Urteil vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 LB 71/18

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 28. September 2016 – 12. Kammer, Einzelrichter – geändert. Die Klage wird auch hinsichtlich der Klägerin zu 1) abgewiesen.

Die Klägerin zu 1) trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin zu 1) darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die ausweislich der vorgelegten Identitätspapiere am … 1975 in Damaskus (Suburb) geborene Klägerin zu 1) ist syrische Staatsangehörige, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Sie reiste mit ihren Kindern, den 2009, 2010 und 2012 geborenen Klägern zu 2) bis 4) am 17. November 2015 auf dem Landweg (über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Österreich, mit Boot, Bus und Bahn) in das Bundesgebiet ein und stellte am 6. Juli 2016 einen Asylantrag. Am 24. August 2016 wurde die Klägerin angehört.

2

Mit Bescheid vom 31. August 2016 erkannte die Beklagte die Klägerin zu 1) und ihre Kinder (die Kläger zu 2) bis 4) als subsidiär Schutzberechtigte an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

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Mit ihrer am 14. September 2016 erhobenen Klage haben die Kläger zu 1) bis 4) zur Begründung ausgeführt: Bei ihnen lägen die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft vor, denn in Syrien herrsche Bürgerkrieg, sodass sie allein aufgrund ihrer Nationalität um Leib und Leben fürchten müssten.

4

Die Kläger zu 1) bis 4) haben beantragt,

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die Beklagte unter entsprechender Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 31. August 2016 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

7

Mit Gerichtsbescheid vom 28. September 2016 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin zu 1) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den angegriffenen Bescheid in Bezug auf die Klägerin zu 1) in Nummer 2, soweit er dem entgegensteht, aufgehoben. Die Klägerin zu 1) könne sich auf beachtliche Nachfluchtgründe berufen. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat drohe ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit – unabhängig von individuellen Gründen – eine staatliche Verfolgung, weil der syrische Staat das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansehe. Hinsichtlich der Kläger zu 2) bis 4) hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, weil aufgrund ihres Alters nicht angenommen werden könne, dass der syrische Staat ihren Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung ansehe.

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Zur mit Beschluss vom 7. Februar 2018 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor: Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Quellenlage ließe sich hinsichtlich der Frage, ob bei Konstellationen der vorliegenden Art die nötige Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal feststellbar sei, unterschiedlich interpretieren. Rückkehrer unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher Behandlung. Es gebe jedoch keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass abgeschobenen Rückkehrern grundsätzlich ungeachtet besonderer persönlicher Umstände oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde und die Befragungen und damit teilweise einhergehende Misshandlungen in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal erfolgten. Vielmehr beschränkten sich die zur Verfügung stehenden Auskünfte auf die Schilderung von Einzelfällen, aus denen sich für die Motivation des syrischen Staates – ungeachtet des Unrechtsgehalts dieses staatlichen Handelns – nichts ableiten lasse. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien deshalb für sich allein kein Grund für Verhaftung oder Repressalien.

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Die Beklagte beantragt,

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den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 12. Kammer, Einzelrichter – vom 28. September 2016 hinsichtlich der Klägerin zu 1) zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen.

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Die Klägerin zu 1) beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie sieht im Verfahren den Umstand unberücksichtigt, dass sie als Staatsbedienstete tätig gewesen sei und daher mit einer persönlichen Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien rechnen müsse. Weil Staatsbediensteten ohne Erlaubnis ihrer Beschäftigungsbehörde die Ausreise grundsätzlich untersagt sei, sie aber ohne Erlaubnis aus Syrien geflohen sei, müsse sie bei einer Rückkehr mit einer Untersuchung rechnen. Dabei würde ihre illegale Ausreise festgestellt und ihr eine oppositionelle Haltung unterstellt werden. Als Lehrerin habe sie eine hervorgehobene Position im Verwaltungsapparat inne, weshalb man von ihr loyales Verhaltens erwarte. Allein aufgrund des Loyalitätsbruchs werde ihr eine oppositionelle Haltung unterstellt und sie müsse deshalb Repressalien befürchten, die über die bloße Strafverfolgung hinausgingen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin zu 1) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, so dass das Urteil zu ändern war. Die Klägerin zu 1) hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG.

