Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 A 10676/14


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 6. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. die Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Betrieb einer Windkraftanlage.

2

Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen (Fa. ABO Wind AG) begehrte mit einem am 7. März 2011 bei dem Beklagten eingegangenen Antrag, der mit einem vom 23. Dezember 2011 eingegangenen Schreiben abgeändert worden war, die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für fünf Windenergieanlagen in den Gemarkungen B… und W…. Der Beklagte erteilte unter dem 14. Juni 2012 die beantragte Genehmigung.

3

Die Klägerin hatte am 23. März 2011 und am 17. September 2011 die Erteilung von immissionsschutzrechtlichen Vorbescheiden für die Errichtung von insgesamt fünf Windkraftanlagen in der Gemarkung H… beantragt. Der Abstand der zueinander nächstgelegenen Anlagen der Windparks der Beigeladenen und der Klägerin beträgt 1,9 km. Die beantragten Vorbescheide wurden der Klägerin unter dem 13. Oktober 2011 bzw. dem 7. Dezember 2011 erteilt. Im Tenor beider Bescheide heißt es, den Vorhaben werde nach Maßgabe der vorgelegten Antrags- und Planunterlagen, die Bestandteil dieses Bescheides seien, bezüglich der bauleit- und landesplanerischen Zulässigkeit zugestimmt.

4

Gegen die der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 14. Juni 2012 erhob die Klägerin Widerspruch und machte im Wesentlichen geltend, es bestehe die Befürchtung, dass sich aufgrund der Kumulierung von Anlagen für sie Nachteile in puncto Schallimmissionen ergeben könnten. Aufgrund der ihr erteilten positiven Vorbescheide beanspruche sie, dass ihre Anlagen als Vorbelastung berücksichtigt würden. Diesen Widerspruch wies der Kreisrechtsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2013 als unzulässig zurück. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, die Klägerin befinde sich lediglich im Besitz eines positiven Bauvorbescheides. Schall- bzw. immissionsschutzrechtliche Festsetzungen würden von diesem Vorbescheid nicht umfasst.

5

Die Klägerin stellte unter dem 26. März 2013 einen Antrag auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb derjenigen Anlagen, die bereits Gegenstand der Vorbescheide vom 13. Oktober 2011 und 6. Dezember 2011 waren.

6

Die von der Klägerin angestrengte Klage vor dem Verwaltungsgericht blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Koblenz hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils vom 6. Mai 2014 im Wesentlichen ausgeführt, zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass grundsätzlich beide Vorhaben nebeneinander bestehen könnten. Allerdings könnten nicht beide Verfahren im Falle eines gemeinsamen Betriebes so viel immitieren, wie dies bei Genehmigung lediglich eines Vorhabens möglich wäre. Der Klägerin sei im Ansatz zuzugeben, dass zwischen einem Vorbescheid und dem Genehmigungsbescheid ein echtes Konkurrenzverhältnis bestehen könne. Auch der Grundsatz der Priorität könne ein sachliches Kriterium darstellen. Allerdings setze dies voraus, dass der betreffende Vorbescheid von seinem Inhalt her eine Regelung treffe, welcher die Vorbelastung konkret beschreibe. Nur durch eine solche Konkretisierung könne eine Bindungswirkung entstehen, die im Genehmigungsverfahren für eine konkurrierende Anlage als bestehende Rechtsposition zu berücksichtigen sei. Eine solche Position habe die Klägerin indes durch die beiden Vorbescheide nicht erlangt, da diese bloße Standortvorbescheide darstellten. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorbescheide, die lediglich die bauleit- und landesplanerische Zulässigkeit der Vorhaben in Bezug nähmen. Die Auswirkungen von Lärm und Schatten seien nicht Gegenstand der erteilten Vorbescheide und könnten an deren Bindungswirkung nicht teilnehmen.

7

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Sie trägt im Wesentlichen vor, der Vorbescheid bringe zum Ausdruck, dass der konkret festgelegte Standort der Anlage einer positiven Gesamtbeurteilung Stand halte. Dass dem Vorhaben keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstünden, lasse sich anhand des dem Antrag beigefügten Kartenmaterials belegen, woraus sich ergebe, dass angesichts der aus zahlreichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse der Mindestabstand zur Wohnbebauung oder zu Einzelgehöften im vorliegenden Fall gewahrt bleibe. Die Zustimmung zu einem vorläufigen positiven Gesamtergebnis, die als feststellender Teil des Verwaltungsaktes anzusehen sei, führe unter dem Gesichtspunkt der TA-Lärm dazu, dass die zeitlich vorrangige Genehmigung im Wege des Immissionsvorbescheides als Vorbelastung für die weiteren fünf Anlagen zu gelten habe.

