Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 14 U 89/19

Tenor

1. Das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 08.05.2019, Az. 6 O 94/18, wird abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 20.488,48 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.12.2018, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Marke Volkswagen, Typ EOS, FIN: ..., zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 EUR zu erstatten.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

6. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/3, die Beklagte 2/3.

7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

8. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 30.787,98 EUR.

Gründe

 
I.
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. „Diesel-Skandal“ geltend.
Er erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug, einen VW EOS 2,0 TDI, im März 2015 als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 30.787,98 (s. Rechnung Anl. K 1, GA 36 f.). Das Auto ist ausgestattet mit einem Motor des Typs EA 189.
Der Motor des Fahrzeugs verfügte über eine Software, die in der Lage war, zu erkennen, ob sich das Fahrzeug im Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befand. In diesem Fall schaltete die Software den Motor automatisch vom Betriebsmodus 0, unter dem das Fahrzeug normalerweise im Straßenverkehr betrieben wird, zum Betriebsmodus 1, in dem die Abgasrückführungsrate erhöht wird, wodurch insbesondere weniger Stickoxide ausgestoßen werden.
Das Kraftfahrtbundesamt erließ eine Anordnung, mit der der Beklagten aufgegeben wurde, die betroffenen Fahrzeuge - darunter auch das Fahrzeug des Klägers - zurück zu rufen, die Software, bei der es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.
Mit Anwaltsschreiben vom 30.10.2018 forderte der Kläger die Beklagte auf, ihre Einstandspflicht für Schäden, die aus dem sog. „Diesel-Skandal“ resultieren, anzuerkennen und setzte hierfür eine Frist bis 13.11.2018.
Der Kläger macht geltend, es habe sich bei der verbauten Software um eine illegale Abschalteinrichtung gehandelt, weshalb dem Fahrzeug die Typgenehmigung nicht hätte erteilt bzw. nachträglich hätte entzogen werden müssen. Die Klägerin sei über den Umstand, dass die Typgenehmigung erschlichen war, beim Erwerb des Fahrzeugs getäuscht worden. Die Beklagte habe bewusst und heimlich aus übermäßigem Gewinnstreben das Fahrzeug mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet, weil sie sich anders nicht in der Lage gesehen habe, die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaswerte einzuhalten. Daran ändere auch das nachträglich aufgespielte Software-Update nichts.
Es sei auch davon auszugehen, dass die Entwicklung und der Einsatz der Manipulationssoftware in Kenntnis des Vorstands der Beklagten erfolgte. Der Beklagten obliege hinsichtlich der Frage, welche Vorstandsmitglieder und sonstige Mitarbeiter der Beklagten wann und in welchem Umfang Kenntnis bezüglich des Einsatzes der illegalen Abschalteinrichtung hatten, eine sekundäre Darlegungslast.
Die Beklagte hafte deshalb wegen sittenwidriger Schädigung aus §§ 826 i.V.m. § 31 BGB sowie auch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 Fall 2 StGB. Der Vertrag sei unter Anrechnung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung rückabzuwickeln.
Der Preis für Dieselautos sei durch den sogenannten „Diesel-Skandal“ drastisch, mindestens um 25% gesunken. Ein Feststellungsinteresse bezüglich weiterer Folgeschäden ergebe sich daraus, dass damit zu rechnen sei, dass durch das erforderliche Software-Update Folgeschäden wie z.B. ein erhöhter Treibstoffausstoß, Motorruckeln, verlangsamte Beschleunigung oder eine geringere Leistungsfähigkeit eintreten würden.
10 
Der Klägerseite seien Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,5 Geschäftsgebühr aus dem Gegenstandswert von 30.787,00 EUR entstanden.
11 
Die Beklagte schulde zudem Zinsen auf der Grundlage von § 849 BGB.
12 
Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt - zunächst hatte er den Antrag ohne Anrechnung eines Nutzungsersatzes gestellt - beantragt:
13 
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Marke Volkswagen, Typ EOS, FIN: ... an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 30.787,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit unter Anrechnung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeuges, hilfsweise gegen Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 1,00 EUR zu zahlen.
14 
Hilfsweise:
15 
(1.) Die Beklagte zu verurteilen, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises des Fahrzeuges in Höhe von 30.787,00 Euro, mindestens somit 7.697,75 EUR, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
16 
(2.) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei über den Betrag aus Hilfsantrag zu 1) hinausgehenden Schadensersatz für weitere Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs, FIN: ... mit der manipulierten Motorsoftware resultieren, zu zahlen.