15

Nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

16

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Als Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylG auch eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u. a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

17

Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – juris, Rn. 22, 24). Die Schwere des befürchteten Eingriffs kann dabei je nach Einzelfall, insbesondere im Zusammenhang mit willkürlich handelnden Staatsmächten, nur bedingt Erkenntnisse zur Gerichtetheit der Verfolgung geben. Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht, welches hierfür den Begriff des „real risk“ verwendet (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22 m.w.N.).

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Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris, Rn. 19). Der danach relevante Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 – juris, Rn. 13). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. Ergeben die Gesamtumstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, wird ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 – juris, Rn. 17). Auch in solchen Fällen müssen aber die festgestellten Verfolgungsfälle nach Intensität und Häufigkeit zur Größe der Zahl der Verfolgten als ins Gewicht fallend angesehen werden können, wenn das Anknüpfungsmerkmal für eine mögliche Verfolgung auf eine Vielzahl von Personen zutrifft (hier: Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland sowie ungenehmigte Ausreise als Staatsbedienstete); es muss dann also – vergleichbar einer Gruppenverfolgung – eine entsprechende Verfolgungsdichte vorliegen. Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn ein staatliches Verfolgungsprogramm besteht, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht und das deshalb hinreichend wahrscheinlich eine Verfolgung erwarten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 10 B 18.09 – juris, Rn. 2 m.w.N.; vgl. zu den Prognosegrundsätzen bei gruppengerichteten Verfolgungen: Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, § 27).

19

Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "C. aus der begründeten Furcht vor Verfolgung C." des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 7.11 – juris, Rn. 12).

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Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 – juris, Rn. 23). Dabei gilt als vorverfolgt, wer seinen Heimatstaat entweder vor eingetretener oder vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat (vgl. BVerwG, Urteil 14. Dezember 1993 – 9 C 45.92 – juris, Rn. 8).

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Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris, Rn. 32).

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Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21. März 2018 – 2 L 238/13 –, juris,

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dass auch dann eine volle richterliche Überzeugung der Prognose beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgung vorliegen kann, wenn wegen der Schwierigkeiten der Erkenntnisgewinnung eine eindeutige Faktenlage nicht ermittelt werden kann, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse ausreichende Anhaltspunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie in die andere Richtung vorliegen, also eine Situation vorliegt, die einem non-liquet vergleichbar ist,