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Die Klägerin beantragt,

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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 6. Mai 2014 die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 12. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2013 mit einer Nebenbestimmung des Inhalts zu versehen, dass darin die von den fünf Windenergieanlagen der Klägerin ausgehenden Schall- und Schattenwurfimmissionen als Vorbelastung gemäß Nr. 2.4, 3.2.1 TA-Lärm Berücksichtigung finden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er trägt im Wesentlichen vor, die Klägerin habe es versäumt in ihren Anträgen auf Erteilung der Vorbescheide die Bewertung von Schall- und Schattenimmissionen zur Prüfung zu stellen. Sie könne den Beklagten nunmehr nicht anlasten, die Einbeziehung dieser Aspekte unterlassen zu haben, die sie selbst bei der Antragstellung nicht erwogen habe. Es sei gängige Praxis, dass Windkraftbetreiber sich sogenannte Schall- und Schattenkontingente über Vorbescheide sicherten, in dem sie die Prüfung der Schall- und Schattenimmissionen im Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides mit beantragten.

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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie trägt vor, das Rechtsstaatsprinzip und der Gleichheitsgrundsatz verlangten eine sachgerechte Auswahl bzw. Reihung unter den sich ausschließenden Genehmigungsanträgen. Dabei erweise sich der Gesichtspunkt der Priorität konkurrierender Anträge grundsätzlich als sachgerechtes Kriterium, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalles eine Abweichung hiervon rechtfertigen. Die Voraussetzung hierfür sei, dass eine echte Konkurrenzsituation bestehe. Davon könne aber nur dann ausgegangen werden, wenn die parallelen Anträge denselben Genehmigungsinhalt beträfen und denselben Verfahrensstand erreicht hätten. Vorliegend habe dem beklagten Landkreis im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über den Genehmigungsantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen am 14. Juni 2012 noch kein Genehmigungsantrag der Klägerin vorgelegen, der zum ersteren in Konkurrenz hätte treten können. Die Klägerin habe vielmehr erst am 26. März 2013 mithin mehr als neun Monate später einen Genehmigungsantrag bei dem Beklagten eingereicht. Auch die von ihr eingereichten Voranfragen und die hierauf vom Beklagten erteilten Vorbescheide seien zu keinem Zeitpunkt in ein echtes Konkurrenzverhältnis mit dem Genehmigungsantrag der Rechtsvorgänger der Beigeladenen getreten, weil diese nicht denselben Genehmigungsinhalt betroffen hätten. Im Gegensatz zu dem Genehmigungsantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen hätten die Voranfragen der Klägerin keine Aussage zu den Emissionen des Vorhabens, erst Recht nicht zu deren immissionsschutzrechtlicher Zulässigkeit enthalten. Der Klägerin seien keine umfassenden Standortvorbescheide, sondern lediglich auf einzelne Genehmigungsvoraussetzungen begrenzte Vorbescheide erteilt worden. Wie sich aus der Begründung der Vorbescheide ergebe, sei die bauleit- und landesplanerische Zulässigkeit bestätigt worden, aber nicht umfassend, sondern – mangels Vorlage weiterer Unterlagen – lediglich das Nichtentgegenstehen des Planvorbehalts nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB geprüft und festgestellt worden. Wie die Begründung der Vorbescheide ausdrücklich betone, seien alle weiteren Genehmigungsvoraussetzungen des § 6 BImSchG nicht geprüft worden. Die Immissionen des Vorhabens der Klägerin bzw. dessen Zulässigkeit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 BImSchG seien somit nicht Gegenstand der zu ihren Gunsten erteilten Vorbescheiden vom 13. Oktober 2011 und vom 7. Dezember 2011 geworden.

