Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 10 U 247/18

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 23.11.2018, Az. 15 O 101/17,

abgeändert.

Die Klage wird

abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung der Klägerin in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abgewendet werden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.208.178,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Herausgabe einer Vertragserfüllungsbürgschaft zur Absicherung von Bauleistungen in Anspruch.
Die beklagte Kommune beauftragte nach vorangegangener öffentlicher Ausschreibung mit Zuschlagsschreiben vom 23. April 2013 die Rechtsvorgängerin der Klägerin (i.F. nur Klägerin) mit der Ausführung der Leistungen „Rohbau, Verkehrswege-, Entwässerungskanalbau und Straßentunnel offene Bauweise“ beim Bauvorhaben „V.“ mit einer Bruttoauftragssumme von 41.283.555,41 EUR. Vertragsbestandteil ist das Angebot der Klägerin vom 21. Januar 2013, die VOB/B sowie die „Besonderen Vertragsbedingungen“ (BVB) und „Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen Einheitliche Fassung (Februar 2010)“ (ZVB).
Nr. 4 BVB sieht die Stellung einer Sicherheit vor.
Nr. 4.1 lautet wie folgt:
„Stellung der Sicherheit
Sicherheit für die Vertragserfüllung ist in Höhe von 5 v.H. der Auftragssumme zu leisten, sofern die Auftragssumme mindestens 250.000,00 EUR beträgt.
Die für Mängelansprüche zu leistende Sicherheit beträgt 3 v.H. der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge.
Rückgabezeitpunkt für eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche (§ 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B):
Nach Ablauf der Verjährungsfrist für alle Mängelansprüche.
Stellt der Auftragnehmer die Sicherheit für die Vertragserfüllung binnen 18 Werktagen nach Vertragsabschluss (Zugang des Auftragsschreibens) weder durch Hinterlegung noch durch Vorlage einer Bürgschaft, so ist der Auftraggeber berechtigt, Abschlagszahlungen einzubehalten, bis der Sicherheitsbetrag erreicht ist.
10 
Nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz kann der Auftragnehmer verlangen, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird.“
11 
Nr. 4.3 BVB („Sicherheitsleistung durch Bürgschaft“) lautet auszugsweise wie folgt:
12 
„Wird Sicherheit durch Bürgschaft geleistet, ist für
13 
- die Vertragserfüllung das Formblatt Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft - 421,
- die Mängelansprüche das Formblatt Mängelansprüchebürgschaft - 422 und ...
14 
zu verwenden.“
15 
Die Kreissparkasse E. übernahm mit Bürgschaftsurkunde vom 28. Januar 2014 unter Bezugnahme auf den Vertrag vom 23. April 2014 zwischen der Klägerin und der Beklagten eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einer Gesamthöhe von 2.064.178,00 EUR.
16 
Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 7. September 2016 zur Rückgabe der Bürgschaft bis spätestens 23. September 2016 auf.
17 
Am 17. März 2017 kündigte die Beklagte gegenüber der Klägerin den Vertrag vom 23. April 2013 aus wichtigem Grund. Die Berechtigung der Beklagten zur außerordentlichen Kündigung steht zwischen den Parteien im Streit.
18 
Bezüglich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 23. November 2018, Az.: 15 O 101/17, verwiesen.
19 
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die Bürgschaftsurkunde an die Bürgin herauszugeben, die Klägerin von den Avalprovisionen der Bürgin für die Bürgschaft für den Zeitraum vom 24. September 2016 bis zur Rückgabe der Bürgschaftsurkunde freizustellen sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 10.416,90 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
20 
Zur Begründung führt das Landgericht aus, der Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde ergebe sich aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB. Die Beklagte habe die Bürgschaftsurkunde durch Leistung ohne Rechtsgrund erlangt.
21 
Die Sicherungsabrede gemäß Nr. 4.1, 4.2 und 4.3 BVB sei wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Die berechtigten Interessen der Klägerin als Auftragnehmerin seien nicht hinreichend gewahrt. Die Klauseln führten in ihrem Zusammenspiel zu einer unangemessenen Benachteiligung der Auftragnehmerin. Es könne sein, dass diese für einen über die Abnahme hinausreichenden Zeitraum wegen Mängelansprüchen im Gewährleistungsstadium nach Abnahme eine Sicherheit von bis zu 8 % (5 % + 3 %) der Auftragssumme leisten müsse. Dies sei durch das Sicherungsinteresse der Beklagten nicht mehr gerechtfertigt. Nach der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung erfasse die Sicherheit für die Vertragserfüllung auch Mängelansprüche im Gewährleistungsstadium nach Abnahme. Zwar werde in Nr. 4.1, 4.2 und 4.3 BVB zwischen der Sicherheit für die Vertragserfüllung und der Sicherheit für Mängelansprüche unterschieden. Dies schließe aber nicht aus, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung auch Gewährleistungsansprüche erfasse. Die Umwandlung der Vertragserfüllungssicherheit (i.F. auch: VE-Sicherheit) in eine Mängelansprüchesicherheit könne der Auftragnehmer nur verlangen, wenn die Abnahme erfolgt sei und bis dahin erhobene Ansprüche einschließlich solcher auf Schadensersatz erfüllt worden seien. Die Rückgabe der VE-Sicherheit sei nicht von der Fertigstellung und Abnahme des Werks abhängig. Unter Umständen ergebe sich ein erheblicher Zeitraum, in dem Mängelansprüche entstehen könnten, die durch die VE-Sicherheit auch abgesichert seien. Aus dem zu verwendenden Formblatt - 421 ergebe sich, dass zur vertragsgemäßen Ausführung der Leistung auch die Erfüllung der Mängelansprüche gehören solle. Es könne somit zu einer Überlappung der Sicherheit für Vertragserfüllung und der Sicherheit für Mängelbeseitigung kommen. Der Auftraggeber habe es in der Hand, durch die Erhebung von Ansprüchen den Zeitpunkt der Beendigung der Erfüllungsbürgschaft nach Belieben hinauszuzögern.
22 
Die Addition der Sicherheiten führe dazu, dass die Wirksamkeitsobergrenze für die Mängelansprüchesicherheit von 5 % überschritten werde. Dies führe zur Unwirksamkeit der Sicherungsabrede im Ganzen.
23 
Ein Zurückbehaltungsrecht stehe der Beklagten nicht zu.
24 
Die Beklagte schulde der Klägerin gemäß §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 u. Abs. 2 BGB auch die Freistellung von den Avalprovisionen für die Zeit vom 24. September 2016 bis zur Rückgabe der Bürgschaftsurkunde. Die Klägerin habe ferner Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 10.416,90 EUR.
25 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen.
26 
Die Beklagte erstrebt mit ihrer Berufung die vollständige Abweisung der Klage.
27 
Sie ist der Ansicht, die Sicherungsabrede sei nicht unwirksam. Das Landgericht habe den Grundsatz der „verwenderfeindlichen Auslegung“ der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) arg „strapaziert“ und zum Teil in nicht mehr zulässiger Weise angewandt. Zudem habe es den Inhalt der vertraglichen Abreden schlicht verkannt und die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht einmal erwähnt. Es habe die Grundsätze zur Auslegung von AGB nicht beachtet. Alleinige Ansprechpartner der vorliegenden AGB seien nicht Verbraucher, sondern ausschließlich professionell bzw. unternehmerisch geführte Baufirmen.