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teilt der Senat nicht, soweit sie dahin verstanden werden können, dass bei offener Verfolgungsprognose eine beachtliche Wahrscheinlichkeit zu bejahen sei (ablehnend auch OVG Münster, Urteil vom 1. August 2018 – 14 A 619/17.A – juris, Rn. 55 ff.). Darin läge eine Umkehrung der Beweislastverteilung, die im Gesetz keine Stütze findet. Bei der Erstellung einer Gefahrenprognose zieht das Tatgericht auf der Basis von Erkenntnissen, die es aus Vergangenheit und Gegenwart gewonnen hat, zukunftsorientierte Schlussfolgerungen (BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 10 B 1.11 – juris, Rn. 7 zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). Jede Prognose setzt daher zunächst eine hinreichend zuverlässige Tatsachengrundlage voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 – 1 VR 1.17 – juris, Rn. 20 zu § 58a AufenthG). Schwierigkeiten bei der Erkenntnisgewinnung entbinden das Tatgericht nicht, sich von der Prognosebasis die Überzeugungsgewissheit i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu verschaffen. Bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet darf ein Tatsachengericht auch aus einer Vielzahl ihm vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung vornehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 – 10 C 11.08 – juris, Rn. 19 zur Gruppenverfolgung). Auf der Grundlage der festgestellten Prognosebasis ist dann zu bewerten, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Auch von der Prognose selbst muss das Tatgericht i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO überzeugt sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2010 – 10 B 7.10 – juris, Rn. 8; und vom 8. Februar 2011 – 10 B 1.11 – juris, Rn. 7). Die Überzeugung bezieht sich darauf, dass der angenommene zukünftige Geschehensverlauf mindestens so wahrscheinlich ist, wie es der vorgegebene materiell-rechtliche Gefahrenmaßstab verlangt, hier also, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 10 B 1.11 – juris Rn. 8, juris; Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 17). Kann sich das Tatgericht auf der Grundlage der festgestellten Prognosebasis keine Überzeugung davon bilden, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 – 9 C 36.98 –, juris, Rn. 13; OVG Münster, Urteil vom 1. August 2018 – 14 A 619/17.A –, juris, Rn. 57 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Januar 2018 – 2 LB 1620/17 –, BeckRS 2018, 11721, beck-online). Nach allgemeinen Grundsätzen geht in diesen Fällen ein non-liquet zu Lasten des Ausländers, da das Bestehen einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr – aus Rechtssicht – eine für ihn günstige Tatsache ist und das Asylgesetz keine abweichende Beweislastverteilung regelt. Diese Beweislastverteilung kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein non-liquet bei der Gefahrenprognose als Grundlage gewählt wird, um eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr zu begründen.

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1. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht der Klägerin zu 1) vor einer Verfolgung wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Grundes unbegründet.

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Zu bewerten ist allein eine Verfolgung durch den syrischen Staat. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei seiner Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris, Rn. 13 ff. m.w.N.). Der Heimatort der Klägerin zu 1), Jayrud, steht ausweislich einer Information des „Military Advisor“ auf Twitter seit dem 24. April 2018 wieder unter syrischer Flagge, d.h. unter der Herrschaft des Assad Regimes. Zuvor war er – wie auch von der Klägerin zu 1) im Asylverfahren berichtet – in den Händen der Opposition. Inwiefern der Military Advisor“ auf Twitter eine verlässliche Quelle ist, kann der Senat dahinstehen lassen, denn es ist auch zu prüfen, ob der Ausländer seinen Herkunftsort gefahrlos erreichen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1993 – 9 C 31.92 – juris, Rn. 9). Unabhängig davon, unter wessen Kontrolle der Heimatort der Klägerin zu 1) im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht, ist der in der Nähe von Damaskus gelegene Heimatort nur über einen Reiseweg bzw. über Gebiete erreichbar, die vom syrischen Regime kontrolliert werden. Dies gilt in erster Linie für eine – hypothetische – Rückführung der Klägerin zu 1), die derzeit allein über eine Flugverbindung denkbar ist. Insoweit kommt nach aktuellem Erkenntnisstand nur Damaskus in Betracht (vgl. Auswärtiges Amt [AA], Auskunft vom 12. Oktober 2016 an VG Trier zu den beiden allein geöffneten Flughäfen Damaskus und dem im Kurdengebiet gelegenen Qamishly. Daneben soll auch noch der unter Kontrolle des syrischen Regimes stehende Flughafen Latakia für internationale Flüge offen stehen, vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH] vom 21. März 2017, Syrien: Rückkehr, S. 6.). Dies gilt aber auch für eine (legale) Rückkehr auf einem anderen Reiseweg. Nach der aktuellen Auskunftslage werden Damaskus selbst und die Region um Damaskus fast ausschließlich vom syrischen Regime kontrolliert (siehe kartographische Darstellungen bei Spiegel Online, Assad zielt ins Herz der Revolution, Karte Stand 12. April 2018, und Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA] Länderinformationsblatt Syrien vom 25. Januar 2018, S. 12). Auch die vereinzelten noch von den syrischen Rebellen-Milizen kontrollierten Bereiche werden danach ausschließlich von Gebieten umschlossen, die unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen.