17 
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4% aus 30.787,00 EUR seit dem 12.03.2015 bis zu Beginn der Rechtshängigkeit zu bezahlen.
18 
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.698,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
19 
Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt:
20 
Klageabweisung.
21 
Sie hat geltend gemacht, dass es sich bei der im Fahrzeug verbauten Umschalt-Software nicht um eine illegale Abschalteinrichtung gehandelt habe. Das Fahrzeug habe über eine wirksame EG-Typgenehmigung verfügt und habe jederzeit uneingeschränkt genutzt werden können. Es habe auch keine Entziehung der Typgenehmigung gedroht. Das KBA habe lediglich eine nachträgliche Nebenbestimmung zur Typgenehmigung erlassen. Durch das vom KBA freigegebene Software-Update sei zudem die monierte, ursprünglich verwendete „Umschaltlogik“ beseitigt worden.
22 
Ein merkantiler Minderwert aufgrund der im Fahrzeug verbauten Software habe nicht bestanden und bestehe weiterhin nicht. Das Software Update habe keine negativen Auswirkungen auf den Motor und dessen Kraftstoffverbrauch, Emissionswerte oder Leistungsfähigkeit.
23 
Die Beklagte habe nicht sittenwidrig gehandelt. Insbesondere habe die Beklagte den Kläger nicht getäuscht. Es gebe zudem keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von der Software und deren Funktionsweise Kenntnis gehabt hätte. Der Beklagte habe auch nicht dargetan, dass ein Vorstandsmitglied der Beklagten im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 12.03.2015 von der verbauten Software Kenntnis gehabt habe. Dies sei aber Voraussetzung für einen etwaigen Schädigungsvorsatz. Nach derzeitigem Ermittlungsstand sei die Entscheidung, die Motorsteuerungssoftware zu verändern, „von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneten Arbeitsebenen“ getroffen worden. Die Voraussetzungen für die Annahme einer sekundären Darlegungslast der Beklagten seien nicht erfüllt.
24 
Wegen des weiteren Vortrags in erster Instanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
25 
2. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 08.05.2019 die Klage abgewiesen.
26 
Der Hauptantrag sei unzulässig, da unbestimmt. Der Betrag, welcher als Nutzungsersatz in Anrechnung zu bringen sei, sei zu beziffern.
27 
Der Hilfsantrag sei unbegründet, da dem Kläger die geltend gemachten Schadensersatzansprüche dem Grunde nach nicht zustünden.
28 
Zwar sei durch den bestandskräftigen Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes bindend festgestellt, dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. II der Verordnung (EG) Nummer 715/2007 gehandelt habe. Eine der Beklagten zurechenbare Täuschung hierüber, die Voraussetzung für eine Haftung aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB wäre, sei aber nicht nachgewiesen. Eine aktive Täuschungshandlung sei nicht ersichtlich. Für eine Täuschung durch Unterlassen fehle es an einer Garantenstellung. Eine Aufklärungspflicht bezüglich der Verwendung der Abschalteinrichtung hätte allenfalls dann bestanden, wenn die EG-Typgenehmigung für das Fahrzeug deshalb erloschen oder deren Entziehung gedroht hätte. Das sei aber nicht der Fall gewesen, nachdem das KBA lediglich eine Nebenbestimmung zur bestehenden Typgenehmigung angeordnet habe.
29 
Schadensersatzansprüche aus §§ 826 Abs. 1, 31 BGB bzw. § 831 BGB würden ausscheiden, da es an einem der Beklagten zurechenbaren sittenwidrigen Verhalten fehle. Selbst der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei, die Kenntnis der Beklagten hiervon unterstellt, nicht als sittenwidrig einzustufen, was näher ausgeführt wird (LGU 354 f.). Im Übrigen sei der Schaden nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst und die Zuerkennung eines deliktischen Direktanspruches gegen den Hersteller würde die vertragliche Risikozuweisung, die grundsätzlich die Geltendmachung von Ansprüchen innerhalb der bestehenden Vertragsverhältnisse vorsehe, konterkarieren.
30 
Aus den genannten Gründen seien auch die Hilfsanträge unbegründet, und es bestehe schon mangels Hauptforderung kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen.
31 
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils (GA 345 ff.) verwiesen.
32 
3. Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung seine erstinstanzlichen Klageziele weiter, wobei er nunmehr in Erweiterung seines erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrags erneut eine Rückerstattung des Kaufpreises ohne Anrechnung einer Nutzungsentschädigung begehrt.