28 
Die vom Landgericht angenommene Verpflichtung der Klägerin zur Stellung einer Sicherheit von bis zu 8 % für einen längeren Zeitraum nach der Abnahme gebe es nicht. Die gemäß Nr. 4.1 BVB vereinbarten Sicherungshöhen für die VE-Sicherheit mit 5 % bzw. für die Gewährleistungssicherheit mit 3 % seien rechtlich schlicht unproblematisch. Eine Überschreitung der Höchstgrenzen für die VE-Sicherheit und die Mängelansprüchesicherheit komme nur in Betracht, wenn durch die Gestaltung der Vertragsbedingungen in den Sicherungsumfang einer ggf. über die Abnahme hinaus zu gewährenden VE-Sicherheit von 5 % zusätzlich erst nach der Abnahme entstehende Gewährleistungsansprüche einbezogen seien, obwohl gleichzeitig schon die Gewährleistungssicherheit von 3 % zu stellen sei. Tatsächlich liege aber weder die eine noch die andere Voraussetzung vor. In die VE-Sicherheit seien nach der Abnahme entstehende Mängelansprüche nicht einbezogen. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts sei nicht nur falsch, sondern noch nicht einmal substantiiert begründet. Vielmehr sei klar, dass Ansprüche, die erst nach der Abnahme entstanden seien bzw. erhoben würden, von der hier geregelten VE-Sicherheit nicht erfasst seien. Die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führe zu keinem anderen Ergebnis. In den beiden maßgeblichen Entscheidungen vom 1. Oktober 2014 und 22. Januar 2015 seien Gewährleistungsansprüche ausdrücklich in den Sicherungsumfang der VE-Sicherheit einbezogen worden. Eine solche Vertragsgestaltung sei aber mit der hiesigen in keiner Weise vergleichbar. Aus der Regelung, dass für die VE-Sicherheit das „Formblatt Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft 421“ zu verwenden sei, ergebe sich keine andere Beurteilung. Die Ausgestaltung der Bürgschaft besage nichts über die vermeintliche Unwirksamkeit der Sicherungsabrede. Die Bürgschaft erweitere den Sicherungsumfang, der sich alleine aus der Sicherungsabrede ergebe, nicht. Es habe rein praktische Gründe, dass das Sicherungsmittel in Form einer kombinierten Sicherheit vorgesehen sei.
29 
Stehe demzufolge fest, dass die VE-Sicherheit erst nach Abnahme entstehende Mängelansprüche nicht umfasse, könne es schon aus diesem Grund nicht zu einer Überschreitung der sonst bei 5 % liegenden Höchstgrenze für die Gewährleistungssicherheit kommen. Aber auch wenn man dies unterstellen würde, wäre nicht zu erkennen, dass nach der Sicherungsabrede nach Abnahme die Verpflichtung zur Stellung einer Sicherheit von mehr als 5 % bestehen könnte. Maßgeblich für die Rückgabe der VE-Sicherheit sei die Regelung im letzten Absatz von Nr. 4.1 BVB. Dort werde sichergestellt, dass es zu keinem Zeitpunkt zu einem Nebeneinander beider Sicherheiten kommen könne. Man bewege sich also stets innerhalb der anerkannten Höchstgrenze für Gewährleistungssicherheiten. Eine Addition beider im Vertrag geregelter Sicherheiten könne es nicht geben. Die Annahme des Landgerichts, ein Auftragnehmer müsse schon vorher, d.h. nach Abnahme, eine Gewährleistungssicherheit von 3 % stellen, sei unzutreffend. Insbesondere ergebe sich dies nicht aus Nr. 4.2 BVB. Der Zeitpunkt, wann eine Sicherheit zu stellen sei, sei nur in Nr. 4.1 BVB geregelt. Hinsichtlich des - separat geregelten - Zeitpunkts für die Stellung der Mängelansprüchesicherheit sei geregelt, dass die einmal gestellte VE-Sicherheit sich erst dann umwandeln könne, wenn alle bis zur Abnahme erhobenen Ansprüche erledigt seien. Wäre die Auffassung des Landgerichts zutreffend, müsste man fragen, wo dann das ausdrücklich zugunsten des Auftragnehmers geregelte Umwandlungsrecht geblieben sei. Wäre die Mängelansprüchesicherheit sofort mit Abnahme zu leisten, gäbe es nichts mehr umzuwandeln. Nicht zu folgen sei der Auslegung von Nr. 4 BVB, dass der Auftragnehmer eine Sicherheit für Mängelansprüche nach Abnahme zu erbringen habe bzw. der Auftraggeber zur Vornahme eines Einbehalts berechtigt sei.
30 
Soweit die Beklagte hilfsweise mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2017 ein Zurückbehaltungsrecht erhoben habe, bestehe dies entgegen der Auffassung des Landgerichts aus den im Schriftsatz vom 3. September 2018 dargelegten Gründen.
31 
Hinsichtlich der Avalkosten sei der Klägerin jedenfalls für die Dauer der Vertragslaufzeit kein Schaden entstanden. Ein Schaden könne nicht in der Weiterzahlung der Avalprovisionen liegen. Diese Kosten würden jedenfalls für die Vertragslaufzeit ohnehin von der Beklagten getragen und seien schon bezahlt.
32 
Unberechtigt sei schließlich die Verurteilung zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten.
33 
Die Beklagte beantragt:
34 
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart, Az. 15 O 101/17, verkündet nach den Entscheidungsgründen (S. 19) am 9. November 2018, tatsächlich verkündet am 23. November 2018, wird die Klage abgewiesen.
35 
Die Klägerin beantragt:
36 
Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
37 
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
38 
Außer den vom Landgericht angeführten Gründen ergebe sich die Unwirksamkeit der Regelung über die Sicherungsvereinbarung aus weiteren Gründen.
39 
Die Klausel sehe vor, dass die Rückgabe der VE-Sicherheit erst erfolge, wenn alle bis zur Abnahme erhobenen Ansprüche erfüllt seien. Mit davon umfasst sei also auch die Erfüllung etwaiger unberechtigter Forderungen. Die Auftragnehmerin müsste also, um eine Verringerung der Gesamtsicherheit zu erreichen, Leistungen unter Vorbehalt erbringen und anschließend einen Rückforderungs- bzw. Erstattungsprozess anstrengen. Diese Regelung stelle einen Verstoß gegen § 307 BGB dar.
40 
Die Klausel sehe weiter vor, dass die Bürgschaft den Verzicht auf die Einrede der Anfechtbarkeit enthalten müsse. Eine Sicherungsabrede, die einen formularmäßigen Verzicht auf die Einrede der Anfechtung enthalte, sei ebenfalls insgesamt unwirksam.
41 
Schließlich sei die Klausel zur Höhe der Sicherheit intransparent. Unter „Auftragssumme“ könne die nach der Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung zu verstehen sein oder die von den Parteien vor der Ausführung vereinbarte Vergütung. Die Bemessungsgrundlage sei deshalb nicht eindeutig bestimmt. Dies stelle eine Unklarheit dar.