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2. Die Klägerin zu 1) ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Ausweislich ihrer Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist ihr vor ihrer Ausreise persönlich nichts passiert; sie ist mit ihren Kindern vor dem Bürgerkrieg geflüchtet. Ihr drohte vor der Ausreise zudem keine unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung wegen ihrer Religions- und Volkszugehörigkeit oder ihrer regionalen Herkunft, siehe sogleich unter 3. b).

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3. Eine Flüchtlingsanerkennung der Klägerin zu 1) kommt auch nicht wegen Ereignissen und einer damit einhergehenden Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Betracht, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat (vgl. § 28 Abs. 1a AsylG, sog. Nachfluchttatbestände). Die Klägerin zu 1) kann sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a). Bei ihr liegen zudem weder im Hinblick auf ihre Glaubenszugehörigkeit noch wegen ihrer regionalen Herkunft, risikoerhöhende Umstände vor (b). Etwas anderes folgt auch nicht aus ihrer Tätigkeit als Lehrerin in Syrien und der fehlenden Ausreisegenehmigung für sie als Staatsbedienstete (c). Selbst wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet, ergibt sich nichts Abweichendes (d).

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a) Die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass allein der Aufenthalt des Klägerin zu 1) im westlichen Ausland und die Asylantragstellung in der Bundesrepublik vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung angesehen werde und die Klägerin zu 1) im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus diesem Grund mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste, wird vom Senat angesichts der aktuellen Erkenntnislage und weiterer Erwägungen nicht geteilt und rechtfertigt daher die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht.

30

Unter Beachtung der vorgenannten Maßstäbe ist bei der Prüfung danach zu differenzieren, ob einem Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung droht und – falls dies bejaht wird – zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund (hier: politische Überzeugung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung gegenüber dem syrischen Regime) eine Verknüpfung besteht. Für beides fehlt es an hinreichend gesicherten Erkenntnissen.

31

Der Senat hat hierzu mit am 4. Mai 2018 verkündeten Urteilen (u.a. 2 LB 17/18, juris Rn. 36 ff.) unter Verweis auf das Urteil vom 23. November 2016 (3 LB 17/16, juris) ausgeführt, dass nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme besteht, dass der totalitäre Staat Syrien jeden Rückkehrer, auch solche, die ihr Land unverfolgt verlassen haben, pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören, sofern nicht besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die auf eine oppositionelle Einstellung hinweisen. Wegen der Begründung im Einzelnen, insbesondere der Bewertung der vorliegenden Erkenntnismittel wird auf das Urteil vom 4. Mai 2018 – 2 LB 17/18 –, juris Rn. 36 bis 75 verwiesen. Hieran hält der Senat fest und dies auch in Ansehung des von der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen, vor seiner Entscheidung ergangenen und sich mit der Entscheidung des 3. Senats kritisch auseinandersetzenden Urteils des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 13. Juni 2017 (7 A 167/18, juris, Rn. 29 ff.). Neue Erkenntnisse haben sich seit dem Urteil des Senats vom 4. Mai 2018 – 2 LB 17/18 – nicht ergeben.

32

b) Im Falle der Klägerin zu 1) liegen keine solchen besonderen, risikoerhöhenden Faktoren für die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung bzw. einer Verfolgung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung vor. Anknüpfend an die vorliegenden Erkenntnisse und den vor allem in den Berichten des UNHCR aufgeführten Risikoprofilen sind bei der Klägerin zu 1) insbesondere die Aspekte ihrer Religionszugehörigkeit (aa) sowie ihrer regionalen Herkunft (bb) zu erörtern (zu ihrer Tätigkeit als Lehrerin s.u. c).