33 
Der Hauptantrag in erster Instanz sei entgegen der Auffassung des Landgericht zulässig gewesen. Die Angabe eines konkreten Betrages für die anzurechnende Nutzungsentschädigung sei nicht erforderlich gewesen, da die Bestimmung des genauen Betrages von einer gerichtlichen Schätzung (§ 287 ZPO) abhängig sei. Ein solche Schätzung sei auch möglich gewesen. Der Kläger habe dargelegt, dass er von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 bis 500.000 km ausgehe. Auch der Kilometerstand hätte bei entsprechendem Hinweis des Gerichts angegeben werden können. Er betrage - was unstreitig ist - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat 100.359 km.
34 
In der Sache stünde ihm der als Hauptantrag geltend gemachte Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs insbesondere aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB sowie alternativ aus § 826 BGB zu. Insoweit wiederholt und vertieft die Klägerin ihre erstinstanzlich bereits vorgetragene Rechtsauffassung.
35 
Die Anrechnung eines Nutzungsersatzes sei von Rechts wegen nicht geschuldet, was näher begründet wird (GA 398 ff.).
36 
Der Kläger beantragt (GA 373 f.):
37 
1. Das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 08.05.2019 (Az. 6 O 94/18) wird aufgehoben.
38 
2. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Marke: Volkswagen, Typ: EOS, FIN: ... an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 30.787,98 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
39 
Hilfsweise:
40 
1. Die Beklagte wird verurteilt, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises des Fahrzeugs 30.787,98 EUR, mindestens somit 7.696,75 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
41 
Die Beklagte beantragt (GA 413):
42 
Die Berufung wird zurückgewiesen.
43 
Zur Begründung verteidigt sie das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags.
44 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat (GA 478 f.) verwiesen.
II.
45 
Die zulässige Berufung hat in der Sache in wesentlichen Punkten Erfolg. Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang überwiegend begründet.
46 
1. Die Klage ist zulässig. Die vom Landgericht behandelte Problematik der hinreichenden Bestimmtheit des Hauptantrags Ziff. 1 stellt sich in zweiter Instanz nicht mehr, nachdem der Klageantrag insoweit - gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässiger Weise, was auch in der Berufungsinstanz möglich ist (BGH, NJW 2004, 2152, 2154 f.) - (wieder) erweitert wurde, als nunmehr die Rückzahlung des Kaufpreises ohne Anrechnung einer Nutzungsentschädigung begehrt wird. Im Übrigen ist die Auffassung des Landgerichts, ein im Wege der Vorteilsausgleichung anrechenbarer Nutzungsersatz müsse zwingend beziffert werden, unzutreffend. Da der anzurechnende Nutzungsersatz als Teil der Berechnung der Schadenshöhe vom Gericht auf der Grundlage von § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO geschätzt werden kann, ist es ausreichend, wenn dem Gericht die für eine Schätzung erforderlichen tatsächlichen Grundlagen, insbesondere die gefahrenen Kilometer sowie zumindest größenordnungsmäßig die vom Kläger angenommene zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs, mitgeteilt werden (vgl. zur Zulässigkeit eines unbestimmten Klageantrags in den Fällen des § 287 ZPO: BGHZ, 4, 138, 142). Hierauf hätte das Landgericht hinweisen müssen.
47 
2. Die Klage ist im tenorierten Umfang überwiegend begründet.
48 
a) Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 20.488,48 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus §§ 826 Abs. 1, 31 BGB zu, wobei vom Kaufpreis in Höhe von 30.787,98 EUR im Wege des Vorteilsausgleichs eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 10.299,50 EUR in Abzug gebracht wurde.
49 
aa) Nach Auffassung des Senates steht - in Übereinstimmung mit der allerdings nicht bindenden Einschätzung des Kraftfahrtbundesamtes - fest, dass die Beklagte in den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs, wie in einer Vielzahl anderer Fälle, eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 VO (EG) 715/2007 verbaut hat (ebenso BGH, Beschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17, NZV 2019, 244, 245, Tz. 9 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019, Az. 13 U 12/19, juris Rz. 32; OLG Koblenz, NJW 2019, 2237, 2238 Rz. 20 ff.). Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2017 sieht vor, dass Fahrzeuge im Rahmen der Erlangung der Typgenehmigung so auszurüsten sind, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 verbietet in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Einsatz von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern. Vorwiegend sorgte das von der Beklagten als „Umschaltlogik“ bezeichnete Steuerungssystem dafür, dass im Testbetrieb automatisch ein anderer Modus mit geringeren Emissionswerten eingeschaltet war, als das im Realbetrieb der Fall ist. Damit war das Fahrzeug im Testbetrieb zur Erlangung der Typgenehmigung eindeutig anders, nämlich mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, ausgerüstet, als im Realbetrieb. Die Argumentation der Beklagten, dass die Emissionswerte - zumindest im maßgeblichen Zeitraum - nie an den Realbetrieb, sondern an den Testbetrieb anknüpften, geht an der Sache vorbei. Maßgeblich ist, dass die Werte unter Testbedingungen mit dem so wie im Realbetrieb ausgerüsteten Fahrzeug erzielt werden müssen. Vorliegend wurden die Werte aber mit dem normal ausgerüsteten Fahrzeug gerade nicht erreicht, sondern nur mittels einem ausschließlich für den Test vorgesehenen Betriebsmodus mit veränderter Abgasrückführung, der nicht dem normalen Betriebsmodus entspricht.