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Die immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens des § 5 Abs. 1 BImSchG sei auch nicht Prüfungsgegenstand einer vorläufigen Gesamtbeurteilung des klägerischen Vorhabens durch den Beklagten geworden. Denn die in § 9 Abs. 1 vorgesehene vorläufige Gesamtbeurteilung ist auf die vom Kläger eingereichten Unterlagen beschränkt, sodass sie nur soweit reichen könne, wie die Prüfung tatsächlich stattgefunden habe und aus dem Tenor bzw. den Gründen des Bescheides hervorgehe. Mangels Vorlage entsprechender Unterlagen zum Immissionsschutz habe aber der Beklagte bei Erteilung der beiden Vorbescheide überhaupt keine vorläufige positive Gesamtbeurteilung der Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht vornehmen können.

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Unabhängig davon würde auch eine unterstellte positive vorläufige Gesamtbeurteilung dem Antragsteller keinen Schutz gegenüber späteren Änderungen der Sach- oder Rechtslage vermitteln. Denn die Regelungen zur vorläufigen Gesamtbeurteilung in § 8 BImSchG gälten im Rahmen des Vorbescheides nach § 9 Abs. 1 BImSchG entsprechend. Danach entfalle die Bindungswirkung der vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung u.a. bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage. Dies habe vorliegend zur Folge, dass die Klägerin nicht davor geschützt sei, dass sich die immissionsschutzrechtliche Vorbelastung bis zur behördlichen Entscheidung über ihren Genehmigungsantrag ändere. Die Klägerin sei auch gegenüber einer veränderten immissionsschutzrechtlichen Vorbelastung im Umfeld ihres Vorhabens nicht schutzwürdig, das sie in diese Richtung jedenfalls bis zur Einreichung ihres Genehmigungsantrages vom 26. März 2013 keinen Planungsaufwand betrieben habe.

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Im Übrigen sei der Genehmigungsantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen bereits am 7. März 2011 bei der Genehmigungsbehörde eingereicht worden, wobei bereits zu diesem Zeitpunkt das Schalltechnische Gutachten für die Errichtung und den Betrieb der fünf Windenergieanlagen am Standort N… vorgelegt worden sei. Demgegenüber habe die Klägerin zunächst mit Schreiben vom 22. März 2011 planungsrechtliche Bauvoranfrage für die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen und mit Schreiben vom 15. September 2011 eine Bauvoranfrage für die planungsrechtliche Zulässigkeit weiterer zwei Windkraftanlagen eingereicht. Beiden Anträgen seien aber keine Unterlagen beigefügt worden, die die Prüfung und Feststellung weiterer Genehmigungsvoraussetzungen ermöglicht hätten. Insbesondere zur immissionsschutzrechtlichen Zulässigkeit seien keinerlei Angaben vorgelegt worden.

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Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten und den dazu eingereichten Anlagen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Abänderung der der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 14. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2013 für die Errichtung und den Betrieb von fünf Windenergieanlagen in N… zu Recht abgewiesen. Die Klage, die als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig ist (1), hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des Beklagten, bei der Erteilung der immissionsschutzschutzrechtlichen Genehmigung an die Beigeladene die durch die von der Klägerin geplanten Windenergieanlagen hervorgerufenen Schallimmissionen und Belästigungen durch Schattenwurf nicht als vorhandene Vorbelastung zu berücksichtigen, ist rechtmäßig (2.).

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1. Der Senat versteht das Begehren der Klägerin dahin, dass sie aufgrund der ihr erteilten bestandskräftigen Vorbescheide vom 13. Oktober 2011 und vom 7. Dezember 2011 eine subjektiv-öffentliche Rechtsposition für sich in Anspruch nimmt, die bei Erteilung der hier angefochtenen Genehmigung hätte berücksichtigt werden müssen. Da dies nicht geschehen ist, begehrt sie in der Sache die teilweise Aufhebung der der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 14. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2013 und die Verpflichtung der Behörde, der Beigeladenen eine Genehmigung nur unter Berücksichtigung der von ihren Anlagen (von den Anlagen der Klägerin) ausgehenden Immissionen zu erteilen. Dieses Begehren ist zulässig.

