Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 M 186/17

Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 3. März 2017 – 1 B 874/17 SN – wird verworfen.

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das gesamte Verfahren auf 153.185,12 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Anordnung und Vollziehung eines dinglichen Arrestes.

2

Die Beteiligten haben zwei öffentlich-rechtliche Mitfinanzierungsverträge und einen Erschließungsvertrag geschlossen. Gegenstand der Verträge war die Errichtung eines Hotels, eines Ferienparks und einer Marina sowie der zugehörigen Infrastruktureinrichtungen. Die Vorfinanzierung erfolgte durch die Antragstellerin, die Refinanzierung sollte durch die Antragsgegnerinnen erfolgen.

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Die Antragstellerin macht gegen die Antragsgegnerinnen Zahlungsansprüche in Höhe von voraussichtlich 612.740,50 Euro geltend. Die Ansprüche betreffen die Kosten für die Neuaufstellung eines für unwirksam erklärten Bebauungsplans und die Befriedigung bestehender bzw. voraussichtlich noch entstehender Rückforderungsansprüche des Landesförderinstitutes wegen überzahlter Zuwendungen zuzüglich erwarteter Kosten zur Titulierung der Forderungen. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Antragsgegnerinnen sie von diesen Kosten freizuhalten haben. Sie befürchtet, mit diesen Forderungen auszufallen, da die Antragsgegnerinnen im Vollzug von vier Unternehmenskaufverträgen sämtliche Vermögenswerte an neugegründete Gesellschaften übertragen wollen.

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Am 27. Februar 2017 suchte die Antragstellerin um vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Schwerin nach und beantragte, im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldnerinnen in Höhe von 612.740,50 Euro den dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Antragsgegnerinnen anzuordnen und in Vollziehung des Arrestes die Kaufpreisforderungen der Antragsgegnerinnen aus den Unternehmenskaufverträgen vom 30. September 2016 zu pfänden. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 3. März 2017 – 1 B 874/17 SN – ab. Der Vorsitzende verfügte am selben Tag, den Beschluss – per Telefax vorab – förmlich zuzustellen. Der Beschluss ging den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin noch am 3. März 2017 per Telefax zu. Im Begleitschreiben hieß es: „In der o.g. Verwaltungsstreitsache erhalten Sie anliegend eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses vom 3. März 2017 zu Ihrer Kenntnis“. Die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vollzogen am 3. März 2017 das vom Verwaltungsgericht beigefügte Empfangsbekenntnis und sandten es per Telefax zurück. Am 6. März 2017 erhielten die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin eine weitere Abschrift des Beschlusses per Briefpost. Das Empfangsbekenntnis hierfür datiert vom 6. März 2017.

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Am 20. März 2017 hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt, die sie zugleich begründet hat. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Antragsbegehren weiter. Am 29. März 2017 hat sie vorsorglich beantragt, ihr wegen der versäumten Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dem bearbeitenden Rechtsanwalt sei erst am 20. März bekanntgeworden, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts bereits am 3. März 2017 im Möllner Büro der Kanzlei eingegangen sei. Dorthin seien eingehende Telefaxe wegen eines Ausfalls und Neuinstallation der Telefonanlage im bearbeitenden Büro in A-Stadt für einige Tage umgeleitet worden. Die Unterlagen aus Mölln seien erst am 7. März 2017 im Büro in A-Stadt per Hauspost angekommen. Die seit Jahren höchst zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte habe es trotz Kenntnisnahme des Empfangsbekenntnisses vom 3. März 2017 versäumt, die durch sie am Vortag auf den 20. März notierte Frist auf den 17. März 2017 abzuändern. Dieses Versäumnis sei ihr am 20. März 2017 aufgefallen, als sie den diktierten Beschwerdeschriftsatz geschrieben habe. Unabhängig davon sei die Zustellung per Telefax unwirksam, weil ein Zustellwille für den Empfänger nicht erkennbar gewesen sei. Die Form des § 174 Abs. 2 ZPO sei nicht eingehalten, die Abschrift des Beschlusses ausdrücklich nur zur Kenntnis übersandt worden.