33

aa) Die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben allein stellt keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen der Klägerin zu 1) bei einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde, weil ihr deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde. Der Senat hat zu diesem Aspekt im Urteil vom 4. Mai 2018 (Az. 2 LB 17/18, juris Rn. 77 bis 81) Folgendes ausgeführt:

34

Nach Berichten des UNHCR bestehe zwar die von der Regierung bekämpfte Opposition größtenteils aus sunnitischen Arabern (vgl. UNHCR vom November 2017, S. 54). Die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Sunniten erhöhe daher die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (so bereits UNHCR vom April 2017, S. 5; SFH vom 21. März 2017, S. 11; siehe auch UNHCR vom November 2015, S. 26, wonach die Mitgliedschaft in religiösen Gruppen – darunter auch die Sunniten – ein gefahrerhöhendes Moment sein könne). Anderen Berichten zufolge seien alle Rückkehrer von Misshandlungen am Flughafen und Grenzübergängen bedroht. Ethnizität und Religion seien keine Aspekte, die sich auf die Gefährdung durch Misshandlung auswirkten (vgl. IRB vom 19. Januar 2016, S. 7).

35

Trotz des vor allem vom UNHCR definierten Risikoprofils kann eine generelle Gefährdung sunnitischer Syrer bereits deshalb nicht angenommen werden, weil 74 % der syrischen Bevölkerung der Glaubensgruppe der Sunniten angehören (Stand 2006, siehe http://m.bpb.de/nachschlagen/lexika/fischer-weltalmanach/65805/syrien). Ferner sind Sunniten sowohl im Regime als auch in den Streitkräften – zum Teil in hohen Stellungen – vertreten (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht“, Bundeszentrale für politische Bildung, vom 19. Februar 2016; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017, a.a.O., Rn. 83 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017, a.a.O., Rn. 68). Allenfalls kann die sunnitische Religionszugehörigkeit ein weiterer Faktor bei der Bestimmung des Risikoprofils in dem Sinne sein, dass eine aus anderen Gründen den Regierungskräften verdächtig erscheinende Person als umso verdächtiger wahrgenommen werden wird, wenn sie sunnitischer Glaubenszugehörigkeit ist (in diese Richtung ebenfalls UNHCR vom Februar 2017, S. 2).

36

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2017 (S. 54 ff.) die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben nicht mehr als per se risikoerhöhenden Faktor ansieht und auch nicht als ein Merkmal, aufgrund dessen der Person regierungsfeindliche Absichten unterstellt werden (ebenso: VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris, Rn. 48). Vielmehr geht auch der UNHCR davon aus, dass die Verfolgungsgefahr für Mitglieder religiöser und ethnischer Gruppen von Region zu Region variiert und von den spezifischen Konfliktbedingungen der jeweiligen Region abhänge. Eine Verfolgungsgefahr ergebe sich insbesondere für Angehörige religiöser und ethnischer Gruppen, die aus Gebieten stammten, die von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, so dass diesen abhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalles der Flüchtlingsschutz zu gewähren sei.

37

An diesen Ausführungen hält der Senat fest.

38

bb) Eine der Klägerin zu 1) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung wegen einer ihr seitens des syrischen Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie aus einem Gebiet stammt, das unter Kontrolle von oppositionellen Truppen gestanden hat bzw. steht.

39

Die Klägerin zu 1) hat in der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, dass ihr Herkunftsort Jayrud jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Ausreise in den Händen von Jabhat Al-Nusra Kämpfern gewesen sei. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben der Klägerin zu 1) nicht zutreffen. Vielmehr bestätigen vorhandene Berichte, dass sowohl Vororte als auch Stadteile von Damaskus und die Bergregion zwischen Damaskus und Palmyra (Jayrud liegt in den Qalamoun-Bergen, nordöstlich von Damaskus) zeitweise von Oppositionsgruppen eingenommen, zumindest aber zwischen den Truppen des Assad-Regimes und anderen Konfliktparteien umkämpft sind bzw. waren (vgl. beispielhaft Spiegel-Online vom 21. April 2018, Viertel Jarmuk in Damaskus, Zwei Quadratkilometer Bürgerkrieg; Spiegel-Online vom 16. Dezember 2016, Bürgerkrieg in Syrien – Assad lässt Damaskus bombardieren).