42 
Die Angriffe der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts seien unbegründet. Zu Unrecht greife sie die Auslegung an, dass die Regelung über die Sicherheiten auch die Mängelrechte mitumfasse. Wie sei sonst zu erklären, dass die Ablösung des Sicherheitseinbehalts mittels Bürgschaft gemäß Formblatt verlangt werde, das ausdrücklich vorsehe, dass die Bürgschaft auch die Mängelrechte mit absichere? Die Klausel umfasse bereits nach ihrem Wortlaut die bis zur Abnahme erhobenen Ansprüche und damit natürlich auch Mängelrechte. Die bei der Abnahme vorbehaltenen Mängel gehörten unzweifelhaft zu den Ansprüchen, die bis zur Abnahme erhoben würden. Somit sichere die VE-Sicherheit ebenso Mängelrechte nach § 13 VOB/B wie die Sicherheit für die Mängelrechte.
43 
Falsch sei der Rückschluss der Beklagten, die VE-Sicherheit beziehe Gewährleistungsansprüche nicht in ihren Sicherungsumfang ein, weil keine Regelung in den ZVB enthalten sei, wonach die VE-Sicherheit ausdrücklich auch Gewährleistungsansprüche einbeziehe. Dies ergebe sich bei VOB-Verträgen grundsätzlich aus § 17 Abs. 1 VOB/B. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B diene die Sicherheit dazu, sowohl die vertragsgemäße Ausführung der Leistung als auch die Mängelansprüche sicherzustellen.
44 
Die Beklagte habe selbst zur Ablösung des Sicherheitseinbehalts für die VE ein Formular vorgegeben, das die Mängelrechte miteinschließe. Es sei somit in jedem Fall eine Auslegung dahin geboten, dass die VE-Sicherheit auch die Mängelansprüche umfasse. Dies sei die einzig sinnvolle Auslegung. Die Beklagte übersehe, dass sich Mängelansprüche nach § 4 Abs. 7 VOB/B mit der Abnahme in Mängelansprüche nach § 13 Abs. 7 VOB/B umwandelten. Insgesamt seien also Mängelansprüche in Höhe von 8 % abgesichert: einerseits über die VE-Sicherheit und andererseits über die Gewährleistungssicherheit. Auch ein professioneller Anbieter habe kein anderes Verständnis der Sicherungsabrede.
45 
Nicht nachvollziehbar sei die Auffassung der Beklagten, bei einem Bareinbehalt werde zu keinem Zeitpunkt die Höchstgrenze von 5 % überschritten. Das Recht, eine Reduzierung der VE-Sicherheit zu verlangen, bestehe für den Auftragnehmer erst nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz. Bis dahin müsse der Auftragnehmer eine VE-Sicherheit in Höhe von 5 % vorhalten. Nach der Abnahme müsse er zusätzlich eine Sicherheit von 3 % für die Mängelrechte vorhalten.
46 
Vollkommen falsch sei die Behauptung, die Sicherheit für die Mängelansprüche sei nicht mit der Abnahme zu leisten. Die Mängelansprüchesicherheit sei mit der Abnahme fällig.
47 
Die Ausführungen der Beklagten zum Zurückbehaltungsrecht seien falsch.
48 
Hinsichtlich der Avalkosten sei unzutreffend, dass für die Dauer der Vertragslaufzeit kein Schaden entstanden sei. Hätte die Beklagte die Bürgschaft zurückgegeben, wären die entsprechenden Avalkosten nicht mehr angefallen.
49 
Zu den mit der Berufungserwiderung von der Klägerin neu vorgebrachten Unwirksamkeitsgründen trägt die Beklagte vor:
50 
Bei Sicherheiten sei es immer so, dass die Rückgabe erst erfolge, wenn alle erhobenen Ansprüche erledigt seien. Auch wenn nicht auszuschließen sei, dass unberechtigt Ansprüche erhoben würden, müsse nur sichergestellt werden, dass es selbst dann nicht zu einer Übersicherung oder Überschreitung der Höchstgrenzen komme. Aus den von der Klägerin zitierten Entscheidungen ergebe sich nichts anderes.
51 
Der Verzicht auf die Einrede der Anfechtbarkeit führe ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Sicherungsabrede. Einredeverzichte könnten ohne Weiteres isoliert geprüft werden und daher niemals zu einer Gesamtunwirksamkeit der Sicherungsabrede führen.
52 
Die Sicherheitenhöhe sei nicht intransparent. Der Begriff „Auftragssumme“ in Nr. 4.1 BVB sei ohne Weiteres eindeutig. In Nr. 4.2 BVB werde der Auftragssumme noch die Gesamtsumme der Nachträge hinzuaddiert. Auch dies sei eindeutig.
53 
Hinsichtlich der weiteren Ausführungen der Klägerin in ihrer Berufungserwiderung wiederholt die Beklagte ihren bisherigen Vortrag und betont vertiefend ihre Auffassung hinsichtlich der Unterschiede zwischen dem vorliegenden Klauselwerk und demjenigen, über das der Bundesgerichtshof entschieden hat.
54 
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
55 
Die form- und fristgerecht eingelegte und innerhalb der verlängerten Begründungsfrist form- und fristgerecht begründete Berufung der Beklagten ist begründet. Auf die Berufung ist das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
1.
56 
Die Klägerin kann nicht gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Var. BGB die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verlangen, da die zugrunde liegende Sicherungsabrede wirksam ist. Die Bürgschaft wurde daher mit rechtlichem Grund gestellt.
a)
57 
Die Beklagte hat die Bürgschaft durch Leistung der Klägerin erlangt.
b)
58 
Die Leistung der Bürgschaft ist nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt. Die Sicherheitenabrede verstößt nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB.
aa)
59 
Die Regelungen in den BVB stammen aus dem VHB Bund, Ausgabe 2008, Stand Mai 2010, wie sich aus dem Eindruck in der Fußzeile der vorgelegten Unterlagen ergibt. Es handelt sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die von der Beklagten gestellt wurden. Die Beklagte hat - als öffentliche Auftraggeberin - bereits in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots die Verwendung des Angebotsschreibens nach Formblatt 213EG verlangt, in welchem unter 1.1 angegeben ist, dass das Angebot die BVB (gemäß Formblatt 214) umfasst.
bb)
60 
Die Regelung in Nr. 4 BVB ist überschrieben mit „Sicherheitsleistung (§ 17 VOB/B)“. Sie ist untergliedert in drei Abschnitte: Nr. 4.1 regelt die „Stellung der Sicherheit“, Nr. 4.2 die „Art der Sicherheit“ und Nr. 4.3 die „Sicherheitsleistung durch Bürgschaft“.
61 
In Nr. 4.1 BVB wird zunächst im ersten Satz festgelegt, dass eine „Sicherheit für die Vertragserfüllung“ in Höhe von 5 % der Auftragssumme zu leisten ist. Die Voraussetzung, dass die Auftragssumme mindestens 250.000 EUR beträgt, ist im vorliegenden Fall unproblematisch gegeben und bedarf bei den nachfolgenden Betrachtungen keiner weiteren Beachtung. Im zweiten Satz heißt es, dass die „für Mängelansprüche zu leistende Sicherheit“ 3 % der „Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge“ „beträgt“. Der dritte Satz von Nr. 4.1 regelt den Rückgabezeitpunkt für eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche. Der vierte Satz statuiert die Berechtigung des Auftraggebers, Abschlagszahlungen einzubehalten, wenn der Auftragnehmer die Sicherheit für die Vertragserfüllung nicht binnen 18 Werktagen nach Vertragsabschluss durch Hinterlegung oder durch Vorlage einer Bürgschaft stellt. Im fünften und letzten Satz von Nr. 4.1 wird schließlich geregelt, dass der Auftragnehmer nach „Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz“ verlangen kann, dass die VE-Sicherheit in eine Mängelansprüchesicherheit „umgewandelt wird.“
62 
Nr. 4.2 BVB („Art der Sicherheit“) besagt, dass die Sicherheit wahlweise durch Einbehalt, Hinterlegung von Geld oder durch Bürgschaft geleistet werden kann und dass der Auftragnehmer die einmal von ihm gewählte Sicherheit durch eine andere ersetzen kann.