50 
bb) Aufgrund dieses Umstands bestand zumindest die Gefahr, dass die nur unter Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung erlangte Typgenehmigung und damit auch die Zulassung für das streitgegenständliche Fahrzeug nachträglich entzogen wird. Bevor ein Kraftfahrzeughersteller berechtigt ist, ein Fahrzeug für die Nutzung im Straßenverkehr auf den Markt zu bringen, hat er die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren erfolgreich zu absolvieren. Insbesondere ist die sogenannte EG-Typgenehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt als zuständiger Behörde einzuholen und eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen (§ 27 Abs. 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung, im Folgenden: EG FGV). Das Kraftfahrbundesamt hatte den Herstellern der Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 EU5, zu denen auch das streitgegenständliche Fahrzeug gehört, für den jeweiligen abstrakten Fahrzeugtyp jeweils eine EG-Typgenehmigung nach §§ 4 EG-FGV (in Gestalt einer Gesamtfahrzeug- bzw. einer Systemgenehmigung) erteilt (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 02.7.2018, Az. 1 B 268/18, juris Rz. 9). Das Kraftfahrt-Bundesamt kann, wenn es feststellt, dass Fahrzeuge, Systeme, Bauteile und technische Einheiten nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmen, gemäß § 25 Abs. 1 EG-FGV die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Übereinstimmung der Produktion mit dem genehmigten Typ zu gewährleisten. Es kann zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit bei bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge auch nachträglich Nebenbestimmungen anordnen, § 25 Abs. 2 EG-FGV. Eben dies hat das Kraftfahrt-Bundesamt im vorliegenden Fall, nachdem es das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung festgestellt hatte, getan, indem es der Beklagten aufgegeben hat, nachträglich durch geeignete Maßnahmen, insbesondere Nachrüstaktionen, sicherzustellen, dass die unzulässig verbaute Abschalteinrichtung entfernt und die Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ wiederhergestellt wird. In einem solchen Fall droht, solange die Nachrüstung nicht ordnungsgemäß durchgeführt und damit die Nebenbestimmung erfüllt wird, die Betriebsuntersagung auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV), weil das Fahrzeug nicht (mehr) einem genehmigten Typ entspricht (ausführlich zum Ganzen VG Magdeburg, Beschl. v. 02.07.2018, Az. 1 B 268/18, zit. nach juris). Ebenso hätte das Kraftfahrt-Bundesamt auch nach § 25 Abs. 3 EG-GV die Typgenehmigung aufheben können (VG Magdeburg, Beschl. v. 02.07.2018, Az. 1 B 268/18, juris Rz. 14), was unmittelbar die Betriebsuntersagung zur Folge gehabt hätte.
51 
cc) Indem die Beklagte das Fahrzeug in Verkehr gebracht hat, obwohl die Typgenehmigung nur unter heimlicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung erlangt war und damit deren Entziehung drohte, hat sie potentiellen Käufern des Fahrzeugs, die hiervon keine Kenntnis hatten, einen Schaden in Form eines nachteiligen und ungewollten Vertragsschlusses beigebracht. Es ist davon auszugehen, dass potentielle Käufer der Fahrzeuge wie der Kläger die (unausgesprochene, weil selbstverständliche) Erwartung hatten, ein ordnungsgemäß zugelassenes Fahrzeug zu erwerben, bei dem auch keine nachträgliche Entziehung der Typgenehmigung und damit der Zulassung drohte. Sie sind somit bezüglich dieser Erwartung von der Beklagten getäuscht worden. § 826 BGB knüpft nicht an die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter an. Der Begriff des Schadens ist vielmehr weit zu verstehen und erfasst nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinausgehend jede Beeinträchtigung eines rechtlichen Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (BGH, Urteil vom 19.07.2004, II ZR 402/02, juris Rz. 41; BGH, Urt. v. 28.10.2014, VI ZR 15/14, juris Rn. 19; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 180, Rz. 17; OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.2019, 13 U 12/19, juris Rz. 34). Insofern kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs im Hinblick auf die unzulässige Abschalteinrichtung in Wahrheit einen geringeren Marktwert hatte (wobei das, wenn ein potentieller Käufer über diesen Umstand umfassend aufgeklärt worden wäre, mindestens naheliegend ist). Allein maßgebend ist, dass der Vertrag im Hinblick auf die Eigenschaften des Kaufgegenstands nicht den berechtigten Erwartungen des Käufers entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (BGH, Urt. v. 28.10.2014, VI ZR 15/14, juris Rz. 16 ff.; ebenso OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2019, Az. 16 U 30/19, juris Rz. 18).