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Der UNHCR meint, aus Unruhegebieten stammende Personen würden von der Regierung mit oppositionellen Gruppen in Verbindung gebracht und als regierungsfeindlich betrachtet (UNHCR vom November 2017, S. 33, 37; und vom Februar 2017, S. 16). Willkürliche Festnahmen basierten häufig allein auf der Herkunft aus einem Ort, in dem oppositionelle Kräfte aktiv sind (UNHCR vom November 2017, S. 37; Februar 2017, S. 21). So sei es in Gebieten, in denen die Regierung die Kontrolle wiedererlangt habe, zu Festnahmen von Männern und Jungen über 12 Jahren allein wegen der ihnen von der Regierung zugeschriebenen Unterstützung für regierungsfeindliche bewaffnete Kräfte gekommen (UNHCR, Februar 2017, S. 20). Einigen Auskünften zufolge erhöhe daher die Herkunft aus von der Opposition besetzten oder umkämpften Regionen die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (UNHCR vom Februar 2017, S. 5; vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 11).

41

Es gibt allerdings keine dahingehenden Informationen, dass aus dem Ausland nach Syrien Zurückkehrende allein aufgrund ihrer Herkunft aus einer vermeintlich regierungsfeindlichen Region Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Zumeist ist nur von gefahrerhöhenden Umständen die Rede. Der Senat schließt sich zudem der in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung an, dass viel dafür spricht, dass diejenigen, die vor den Auseinandersetzungen zwischen dem Assad-Regime und Konfliktparteien in ihrer Region ins Ausland geflohen sind, sich also dem Konflikt gerade entzogen haben, auch aus Sicht des syrischen Regimes nicht als Bedrohung aufgefasst werden (so OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 66 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 71; vgl. auch OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 160 ff.).

42

cc) Ungeachtet der voranstehenden Ausführungen genügt allein die pauschale Bezugnahme auf eines oder mehrere vom UNHCR definierten Risikoprofile nach Auffassung des Senats nicht, um die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten (politischen) Verfolgung durch das Assad-Regime begründen zu können. Es bedarf stets einer konkreten Einzelfallbetrachtung. Die Zugehörigkeit zu den vom UNHCR in den International Protection Considerations with Regards to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update V, vom November 2017 benannten Risikogruppen indiziert zwar nach wie vor die Wahrscheinlichkeit, dass die betroffene Person internationalen Schutz benötigt; dies wird jedoch durchweg durch die Worte relativiert: "depending on the individual circumstances of the case". Es ist also schon nach dem eigenen Anspruch der "Considerations" nicht angängig, die Annahme einer politischen Verfolgung allein auf die pauschale Zuordnung zu einer oder mehreren der Risikoprofile zu stützen, insbesondere ohne Rücksicht auf die Frage, in welches Umfeld der Betroffene hypothetisch zurückkehren müsste. Erforderlich ist vielmehr auch danach stets eine hinreichend substantiierte Einzelfallbetrachtung (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. März 2018 – 2 LB 1749/17 – juris, Rn. 118; OVG Saarlouis, Beschluss vom 11. April 2018 – 2 A 147/18 –, juris Rn. 9).

43

Die Klägerin zu 1) hat keine konkreten Umstände vorgetragen, weshalb ihr vom Assad-Regime eine oppositionelle Einstellung unterstellt werden könnte und ihr deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohen könnten. Auf die Ausführungen unter 2. und nachfolgend unter c) wird Bezug genommen. Im Gegenteil: In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt hat sie angegeben, Mitglied einer nichtstaatlichen, bewaffneten Gruppierung oder in einer sonstigen politischen Organisation sei sie nicht gewesen. Augenzeuge, Opfer oder Täter von begangenem Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Übergriffen (Folter, Vergewaltigung oder andere Misshandlungen) von kämpfenden Einheiten auf die Zivilbevölkerung; Hinrichtungen bzw. Massengräbern oder Einsätzen von Chemiewaffen sei sie auch nicht geworden. Sie habe auf dem Weg nach Deutschland bzw. in Deutschland ebenfalls keine Person kennengelernt, die sie als Unterstützer bzw. Mitglieder von extremistischen bzw. terroristischen Organisationen einschätzte.