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Zugunsten der Klägerin kann zunächst davon ausgegangen werden, dass angesichts der konkreten Situation vor Ort nur ein gewisses Kontingent von zulässigen Lärmimmissionen und Belästigungen durch Schattenwurf (Igesamt) zur Verfügung steht: Durch die Immissionen, die von den fünf mit der Genehmigung vom 14. Juni 2012 zugelassenen Anlagen der Beigeladenen ausgehen (IWEA N…), wird dieses Kontingent (Igesamt) bereits zu einem großen Teil ausgeschöpft. Daraus folgt, dass bei Bestandskraft der der Beigeladenen erteilten Genehmigung vom 14. Juni 2012 die Genehmigung des Vorhabens der Klägerin nur noch unter Beifügung von Auflagen möglich ist, die zur eine wesentlichen Begrenzung des Anlagenbetriebs hinsichtlich Lärm und Schattenwurf führen müssen; das verbleibende Kontingent (Igesamt - IWEA N…= IDiff.1) erlaubt der Klägerin keinen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen mehr. Das Ausmaß der für den auskömmlichen Betrieb der von der Klägerin geplanten Anlagen erforderlichen Immissionen und Belästigungen (I ) übersteigt das verbleibende Kontingent (IDiff.1) in erheblichem Umfang. Danach ist das Begehren der Klägerin dahin zu verstehen, dass die Genehmigung vom 14. Juni 2012 insoweit aufgehoben werden soll, als das Kontingent (Igesamt) nicht zunächst an sie und erst das danach verbleibende Restkontingent (Igesamt – I..H = IDiff.2) an die Beigeladene vergeben worden ist und dass darüber hinaus das zur Verfügung stehenden Kontingent von zulässigen Lärmimmissionen und Belästigungen durch Schattenwurf ihr zugeteilt werden soll.

24

2. Bereits das Anfechtungsbegehren ist aber unbegründet, sodass der zusätzlich gestellte Verpflichtungsantrag ins Leere geht. Die Anfechtungsklage wäre begründet, wenn die immissionsrechtliche Genehmigung vom 14. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2013 insoweit, als der Klägerin danach statt dem Immissionskontingent (I H) nur das Kontingent (IDiff.1) verbleibt, rechtswidrig ist und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird. Dies ist aber nicht der Fall, da der Beklagte durch die Vorbescheide vom 13. Oktober 2011 und vom 7. Dezember 2011 nicht gehindert war, zu entscheiden wie geschehen (a.), und auch ansonsten ermessensfehlerfrei über die Genehmigungsanträge der Klägerin und des Beigeladenen befunden hat (b.).

25

a. Aufgrund der bestandskräftigen Vorbescheide vom 13. Oktober 2011 und vom 7. Dezember 2011 war der Beklagte nicht gehindert, dem Genehmigungsantrag der Beigeladenen in vollem Umfang stattzugeben. Allerdings erscheint es durchaus denkbar, dass ein Vorbescheid für ein nachfolgendes, von einem Konkurrenten betriebenes Genehmigungsverfahren Bindungswirkungen erzeugt. Ein nicht nichtiger Verwaltungsakt entfaltet nämlich gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und § 43 VwVfG eine sogenannte Tatbestandswirkung: Die getroffene Regelung ist zu beachten und nachfolgenden Entscheidungen über Genehmigungsanträge von Konkurrenten als gegeben zugrunde zu legen. Sofern und soweit mit den genannten Vorbescheiden die immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit der von der Klägerin geplanten Anlagen festgestellt worden ist, wäre der Beklagte daher im Rahmen des hier zu beurteilenden Verfahrens daran gebunden gewesen und hätte das zur Verfügung stehende Immissionskontingent (Igesamt) im Umfang der von den Anlagen der Klägerin ausgehenden Immissionen (I H….) dieser zuteilen und dieses Kontingent als Vorbelastung für die Anlagen der Beigeladenen berücksichtigen müssen.

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b. Diese Tatbestandswirkung wie sie von der Klägerin im rechtlichen Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zutreffend angenommen wird, wird aber durch den Inhalt der Vorbescheide begrenzt. Hier ergibt eine Auslegung der Vorbescheide, dass die immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit der von der Klägerin geplanten Anlagen nicht festgestellt worden ist.

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Für die Auslegung der wortgleichen Vorbescheide vom 13. Oktober 2011 und vom 7. Dezember 2011 ist nach der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Regel der §§ 133, 157 BGB der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger der Bescheide bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Abzustellen ist dabei auf den Inhalt der Bescheide, aber auch auf die bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Begleitumstände.