63 
Nr. 4.3 BVB regelt für den Fall der Sicherheitsleistung durch Bürgschaft, welche Formblätter für die Vertragserfüllung, für die Mängelansprüche und für vereinbarte Vorauszahlungen und Abschlagszahlungen zu verwenden sind. Für die VE-Bürgschaft ist danach das „Formblatt Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft - 421“ zu verwenden. Geregelt wird ferner, welche Erklärungen die Bürgschaftsurkunden enthalten müssen.
cc)
64 
Eine Sicherheitenabrede in AGB ist gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne die Interessen des Vertragspartners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - VII ZR 7/10 Rn. 18; Urteil vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13 Rn. 15). Eine unangemessen hohe Sicherheit führt zur Nichtigkeit der Sicherungsabrede. Eine geltungserhaltende Reduktion findet nicht statt. Dabei kann sich die unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers auch erst aus der Gesamtwirkung zweier, jeweils für sich genommen nicht zu beanstandender Klauseln ergeben. Dann sind beide Klauseln unwirksam (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - VII ZR 7/10 Rn. 16; Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 164/12 Rn. 27; Urteil vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13 Rn. 15).
65 
Eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn die vom Auftraggeber gestellten AGB dazu führen, dass der Auftragnehmer für einen jedenfalls erheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus für mögliche Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit in Höhe von 7 % oder sogar 10 % der Auftragssumme zu leisten hat (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 164/12 Rn. 24 m.w.N.; Urteil vom 22. Januar 2015 - VII ZR 120/14 Rn. 18). Nicht beanstandet werden für den nach der Abnahme liegenden Zeitraum Sicherheiten in Form von Gewährleistungsbürgschaften in Höhe von 5 % der Auftragssumme. Eine Sicherheit von insgesamt 7 % übersteigt aber das unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer angemessene Maß (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 164/12 Rn. 24).
66 
Gegenstand der Inhaltskontrolle ist der gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnde objektive Inhalt der in Frage stehenden Klausel (Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl., § 307 Rn. 8). Es gilt der Grundsatz der objektiven Auslegung: Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen (BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 - VIII ZR 152/15 Rn. 17 m.w.N.; Urteil vom 19. Dezember 2018 - VIII ZR 254/17 Rn. 18). Ansatzpunkt für die objektive, nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie ihr Wortlaut. Legen die Parteien allerdings der Klausel übereinstimmend eine von ihrem objektiven Sinn abweichende Bedeutung bei, ist diese maßgeblich (BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 - VIII ZR 152/15 Rn. 18 m.w.N.).
67 
Sofern nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten Zweifel verbleiben und zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, kommt die sich zu Lasten des Klauselverwenders auswirkende Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung. Unberücksichtigt bleiben allerdings Verständnismöglichkeiten, die theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend sind und nicht ernstlich in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 - VIII ZR 152/15 Rn. 19 m.w.N.). Bestehen mehrere Auslegungsmöglichkeiten, ist von der Auslegung auszugehen, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt. Maßgeblich bei der Auslegung ist also die (scheinbar) „kundenfeindlichste“ Auslegung, da diese im Ergebnis regelmäßig die dem Vertragspartner des Verwenders günstige Auslegung ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 - III ZR 144/07, BGHZ 175, 76, juris Rn. 9; Urteil vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, BGHZ 180, 257, juris Rn. 11).
dd)
68 
Ausgehend von diesen Grundsätzen verstößt die vorliegende Sicherheitenregelung nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB.
(1)
69 
Die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Stellung einer VE-Sicherheit in Höhe von 5 % der Auftragssumme ist für sich genommen nicht zu beanstanden. Das Verlangen einer Vertragserfüllungssicherheit in einer Größenordnung von 10 % der Auftragssumme ist in der Praxis verbreitet und wird nicht als missbräuchliche Durchsetzung der Interessen des Verwenders angesehen (st. Rspr., BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - VII ZR 7/10 Rn. 19; Urteil vom 7. April 2016 - VII ZR 56/15, BGHZ 210, 1, juris Rn. 72; Urteil vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13 Rn. 27). Auch die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Stellung einer Mängelansprüchesicherheit in Höhe von 3 % ist für sich genommen unproblematisch, da sie sich unterhalb der von der Rechtsprechung für zulässig erachteten Grenze von 5 % befindet (vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 164/12 Rn. 24).
(2)
70 
Eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin wegen Übersicherung der Beklagten könnte sich vorliegend daher nur ergeben, wenn sie für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus Sicherheiten für Mängelansprüche in Höhe von 8 % leisten müsste. Der Bundesgerichtshof hat zwar offengelassen, ob eine Vereinbarung, die eine Sicherheit durch eine kombinierte Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft von 6 % vorsieht, mit der gleichzeitig Überzahlungs- und Gewährleistungsansprüche abgesichert werden, noch als wirksam anzusehen ist. Er hat aber ausdrücklich entschieden, dass eine Sicherheit von insgesamt 7 % oder 8 % das angemessene Maß übersteigt (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 164/12 Rn. 24; Urteil vom 22. Januar 2015 - VII ZR 120/14 Rn. 18).
71 
Eine Sicherheit für Mängelansprüche in Höhe von 8 % könnte sich vorliegend nur ergeben, wenn die Klägerin nach der Regelung in Nr. 4 BVB für einen nicht unerheblichen Zeitraum sowohl die VE-Sicherheit in Höhe von 5 % als auch die Mängelansprüchesicherheit in Höhe von 3 % zu leisten hätte und wenn die VE-Sicherheit auch Mängelansprüche sichern würde. Dies ist aber nicht der Fall. Die Auslegung der vorliegenden Regelung ergibt, dass die Klägerin zu keinem Zeitraum eine Sicherheit für Mängelansprüche nach Abnahme in Höhe von mehr als 5 % zu leisten hatte. Das Verlangen einer Sicherheit für Mängelansprüche für den Zeitraum über die Abnahme hinaus in Höhe von 5 % ist aber unbedenklich und stellt keine unangemessene Übersicherung der Beklagten dar.
