bis zum Herausschleudern des brennenden Gefäßes sämtliche Sicherheitsvorkehrungen bereits wieder aufgehoben. Das mache, so der Sachverständige, die besondere Gefährlichkeit der Konstruktion aus.

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Nach den Feststellungen des Sachverständigen gab es zur Zeit der Herstellung der Tischfeuerstelle noch keine speziellen Sicherheitsvorschriften. Die DIN 4734 Teil 1 „Dekorative Ethanolfeuerstellen“ stamme aus dem Jahr 2011. Dennoch durfte auch im Jahr 2006 kein derart gefährliches Produkt auf den Markt gebracht werden, was nicht zuletzt in § 4 Abs. 2 des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes vom 6. 1. 2004 (jetzt § 3 Abs. 2 ProdSG - vgl. Art. 37 des Gesetzes über die Neuordnung des Geräte- und Produktsicherheitsrechts vom 8. 11. 2011 ) zum Ausdruck kam.

19

3. Durch das fehlerhafte Produkt wurde der Kläger an seiner Gesundheit verletzt.

20

Die vom Senat vernommenen Zeugen haben übereinstimmend geschildert, dass die Zeugin T. die Feuerstelle auf dem Gartentisch platzierte und in Betrieb nahm. Nach 30 bis 45 Minuten sei dann der Brennbehälter heraus- und auf den Kläger geschleudert worden, der in Brand geraten sei. Dass dies für den Kläger nicht ohne Verletzungen ausgegangen sein kann, liegt auf der Hand. So hat der Kläger dem Senat glaubhaft geschildert, eine 20 x 20 cm große Brandwunde auf dem Bauch davon getragen zu haben. Außerdem habe er Verbrennungen am Ohr, der Nase und am Bein erlitten. Seine Haare seien versengt gewesen. Dieses Verletzungsbild wird durch die Anlagen K6 und K7 unterstrichen und sieht sich durch den Arztbrief vom 15. 6. 2009 (Anlage K4) sowie den durch die Zeugen geschilderten Unfallhergang bestätigt.

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Wenn die Beklagte auf die Aussage der Zeugin T. verweist, sich sicher zu sein, nichts verschüttet zu haben, schließt dies die Ursächlichkeit des Produktfehlers nicht aus. Die Gefährlichkeit der Feuerstelle besteht gerade darin, den Nutzer in Sicherheit zu wiegen. Das Verschütten muss die Zeugin nicht bemerkt haben, weil das daneben geratene Ethanol im sichtbaren Bereich vielleicht schnell verdunstet war. Jedenfalls kann das Schadensereignis nur auf einer solchen Fehlanwendung beruhen, weil eine andere Ursache nicht in Betracht kommt. Diese Sicht des Senats hat der Sachverständige ausdrücklich bestätigt, wobei er darauf hingewiesen hat, dass schon kleine Mengen für die Explosion ausreichen. Zum Herausschleudern des Brenngefäßes in ein Meter Höhe würde schon 1 ml Ethanol genügen.

22

4. Ein Mitverschulden des Klägers hat zur Überzeugung des Senats nicht zur Entstehung des Schadens beigetragen (§ 6 Abs. 1 BGB). Nach den Feststellungen des Sachverständigen bot die Feuerstelle ohne gegenteilige Instruktion keinen Anlass, von der Verwendung eines flüssigen Brennstoffes abzusehen.

23

5. Der Schadensersatzanspruch richtet sich gegen den Hersteller. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 ProdHaftG tritt an dessen Stelle die Beklagte als Lieferantin, weil sich der Hersteller nicht feststellen ließ.

24

Nach den Bekundungen der Zeugin T. hat sie die Tischfeuerstelle in der Gartenabteilung des Groschenmarktes der Beklagten erworben. Das zieht die Beklagte im Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens wohl auch nicht mehr ernsthaft in Zweifel. Der Senat hat jedenfalls keinen Grund, der Zeugin T. dies nicht zu glauben.

