Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (5. Zivilsenat) - 5 U 49/12

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 23. März 2012 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages leistet.

Gründe

I.

1

Die Beklagte ist ein bundesweit tätiger Anbieter von Mobilfunkdienstleistungen. Die Klägerin vermittelt an Verbraucher Mobilfunkverträge mit der Beklagten.

2

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Provisionen aus einer Leistungspartnervereinbarung, einer Jahreszielvereinbarung und aus einer Vereinbarung über Marketing-Werbekostenzuschüsse.

3

Die Rechtsvorgänger der Parteien schlossen am 24. Oktober/15. November 2001 einen Händler- und Vermittlervertrag. In dem Vertrag verpflichtete sich der Rechtsvorgänger der Klägerin (im Folgenden vereinfacht: Klägerin), Mobilfunkverträge für die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden vereinfacht: Beklagte) zu vermitteln. Die Beklagte verpflichtete sich, die Vermittlungen der Klägerin wie folgt zu vergüten:

4

„Für die Vermittlung von Telekommunikationsdiensten von … (der Beklagten) … und die damit verbundene Beratungs- und Betreuungsleistung erhält der Händler (scil.: die Klägerin) eine Vergütung. … Die Vergütung ist u. a. abhängig von der Entwicklung der Konditionen der Netzbetreiber und der Gesamtmarktentwicklung. Sie kann von … (der Beklagten) … der Gesamtmarktentwicklung und den sich ändernden Konditionen der Netzbetreiber angepasst werden, wobei … (die Beklagte) … die berechtigten Interessen des … Partners wahren wird.“

5

Ab dem Jahr 2004 schlossen die Parteien darüber hinaus jährlich sogenannte Leistungspartner- und Kooperationsverträge (im Folgenden: Leistungspartnerverträge). Diese Leistungspartnerverträge verpflichteten die Beklagte zur Zahlung weiterer Provisionen. Derartige Leistungspartnerverträge schließt die Beklagte nur mit sehr wenigen ihrer Vertriebspartner, nämlich denjenigen, die sie als besonderes qualifiziert und herausragend erachtet. Voraussetzung der Rechtswirksamkeit der Leistungspartnerverträge war stets das Bestehen eines wirksamen Händler- und Vermittlungsvertrages; dies gilt auch für die mit der Klägerin geschlossenen Leistungspartnerverträge.

6

Die Leistungspartnerverträge der Jahre 2004, 2005 und 2006 sahen keine bestimmte Laufzeit vor. Der Leistungspartnervertrag vom 28. Januar / 5. Februar 2007 vereinbarte eine feste Laufzeit bis zum 29. Februar 2008.

7

Der nachfolgende Leistungspartnervertrag vom 21./29. April 2008 (im Folgenden: „alte“ Leistungspartnervereinbarung) regelte für die Klägerin die auf Blatt 49 der Gerichtsakte niedergelegten Pflichten des Leistungspartners. Insbesondere verpflichtete sich die Klägerin, kein Distributionsgeschäft zu betreiben. Ferner enthielt die alte Leistungspartnervereinbarung unter anderem die folgenden Regelungen:

8

„Laufzeit und Kündigung

Diese Vereinbarung endet automatisch mit Beendigung des …. Händlervertrages. Diese Vereinbarung ersetzt das bisher gültige Leistungspartner-Programm. Diese Vereinbarung ist gültig bis zum 29.02.2009.

Provisionen und Konditionen

Es gilt das jeweils zum Zeitpunkt des Endkundenvertrags gültige Handelsprovisionsmodell für Mobilfunkprodukte inklusive Staffel- und Zielerreichungsboni. Zuzüglich erhält der Leistungspartner Zusatzboni und Sonderkonditionen laut der jeweils zum Berechnungszeitraum gültigen Provisions-, Bonus- und Zahlungssondervereinbarung für Leistungspartner. Die zurzeit gültigen Bedingungen befinden sich in der Anlage.“

9

Die der Leistungspartnervereinbarung beigefügte Anlage sah unter anderem die Verteilung von Flyern, einen Marketingkostenzuschuss und einen Qualitätsbonus von 10 Euro für die Vermittlung von Mobilfunkkarten vor.