72 
Im Einzelnen:
73 
Hinsichtlich der Frage, welche Ansprüche mit den Sicherheiten gesichert werden sollen, unterscheidet sich das hier im Streit stehende Klauselwerk deutlich von denjenigen, die den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 1. Oktober 2014 und 22. Januar 2015 zugrunde lagen. In den dortigen Fällen war die Verpflichtung zur Stellung der Sicherheiten in Nr. 6 BVB geregelt, während sich aus Nr. 33 ZVB ergab, welche Ansprüche dadurch gesichert werden sollten. Das vorliegende Klauselwerk enthält dagegen nur in Nr. 4 BVB Regelungen zur Sicherheitsleistung. Die ZVB enthalten keine Klauseln bezüglich der Sicherheitsleistung. Die hier subsidiär anzuwendende VOB/B enthält zwar in § 17 Regelungen zur Sicherheitsleistung. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B dient die Sicherheit dazu, die vertragsgemäße Ausführung der Leistung und die Mängelansprüche sicherzustellen, ohne den jeweiligen Umfang der VE-Sicherheit und der Mängelansprüchesicherheit näher zu definieren. § 17 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B ist lediglich eine Auslegungsregel. Die Parteien können, wie sich aus § 17 Abs. 8 VOB/B ergibt, abweichend davon die Stellung einer Sicherheit für die Vertragserfüllung und einer Sicherheit für Mängelansprüche vereinbaren (vgl. Oberhauser BauR 2015, 553, 558). Von dieser Möglichkeit ist im vorliegenden Klauselwerk Gebrauch gemacht worden. Nr. 4.1 BVB regelt in den ersten beiden Absätzen die Höhe der zu stellenden „Sicherheit für die Vertragserfüllung“ und der „für Mängelansprüche zu leistende[n] Sicherheit“. Es wird also zwischen der VE-Sicherheit und der Mängelansprüchesicherheit unterschieden. Weiter folgt daraus, dass die VE-Sicherheit keine Mängelansprüche sichern soll und umgekehrt die Mängelansprüchesicherheit nicht die Vertragserfüllung sichert. Mit Vertragserfüllung sind dabei die bis zur Abnahme entstandenen Rechte des Auftraggebers und mit Mängelansprüche die Mängelrechte nach Abnahme gemeint. Dies ergibt sich neben der Unterscheidung der Vertragserfüllung von den Mängelansprüchen und der Unterscheidung zwischen diesen im BGB insbesondere aus der Klausel im letzten Satz von Nr. 4.1 BVB, die regelt, dass nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt werden kann.
74 
Welche Ansprüche von der jeweiligen Sicherheit im Einzelnen abgesichert werden, ist durch Auslegung zu ermitteln (Oberhauser BauR 2015, 553, 558). Auch wenn man im Einzelnen über die Abgrenzung der „bis zur Abnahme entstandenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz“ und den „Mängelansprüchen“ streiten kann (hierzu ausführlich Oberhauser BauR 2015, 553, 558 ff.), ergibt sich aus dem vorliegenden Klauselwerk eindeutig, dass etwaige Ansprüche nur entweder von der VE-Sicherheit oder von der Mängelansprüchesicherheit erfasst werden, nicht aber von beiden Sicherheiten gleichzeitig. Es gibt weder aus dem Wortlaut der Sicherheitenregelung in Nr. 4 BVB noch aus der sonstigen vertraglichen Regelung Anhaltspunkte dafür, dass die VE-Sicherheit auch Ansprüche sichern soll, die zugleich über die für Mängelansprüche zu leistende Sicherheit gesichert werden.
75 
Auch wenn der Auftraggeber die Sicherheit für die Vertragserfüllung für einen Zeitraum lange nach Abnahme, gegebenenfalls bis zum Abschluss der Streitigkeiten über Ansprüche aus der Zeit bis zur Abnahme behalten darf, liegt darin keine unangemessene Übersicherung, weil die während dieser Zeit entstandenen Mängelansprüche durch diese Sicherheit nicht abgesichert werden. Darin liegt der wesentliche Unterschied zu den vom Bundesgerichtshof in den Entscheidungen vom 1. Oktober 2014 und 22. Januar 2015 (und der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 2011 - VII ZR 79/10) behandelten AGB-Klauseln der öffentlichen Hand. Dort ergab sich aus Nr. 33.1 ZVB, dass die VE-Sicherheit „insbesondere für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Abrechnung, Gewährleistung und Schadensersatz sowie auf die Erstattung von Überzahlungen, einschließlich der Zinsen“ dienen sollte, und aus Nr. 33.2 ZVB, dass die Sicherheit für die Gewährleistung sich auf die „Erfüllung der Ansprüche auf Gewährleistung einschließlich Schadensersatz sowie auf die Erstattung von Überzahlungen einschließlich der Zinsen“ erstrecken sollte. Eine solche Überschneidung des Umfangs der beiden Sicherheiten kommt vorliegend nicht in Betracht.
76 
Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht aus der Regelung im ersten Absatz von Nr. 4.3 BVB über den Inhalt der VE-Bürgschaft. Leistet der Auftragnehmer die VE-Sicherheit durch Bürgschaft, hat er nach dieser Vorschrift die VE-Bürgschaft nach dem „Formblatt Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchesicherheit - 421“ zu stellen.
77 
Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass zwischen dem Sicherungsmittel und der Sicherungsabrede zu unterscheiden ist. Da die gesamte Regelung in Nr. 4 BVB aber Teil der Sicherungsabrede ist, sind auch die Einzelregelungen in Nr. 4.3 BVB bei der Auslegung der Klausel zu berücksichtigen.
78 
In dem Formblatt 421 heißt es:
79 
„Nach den Bedingungen dieses Vertrages hat der Auftragnehmer Sicherheit für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Erfüllung der Mängelansprüche zu leisten. Er leistet die Sicherheit in Form dieser Bürgschaft“
80 
Zweck der Regelung in Nr. 4.3 BVB ist es nicht, den Sicherungsumfang der VE-Sicherheit auf Mängelansprüche zu erstrecken. Im Bürgschaftsformular wird ausdrücklich auf die Bedingungen des Bauvertrags Bezug genommen. Daraus wird deutlich, dass durch das Bürgschaftsformular die Sicherungsabrede zur Vertragserfüllung und im Hinblick auf die Mängelansprüche nicht erweitert werden soll, sondern die vertragliche Vereinbarung unverändert Grundlage für die Bürgschaft ist. Damit korrespondiert, dass die Bürgschaftsurkunde ausweislich ihrer Bezeichnung Vertragserfüllungs- und Mängelansprüche absichern soll, also nicht nur eine Vertragserfüllungsbürgschaft oder eine Mängelansprüchebürgschaft vorliegt.
81 
Mit der kombinierten VE- und Mängelansprüchebürgschaft erhält der Auftraggeber beide vom Auftragnehmer zu leistenden Sicherheiten auf einmal. Dies hat für den Auftraggeber den Vorteil, dass er durchgängig über Sicherheiten verfügt und der lästige Austausch der VE-Bürgschaft in eine Mängelansprüchesicherheit entfällt (zu den Vorteilen sowie den Nachteilen und Risiken einer Kombibürgschaft v. Kiedrowski BauR 2016, 320, 327). Hat ein Auftragnehmer die Sicherheit in Form einer kombinierten Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft geleistet, steht dem Auftraggeber daneben kein zusätzlicher Anspruch auf Stellung einer Mängelansprüchesicherheit zu. Solange der Auftraggeber eine Kombibürgschaft vorliegen hat, kann er keine Mängelansprüchesicherheit verlangen.
82 
Nicht ausdrücklich geregelt ist, wie hoch die kombinierte Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft zu sein hat. Nachdem diese kombinierte Bürgschaft gemäß Nr. 4.3 BVB für die Vertragserfüllung zu stellen ist, bemisst sich die Höhe an der Vereinbarung unter Nr. 4.1 BVB zur Vertragserfüllung und darf daher höchstens 5 % der Auftragssumme betragen.