25

Der Geschädigte hat die Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen, die die Eigenschaft des Lieferanten als Hersteller des Produkts i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 ProdHaftG begründen (BGH NJW 2005, 2695, 2696 m.w.N.). Das Landgericht hat zum nicht festzustellenden Hersteller ausgeführt, schon das Fehlen von Herstellerhinweisen auf dem Produkt eröffne die Ausfallhaftung des Lieferanten. Die streitgegenständliche Feuerstelle offenbare den Hersteller nicht. Nach den Bekundungen der Zeugin T. habe das Produkt zum Zeitpunkt des Kaufs keinen Hinweis auf den Hersteller geliefert. Auch die Beklagte behaupte einen solchen Hinweis nicht. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

26

Die nicht fristgerechte Erfüllung ihrer Obliegenheit, dem Geschädigten den Hersteller mitzuteilen, führte zur Haftung der Beklagten, ohne dass die spätere Benennung des Herstellers hieran noch etwas ändern konnte (Wagner, in: MünchKomm.-BGB, 5. Aufl., § 4 ProdHaftG Rdn. 45 f.). Nach § 4 Abs. 3 ProdHaftG kann der Erwerber eines nicht hinreichend gekennzeichneten Produktes seine Nachforschungen darauf beschränken, von seinem Lieferanten Auskunft über die Person des Herstellers zu verlangen; wird der Händler darum ersucht, darf er den Geschädigten nicht auf andere Aufklärungsmöglichkeiten verweisen (Wagner, § 4 ProdHaftG Rdn. 36 m.w.N.). Schließlich soll der Lieferant dazu angehalten werden, nur Produkte ihm bekannter Hersteller zu vermarkten. Ferner ist ein Auskunftsbedürfnis schon dann anzuerkennen, wenn die Angaben auf dem Produkt nur vage sind (BGH a.a.O.). Erst Recht muss dies dann gelten, wenn sich - wie hier - auf dem Produkt keinerlei Herstellerangaben befinden. Es besteht nur dann kein Bedürfnis, vom Händler Auskunft zu erhalten, wenn auf dem Produkt der Hersteller eindeutig gekennzeichnet ist (Molitoris/Klindt NJW 2008, 1203, 1206 m.w.N.). Gerade die hier mit der Ermittlung des Herstellers verbundenen Schwierigkeiten veranlassten sogar die Beklagte, die Monatsfrist des § 4 Abs. 3 Satz 1 ProdHaftG als zu kurz zu beanstanden. Wie sollte also der Kläger ohne die Hilfe der Beklagten an den Hersteller gelangen?

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Die Konkretheit des Auskunftsverlangens des Klägers unterliegt keinen Bedenken. Die Beklagte war im Ergebnis in der Lage, den Hersteller mitzuteilen. Wieso das nicht früher zu bewerkstelligen war, ist nicht ersichtlich.

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Die in zweiter Instanz aufgestellte Behauptung, der Hersteller sei der Bedienungsanleitung zu entnehmen gewesen, ist nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen.

29

6. Gemäß § 8 Satz 2 ProdHaftG und § 253 BGB kann der Kläger für die erlittene Körper- und Gesundheitsverletzung ein angemessenes Schmerzensgeld beanspruchen, dessen Höhe der Senat auf 4.500,00 EUR schätzt (§ 287 Abs. 1 ZPO).

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Für den durch das Schmerzensgeld zu gewährenden Ausgleich sind alle Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. In erster Linie kommt es auf die Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen sowie die Dauer der stationären Behandlung an. Das Schmerzensgeld muss in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzungen stehen. Danach erweisen sich die Vorstellungen des Klägers, ihm stünden mindestens 10.000,00 EUR zu, als stark überzogen.