10

Mit Schreiben vom 16. Juli 2009 erklärte die Beklagte gegenüber allen Leistungspartnern, dass sie das Leistungspartner-Programm bis zum 28. Februar 2010 verlängere. Mit weiterem Schreiben vom 28. Dezember 2009 kündigte die Beklagte - auch gegenüber der Klägerin - ein neues Leistungspartnerprogramm an und erklärte, das alte Programm werde, um eine quartalsweise Umstellung sicherzustellen, um einen Monat bis zum 31. März 2010 verlängert. Sie erklärte weiter:

11

„Das neue Leistungspartnerprogramm beginnt dann ab dem 01.04.2010 bis zum 31.03.2011. Ihre dazugehörige Leistungspartnervereinbarung senden wir Ihnen Anfang 2010 zu.“

12

Die Parteien schlossen in den Jahren 2004 bis 2009 darüber hinaus Jahresvereinbarungen. In diesen Jahresvereinbarungen verpflichtete sich die Beklagte, an die Klägerin weitere Boni zu leisten, und zwar einen Jahresbonus, einen Qualitätsbonus und einen Marketingkostenzuschuss statt Flyer. Letzterer wurde in zwei weiteren Vereinbarungen vom 16. März und 7. Juli 2009 auf 11,50 Euro pro Punkt festgelegt. Wie sich die jeweiligen Punkte errechnen, regelten die beiden Vereinbarungen dann im Einzelnen.

13

Die Beklagte übersandte der Klägerin Anfang 2010 die neue Leistungspartnervereinbarung. Die Klägerin war mit den dort vorgesehenen Veränderungen - die Provisionen sollten herabgesetzt werden - nicht einverstanden. Die Parteien verhandelten über den Vertragsinhalt. Unter anderem verhandelten die Parteien am 12. Juli 2010 in einem persönlichen Gespräch sowohl über die Jahreszielvereinbarung 2010 als auch über eine ab dem 1. April 2010 geltende Vertriebspartnervereinbarung. Die Parteien einigten sich auch in der Folgezeit nicht. Die Klägerin unterzeichnete die Leistungspartnervereinbarung bis heute nicht.

14

Am 3. Mai 2010 rechnete die Beklagte die der Klägerin für den Zeitraum 23. bis 30. April 2010 und am 1. Juni 2010 die der Klägerin für den Zeitraum 23. bis 31. Mai 2010 zustehenden Provisionen ab. In beiden Fällen ermittelte und zahlte sie der Klägerin auch die sich aus der „alten“ Leistungspartnervereinbarung ergebenden Qualitätsboni.

15

Am 22. März 2011 schickte die Beklagte allen Leistungspartnern, auch der Klägerin, eine Leistungspartner-Information. Mit Schreiben vom 27. Mai 2011 kündigte die Beklagte die Leistungspartnervereinbarung, die Jahreszielvereinbarung 2009 und die Vereinbarung über die Marketing-Werbekostenzuschüsse.

16

Die Klägerin verlangt mit der Klage die auf Seite 4 des landgerichtlichen Urteils im Einzelnen aufgeschlüsselten Beträge für den Qualitätsbonus von 10 Euro pro Karte, für den Marketingkostenzuschuss statt Flyer und den Qualitätsbonus des Jahres 2010 aus der Jahreszielvereinbarung 2009….

17

Das Landgericht hat der Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme vollumfänglich stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der „alte“ Leistungspartnervertrag gelte über den 31. März 2010 hinaus fort. Das folge aus § 89 Abs. 3 Satz 1 HGB. Die Parteien hätten den Vertrag fortgesetzt. Die Klägerin habe der Beklagten weiterhin Kunden vermittelt. Die Beklagte habe mit diesen Kunden Mobilfunkverträge abschließen wollen und dies der Klägerin bestätigt. Überdies habe die Beklagte der Klägerin für die Monate April und Mai 2010 die ihr nach dem „alten“ Leistungspartnervertrag zustehenden Zusatzprovisionen gezahlt. Ihre Behauptung, dies sei irrtümlich geschehen, sei unbeachtlich, weil der Irrtum für die Klägerin nicht erkennbar gewesen sei. Auch habe die Beklagte die Klägerin in ihrem Internetauftritt weiterhin als Leistungspartnerin bezeichnet. Der alte Vertrag sei mithin auf unbestimmte Zeit verlängert worden. Die von der Beklagten angebotene neue Leistungspartnervereinbarung habe die Klägerin nicht angenommen.