52 
dd) Es ist auch vorliegend davon auszugehen, dass die Täuschung kausal für den Vertragsschluss war. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass ein Käufer vom Kauf eines Fahrzeugs Abstand nehmen würden, wenn ihm offenbart würde, dass dem Fahrzeug die Entziehung der Zulassung und damit die Stilllegung droht (ebenso OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.2019, 13 U 12/19, juris Rz. 40 ff., insb. Rz. 43; OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2019, Az. 16 U 30/19, juris Rz. 20 ff.). In einem solchen Fall ist der zentrale Zweck des Fahrzeugerwerbs, nämlich die Möglichkeit der Fortbewegung, in Frage gestellt. Insoweit kommt es nicht auf die Frage an, ob der Käufer ein besonderes Umweltbewusstsein besaß und deshalb beim Kauf auf einen geringen Emissionsausstoß geachtet und diesen zum Motiv für seine Kaufentscheidung gemacht hat (ebenso OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2019, Az. 16 U 30/19, juris Rz. 17 a.E.).
53 
ee) Das Verhalten der Beklagten verstößt bei der erforderlichen Gesamtwürdigung auch gegen die guten Sitten. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr., s. nur BGH, NJW 2014, 383, 384, Rz. 9; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rn. 4 m.w.N.). Dabei genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Handelns hinzukommen, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2014, 383, 384; BGH, NJW 2017, 205, 251, st. Rspr.). Vorliegend rechtfertigt zwar der Umstand, dass das Handeln der Beklagten zur Gewinnmaximierung erfolgte, für sich genommen den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht, weil das Streben nach Kostenoptimierung und Gewinnmaximierung einer Marktwirtschaft immanent und grundsätzlich nicht zu beanstanden ist (ebenso z.B. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 182, Rz. 33). Die Sittenwidrigkeit resultiert jedoch insbesondere aus den zur Gewinnmaximierung angewandten unlauteren und gesetzeswidrigen Mitteln in Kombination mit dem Ausmaß des angerichteten Schadens (ebenso und mit ähnlicher Begründung OLG Koblenz, NJW 2019, 2237 f., Rz. 39 f.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 182, Rz. 33 ff.; OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2019, 16 U 30/19, Rz. 5). Maßgebliche Gründe für die Annahme der Sittenwidrigkeit sind, dass die Beklagte, wie gerichtsbekannt ist, in einer außerordentlich großen Zahl von Fällen bewusst - zum Vorsatz siehe unten unter ee) - die illegale Abschalteinrichtung in ihre Fahrzeuge verbaute, dabei mit hoher krimineller Energie die staatlichen Behörden systematisch täuschte und zu Werkzeugen machte, indem sie diese nämlich zur Ausstellung scheinbar rechtsgültiger Zulassungsbescheinigungen veranlasste, um auf diese Weise massenhaft Fahrzeugkäufer täuschen zu können, und sich dabei zudem allein aus wirtschaftlichen Erwägungen über die Belange des Umweltschutzes, denen die Zulassungsvorschriften dienen, hinwegsetzte. Hinzu kommt, dass die Aufklärung der „Diesel-Affäre“ nicht etwa aus dem Unternehmen der Beklagten heraus betrieben wurde, sondern voranging, als die Beweislage erdrückend wurde (ebenso OLG Koblenz, NJW 2019, 2237,2240 Rz. 42) und die Beklagte bis heute ihr gesetzeswidriges Verhalten bagatellisiert (so auch OLG Koblenz, NJW 2019, 2237, 2240 Rz. 45), indem sie z.B. weiterhin entgegen der einhelligen Auffassung der Behörden und soweit ersichtlich aller mit der Frage befassten Obergerichte (selbst das OLG Braunschweig, s. BeckRS 2019, 2737, Rn. 96, das im Ergebnis eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB als einziges Obergericht grundsätzlich ablehnt) vortragen lässt, es habe sich bei der „Umschaltlogik“ nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt.