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aa. Danach ist hier zunächst vom Tenor der Vorbescheide (vgl. jeweils Nr. I 1.) auszugehen, wonach

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„…dem Vorhaben … bezüglich der bauleit- und landesplanerischen Zulässigkeit…“

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zugestimmt werde. Wenn hier u.a. die bauleitplanerische Zulässigkeit einer im Außenbereich geplanten Windenergieanlage angesprochen wird, kann das nur so verstanden werden, dass die Zulässigkeit nach § 35 BauGB gemeint ist. Windenergieanlagen, die zu den privilegierten Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zählen, sind danach dann zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt, soweit vorliegend von Interesse, gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB auch dann vor, wenn das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt ist. Mit dem Begriff der schädlichen Umweltauswirkungen verweist § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 auf die Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 BImSchG, wonach schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen sind, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft hervorzurufen.

31

Wenn somit durch die hier streitigen Vorbescheide die bauleitplanerische Zulässigkeit der Windenergieanlagen attestiert wird, spricht dies zunächst dafür, dass die beiden Vorbescheide dahin zu verstehen, dass mit den Vorbescheiden festgestellt wird, dass von dem Vorhaben „Windpark H…“ keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen. Zwar wird § 35 BauGB im Tenor und in den Gründen der beiden Vorbescheide nicht ausdrücklich erwähnt, dies ist aber nicht erforderlich. Zum einen ist im Falle eines Außenbereichsvorhabens der Begriff „bauleitplanerische Zulässigkeit“ synonym mit der Zulässigkeit nach § 35 BauGB zu verstehen. Im Übrigen ergibt sich aber auch aus den in den Gründen der Vorbescheiden angesprochenen Ersetzung des Einvernehmens der Ortsgemeinde W…-H… nach § 36 Abs. 1 BauGB, dass die Genehmigungsbehörde die in § 36 Abs. 1 angesprochenen Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 35 BauGB zum Gegenstand des Bescheides gemacht hat.

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bb. Bei der Ermittlung des Regelungsgehaltes der beiden Vorbescheide muss aber weiter berücksichtigt werden, dass nach dem Tenor beider Vorbescheide die Feststellung der bauleitplanerischen Zulässigkeit nur

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„… nach Maßgabe der vorgelegten Antrags- und Planunterlagen, die Bestandteil dieses Bescheides sind …“

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erfolgt. Die damit zum Gegenstand der Vorbescheide gemachten Antragsunterlagen umfassen neben Übersichtskarten und Lageplänen, in denen jeweils die Standorte der vorgesehenen Anlagen eingetragen sind, und der Bezeichnung der Standorte anhand der Gauß-Krüger-Koordinaten auch eine zeichnerische Darstellung der vorgesehenen Anlagen, aus der Typ und Maße, insbesondere die Nabenhöhe, die höchste Blattposition und die Gesamthöhe (179,38 m) ersichtlich sind. Nach dem für die Auslegung maßgeblichen Empfängerhorizont hat der Beklagte demnach – soweit vorliegend von Interesse – festgestellt, dass die durch Bezugnahme auf die Antragsunterlagen bezeichneten Windenergieanlagen an ihrem konkreten Standorten keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervorrufen werden, soweit dies anhand der vorgelegten Unterlagen festgestellt werden kann. Dies liegt auch schon deshalb nahe, weil gemäß § 19 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 1 BImSchG und § 4 Abs. 1 Satz 1 sowie § 4a Abs. 1, 2 Nr. 1 der aufgrund des § 10 Abs. 10 BImSchG erlassenden 9. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes – 9. BImSchV –, soweit durch geplante Anlagen schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden können, die Antragsunterlagen auch eine Prognose der zu erwartenden Immissionen enthalten müssen. Ferner müssen dem Antrag gemäß § 4b der 9. BImSchV Angaben über die vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und vor sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen beigefügt werden. Legt daher der Betreiber einer Windenergieanlage – wie hier – keine Unterlagen zu den Lärmauswirkungen der geplanten Anlage auf die Umgebung und zu dem von der Anlage hervorgerufenen Schattenwurf vor, kann er als Adressat des Vorbescheides nicht annehmen, dass die Zumutbarkeit Lärmimmissionen und Schattenwurf schon durch den Vorbescheid endgültig festgestellt worden ist.