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Die Antragsgegnerinnen treten der Beschwerde entgegen und halten diese für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet, da die Voraussetzungen für die Anordnung des dinglichen Arrestes nicht vorlägen. Die Antragsgegnerinnen seien schon bilanzrechtlich verpflichtet, Rückstellungen für ungewisse Forderungen zu bilden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

II.

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1. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdefrist wurde nicht eingehalten, der Antragstellerin war auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren.

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a) Die Antragstellerin hat die Beschwerdefrist versäumt. Gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Der angegriffene Beschluss wurde der Antragstellerin am 3. März 2017 wirksam bekanntgegeben. Der Beschluss war nach § 56 Abs. 1 VwGO zuzustellen. Die Zustellung der Abschrift des Beschlusses (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO) erfolgte gemäß § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 174 Abs. 1 ZPO gegen Empfangsbekenntnis. Die Zustellung durfte durch Telefax erfolgen (§ 174 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 130 Nr. 6 ZPO). Ob die Übermittlung vollständig in der Form des § 174 Abs. 2 ZPO erfolgte, ist für die Wirksamkeit der Zustellung unerheblich, da es sich dabei lediglich um eine Soll-Vorschrift handelt (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 28. Auflage, § 174, Rn. 12; Saenger, ZPO, 3. Auflage, § 174, Rn. 7). Die Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Zustellung liegen vor. An die anwaltlich vertretene Antragstellerin durfte gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden, § 174 Abs. 1 ZPO. Die Zustellung erfolgte mit Zustellungswillen, wie sich aus der Verfügung des Vorsitzenden ergibt. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Zustellung danach „vorab per Telefax“ erfolgen sollte und im Begleitschreiben mitgeteilt wurde, dass der Beschluss „zur Kenntnis“ übersandt wird. Hieraus folgt nicht, dass der Beschluss lediglich formlos bekanntgegeben werden sollte. Der Zustellungswille der Justizbediensteten ergibt sich daraus, dass sie ausweislich ihres Anschreibens den Beschluss in der zustellungsfähigen Form der beglaubigten Abschrift übersandt und den mit „Empfangsbekenntnis (Zustellung gemäß § 174 ZPO)“ überschriebenen Vordruck beigefügt hat (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 19.01.2017 – OVG 3 S 101.16 –, juris Rn. 3; OVG Bautzen, Beschl. v. 14.08.2013 – 1 B 365/13 –, juris Rn. 7). Diesen Vordruck hat einer der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ausgefüllt und zurückgesandt, womit gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO der Nachweis der Zustellung geführt ist. Daraus wird zugleich deutlich, dass auch der Vertreter der Antragstellerin davon ausgegangen ist, dass eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis erfolgen sollte. Es muss nicht geklärt werden, ob damit eine fehlerhafte Zustellung (die hier nicht vorliegt) jedenfalls damit geheilt worden wäre (§ 57 VwGO i.V.m. § 189 ZPO).

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Der Lauf der Beschwerdefrist wurde schließlich nicht dadurch hinausgeschoben, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts der Antragstellerin am 6. März 2017 ein zweites Mal zugestellt worden ist. Erfolgen mehrere Zustellungen, ist für Beginn und Ablauf der Rechtsmittelfrist die erste wirksame Zustellung maßgeblich (BVerwG, Beschl. v. 21.12.1983 – 1 B 152/83 –, juris Rn. 5; OVG Berlin, Beschl. v. 19.01.2017 – OVG 3 S 101.16 –, juris Rn. 5; OVG C-Stadt, Beschl. v. 20.09.1995 – Bs IV 143/95 – juris Rn. 7; OVG Bautzen, Beschl. v. 14.08.2013 – 1 B 365/13 – juris Rn. 3). Nach alledem endete die Beschwerdefrist gemäß § 57 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB vorliegend mit Ablauf des 17. März 2017. Die erst am 20. März 2017 eingelegte Beschwerde hat die Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht eingehalten.