54 
Die Argumentation des Landgerichts, mit der Zubilligung eines Direktanspruchs setze man sich über die kaufvertragliche Risikoverteilung hinweg, verfängt nicht. § 826 BGB bietet unter eingeschränkten Voraussetzungen dem Geschädigten ausnahmsweise die Möglichkeit, einen reinen Vermögensschaden auch gegenüber einem Dritten, mit dem er nicht vertraglich verbunden ist, unmittelbar geltend zu machen. Diese Möglichkeit besteht, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, unabhängig und zusätzlich zu etwaigen vertraglichen Ansprüchen, die der Käufer gegenüber seinem Verkäufer hat (s. dazu auch OLG Koblenz, NJW 2019, 2237, Rz. 15).
55 
Auch unter Schutzzweckgesichtspunkten entfällt die Sittenwidrigkeit nicht (ebenso z.B. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, ZVertriebsR 2019, 178, 193 Rz. 38 ff.; a.A. aber OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019, 7 U 134/17, juris Rz. 172 ff.). Zwar ist richtig, dass das Sittenwidrigkeitsurteil über ein bestimmtes Verhalten des Schädigers nicht abstrakt, sondern in Bezug auf die Person des Geschädigten zu fällen ist (vgl. Wagner, in: MüKo-BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 22). Im vorliegenden Fall wirkt sich aber das sittenwidrige Verhalten der Beklagten vorhersehbar und planmäßig gerade zum Nachteil der Erstkäufer ebenso wie von weiteren Käufern des Fahrzeugs aus, indem diese über einen für ihren Kaufentschluss wesentlichen Umstand bewusst getäuscht werden. Es ist nicht ersichtlich, wieso der daraus resultierende Schaden unter Schutzzweckgesichtspunkten nicht erstattungsfähig sein sollte.
56 
ee) Die Beklagte handelte auch vorsätzlich. Dabei muss sie sich das vorsätzliche Handeln ihrer verfassungsgemäß berufenen Vertreter gemäß § 31 BGB als eigene Handeln zurechnen lassen.
57 
Dass Mitarbeiter der Beklagten bewusst und in Kenntnis der maßgeblichen tatsächlichen Umstände, die die Gesetzeswidrigkeit ihres Tuns begründeten, die unzulässige Software in den hier streitgegenständlichen Motor einbauten, steht außer Frage. Die Beklagte beruft sich darauf, dass nicht dargetan, geschweige denn erwiesen sei, dass Personen, deren schuldhaftes Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, am Einbau der Software beteiligt waren, diesen angewiesen oder gebilligt hätten. Mit dieser Argumentation dringt sie nicht durch.
58 
Grundsätzlich sieht § 31 BGB, der entsprechend auf alle juristischen Personen Anwendung findet, eine Haftung des Vereins bzw. der sonstigen juristischen Person für das schuldhafte Verhalten nicht nur der Mitglieder des Vorstands, worauf die Beklagte abstellt, sondern aller „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ vor. Dieser Begriff wird zu Recht weit ausgelegt (vgl. nur Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl., § 31 Rn. 6), um zu verhindern, dass sich insbesondere Großunternehmen allein aufgrund ihrer Größe und durch ihre arbeitsteilige Organisationsstruktur einer Haftung für schuldhaftes Verhalten ihrer Mitarbeiter ohne weiteres entziehen können. Es genügt für die Einordnung eines Mitarbeiters als verfassungsmäßig berufenem Vertreter, dass ihm durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und er die juristische Person insoweit repräsentiert (BGH, NJW 1998, 1854, 1856; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl., § 31 Rn. 6 m.w.N.). Der personelle Anwendungsbereich deckt sich so in etwa mit dem arbeitsrechtlichen Begriff des leitenden Angestellten (Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl., § 31 Rn. 6).