31

Die Verletzungen des Klägers sind (glücklicherweise) nicht all zu schwer. Unstreitig erlitt er Verbrennungen II. Grades im Gesicht, am Ohr sowie auf dem Bauch. Der Senat hält es auch für glaubhaft, wenn der Kläger bei seiner Anhörung angegeben hat, die Nase und das Bein seien betroffen gewesen und das Feuer habe die Haare versengt. Der Kläger befand sich drei Tage in stationärer Behandlung, deren Ursache nach dem Arztbrief vom 15. 6. 2009 die Verbrennung der Thoraxwand ventral Grad II war. Es ist dem Kläger vor diesem Hintergrund uneingeschränkt zu glauben, dass er im Zeitraum vom 16. bis 27. 6. 2009 Schmerzen hatte. Für die vom Kläger vor dem Senat beklagte Traumatisierung gibt es allerdings keinerlei Anhaltspunkte. Der Kläger macht keinen traumatisierten Eindruck. Der Senat interpretiert diese Aussage des Klägers auch eher als Hinweis auf den erheblichen Schreck, den der Kläger bekommen, und die Angst, die er gehabt haben muss, als sich plötzlich das brennende Ethanol auf ihn ergoss und er in Brand geriet. Dies ist natürlich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes erhöhend zu berücksichtigten. Gleichwohl vermag der Senat - auch mit Blick auf in anderen Fällen zugesprochene Schmerzensgeldbeträge - nicht mehr als 4.500,00 EUR zum immateriellen Ausgleich für notwendig zu halten, zumal die in der Klageschrift erwähnte Narbenbildung nach der Äußerung des Klägers vor dem Senat nicht eingetreten ist. Der Kläger hat während seiner Anhörung am 23. 5. 2013 erklärt, es seien keine äußeren Folgen verblieben.

32

Für die erheblichen Brandverletzungen eines Kindes durch ein mangelhaftes Dosierventil einer Brennpasteflasche hat das OLG Hamm ein Schmerzensgeld von 50.000,00 EUR zugesprochen (Urteil vom 21. 12. 2010, 21 U 14/08 - BeckRS 2011, 01327). Schwerwiegende Verbrennungen durch einen Feuerwerkskörper veranlassten das OLG Jena zu einem Schmerzensgeld von 15.000,00 EUR (NJW-RR 2008, 831). Diese Fälle sind mit dem vorliegenden nicht ansatzweise vergleichbar. Nach der vom Senat bereits erwähnten Entscheidung des OLG Brandenburg vom 28. 9. 2004 (1 U 14/04 - BeckRS 2005, 00763) rechtfertigen Verbrennungen durch UV-Strahlen auf 90 % der Hautoberfläche, davon 30 % der Fläche II. Grades mit Blasenbildung, bei einwöchigen Schmerzen und einem weiteren stationären Aufenthalt allenfalls ein Schmerzensgeld von 6.000,00 EUR. Auch dem entspricht der Fall des Klägers in der Schwere eher nicht. Der Kläger wurde aber schwerer verletzt, als die Geschädigten in den Fällen das AG Frankfurt a.M. (1.500,00 DM für eine Verbrennung II. Grades am rechten Schlüsselbein in der Größe eines Fünfmarkstücks durch einen missbräuchlich verschossenen Feuerwerkskörper mit Narbenbildung - NJWE-VHR 1998, 24) und des OLG Celle (1.800,00 EUR für Verbrennungen II. Grades an der Hand durch den Dampfausströmer einer Sauna mit vierwöchiger Arbeitsunfähigkeit unter Annahme eines Mitverschuldens von ¼ - Urteil vom 17. 6. 2010, 8 U 25/10 - BeckRS 2010, 16904). Danach ist das Schmerzensgeld zwischen 2.000,00 EUR und 5.000,00 EUR anzusiedeln und erscheint unter Berücksichtigung aller Umstände mit 4.500,00 EUR angemessen.

33

7. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1 BGB.

34

Die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten kann der Kläger nicht beanspruchen. Die Beklagte bestritt schon in erster Instanz die Abrechnung und Bezahlung des Anwaltshonorars. Auf den dahingehenden Hinweis des Senats hat der Kläger zu beidem nicht näher vorgetragen und keinen Beweis angetreten. Es ist danach kein Schaden dargelegt, was den Senat angesichts der Tatsache, dass die Auslagenvorschüsse des Klägers von einem Rechtsschutzversicherer getragen wurden, nicht überrascht.

II.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

36

Der Streitwert ist nach §§ 47 Abs. 1, 40, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; § 3 ZPO festgesetzt.


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