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b) Der Antragstellerin kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist gewährt werden. Eine Wiedereinsetzung setzt nach § 60 Abs. 1 VwGO voraus, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wird ihm zugerechnet (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die Wiedereinsetzungsgründe, das heißt sämtliche Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zu der Fristversäumnis gekommen ist, müssen bei einem Wiedereinsetzungsgesuch grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO dargelegt werden. Erforderlich ist eine rechtzeitige substantiierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristsäumnis wesentlichen Tatsachen (BVerwG, Beschl. v. 23.06.2011 – 1 B 7/11 –, juris Rn. 3). Die Begründung des Antrags nach § 60 VwGO rechtfertigt eine Wiedereinsetzung hier nicht. Die Antragstellerin hat nicht vorgetragen, dass die Beschwerdefrist unverschuldet versäumt wurde.

12

Zur Begründung ihres Antrags bringt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass es die Büroangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten versäumt habe, aus dem Empfangsbekenntnis vom 3. März 2017 die Schlussfolgerung zu ziehen, dass damit die Beschwerdefrist in Gang gesetzt war und diese Frist im Fristenkalender einzutragen. Dieser Wiedersetzungsgrund wäre jedoch nur dann substantiiert dargelegt, wenn sie geltend gemacht hätte, dass ihre Prozessbevollmächtigten durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür gesorgt haben, dass derartige Fristen korrekt eingetragen werden. Hierzu gehört es auch, dass das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Beschlusses vom Rechtsanwalt erst dann unterzeichnet und zurückgesandt werden darf, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.12.2002 – 1 B 429/02 –, juris Rn. 8). Auf diese Weise kann verhindert werden, dass die durch ein Versehen des Büropersonals unterbliebene Eintragung im Fristenkalender gleichsam automatisch zu einer Säumnis führt (OVG Bautzen, Beschl. v. 31.07.2015 – 1 A 545/14 –, juris Rn. 6). Vorliegend ist das Empfangsbekenntnis vom 3. März 2017 im Möllner Büro der Prozessbevollmächtigten aber vollzogen worden, ohne dass die Frist überhaupt notiert worden wäre. Bereits dieser Umstand schließt die Annahme einer unverschuldeten Säumnis aus.

13

Unabhängig davon beruht die Säumnis auch auf einem weiteren Organisationsverschulden. Die Wahrung prozessualer Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts, denen er besondere Sorgfalt widmen muss. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass er die Wahrung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich überwacht. Wenn ein Rechtsanwalt die Berechnung, Notierung und Überwachung der üblichen und in seiner Praxis häufig vorkommenden Fristen in Rechtsmittelsachen wie hier in zulässiger Weise seinem Büropersonal überlässt, hat er in jedem Fall den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen dann eigenverantwortlich zu überprüfen, wenn ihm die Akten vorgelegt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.01.2010 – 2 NB 400/09 –, juris Rn. 7 f. m.w.N.). Der sachbearbeitende Rechtsanwalt hätte daher spätestens bei Abfassung der Beschwerdeschrift am 17. März 2017 Anlass gehabt, die Richtigkeit der eingetragenen Rechtsmittelfrist selbstständig zu überprüfen und das nach eigenem Vortrag zur Akte genommene Empfangsbekenntnis vom 3. März 2017 zu bemerken.

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Zu gesteigerter Sorgfalt waren die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin zudem angehalten, weil im sachbearbeitenden Büro die Telefonanlage ausgefallen war und eingehende Telefaxe an ein anderes Büro umgeleitet wurden. Es fehlt jeder Vortrag zu der Frage, welche organisatorischen Vorkehrungen getroffen worden sind, um unter diesen besonderen Verhältnissen die Einhaltung prozessualer Fristen sicherzustellen, etwa, indem die per Hauspost weitergeleiteten Schreiben daraufhin durch zuverlässiges, angeleitetes und überwachtes Personal gesondert durchgesehen und ausgewertet werden.

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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der Senat bemisst das Interesse der Antragstellerin unter Orientierung an Nummer 1.7. Satz 1 des Streitwertkatalogs auf ein Viertel des zu sichernden Betrages. Die Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichtes ist von Amts wegen geändert worden (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).

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Hinweis:

17

Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.

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