83 
Wird die kombinierte Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft i.H.v. 5 % gestellt, ist der vertragliche Anspruch des Auftraggebers auf eine Sicherheit für Mängelansprüche (nach Abnahme) bereits vollständig abgedeckt und unter Umständen - abhängig vom Umfang der Nachträge - sogar mit 2 Prozentpunkten übererfüllt. Nachdem die von der Rechtsprechung als noch angemessen angesehene Höhe von 5 % für eine Mängelansprüchesicherheit nach Abnahme nicht überschritten wird, liegt keine unangemessene Übersicherung von Mängelansprüchen vor. Darüber hinaus hat der Auftragnehmer nach dem letzten Satz von Nr. 4.1 BVB die Möglichkeit, auf sein Verlangen nach Wegfall des Sicherungszwecks für die Vertragserfüllungssicherheit die zu stellende Sicherheit auf 3 % der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge zu reduzieren, was im Regelfall auch mit einer Reduzierung der Kosten für die Sicherheit verbunden sein wird. Ein Anspruch des Auftraggebers, der bereits im Besitz einer Kombibürgschaft ist, zusätzlich noch eine (weitere) Sicherheit für die Mängelansprüche zu bekommen, besteht gerade nicht. Die Austauschmöglichkeit steht dem Auftragnehmer zwar erst nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz zu. Dies ändert aber nichts daran, dass der Auftragnehmer, der die VE-Sicherheit in Höhe von 5 % der Auftragssumme in Form einer Kombibürgschaft nach Formblatt 421 gestellt hat, nicht verpflichtet ist, zusätzlich noch eine Mängelansprüchesicherheit in Höhe von 3 % der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge zu stellen. Die Regelung in Nr. 4.3 BVB ändert also nichts an dem Ergebnis, dass es hinsichtlich der Sicherung von Mängelansprüchen nicht zu einer Überlappung der beiden Sicherheiten mit der Folge einer Sicherung dieser Ansprüche in Höhe von 8 %, also einer unangemessen hohen Sicherung, kommen kann.
84 
Eine unangemessen hohe Sicherung der Auftraggeberin liegt auch dann nicht vor, wenn die Sicherheitsleistung nicht durch Bürgschaft erbracht wird.
85 
In diesem Fall kommt es für die Höhe der Sicherheiten insgesamt darauf an, wann die Sicherheit für Mängelansprüche zu stellen ist. Im Vertrag findet sich dazu keine ausdrückliche Regelung. Aus dem zweiten Satz von Nr. 4.1 BVB ergibt sich lediglich, dass eine Sicherheit für Mängelansprüche in Höhe von 3 % der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge zu leisten ist. Im dritten Satz von Nr. 4.1 BVB wird lediglich geregelt, wann eine nicht verwertete Mängelansprüchesicherheit zurückzugeben ist, nämlich nach Ablauf der Verjährungsfrist für alle Mängelansprüche. Nach seinem Wortlaut regelt der letzte Satz von Nr. 4.1 BVB nicht die Fälligkeit der Sicherheit für Mängelansprüche, sondern lediglich ein Austauschrecht. Wenn dort davon die Rede ist, dass der Auftragnehmer die Umwandlung „verlangen“ kann, ist dies nicht primär eine Regelung über seine Verpflichtung zur Stellung der Mängelansprüchesicherheit, sondern eine - dieser Verpflichtung nachgelagerte - Befugnis des Auftragnehmers. Auch nach dem Sinn und Zweck der Mängelansprüchesicherheit ergibt die Auslegung, dass mit diesem Satz in Nr. 4.1 BVB lediglich das Umwandlungsrecht geregelt werden soll und keine vertragliche Bestimmung zur Fälligkeit der Sicherheit für die Mängelansprüche getroffen wurde. Von Inhalt und Stellung innerhalb des Vertrags ist zwar eine Auslegung des letzten Satzes in Nr. 4.1 BVB dahin möglich, dass damit die Fälligkeit der Sicherheit für die Mängelansprüche geregelt werden soll und diese nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche eintreten soll. Dieser Satz steht unmittelbar im Anschluss an die Regelung der Fälligkeit der Sicherheit für die Vertragserfüllung. Er bestimmt, wann der Auftraggeber eine Sicherheit für Mängelansprüche in Höhe von nur noch 3 % hinnehmen muss. Eine Umwandlung macht nur dann Sinn, wenn der Auftragnehmer nicht bereits zuvor vertragsgemäß eine Sicherheit für Mängelansprüche stellen musste. Deshalb könnte darin eine Regelung der Fälligkeit für die Sicherheit für Mängelansprüche zu sehen sein. Die Verpflichtung des Stellens einer solchen Sicherheit bereits unmittelbar nach Vertragsschluss hat für den Auftraggeber zunächst keine Vorteile, weil in diesem Abwicklungsstadium des Vertrags noch gar keine zu sichernden Mängelansprüche nach Abnahme entstehen können und der Auftragnehmer daher grundlos belastet würde, ohne dass dem ein wesentlicher Vorteil des Auftraggebers gegenüberstünde. Entscheidend gegen eine solche Auslegung spricht indes, dass dann der Verwender dieser Klausel möglicherweise über einen langen Zeitraum, unter Umständen sogar bis zum Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche, im Hinblick auf Mängelrechte nach Abnahme ungesichert wäre, wenn die Klärung aller bis zur Abnahme erhobenen Ansprüche weit in die Gewährleistungszeit hinein andauert oder sogar über diese hinausgeht. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Auftraggeber, der eine Mängelsicherheit nach Abnahme haben möchte, im Fall von Streitigkeiten über die Rechte, die vor Abnahme entstanden sind, zeitweise oder möglicherweise für die gesamte Dauer der Gewährleistungsfrist auf eine Mängelsicherheit verzichten will.