18

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie wie folgt begründet:

19

Der Leistungspartnervertrag sei rechtlich selbständig, nur seine Wirksamkeit sei an das Bestehen des Händler- und Vermittlungsvertrages geknüpft. Der Händler- und Vermittlungsvertrag habe über den 31. März 2010 hinaus fortbestanden. § 89 Abs. 3 Satz 1 HGB betreffe nur den Händler- und Vermittlungsvertrag, nicht den Leistungspartnervertrag ….

20

Die Beklagte beantragt,

21

das angefochtene Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 23.03.2012 - Geschäftszeichen 8 O 88/11 - zu ändern und die Klage abzuweisen sowie

hilfsweise die Revision zum Bundesgerichtshof wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.

22

Die Klägerin beantragt,

23

die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin vom 13.04.2012 kostenpflichtig zurückzuweisen

24

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Der Händler- und Vermittlungsvertrag und der Leistungspartnervertrag seien eine Einheit. Das ergebe sich schon daraus, dass die Wirksamkeit des Leistungspartnervertrages an das Bestehen des Händler- und Vermittlungsvertrages geknüpft sei. Überdies regele der Händler- und Vermittlungsvertrag die Höhe der zu leistenden Provisionen nicht. Die Höhe der Provisionen ergebe sich vielmehr erst aus dem Leistungspartnervertrag.Der Leistungspartnervertrag regele keine freiwilligen zusätzlichen von der Beklagten zu leistende Boni, sondern lege auch der Klägerin - wie allen Leistungspartnern - zusätzliche Pflichten auf. Die Boni würden für die Vermittlung von Mobilfunkverträgen, insbesondere für sogenannte Kreditaktivierungen gezahlt.

25

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst allen Anlagen Bezug genommen.

II.

26

Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist unbegründet.

27

Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche aus dem Leistungspartnervertrag vom 21./29. April 2008 (im Folgenden: „alter“ Leistungspartnervertrag) und keine Ansprüche aus der Jahreszielvereinbarung 2009 zu.

28

1. Der Klägerin stehen keine Ansprüche aus dem „alten“ Leistungspartnervertrag auf den Qualitätsbonus von 10 Euro pro Karte zu.

29

Der alte Leistungspartnervertrag war bis zum 31. März 2010 befristet. Die Befristung ist wirksam. Der Vertrag hat sich nicht verlängert.

30

a) Die Befristung ist wirksam. Insbesondere bilden der Händler- und Vermittlervertrag vom 24. Oktober/15. November 2001 und der alte Leistungspartnervertrag keine Einheit. Überdies ergäbe sich aus der Auslegung eines solchen einheitlichen Vertrages nicht, dass die Konditionen des Leistungspartnervertrages zeitlich unbefristet über den 31. März 2010 hinaus anwendbar wären. Die Befristung scheitert auch nicht an der Rechtsprechung zu den sogenannten Kettenverträgen.

31

aa) Der Händler- und Vermittlervertrag und der alte Leistungspartnervertrag bilden keine Einheit. Es handelt sich um zwei rechtlich voneinander zu trennende Vereinbarungen, nicht um einen einheitlichen Vertrag.

32

Vereinbarungen stehen in rechtlichem Zusammenhang, wenn die Vereinbarungen nach dem Willen der Beteiligten derart voneinander abhängig sind, dass sie miteinander "stehen und fallen" sollen. Auch wenn nur einer der Vertragspartner einen solchen Einheitswillen erkennen lässt und der andere Partner ihn anerkennt oder zumindest hinnimmt, kann ein einheitlicher Vertrag vorliegen (BGHZ 76, 43, 48 juris-Rn. 20; 78, 346, 349, juris-Rn. 10; BGH, Versäumnisurt. v. 10. Oktober 2006 - XI ZR 265/05, WM 2007, 108, 110 Rn. 24; Urt. v. 24. Oktober 2006 - XI ZR 216/05, WM 2007, 116, 118 Rn. 17). Die Niederlegung mehrerer selbständiger Verträge in verschiedenen Urkunden begründet insoweit die tatsächliche Vermutung, dass die Verträge nicht in rechtlichem Zusammenhang stehen sollen (BGHZ 76, 43, 49, juris-Rn. 22; 78, 346, 349, juris-Rn. 10; BGH, Urt. v. 19. Mai 1967 - V ZR 167/64, juris-Rn. 27, WM 1967, 1131, 1132). Zur Widerlegung dieser Vermutung genügt der Nachweis eines wirtschaftlichen Zusammenhangs und der gleichzeitige Abschluss der Geschäfte nicht (BGH, Urt. v. 19. Mai 1967 - V ZR 167/64, aaO).