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Der Regelungsgehalt der Vorbescheide kann aus der Sicht eines vernünftigen Adressaten daher nur dahin verstanden werden, dass die Genehmigungsbehörde die immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit der Vorhaben der Klägerin noch nicht abschließend beurteilt hat und die endgültige Entscheidung darüber erst erfolgen soll, wenn die Immissionsbelastung auf der Grundlage der von der Klägerin im Genehmigungsverfahren noch vorzulegenden Schall- und Schattenwurfgutachten beurteilt werden kann.

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Damit hat aber der Vorbescheid gerade nicht den feststellenden Teil der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung betreffend die immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit vollständig vorweggenommen, sondern diese Prüfung zu einem großen Teil dem künftigen Genehmigungsverfahren vorbehalten. Eine Bindungswirkung hinsichtlich des zulässigen Umfangs von Lärmimmissionen und Belästigungen durch Schattenwurf kommt den Vorbescheiden daher nicht zu. Durch diese Beschränkung der Prüfung auf die vorgelegten Unterlagen wird auch die Reichweite des vorläufigen positiven Gesamturteils begrenzt.

37

c. Die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung war auch nicht etwa deshalb verfahrensfehlerhaft, weil der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, nach den Grundsätzen über die willkürfreie Behandlung paralleler Genehmigungsanträge ihren Antrag vor demjenigen der Beigeladenen zu bescheiden. Zwar erweist sich der Gesichtspunkt der Priorität konkurrierender Anträge grundsätzlich als sachgerechtes Kriterium, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine Abweichung hiervon rechtfertigen (vgl. Beschluss des 8. Senats vom 21. März 2014, 8 B 19139/14.OVG m.w.N). Hier braucht darauf aber schon deshalb nicht näher eigegangen zu werden, weil über den Genehmigungsantrag der Beigeladenen vom 25. Februar 2011 unter dem 14. Juni 2012 entschieden worden war, derjenige der Klägerin aber erst am 26. März 2013 bei dem Beklagten eingegangen ist.

38

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO zurückzuweisen.

39

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

40

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

Beschluss

41

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren und zugleich für das Verfahren erster Instanz auf 137.500 €. festgesetzt (§§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 3 Nr.2 GKG).

Gründe

42

In Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ist der Streitwert gemäß § 52 Abs.1 GKG nach der sich aus dem Antrag für den Kläger ergebenden Bedeutung der Sache festzusetzen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,00 €, der sogenannte Auffangwert, anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Das Gericht ist somit, sofern genügende Anhaltspunkte vorliegen, berechtigt und verpflichtet, einen Streitwert nach richterlichem Ermessen zu bestimmen. Bei der Ausübung dieses Ermessens ist im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung eine weitgehende Pauschalisierung und Schematisierung für gleichartige Streitigkeiten zulässig und geboten (vgl. BVerwG, JurBüro 1998, 809 f.). Dabei orientiert sich der Senat an den mit dem „Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013“ (LKRZ 2014, 169) vorgeschlagenen Werten. Dem Streitwertkatalog kommt zwar keine normative Wirkung zu, die dort vorgeschlagenen Werte können aber im Sinne einer „guten Praxis der Verwaltungsgerichte“ verstanden werden (vgl. BayVGH vom 11. Juli 2003, BayVBl. 2003, 28) und sind daher in der Regel eine geeignete Ausgangsbasis für die in das Ermessen des Senates gestellte Streitwertfestsetzung (so auch BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 1994, 4 B 102/94).

43

Das hier maßgebliche wirtschaftliche Interesse der Klägerin an einem Obsiegen im vorliegenden Verfahren wird dadurch bestimmt, dass sie selbst 5 Windenergieanlagen betreiben möchte und hier den behaupteten, ihr durch die Vorbescheide eingeräumten Bestand verteidigen will. Dieses Interesse ist gemäß Nr. 19.1.1 des Streitwertkataloges regelmäßig mit einem Betrag von 2,5 % der Herstellungskosten und mit dem durch Nr. 19.1.4 für die Bewertung eines Vorbescheides vorgesehenen Abschlag von 50 % angemessen bewertet. Hier waren danach der Bewertung die geschätzten Herstellungskosten von ca. 2.200.000 € je Anlage, insgesamt mithin 11.000.000 € zugrunde zu legen. 2,5% von diesem Betrag ergeben 275.000 €; die Hälfte davon beträgt 137.500 €.

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