86 
Es kommt somit allein eine Auslegung in Betracht, nach der es an einer vertraglichen Regelung der Fälligkeit für die Mängelansprüchesicherheit fehlt. Dann tritt Fälligkeit insoweit frühestens mit Abschluss des Vertrags ein. § 17 Abs. 7 S. 1 VOB/B sieht vor, dass die Sicherheit binnen 18 Werktagen nach Vertragsabschluss zu leisten ist, wenn nichts anderes vereinbart ist. Diese Regelung gilt auch für die in § 17 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B aufgeführten Mängelansprüche nach Abnahme (s.a. Joussen in Ingenstau/Korbion, 20. Aufl., § 17 Abs. 1 VOB/B Rn. 48, der allerdings betont, dass die Mängelsicherheit erst nach Abnahme valutiert). Im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB ist gemäß § 305c Abs. 2 BGB die für die Beklagte als Klauselverwenderin ungünstigere Auslegung zugrundezulegen. Das ist im Hinblick auf die Frage einer Übersicherung die Auslegung, wonach Fälligkeit der Mängelansprüchesicherheit bereits 18 Tage nach Vertragsabschluss eintritt. Ein solches Verständnis führt dazu, dass der Auftragnehmer, wenn keine kombinierte Bürgschaft gestellt wurde, vor Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz Sicherheiten in Höhe von insgesamt 8 % der Auftragssumme (gegebenenfalls einschließlich 3 % der Auftragssumme erteilter Nachträge) zu stellen hat. Es gibt allerdings keinen Rechtssatz, dass von einem Vertragspartner in AGB keine Sicherheit i.H.v. 8 % verlangt werden dürfe. Zwar wird dem Auftragnehmer bei einem entsprechend hohen Einbehalt des Auftraggebers in einem erheblichen Maß Liquidität entzogen und in einem entsprechenden Umfang das Insolvenzrisiko des Vertragspartners auferlegt. Dies ist im Licht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber schon deshalb unbedenklich, weil diese Sicherheiten in Höhe von insgesamt 8 % nicht insgesamt für die Vertragserfüllung (was unbedenklich wäre) und für Mängelansprüche nach Abnahme (was bedenklich wäre) zur Verfügung stünden. Aufgrund des Sicherungszwecks dienen auch bei einer Sicherheitsleistung in Höhe von insgesamt 8 % lediglich 5 % für die Absicherung der Vertragserfüllung und lediglich 3 % für die Absicherung von Mängelansprüchen nach Abnahme. Dies ist unbedenklich und vom Sicherungsinteresse des Auftraggebers gedeckt. Maßgeblich für eine Unangemessenheit ist in erster Linie nicht, wie viel Liquidität der Auftragnehmer für Sicherheiten insgesamt einsetzen muss, sondern ob eine unangemessen hohe Sicherung der Vertragserfüllungsansprüche oder eine unangemessene hohe Sicherung von Mängelansprüchen vereinbart wurde. Bei der Höhe der Sicherheiten ist der jeweilige Sicherungszweck zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 25. März 2004 - VII ZR 453/02, juris Rn. 28). In Anbetracht der für die private Bauwirtschaft geltenden Obergrenze eines berechtigten Sicherungsinteresses i.H.v. 10 % der Auftragssumme wird im Übrigen dem Auftragnehmer durch die vorliegende Regelung Liquidität nicht über Gebühr entzogen. Ein angemessener Ausgleich erfolgt nach den BVB dadurch, dass der Auftragnehmer durch das Stellen einer kombinierten Bürgschaft gemäß Nr. 4.3 BVB die Höhe der Sicherheit auf 5 % der Auftragssumme reduzieren kann. Auch dann wäre die Regelung der Sicherheiten nicht unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB.
ee)
87 
Die Unwirksamkeit der Sicherungsvereinbarung ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin in der Berufungserwiderung vorgebrachten Gründen oder sonstigen Erwägungen.
(1)
88 
Die Klägerin verweist zutreffend darauf, dass der Auftragnehmer nach dem letzten Satz von Nr. 4.1 BVB die Umwandlung der VE-Sicherheit in eine Sicherheit für Mängelansprüche erst verlangen kann, wenn alle bis zur Abnahme erhobenen Ansprüche erfüllt sind. Mitumfasst ist also nach dem Wortlaut die Erfüllung unberechtigt erhobener Forderungen. Will der Auftragnehmer also durch Umwandlung der VE-Sicherheit in eine Mängelansprüchesicherheit eine Verringerung der Gesamtsicherheit erreichen, müsste er unter Umständen auch solche Ansprüche, die er nicht für berechtigt hält, unter Vorbehalt erfüllen und anschließend die Rückforderung nötigenfalls klageweise geltend machen.
89 
Entgegen der Ansicht der Klägerin stellt dies aber keine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB dar. Es besteht ein berechtigtes Sicherungsinteresse des Auftraggebers bis zum Abschluss von Rechtsstreitigkeiten über die erhobenen Ansprüche und Abklärung von deren Berechtigung. Die Beklagte verweist zutreffend darauf, dass bei jeder Sicherheitenstellung das Risiko einer Inanspruchnahme der Sicherheit durch den Sicherungsnehmer für tatsächlich nicht berechtigte Ansprüche besteht. Alleine dieses Risiko begründet keine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des AGB-Verwenders. Vielmehr führt dieses Risiko schon deshalb nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung, weil die Höhe der Sicherheit begrenzt ist. Die Inanspruchnahme der Sicherheit für tatsächlich nicht bestehende Ansprüche kann betragsmäßig nicht zu einer höheren Belastung des Auftragnehmers führen, als er ohnehin aufgrund der Sicherheitenabrede gewärtigen musste. Die Frage einer Unangemessenheit stellte sich deshalb auch in der von der Klägerin zitierten Entscheidung des OLG Karlsruhe (Urteil vom 6. August 2013 - 19 U 99/12; dort ging es um einen 2003 geschlossenen Vertrag, in den die KEVM (B) BVB, die KEVM (B) WBVB und die KEVM (B) ZVB einbezogen waren) lediglich im Zusammenhang mit der Kumulation verschiedener Sicherheiten, so dass die für Gewährleistungsrechte zulässige Obergrenze überschritten wurde. Die weiteren von der Klägerin zitierten Entscheidungen sind ebenfalls nicht geeignet, dieses Ergebnis in Frage zu stellen. Insbesondere ergibt sich dies nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Januar 2015 (VII ZR 120/14 Rn. 22). Danach ist die der dortigen Entscheidung zugrunde liegende Sicherungsabrede auch dann unwirksam, wenn sie die Bestimmung in Nr. 34.6 ZVB nicht enthielte. Dort war geregelt, dass die VE-Bürgschaft nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung zurückgegeben wird, wenn der Auftragnehmer die Leistung vertragsgemäß erfüllt hat, etwaige erhobene Ansprüche befriedigt hat und eine vereinbarte Sicherheit für Gewährleistung geleistet hat. Entscheidend für die Unwirksamkeit der dortigen Sicherungsabrede war aber, wie bereits dargelegt wurde, die Kumulation der Gewährleistungssicherheit und der VE-Sicherheit, deren Rückgabe letztlich im Belieben des Auftraggebers stand, da die VE-Sicherheit auch Gewährleistungsansprüche sicherte (so auch beispielsweise in den Entscheidungen des OLG Dresden, Beschluss vom 15. Juli 2008 - 12 U 781/08; OLG Hamm, Urteil vom 2. März 2010 - I-21 U 139/09; LG Heilbronn, Urteil vom 13. April 2016 - Si 8 O 128/15; OLG Celle, Urteil vom 6. April 2017 - 8 U 204/16; weitere Rechtsprechungsnachweise bei Thierau in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl., § 17 VOB/B Rn. 41). Nur aufgrund dieses Umstands, der den dortigen Sachverhalt vom vorliegenden Sachverhalt unterscheidet, kommt es zur Unwirksamkeit der Sicherheitenabrede.
90 
Ein Verständnis der vorliegenden Klausel, dass auch als unberechtigt erkannte Forderungen für die Umwandlung der Sicherheit erfüllt sein müssten, ist nicht möglich.
(2)
91 
Gemäß der Regelung in Nr. 4.3 BVB muss die Bürgschaft zur Ablösung des Bareinbehalts den Verzicht auf die Einreden der Anfechtbarkeit und der Aufrechenbarkeit sowie der Vorausklage enthalten.