59 
Berücksichtigt man diese weite Auslegung des § 31 BGB, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Entscheidung über den massenhaften Einsatz der Motorsteuerungssoftware im Rahmen der Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Emissionswerte nicht ohne Kenntnis und Billigung wenn nicht des Vorstands, so jedenfalls eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten erfolgt ist. Es ist gerichtsbekannt, dass die Erfüllung sich stetig verschärfender gesetzlicher Emissionsgrenzwerte bei den Autoherstellern wie der Beklagten eine zentrale Problematik mit großer wirtschaftlicher Tragweite gewesen ist. Vor diesem Hintergrund ist zumindest sehr naheliegend, dass zumindest die für die Erfüllung dieser Emissionsgrenzwerte zuständigen verfassungsmäßigen Vertreter genaue Kenntnis der technischen Gegebenheiten und der technisch realisierbaren Möglichkeiten hatten, um diese Grenzwerte einzuhalten. Geht man von einer solchen tatsächlichen Vermutung aus (ebenso OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, ZVertriebsR 2019, 178, 184 Rz. 53 m.w.N.), trifft die Beklagte zumindest eine sekundäre Darlegungslast bezogen darauf, dass entgegen der Vermutung kein verfassungsmäßig berufener Vertreter Kenntnis von der Manipulationssoftware hatte (ebenso die ganz herrschende Auffassung unter den mit dem Dieselskandal befassten Obergerichten, s. z.B. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, ZVertriebsR 2019, 178, 184 Rz. 53; OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2019, Az. 16 U 30/19, Rz. 10 ff.). Sie müsste, um dem nachzukommen, Näheres dazu vortragen, wie der Entscheidungsprozess abgelaufen ist und welche Mitarbeiter, die nicht als verfassungsmäßig berufene Vertreter anzusehen sind, hieran beteiligt waren. Derartigen Vortrag hat die Beklagte nicht gehalten, mit der Folge, dass der Vortrag des Klägers insoweit als zugestanden gilt.
60 
Was die weiteren Einwände der Beklagten gegen die Annahme einer sekundären Darlegungslast anbelangt, schließt sich der Senat den ausführlichen und überzeugenden Ausführung des OLG Karlsruhe an (Beschl. v. 05.03.2019, ZVertriebsR 2019, 178, 186, Rz. 78 ff.). Weder ist insbesondere die Auferlegung einer sekundären Darlegungslast auf Fälle beschränkt, in denen es um den Beweis einer negativen Tatsache geht, noch wird die Beklagte durch die Anerkennung einer sekundären Darlegungslast für interne Vorgänge über Gebühr belastet.
61 
ff) Dass ein Software-Update nachträglich mit Billigung des Kraftfahrtbundesamtes aufgespielt worden sein könnte - ob dies im vorliegenden Fall erfolgt ist, wird von den Parteien nicht vorgetragen - spielt für den Schaden, der nach den obigen Ausführungen im Abschluss eines ungewollten Vertrages liegt, keine Rolle. Es bleibt dem Geschädigten auch dann, wenn im Nachhinein der Versuch, die in Frage gestellte Zulassungsfähigkeit wiederherzustellen, erfolgreich war, unbenommen, als Schadensersatz die Rückabwicklung des im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses ungünstigen und ungewollten Vertrages zu verlangen (ebenso OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 180, Rz. 19).
62 
gg) Als Rechtsfolge kann der Kläger verlangen, so gestellt zu werden, als habe er den für ihn nachteiligen Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Er kann daher den gezahlten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs verlangen, muss sich dabei jedoch im Wege der Vorteilsausgleichung gegen den Kaufpreisrückzahlungsanspruch die Vorteile anrechnen lassen, die er durch den Kaufvertrag erlangt hat.
63 
Die prinzipiellen Einwände, die der Kläger gegen die Vorteilsanrechnung vorbringt, vermögen nicht zu überzeugen. Auch ein Anspruch nach § 826 BGB hat zur Rechtsfolge einen Schadensausgleich und enthält kein pönales Element (ebenso OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 189 f.). Man kann also nicht unter Berufung auf den hohen Unrechtsgehalt der Tat und des Verdikts der Sittenwidrigkeit dem Schädiger die Vorteilsanrechnung verweigern. Auch europarechtlich ist zwar, soweit es um die Durchsetzung europarechtlicher Regelungen geht, eine wirksame Sanktionierung von gesetzlichen Verstößen durch das nationale Recht erforderlich; dies zwingt jedoch nicht dazu, dem Schadensrecht ein pönales Element zu verleihen (s. dazu auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 190). Die europarechtlich vorgegebene Unentgeltlichkeit der kaufrechtlichen Nacherfüllung, die die Anrechnungen von Nutzungen ausschließt, zwingt nicht dazu, diese Regelung generell auf die Rückabwicklung von Verträgen zu erstrecken (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 190, Rz. 123). Und schließlich besteht auch kein Anlass, den Nutzungsersatz im Hinblick auf den der Sache anhaftenden Mangel herabzusetzen. Maßgeblich hierfür ist, dass sich der Mangel der Sache letztendlich nicht in einer Einschränkung der Nutzung niedergeschlagen hat (ebenso OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 190, Rz. 125).