33

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze bilden der Händler- und Vermittlervertrag und der alte Leistungspartnervertrag keine Einheit. Der Leistungspartnervertrag ist an das Bestehen des Händler- und Vermittlervertrages geknüpft. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht. Dies wird tatsächlich vermutet, da die Vereinbarungen in getrennten Urkunden niedergelegt worden sind. Der unzweifelhaft bestehende wirtschaftliche Zusammenhang reicht nicht hin, diese Vermutung zu widerlegen. Aus den Umständen ergibt sich auch nicht, dass der Händler- und Vermittlungsvertrag mit dem Leistungspartnervertrag „stehen und fallen“ soll. Die Verträge sind zeitlich nacheinander geschlossen worden. Es ist ohne Weiteres denkbar, dass die Klägerin für die Beklagte Verträge vermittelt, ohne Leistungspartnerin zu sein; dies tat sie ja auch in der Zeit von November 2001 bis 2004. Der Händler- und Vermittlervertrag enthält - entgegen den von der Beklagten bestrittenen Ausführungen der Berufungserwiderung - eine eigenständige Provisionsregelung. Diese knüpft an § 87b Abs. 1 HGB an und stellt zur Ermittlung des üblichen Satzes auf die „Entwicklung der Konditionen der Netzbetreiber und der Gesamtmarktentwicklung“ ab. Dass die Provisionen seit der Geltung der jeweiligen Leistungspartnerverträge faktisch gemeinsam abgerechnet worden sind, ändert an dieser Sichtweise nichts. Die einheitliche Abrechnung dient - für beide Seiten - der besseren Übersichtlichkeit. Auf die rechtliche Ausgestaltung der Verträge lässt sich aus ihr nichts folgern. Überdies wird in den Abrechnungen nach Grundprovision und Leistungspartnerprovision unterschieden.

34

bb) Des Weiteren wäre der Inhalt eines etwaigen Gesamtvertrages aus Händler- und Vermittlervertrag und Leistungspartnervertrag durch Auslegung zu ermitteln. Diese Auslegung (§ 133, § 157 BGB) ergäbe, dass die in dem Leistungspartnervertrag geregelten zusätzlichen Provisionen nicht über den 31. März 2010 hinaus zu zahlen sind.

35

Verträge sind nach § 157 BGB so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Die Beklagte wollte sich im Hinblick auf die Zusatzprovisionen nicht über den 31. März 2010 hinaus binden. Das war für die Klägerin aufgrund des insoweit klaren Wortlauts der Vereinbarung zu erkennen. Dieser Wille ist nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu respektieren. So hatten die Parteien die von der Beklagten zu leistende Provision in dem Händler- und Vermittlungsvertrag auf die Höhe der üblichen Provision festgelegt, die anhand der vorstehenden Entwicklungen bestimmt werden sollte. Die Provision sollte sich mithin den Gegebenheiten des Marktes anpassen. Die Zusatzprovisionen in Abweichung dieser Regelung fest zu schreiben, wird dem nach Treu und Glauben zu berücksichtigenden Interesse der Beklagten nicht gerecht. Wenn der Vertrag ein Gesamtvertrag wäre, muss die Beklagte Gelegenheit erhalten, die der Höhe nach festgelegten Zusatzprovisionen den Marktentwicklungen anzupassen. Das ist durch feste Laufzeiten der Zusatzprovisionsvereinbarung zu erreichen. Für die Klägerin war dieses Interesse der Beklagten zu erkennen. Ihre Interessen werden im Rahmen einer nach Treu und Glauben vorzunehmenden Auslegung des - unterstellten - Gesamtvertrages erreicht, indem sie bei im Übrigen unveränderten Umständen Zusatzprovisionen in Höhe marktüblicher Zusatzprovisionen für besonders qualifizierte und herausragende Vermittler verlangen kann.

36

cc) Der „alte“ Leistungspartnervertrag ist auch nicht als sogenannter Kettenvertrag als für unbestimmte Zeit geschlossen anzusehen.

37

Im Ausgangspunkt sind Kettenverträge allerdings als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen anzusehen (statt vieler: Urt. v. 9. Oktober 2002 - VIII ZR 95/01, juris-Rn. 12, NJW-RR 2003, 98). Die Leistungspartnerverträge sind jedoch keine Kettenverträge.

38

Verträge zwischen denselben Parteien sind als Kettenverträge zu werten, wenn befristete Verträge mehrfach kurz vor oder kurz nach ihrem Ablauf mit den im wesentlichen gleichen Bedingungen verlängert werden, ohne dass diese Verträge jeweils erneut ausgehandelt werden (BGH, Urt. v. 11. Dezember 1958 - II ZR 169/57, VersR 1959, 129, 131; Urt. v. 17. Juli 2002 - VIII ZR 59/01, juris-Rn. 25, WM 2003, 251, 253; Urt. v. 9. Oktober 2002 - VIII ZR 95/01, aaO).

39

Vorliegend scheitert die Annahme eines Kettenvertrages bereits daran, dass nicht mehrfach befristete Verträge verlängert worden sind. Die Leistungspartnerverträge der Jahre 2004, 2005 und 2006 sahen keine festen Laufzeiten vor. Nur die Verträge der Jahre 2007 sowie der hier in Rede stehende bis zum 31. März 2010 verlängerte Vertrag des Jahres 2008 waren befristet. Überdies ist der Vertrag im Jahr 2009 nicht kurz vor oder nach seinem Ablauf verlängert worden. Die Verlängerung erfolgte vielmehr erst einige Monate nach dem Auslaufen des Vertrags, nämlich am 16. Juli 2009.

40

b) Der alte Leistungspartnervertrag hat sich auch nicht verlängert. Eine Verlängerung ist weder durch Einigkeit der Parteien noch durch § 89 Abs. 3 HGB eingetreten.

41

aa) Der Vertrag hat sich nicht aufgrund übereinstimmender Willenserklärungen der Parteien verlängert.

42

Die Beklagte hat der Klägerin nicht angeboten, den alten Leistungspartnervertrag über den 31. März 2010 hinaus zu verlängern.

43

Sie hat der Klägerin kein ausdrückliches Angebot unterbreitet, den Vertrag über den 31. März 2010 hinaus fortzusetzen. Sie hat ihr vielmehr eine schriftliche Offerte zum Abschluss eines neuen Leistungspartnervertrages unterbreitet, der ab dem 1. April 2010 gelten sollte.

44

Sie hat der Klägerin auch durch schlüssiges Verhalten kein Angebot auf Verlängerung des Vertrages unterbreitet. Ein derartiges Angebot liegt nicht in den Abrechnungen vom 3. Mai und 1. Juni 2010, in denen sie der Klägerin den sich aus der alten Leistungspartnervereinbarung ergebenden Qualitätsbonus von 10 Euro pro Karte zubilligte. Die Klägerin durfte diese Abrechnungen von einem objektiven Empfängerhorizont her nicht als Antrag auf Fortsetzung der alten Leistungspartnervereinbarung verstehen. Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 28. Dezember 2009 angekündigt, dass das Leistungspartnerprogramm umgestellt werden solle und die Übersendung eines neuen Vertragsangebots angekündigt. Diese Ankündigung hatte sie Anfang 2010 umgesetzt und der Klägerin ein Vertragsangebot übersandt. Von einem objektivierten Empfängerhorizont her konnte die Klägerin dieses Verhalten nur so verstehen, dass die Beklagte den alten Vertrag zu den dort niedergelegten Konditionen gerade nicht fortsetzen wollte. Dieses Verständnis wird durch die beiden Abrechnungen nicht beseitigt. Die Beklagte hatte sich vielmehr explizit geäußert. Dass sie diese Äußerung stillschweigend zurücknehmen würde, konnte die Klägerin von einem objektivierten Empfängerhorizont her nicht erwarten. Überdies betreffen die beiden Abrechnungen nicht die gesamten Monate April und Mai 2010; sie betreffen jeweils nur eine einzige Woche. Dass die Beklagte den Qualitätsbonus auch für die jeweils anderen Wochen der beiden Monate zahlte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

45

Überdies streitet die Vermutung des § 154 Abs. 2 BGB gegen die Klägerin. Die Beklagte hatte ihr ein schriftliches Angebot unterbreitet und eine Schriftformklausel in ihr Angebot aufgenommen. Insoweit konnte die Klägerin von einem objektivierten Empfängerhorizont her nicht erwarten, die Klägerin würde ihr ein von ihrem vorherigen schriftlichen Angebot abweichendes konkludentes Angebot unterbreiten.

46

Auf die Aussage der Zeugin K. kommt es nicht an. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass die Zeugin ausgesagt habe, über den neuen Leistungspartnervertrag sei noch im Juni 2010 intensiv verhandelt worden, in diesem Zusammenhang habe sie geäußert, so schnell werde der Vertrag nicht gekündigt. Diese Aussage ist, was auch das Landgericht festgestellt hat, für die Frage der Vereinbarung einer Vertragsverlängerung unergiebig. Ob die Zeugin davon ausging, dass der „alte“ Leistungspartnervertrag im Juni 2010 fortbestand, ist rechtlich nicht relevant. Er galt bereits aus den vorgenannten Rechtsgründen nur bis zum 31. März 2010. Die Klägerin konnte die Aussage auch nicht als Angebot auf Vertragsverlängerung verstehen. Schließlich wurde zur gleichen Zeit über den Abschluss der neuen Leistungspartnervereinbarung verhandelt. Dass die Beklagte in dieser Situation in Widerspruch zu ihrem zeitgleichen Verhalten die Fortsetzung der „alten“ Leistungspartnervereinbarung anbieten wollte, war bei einem Verständnis der vorgenannten Äußerung von einem objektivierten Empfängerhorizont her ausgeschlossen.

47

bb) Der Vertrag hat sich auch nicht nach § 89 Abs. 3 Satz 1 HGB verlängert.

48

Die Norm ist auf den hier in Rede stehenden Leistungspartnervertrag nicht anzuwenden. Sie betrifft nur den Handelsvertretervertrag als solchen, hier also den Händler- und Vermittlungsvertrag. Auf Zusatzvereinbarungen zu einem Handelsvertretervertrag ist § 89 Abs. 3 Satz 1 HGB hingegen nicht anzuwenden. Dies folgt zum einen aus dem Wortlaut der Norm und zum anderen aus ihrem systematischen Zusammenhang.

49

Der Wortlaut des § 89 Abs. 3 Satz 1 BGB spricht von dem „Vertragsverhältnis“, also dem Handelsvertretervertrag als solchem. In diesem Sinne wird „Vertragsverhältnis“ auch in den weiteren Normen der §§ 84 f. HGB verstanden, so vor allem in § 92 Abs. 2 HGB.

50

Für dieses Verständnis spricht auch der systematische Zusammenhang des § 89 Abs. 3 Satz 1 BGB mit § 625 BGB. § 89b Abs. 3 Satz 1 BGB ist Gesetz geworden, um die Art. 14, Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie des Rates der EG vom 18. Dezember 1986 (im Folgenden: die Richtlinie) in nationales Recht umzusetzen. Bis dahin galt für die Verlängerung des Handelsvertretervertrages die allgemein für Dienstverträge geltende Norm des § 625 BGB. Danach verlängerte sich das Vertragsverhältnis stillschweigend, wenn es der Verpflichtete mit Wissen des Dienstherrn fortsetze und der Dienstherr nicht unverzüglich widersprach. Diese Regelung stand und steht in Widerspruch zu Art. 14 der Richtlinie (vgl. hierzu die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 11/3077, Seite 9). Zu § 625 BGB ist anerkannt, dass diese Norm bei der Beendigung einzelner Vertragsbedingungen nicht anzuwenden ist, sondern nur bei Beendigung des Dienstvertrages insgesamt (Staudinger/Preis, BGB Neubearbeitung 2002, § 625 Rn. 2; MüKo-BGB/Henssler, BGB, 6. Aufl. § 625 Rn. 3). Der in § 89 Abs. 3 Satz 1 BGB geregelte Anwendungsausschluss kann nicht weiterreichen als der Anwendungsbereich der ausgeschlossenen Norm.

51

cc) § 89 Abs. 3 Satz 1 HGB ist nicht auf die Beendigung einzelner Vertragsbestimmungen oder die Beendigung von Zusatzvereinbarungen analog anzuwenden (a. A. LG Köln, Urt. v. 15. April 2011 - 89 O 37/10, juris-Rn. 31). Für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift ist kein Raum. Es fehlt an einer Regelungslücke. Eine Fortsetzung des Vertrages durch beide Teile umschreibt die Notwendigkeit einer Fortsetzungsvereinbarung. § 89 Abs. 3 Satz 1 BGB setzt damit nur die ohnehin geltenden §§ 145 f. BGB um; der Anwendungsbereich erschöpft sich in einer Abbedingung des § 625 BGB.

52

Überdies sind die Sachverhalte nicht vergleichbar. Ob der Handelsvertreter weiterhin für den Unternehmer tätig und dieser damit einverstanden ist, ist regelmäßig einfach zu beurteilen. Bei der Beendigung von Zusatzvereinbarungen läuft der Handelsvertretervertrag hingegen als solcher weiter. Deshalb ist bei einem Streit über die Fortgeltung einzelner Vertragsbestimmungen regelmäßig kaum zu erkennen, ob die beiden Parteien gerade diese Vertragsbestimmung fortsetzen.

53

Und schließlich liegen - die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 89 Abs. 3 Satz 1 HGB unterstellt - die Voraussetzungen dieser Norm hier nicht vor. Die Parteien haben den „alten“ Leistungspartnervertrag nicht fortgesetzt. Hierfür reicht die zweimalige Abrechnung und Bezahlung des Qualitätsbonus nicht aus. Angesichts der Vorgeschichte war für die Klägerin von einem objektivierten Empfängerhorizont her deutlich zu erkennen, dass die Beklagte den „alten“ Leistungspartnervertrag nicht fortsetzen wollte. Seine zweimalige Abrechnung und Bezahlung - noch dazu für jeweils nur eine Woche - war vor diesem Hintergrund von einem objektivierten Empfängerhorizont her nicht als Fortsetzung des Vertrages durch die Beklagte zu verstehen.

54

c) Des Weiteren scheitern eine Entfristung des „alten“ Leistungspartnervertrages aufgrund der Regelungen zu den Kettenverträgen und jedwede Verlängerung daran, dass die Beklagte nach den in der Leistungspartnervereinbarung niedergelegten Regelungen berechtigt war, den Vertrag nicht zu verlängern. Die Klägerin hatte sich in dem „alten“ Leistungspartnervertrag verpflichtet, kein Distributionsgeschäft zu betreiben. Genau dies ist jedoch der Fall. Das ist zwischen den Parteien unstreitig; die Klägerin ist dem dahin gehenden Vortrag der Beklagten nicht entgegengetreten. Sie meint nur - rechtsirrig -, es käme nicht darauf an, ob sie ein Distributionsgeschäft betreibe.

55

2. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte auch keine Ansprüche aus der Jahresvereinbarung 2009 zu.

56

Sie kann von der Klägerin aus der Jahresvereinbarung 2009 für die Zeit ab Januar 2010 weder den Marketingkostenzuschuss statt Flyer noch den Qualitätsbonus aus der Jahresvereinbarung verlangen. Insoweit ist schon substantiiert nicht vorgetragen, warum die Jahresvereinbarung fortgelten soll. Überdies gelten die Ausführungen zur Fortgeltung der „alten“ Leistungspartnervereinbarung (siehe oben 1.) entsprechend. Die Jahresvereinbarung und der Händler- und Vermittlervertrag bilden keine Einheit. Die Jahresvereinbarungen unterfallen nicht der Rechtsprechung zu den Kettenverträgen: Sie sind nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zum jeweiligen Auslaufen der vorangegangenen Jahresvereinbarung verlängert worden. Ferner fehlt jede substantiierte Darlegung zur Vergleichbarkeit der jeweiligen Jahresvereinbarungen. Die Parteien haben die Fortgeltung der Jahresvereinbarung nicht vereinbart. § 89 Abs. 3 Satz 1 GB ist auf sie - auch analog - nicht anwendbar. Selbst wenn eine analoge Anwendung in Betracht käme, hätte die Beklagte die Jahresvereinbarung nicht fortgesetzt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Beklagte für die Zeit nach Dezember 2009 noch Provisionen auf die Jahresvereinbarung 2009 geleistet hätte.

57

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Ob § 89 Abs. 3 Satz 1 BGB für Zusatzvereinbarungen gilt, könnte zwar eine grundsätzliche Frage sein. Diese Frage wird aber wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen nicht entscheidungserheblich.


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