92 
Es kann offenbleiben, ob der Verzicht auf die Einrede der Anfechtbarkeit eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners der Beklagten als Klauselverwenderin darstellt. Selbst wenn dies der Fall sein sollte (anders wohl BGH, Urteil vom 19. September 1985 - III ZR 214/83, BGHZ 95, 350, juris Rn. 35; offengelassen im Urteil vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13 Rn. 31; Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl., § 307 Rn. 79; Sprau in Palandt, BGB, 78. Aufl., § 770 Rn. 1a), hätte eine Unwirksamkeit dieses Teils der Klausel nicht die Unwirksamkeit der Verpflichtung zur Sicherheitenstellung in Nr. 4 BVB zur Folge. Die Unwirksamkeit einer Teilklausel ergreift die Gesamtklausel nur, wenn der als wirksam anzusehende Teil im Gesamtgefüge des Vertrags nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13 Rn. 33 m.w.N.). Die Regelungen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Bürgschaftsvertrages in Nr. 4.3 BVB sind von der Verpflichtung zur Stellung der Sicherheit in Nr. 4.1 BVB trennbar und haben nur untergeordnete Bedeutung. Die Vereinbarung, eine VE-Sicherheit und eine Sicherheit für Mängelansprüche zu stellen, ist auch ohne die Regelungen zum Inhalt der Bürgschaft aus sich heraus verständlich und sinnvoll (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13 Rn. 34).
(3)
93 
Eine Unwirksamkeit ergibt sich auch nicht aus einer fehlenden Transparenz der Höhe der Sicherheit. Die Bezugsgrößen, aus denen die Höhe der Sicherheit für die Vertragserfüllung und der Sicherheit für Mängelansprüche zu berechnen ist, sind nicht unklar oder intransparent. Alleine der Umstand, dass die Höhe der VE-Sicherheit 5 % „der Auftragssumme“ beträgt, während die Höhe der für Mängelansprüche zu leistenden Sicherheit 3 % „der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge“ beträgt, führt nicht zu einer Intransparenz hinsichtlich der Höhe.
(4)
94 
Die Unwirksamkeit der Sicherheitenabrede ergibt sich schließlich nicht aus den unterschiedlichen Bezugswerten für die Berechnung der Höhe der VE- und der Mängelansprüchesicherheit. Insoweit wird es als problematisch angesehen, dass es bei Vereinbarung einer Kombibürgschaft im Fall einer reduzierten Abrechnungssumme zu einer Übersicherung und damit zur Unwirksamkeit der Sicherungsabrede kommen kann, weil die zulässige Höhe von 5 % der Abrechnungssumme für die Mängelansprüchesicherheit überschritten wird (v. Kiedrowski BauR 2016, 320, 327; s.a. Joussen in Ingenstau/Korbion, 20. Aufl., § 17 Abs. 1 VOB/B Rn. 45 unter Hinweis auf OLG Frankfurt, Urteil vom 12. Mai 2016 - 22 U 34/15, juris Rn. 49). Tatsächlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den nach Abnahme liegenden Zeitraum eine Gewährleistungsbürgschaft „in Höhe von 5 % der Auftragssumme“ nicht zu beanstanden (vgl. nur BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - VII ZR 179/10 Rn. 28; Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 164/12 Rn. 24; Urteil vom 22. Januar 2015 - VII ZR 120/14 Rn. 18; Urteil vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13 Rn. 29).
95 
Aber auch wenn man dies anders sehen sollte, ergäbe sich daraus nicht die Unwirksamkeit der Regelung über die VE-Sicherheit. Wäre die Regelung über die Mängelansprüchesicherheit wegen des Abstellens auf die Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge wegen Übersicherung unwirksam, würde dies die Vereinbarung über die VE-Sicherheit i.H.v. 5 % der Auftragssumme als davon losgelöste und trennbare Regelung nicht beeinträchtigen. Dies gilt auch für das Formblatt „Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft - 421“, das in Nr. 4.3 BVB für die Stellung der VE-Bürgschaft vorgegeben ist. In dem dort enthaltenen Text:
96 
„Nach den Bedingungen dieses Vertrages hat der Auftragnehmer Sicherheit für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Erfüllung der Mängelansprüche zu leisten.“
97 
lassen sich ohne Weiteres die Worte „einschließlich Erfüllung der Mängelansprüche“ streichen. Auch in der Kopfzeile lässt sich problemlos das Wort „Mängelansprüchebürgschaft“ streichen. Wie bereits dargelegt wurde, ergreift die Unwirksamkeit einer Teilklausel die Gesamtklausel nur, wenn der als wirksam anzusehenden Teil im Gesamtgefüge des Vertrags nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss (BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13 Rn. 33 m.w.N.). Der verbleibende Rest würde vorliegend seinen Sinn behalten, ohne dass von einer gänzlich neuen Vertragsgestaltung bezüglich der VE-Sicherheit gesprochen werden müsste.
98 
Die Klägerin hätte daher lediglich Anspruch auf Austausch der Bürgschaftsurkunde gegen ein Formblatt 421 mit den genannten Streichungen. Die Höhe der Sicherheit (5 % der Auftragssumme für die Vertragserfüllung) wäre nicht beeinträchtigt. Sollte man die Auffassung vertreten, das Formular 421 könne nur einheitlich behandelt werden, müsste die Beklagte die Bürgschaftsurkunde nur Zug um Zug gegen Sicherheitsleistung nach Nr. 4.2 BVB herausgeben. Das wäre lediglich dann nicht mehr der Fall, wenn die Leistung der Klägerin abgenommen und Vertragserfüllungsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden. Die Parteivertreter haben vorliegend aber in der Verhandlung vor dem Senat übereinstimmend erklärt, dass noch Vertragserfüllungsansprüche geltend gemacht werden.
c)
99 
Da die Beklagte nicht zur Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verpflichtet ist, bedarf die Frage, ob ihr ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Anspruch der Klägerin auf Herausgabe der Bürgschaft zusteht, keiner Entscheidung.
2.
100 
Da die Sicherungsabrede wirksam ist, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Freistellung von den Avalprovisionen für den Zeitraum vom 24. September 2016 bis zur Rückgabe der Bürgschaftsurkunde.
101 
Ihr steht auch kein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 10.416,90 EUR nebst Zinsen zu.
III.
102 
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 ZPO.
103 
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
104 
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen. Die Klauseln aus dem Vergabehandbuch des Bundes finden bundesweit bei vielen (öffentlichen) Bauvorhaben Anwendung. Soweit ersichtlich gibt es keine ober- oder höchstgerichtlichen Entscheidungen zur Frage der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Sicherheitenregelung aus dem Vergabehandbuch des Bundes, Ausgabe 2008, Stand Mai 2010. Es besteht daher ein Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung, auch wenn die Regelung im Vergabehandbuch mittlerweile anders gefasst ist.
105 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, § 48 Abs. 1 GKG. Den Wert des Klageantrags Ziff. 1 beziffert der Senat mit 2.064.178,00 EUR. Der Wert eines auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde gerichteten Verfahrens ist nicht ohne weiteres mit dem Wert der dieser zugrundeliegenden Forderung identisch, sondern nach § 3 ZPO zu schätzen. Maßgebend ist das Interesse des Klägers am Besitz der Urkunde. Dies kann geringer sein als der Wert der Bürgschaftsforderung, aber auch diesem Wert entsprechen (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1993 - IX ZR 104/93, juris Rn. 1; s.a. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2006 - VIII ZB 93/04, juris Rn. 8). Der letztgenannte Fall ist vorliegend gegeben. Die Klägerin will mit der Herausgabeklage eine Inanspruchnahme des Bürgen verhindern.
106 
Hinsichtlich des Klageantrags Ziff. 2 (Freistellungsantrag bzgl. Avalprovision) erscheint der vom Landgericht in Anlehnung an § 9 ZPO angesetzte Betrag von 144.000,00 EUR (ca. 3,5 Jahre x 2 % jährlich aus 2.064.178,00 EUR) angemessen.

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