44

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund, dass die Klägerin zu 1) als Lehrerin im Dienst des syrischen Staates stand und ohne die für Staatsbedienstete erforderliche Genehmigung ausgereist ist. Auch insoweit ist es angesichts der Auskunftslage ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin zu 1) wegen ihrer illegalen Ausreise als Staatsbedienstete eine oppositionelle Haltung zugeschrieben und sie deshalb verfolgt würde.

45

Die Klägerin zu 1) hat bereits bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt auf ihre Tätigkeit als Lehrerin hingewiesen. Dort hat sie auch geschildert, dass vielen ihrer Kollegen die für Staatsbedienstete erforderliche Ausreisegenehmigung verweigert worden sei, weshalb sie ohne diese so schnell wie möglich ausgereist sei. Die Befürchtung, angesichts dieser Umstände drohe ihr im Fall ihrer Rückkehr politisch motivierte Verfolgung seitens des Regimes, hat die Klägerin zu 1) zwar erst im Berufungsverfahren geäußert und ihr diesbezügliches Vorbringen im Rahmen der mündlichen Verhandlung bekräftigt, wo sie zudem einen Handy-Ausdruck einer ihr nach ihren Angaben von ihrem Anwalt zugesandten allgemeinen Anweisung des obersten Militärgerichts an die Zivilgerichte vom 15. März 2018 vorgelegt hat, die gesetzlichen Regelungen in Bezug auf ungenehmigte Ausreisen von Staatsbediensteten nunmehr zur Anwendung zu bringen. Ob diese teilweise handschriftlich verfasste, teilweise gedruckte Anweisung echt ist, und es insbesondere tatsächlich eine derartige Anweisung gibt, kann der Senat dahinstehen lassen. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, hält es der Senat gleichwohl schon nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin eine Verfolgungshandlung, insbesondere eine Bestrafung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen, etwa wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht.

46

Syrischen Staatsbediensteten ist das Verlassen des Landes ohne eine entsprechende Erlaubnis ihrer Beschäftigungsbehörde grundsätzlich untersagt (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017, S. 20). Jedoch erhalten verschiedenen Quellen zufolge Bedienstete in nicht sensiblen Bereichen wie etwa Lehrer eine solche Erlaubnis in der Regel ohne Schwierigkeiten und binnen weniger Stunden (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017, S. 38, 48, 71, 104). Wer ohne Ausreiseerlaubnis an der Grenze kontrolliert werde, werde für zwei oder drei Stunden festgehalten, während derer seine Identität und der Zweck der Reise geklärt würden. Danach sei auch dann eine Ausreise unproblematisch möglich (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017, S. 49). Wer das Land unerlaubt verlassen habe, müsse bei seiner Rückkehr mit einer Untersuchung rechnen, die eine Aufklärung der Gründe zum Ziel habe. Abhängig vom Ergebnis wird dann der Berichtslage zufolge versucht, eine Lösung zu finden, um eine Rückkehr an den Arbeitsplatz zu erleichtern; die Ursache dieser Kompromissbereitschaft wird darin gesehen, dass dem Regime daran gelegen sei, sich seine Unterstützer zu erhalten (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017, S. 58; zum Ganzen vgl. auch: OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018, a.a.O., Rn. 61 m.w.N.; OVG Koblenz, Urteil vom 12. April 2018 – 1 A 10988/16 – juris, Rn. 46 m.w.N.; OVG Saarlouis, Urteile vom 20. August 2018 – 1 A 589/17– und – 1 A 619/17 – jeweils juris, Rn. 40).

47

Zwar ist danach eine intensive Befragung im Fall der unterstellten Rückkehr nicht auszuschließen, jedoch ergeben sich aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen bereits nicht in hinreichender Dichte Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 1) bei der gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien wegen ihrer ungenehmigten Ausreise als Staatsbedienstete bestraft bzw. inhaftiert werden würde (mit der damit verbundenen Gefahr der Folter oder Misshandlung). Damit ist bereits das Vorliegen einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG nicht beachtlich wahrscheinlich. Bei der Klägerin zu 1) kommt zu dieser Auskunftslage noch Folgendes hinzu: Durch die Einnahme Jayruds durch Jabhat Al-Nusra Kämpfer war sie zum Zeitpunkt ihrer Ausreise ihrer Position faktisch enthoben. Ihre Beschäftigungsbehörde (Schule) war überwiegend geschlossen und – wie auch der sonstige Verwaltungsapparat der Stadt – in den Händen der Opposition. Eine Flucht unter diesen Gegebenheiten bietet keinen Anlass, der Klägerin zu 1) eine oppositionelle Haltung zu unterstellen (ebenso: OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 60 f.). Der Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ändert hieran nichts. Danach habe man die Ausreisegenehmigung persönlich beim Schulamt in Damaskus stellen müssen. Damit habe sie einen Bevollmächtigten beauftragt, zu dem sie mit ihrer Ausreise den Kontakt verloren habe. Denn entscheidend ist, dass die Schule der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Ausreise in den Händen der Opposition und überwiegend geschlossen war.

48

Zwar gibt die Auskunftslage für die Existenz der von der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegten allgemeinen Anweisung des obersten Militärgerichts an die Zivilgerichte vom 15. März 2018 nichts her. Wenn aber eine solche allgemeine Anweisung bestehen und auch durchgesetzt werden sollte, würde der Klägerin zwar im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr eine Bestrafung drohen. Jedoch lassen sich weder dieser Anweisung und insbesondere nicht den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen – wie dargestellt – hinreichend verlässliche und ausreichende Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Lehrern wegen ihrer ungenehmigten Ausreise durch das syrische Regime beachtlich wahrscheinlich eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird und ihnen daher in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgung droht. Es fehlte mithin zumindest an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund.

49

Soweit das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12. April 2018 – 1 A 10988/16 – juris, Rn. 45 ff.) basierend auf der aufgezeigten Auskunftslage in Bezug auf den Direktor eines Gymnasiums mit rund 450 Schülern zu der Einschätzung gelangt ist, dass es unter den konkreten Gegebenheiten beachtlich wahrscheinlich sei, dass diesem Schuldirektor in Anknüpfung an seine illegale Ausreise eine oppositionelle Haltung unterstellt werde, ist dies maßgeblich darauf gestützt gewesen, dass er – auch nach außen hin – eine deutlich hervorgehobene Position im syrischen Verwaltungsapparat innehatte. Schon von daher ist diese Konstellation mit der der Klägerin nicht vergleichbar. Abgesehen hiervon entnimmt der Senat dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz keine grundsätzliche Aussage des Inhalts, es sei beachtlich wahrscheinlich, dass jedem Direktor einer größeren Schule unter den fraglichen Gegebenheiten seitens des syrischen Regimes eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben würde (ebenso: OVG Saarlouis, Urteile vom 20. August 2018 – 1 A 589/17 – juris, Rn. 43 ff. zu dem Fall eines Schuldirektors, und – 1 A 619/17 – juris, Rn. 43 zu einem Lehrer).

50

d) Selbst wenn man bei der Klägerin zu 1) alle vorgenannten Umstände – die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung, die Glaubens- und Volkszugehörigkeit, die regionale Herkunft und ihre Tätigkeit als Staatsbedienstete, die ungenehmigt ausgereist ist, – zusammen in die zu treffende Prognoseentscheidung einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei der Klägerin zu 1) liegen keine besonderen, individuell gefahrerhöhenden Umstände vor, weshalb ihr vom syrischen Regime eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihr deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten.

51

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.

52

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

53

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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