64 
Was die Höhe des Vorteilsausgleichs anbelangt, so hält es der Senat für sachgerecht, diese Vorteile auf Schätzbasis gemäß § 287 ZPO anhand der üblichen Formel für gezogene Nutzungen, nämlich (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs) zu bemessen, wobei einzuräumen ist, dass der Vorteil des Kläger genau genommen in dem - nicht linearen - Wertverlust des Fahrzeugs liegt, den er sich durch die Möglichkeit der Rückabwicklung des Kaufvertrags erspart hat (s. dazu Riehm, NJW 2019, 1105, 1108 f.).
65 
Vorliegend hält der Senat die Annahme einer Gesamtlaufzeit des Fahrzeugs von 300.000 km für angemessen. Dabei hat der Senat u.a. berücksichtigt, der Kläger jährlich immerhin ca. 22.000 km fährt, so dass eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km (nur) einem Fahrzeugalter von rund 13 1/2 Jahren entspricht. Unter Zugrundelegung der bereits zurückgelegten 100.359 km ergibt sich daraus der ausgeurteilte Restbetrag.
66 
b) Die Verzinsung des Rückzahlungsanspruchs ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
67 
c) Der darüber hinaus geltend gemachte Anspruch auf Zinsen aus § 849 BGB besteht nicht. Der Vorschrift des § 849 BGB liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Geschädigter, dem durch eine deliktische Handlung eine Sache entzogen worden ist oder dessen Sache beschädigt wurde, für die Zeit der Vorenthaltung bzw. Instandsetzung gehindert war, die Sache zu nutzen (Wagner, in: MüKo-BGB, 7. Aufl. 2017, § 849 Rn. 2; Riehm, NJW 2019, 1105, 1109). Weil diese entgangene Nutzungsmöglichkeit schwer zu beziffern und ein entsprechender wirtschaftlicher Nachteil schwer nachzuweisen ist, gewährt § 849 BGB eine Art pauschale Nutzungsausfallentschädigung (Wagner, in: MüKo-BGB, 7. Aufl. 2017, § 849 Rn. 2). Vorliegend aber hat der Kläger mit dem Kaufpreis einen Gegenstand erhalten, den er tatsächlich ohne Einschränkungen hat nutzen können. Der Geldbetrag wurde nicht ersatzlos weggegeben, sondern hat für die maßgebliche Zeit bis zur Rückabwicklung des Kaufvertrages seinen Zweck, dem Kläger ein funktionsfähiges Fahrzeug zu beschaffen, erfüllt, weshalb eine Anwendung von § 849 BGB nicht geboten ist (Riehm, NJW 2019, 1105, 1109).
68 
d) Gegen die Erstattungsfähigkeit von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die im Rahmen der Geltendmachung und Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs entstanden sind, bestehen dem Grunde nach keine Bedenken.
69 
Der Höhe nach sind die erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten, was den Gegenstandswert anbelangt, auf der Grundlage der im Zeitpunkt der Mandatierung berechtigten Ansprüche gegen den Geschädigten zu berechnen (vgl. Almeroth, MüKo-StVR, 1. Aufl., § 249 BGB, Rn. 328) . Diese Höhe hängt hier vom Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Zeitpunkt der Mandatierung ab, da davon wiederum die Höhe des damals (noch) berechtigten Schadensersatzanspruches abhängt. Dieser Kilometerstand kann hier bei Zugrundelegung einer jährlichen Laufleistung von rund 22.000 km und einer Mandatierung im zeitlichen Zusammenhang mit dem Anspruchsschreiben vom 30.10.2018 auf rund 75.000 km geschätzt werden, was zu einem im Zeitpunkt der Mandatierung bestehenden Anspruch in Höhe von 23.090,25 EUR führt.
70 
Die Abrechnung einer Gebühr von mehr als der Schwellengebühr von 1,3 (s. Nr. 2300 VV RVG) ist nicht gerechtfertigt, nachdem die Sache weder überdurchschnittlich schwierig noch überdurchschnittlich umfangreich ist.
71 
Erstattungsfähig ist somit eine 1,3 Gebühr aus einem Gegenstandswert von 23.090,25 EUR.
III.
72 
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, in erster Instanz in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, weil der Kläger seinen ursprünglich unbeschränkten Antrag zwischenzeitlich eingeschränkt und damit teilweise zurückgenommen hatte. Der Streitwert für das Berufungsverfahrens ergibt sich aus dem Antrag des Klägers.
73 
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
74 
3. Die Revision war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen, nachdem wesentliche entscheidungserhebliche Rechtsfragen innerhalb der umfangreichen Rechtsprechung zum „Dieselskandal“ nicht einheitlich beurteilt werden.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen