Beschluss vom Sozialgericht Halle - S 25 AS 73/17 ER

Tenor

1. Der Antragsgegner wird dem Grunde nach verpflichtet, den Antragstellern vorläufig, unter dem Vorbehalt der Rückforderung, ab dem 1.2.2017 bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30.6.2017, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 5/6 erstatten.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). In der Sache streiten die Beteiligten darüber, ob die Antragsteller nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von einem Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen sind.

2

Die Antragsteller sind ... Staatsangehörige. Die am ...1982 geborene Antragstellerin zu 1) ist mit Herrn K., einem ... Staatsangehörigen, verheiratet. Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der Antragsteller zu 2) bis 6). Die Antragsteller zu 4) und 5) sind die gemeinsamen Kinder der vorgenannten Ehepartner. Leiblicher Vater der Antragsteller zu 2), 3) und 6) ist nach Angaben der Antragstellerin zu 1) Herr O., der ebenfalls ... Staatsangehöriger ist. Die Anerkennung der Vaterschaft für den Antragsteller zu 6) ist bislang nicht erfolgt.

3

Der Antragsteller zu 3) besucht derzeit eine achte Klasse der Sekundarschule ... Er ist seit ... 2012 Schüler dieser Schule und wird sie voraussichtlich bis zum ...2017 besuchen. Auch die Antragstellerin zu 2) besucht eine achte Klasse dieser Sekundarschule. Sie ist dort seit dem ...2014 Schülerin und wird die Schule voraussichtlich ebenfalls zum ...2017 beenden. Die Antragstellerinnen zu 4) und 5) sind Schülerinnen der dritten und zweiten Klasse in der Grundschule ...

4

Die Antragsteller leben nach ihren Angaben seit dem ... 2014 in Deutschland. Die Einreise erfolgte nach Angaben der Antragstellerin zu 1) zusammen mit ihrem Ehemann, da ihre gesamte Familie in der Bundesrepublik Deutschland lebe. Sie habe auch die Absicht verfolgt, hier einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Nach Angaben der Antragstellerin zu 1) hat ihr Ehemann nach der Einreise eine geringfügige Erwerbstätigkeit mit einem monatlichen Einkommen von etwa 400,- EUR ausgeübt. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Tätigkeit kann sie keine konkreten Angaben machen, die Beschäftigung habe "vielleicht ca ein Jahr" angedauert. Nach Aktenlage ist eine Erwerbstätigkeit in der Zeit vom 11.4.2014 bis 28.9.2014 belegt. Die Antragstellerin zu 1) und ihr Ehemann haben sich nach ihren Angaben im Dezember 2014 getrennt, der gegenwärtige Aufenthalt des Ehemanns ist unbekannt. Nach Angaben der Antragstellerin zu 1) soll er vor ca einem Jahr nach ... zurückgekehrt sein. Zwischen ihm und der Antragstellerin zu 1) besteht - ebenso wie mit seinen Kindern - seither kein Kontakt mehr. Insbesondere findet kein Umgang mit den Kindern mehr statt und er zahlt auch keinen Unterhalt.

5

Die Antragsteller bezogen in der Vergangenheit vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Am ... 2015 wurde der Antragsteller zu 6) geboren. Seit Januar 2016 lebte die Antragstellerin mit Herrn O., der am ...2015 nach Deutschland eingereist ist, in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Die Antragstellerin zu 1), die ihre Lehre als Verkäuferin nicht abgeschlossen hat, war seit ihrer Einreise nach Deutschland nur kurzeitig und in geringem Umfang erwerbstätig. In der Zeit vom 24.11.2015 bis 31.12.2015 war sie bei der Firma ..., ..., im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses als Verkäuferin auf dem Weihnachtsmarkt tätig und erzielte hieraus Entgelt (brutto) für November 2015 iHv 97,75 EUR und für Dezember 2015 iHv 569,50 EUR. Unter dem 18.4.2016 bescheinigte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Halle, der Antragstellerin zu 1), dass diese die Gründe, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben, nicht zu vertreten hat. Nach Aktenlage ist zudem eine Erwerbstätigkeit in der Zeit vom 20.8. bis 31.8.2015 bei der ... dokumentiert (Bruttoentgelt: 36,22 EUR), die sie jedoch nach eigenen Angaben nicht ausgeübt hat. Seither ist sie arbeitslos und sucht nach ihren Angaben seit ca sechs Monaten eine Arbeit. Herr O. war seit dem 25.9.2015 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung als Zeitungszusteller tätig.

6

Mit Schreiben vom 21.11.2016 hörte die Stadt ... die Antragsteller wegen einer beabsichtigten Feststellung des Nichtbestehens eines Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU an. Hierzu äußerten sich die Antragsteller nach ihren Angaben nicht. Eine Entscheidung der Stadt ... liegt nach Angaben der Antragstellerin zu 1) noch nicht vor.

7

Nach der Trennung der Antragstellerin zu 1) von Herrn O. im November 2016 bezogen die Antragsteller zum 1.12.2016 eine neue Unterkunft in der ...Str, ... Für die Wohnung mit einer Wohnfläche von ca 100,81 qm sind monatlich insgesamt 741,90 EUR (Miete und Vorauszahlungen für Nebenkosten und Heizung) zu zahlen.

8

Am 29.12.2016 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner die Fortzahlung der Leistungen. Sie führten aus: Die Lebenspartnerschaft mit Herrn O. bestehe nicht mehr. Zu ihm bestehe kein Kontakt mehr und sein Aufenthalt sei unbekannt. Nach dem beigefügten Schreiben der Stadt ..., Fachbereich Einwohnerwesen, Abteilung Einreise und Aufenthalt, vom 20.10.2016 bestehe kein Anspruch auf ein Daueraufenthaltsrecht. Über diesen Antrag hat der Antragsgegner bislang noch keine Entscheidung getroffen.

9

Am 10.1.2017 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Halle einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Zur Begründung haben sie unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen vorgetragen: Sie seien auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesen, da der Antragsgegner seit Januar 2017 keine Leistungen mehr erbringe. Sie - die Antragstellerin zu 1) sei arbeitslos und befinde sich bis September 2017 in Elternzeit. Sie suche bereits seit sechs Monaten nach Arbeit. Sie verfügten lediglich über Kindergeld iHv monatlich 822,- EUR und Unterhaltsvorschuss iHv monatlich 402,00 EUR. Sonstiges Einkommen oder Vermögen sei nicht vorhanden. Der gegenwärtige Aufenthalt des Herrn O. sei nicht bekannt. Zwischen ihm und den Antragstellern bestehe seit der Trennung kein Kontakt mehr. Insbesondere finde kein Umgang mit den Kindern mehr statt und er zahle auch keinen Unterhalt. Eine Rückkehr nach ... komme für sie nicht in Betracht. Sie gehörten zu einer in ihrer Heimat diskriminierten Minderheit (sog "Roma"). Am 21.2.2017 haben die Antragsteller unter Vorlage von Belegen mitgeteilt, dass die Antragstellerin zu 1) ab dem 1.2.2017 eine Tätigkeit als Gebäudereinigerin bei der Firma ..., in ..., ausübe. Zudem sei ihre Wohnung mit Schreiben der ... vom 13.2.2017 zum 20.2.2017 gekündigt und ein Zahlungsaufschub bis 23.2.2017 vereinbart worden. Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Antragsteller wird auf deren vorbereitende Schriftsätze Bezug genommen.

10

Die Antragsteller beantragen zuletzt,

11

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen für die Zeit ab 1.1.2017 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

12

Der Antragsgegner beantragt:

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Der Antrag wird abgelehnt.

14

Der Antragsgegner trägt zur Begründung seines Antrages vor: Ein Anspruch der Antragsteller auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sei nach der Neufassung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II zum 29.12.2016 ausgeschlossen. Den Antragstellern stehe kein Aufenthaltsrecht zu. Die Antragstellerin zu 1) halte sich allenfalls zur Arbeitsuche in Deutschland auf. Der Schulbesuch der Kinder begründe ebenfalls keinen Leistungsanspruch. Die als Arbeitgeber benannte Firma ... werde nicht als Betrieb geführt, eine Betriebsnummer sei nicht vergeben worden. Ob ein Gewerbe angemeldet sei, sei unbekannt. Es dürfte sich insofern um ein Gefälligkeitsarbeitsverhältnis handeln, da die Familie ... mit der Antragstellerin bekannt sei. Hinsichtlich des weiteren Vortrags des Antragsgegners wird auf dessen vorbereitende Schriftsätze Bezug genommen.

15

Die Beigelade stellt keinen Antrag. Er führt aus: Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII sei zumindest seit dem 29.12.2016 nicht mehr zu begründen.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen (§ 136 Abs 2 iVm 142 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG); zur prozessualen Zulässigkeit einer solchen Verweisung: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18.2.1981 – 6 C 159/80, juris Rn 7 und 10, zu § 117 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 8.2.2006 - B 1 KR 65/05 B, juris Rn 14, zum Verweis auf die vorbereitenden Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift; BSG, Urteil vom 23.5.2000 - B 1 KR 9/00 R, juris Rn 22, zu schriftlichen Unterlagen, die das Gericht durch Bezugnahme zum Gegenstand seines Urteils gemacht hat; vgl auch Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 19.3.2015 - I ZR 139/14, juris Rn 10, zu § 313 Abs 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO): Enthält der Tatbestand eine Bezugnahme auf Schriftsätze der Beteiligten, ist davon auszugehen, dass deren Inhalt zum Bestandteil der Verhandlung gemacht worden ist; BGH, Urteil vom 1.3.1996 - V ZR 327/94, juris Rn 9, zur konkludenten Bezugnahme auf den gesamten Inhalt einer nur auszugsweise wiedergegebenen Anlage; BVerwG, Urteil vom 6.12.1978 - I C 46.75, juris Rn 13 f: Enthält der Tatbestand eine Bezugnahme auf die Akten, ist davon auszugehen, dass deren Inhalt zum Bestandteil der Verhandlung gemacht worden ist; weitergehend BGH, Urteil vom 16.6.1992 - IX ZR 166/91, juris Rn 22, zur Einbeziehung des gesamten Akteninhalts durch Stellung der Anträge auch ohne ausdrückliche Bezugnahme im Tatbestand).

II.

17

I. Gegenstand des Verfahrens ist ein Anspruch der Antragsteller auf vorläufige Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II durch den Antragsgegner, hilfsweise die Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII.

18

Es liegt ein Fall der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor. Im Rechtsstreit zwischen einem Unionsbürger und dem SGB II-Träger über Leistungen der Grundsicherung wegen der Frage des Eingreifens des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist der Sozialhilfeträger nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG notwendig beizuladen (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris, zu der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II).

19

Unschädlich ist es, dass die Antragsteller nicht zumindest hilfsweise die Verpflichtung der Beigeladenen zur Leistungsgewährung beantragt haben. Im Falle der - hier gegebenen - notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG (unechte notwendige Beiladung) ist zumindest davon auszugehen, dass der Antragsteller hilfsweise die Verpflichtung des beigeladenen Trägers begehrt (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 13). Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 Alt 2 iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt; etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 13, auch zum Nichtvorliegen einer Klageänderung bei nachträglicher "Klageerweiterung"). Liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII vor, ist die Klage nicht insgesamt abzuweisen, sondern der beigeladene Sozialhilfeträger nach § 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG zur Gewährung dieser Leistungen zu verurteilen (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 14).

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II. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist – in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang - begründet.

21

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft. Einstweiliger Rechtsschutz ist durch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs 2 SGG zu erlangen, da in der Hauptsache eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu erheben wäre.

22

Die Antragsteller zu 2) bis 6) werden als nicht prozessfähige Minderjährige iSd § 71 Abs 1 und 2 SGG durch die Antragstellerin zu 1) vertreten, die - wovon die Kammer aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gebotenen summarischen Prüfung ausgeht - die elterliche Sorge nach § 1629 Abs 1 Satz 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) allein ausübt (BSG, Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R, juris Rn 21).

23

Der Antrag hat auch - in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang - in der Sache Erfolg. Begründet ist der Antrag insoweit, als der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach Maßgabe des Tenors zu gewähren.

24

Rechtsgrundlage für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnungen ist § 86b Abs 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der ZPO gelten entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist danach stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, und ein Anordnungsanspruch, also die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs, glaubhaft gemacht werden (vgl § 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).

25

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren nicht die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 86, Rn. 16b). Wie bei anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, die Anforderungen an die Glaubhaftmachung zu erfüllen. Das Gericht ist bei seiner Würdigung grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B).

26

Hinsichtlich der Erfolgsaussichten ist ein umso strengerer Maßstab anzulegen, wenn der Antragsteller mit der einstweiligen Anordnung bereits das im Hauptsacheverfahren verfolgte Ziel erreichen würde (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 16.8.1979 - 1 WB 112/78). Bei offenem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache, etwa weil eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, bei der insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einzubeziehen sind (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05). Im Übrigen begegnet es jedoch auch in gerichtlichen Eilverfahren, die die Gewährung existenzsichernder Leistungen betreffen, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Fachgerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, wenn sie die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2007 - 1 BvR 2971/06, juris Rn 14).

27

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise Erfolg. Hinsichtlich der für Januar 2017 geltend gemachten Ansprüche ist der Antrag abzulehnen (dazu 1.). Die Antragsteller haben insoweit bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Den Antragstellern steht weder ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Antragsgegner zu (dazu a), noch ein Anspruch gegen die Beigeladene auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII; dazu b). Dem Antrag ist auch nicht nach den Grundsätzen einer Folgenabwägung zu entsprechen (dazu c).

28

Hinsichtlich der geltend gemachten Leistungen ab 1.2.2017 entscheidet die Kammer aufgrund einer Folgenabwägung. Denn der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist insoweit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen. Fest steht insoweit bereits, dass die Antragstellerin zu 1) die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 2 und 4 SGB II erfüllt. Offen ist aber, ob sie nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von einem Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen ist. Falls das nicht der Fall ist, kann sie als erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihren minderjährigen Kindern nach § 7 Abs 2 Satz 1 SGB II einen Anspruch auf Sozialgeld vermitteln. Aufgrund der sich im Eilverfahren darstellenden Sachlage lässt sich insoweit nicht abschließend feststellen, ob den Antragstellern ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen als zur Arbeitsuche mit Anspruch auf Leistungen zusteht. Auf der Grundlage der Güter- und Folgenabwägung ist der Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 1.2.2017 bis zum 30.6.2017 zu erbringen (dazu 2.).

29

1. Hinsichtlich der für den Monat Januar 2017 beanspruchten Leistungen hat der Antrag keinen Erfolg.

30

a) Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Antragsgegner glaubhaft gemacht.

31

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch sind die §§ 19 Abs 1, Abs 3 Satz 1, 20 Abs 1 und 2, 22 Abs 1, 23 SGB II. Nach diesen Vorschriften erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des Regelbedarfs sowie der Bedarfe für Unterkunft und Heizung, soweit diese nicht durch zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen gedeckt sind. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Leistungsberechtigt sind gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II Personen, die ua erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Nach § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Einkommen und Vermögen sind nach Maßgabe der §§ 11 ff, 12 SGB II anrechenbar.

32

Es bedarf keiner abschließenden Beurteilung, ob die Antragstellerin zu 1) diese Voraussetzungen erfüllt und den Antragstellern zu 2) bis 6) einen Anspruch auf Sozialgeld vermitteln kann. Denn die Antragsteller sind jedenfalls nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen (dazu aa). Der Antragstellerin zu 1) steht allenfalls ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche zu, da sie sich im streitigen Zeitraum ab Januar 2017 weder auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht vom Leistungsausschluss erfasst ist (dazu 1), noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag (dazu 2). Insbesondere ist eine etwaige, zuvor durch die Tätigkeit der Antragstellerin zu 1) im Bundesgebiet erworbene Erwerbstätigeneigenschaft jedenfalls im streitigen Zeitraum nicht mehr erhalten geblieben und andere Aufenthaltsrechte mit Anspruch auf Leistungen liegen nicht vor. Auch die Antragsteller zu 2) bis 6) sind von Leistungen nach dem SGB II als Familienangehörige der Antragstellerin ausgeschlossen, da ihnen kein eigenes Aufenthaltsrecht zusteht, welches einen Leistungsanspruch begründen könnte. Deshalb können auch sie der Antragstellerin zu 1) keinen Leistungsanspruch vermitteln. Der Ausschluss von Leistungen ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar (dazu bb).

33

aa) Nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II in der ab dem 29.12.2016 geltenden Fassung (geändert durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016, BGBl I S 3155), sind von Leistungen nach diesem Buch ausgenommen, Ausländerinnen und Ausländer, die (a) kein Aufenthaltsrecht haben, (b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder (c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl L 141 vom 27.5.2011, S 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl L 107 vom 22.4.2016, S 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde, § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde, § 7 Abs 1 Satz 5 SGB II. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet, § 7 Abs 1 Satz 6 SGB II. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt, § 7 Abs 1 Satz 7 SGB II.

34

Nach der Gesetzesfassung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 a SGB II kann ein Ausländer Leistungen nach dem SGB II auch dann nicht beanspruchen, wenn ihm kein Aufenthaltsrecht zusteht, insbesondere weil er auch kein Aufenthaltsrecht allein zum Zwecke der Arbeitsuche hat. Auch nach der Neuregelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II kann deshalb dahinstehen, ob ein Antragsteller im streitigen Zeitraum über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchender verfügt. Verfügt er über nur eine solche, ist er ebenso wie in dem Fall, dass keine Freizügigkeitsberechtigung (ggf mehr) gegeben ist, nicht leistungsberechtigt iSd § 7 Abs 1 Nr 2 SGB II (BSG, Urteil vom 17.2.2016 - B 4 AS 24/14 R, juris Rn 14). Bereits nach der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung der Norm waren über den Wortlaut der Regelung hinaus auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügten (BSG, Urteil vom 17.2.2016 - B 4 AS 24/14 R, juris Rn 14). Die Vorschrift des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II aF war insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normierte, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügten, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnete, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung iSd FreizügG/EU berufen können (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 15). Dies hat der Gesetzgeber nunmehr mit der Regelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 a SGB II klargestellt, wonach ausdrücklich auch Ausländer vom Leistungsausschluss erfasst sind, die kein Aufenthaltsrecht haben.

35

(1) Den Antragstellern steht keine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU zu, die nicht vom Leistungsausschluss erfasst ist.

36

Gemäß § 2 Abs 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe des Gesetzes. Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind die in § 2 Abs 2 FreizügG/EU genannten Unionsbürger und deren Familienangehörige. Das Recht nach § 2 Abs 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige nach Maßgabe des Abs 3 unberührt.

37

Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland nach § 2 Abs 5 FreizügG/EU ein gültiger Pass genügt (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 25). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 25). Die daraus folgende fehlende Pflicht zur Ausreise begründet jedoch kein materielles Freizügigkeitsrecht iSd FreizügG/EU (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 33 ff).

38

(a) Der Antragstellerin zu 1) steht kein Aufenthaltsrecht aufgrund einer Erwerbstätigkeit zu. Sie ist weder Arbeitnehmerin noch befindet sie sich in einer Berufsausbildung iSd § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU und sie übt auch keine selbständige Erwerbstätigkeit aus. Sie kann auch nicht nachweisen, dass sie nach Ablauf von sechs Monaten weiterhin Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, § 2 Abs 2 Nr 1a FreizügG/EU. Ihr steht auch kein Recht zum Aufenthalt aufgrund der vorausgegangenen Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs 3 Satz 1 FreizügG zu (dazu sogleich).

39

(b) Eine vorübergehende Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall iSd § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 1 FreizügG/EU liegt nicht vor. Insofern kommt der Geburt des Antragstellers zu 6) und der von der Antragstellerin zu 1) geltend gemachten Inanspruchnahme von Elternzeit keine Bedeutung zu. Eine Schwangerschaft kann einer Krankheit nicht gleichgestellt werden, so dass eine Frau, die wegen des Spätstadiums ihrer Schwangerschaft und nach der Geburt ihres Kindes nicht erwerbstätig ist, nicht als wegen einer Krankheit vorübergehend arbeitsunfähig gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchstabe a der Richtlinie 2004/38/EG angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 19.6.2014 - C-507/12, juris Rn 29 f). Zwar hängen die Arbeitnehmereigenschaft iSv Art 45 AEUV und die sich aus ihr ergebenden Rechte nicht unbedingt vom tatsächlichen Bestehen oder Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses ab. Der Umstand, dass eine schwangere Frau dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates während einiger Monate im Spätstadium der Schwangerschaft und unmittelbar nach der Geburt tatsächlich nicht zur Verfügung steht, bedeutet nicht, dass sie während dieser Zeit nicht weiterhin in den betreffenden Arbeitsmarkt eingegliedert ist, sofern sie innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Geburt ihre Beschäftigung wieder aufnimmt oder eine andere Beschäftigung findet (vgl EuGH, aaO, Rn 37, 41; zur Erwerbsfähigkeit iSd § 8 Abs 1 SGB II trotz Schwanger- und Mutterschaft: BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 21; zur Verfügbarkeit von arbeitslosen Schwangeren im Rahmen des Arbeitsförderungsrechts auch innerhalb der Zeit des vorgeburtlichen Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 2 Mutterschutzgesetz (MuSchG): BSG, Urteil vom 22.2.2012 - B 11 AL 26/10 R, juris Rn 21). Allerdings setzt das Fortbestehen der Arbeitnehmereigenschaft voraus, dass die Beschäftigung nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschutzes wieder aufgenommen wurde (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.1.2017 – L 20 AS 2483/16 B ER, juris Rn 25; unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 19.6.2014 – C-507/12, juris Rn 42). Der Bezug von Elterngeld hat dagegen keine Auswirkungen auf das Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.1.2017 – L 20 AS 2483/16 B ER, juris Rn 27). Vorliegend ist jedoch kein Fall einer Unterbrechung einer Erwerbstätigkeit durch Schwangerschaft und Geburt gegeben, da die Antragstellerin zu 1) vor der Niederkunft des Kindes am 29.9.2015 in der Bundesrepublik Deutschland nicht erwerbstätig war. Die von ihr ausgeübte befristete Erwerbstätigkeit erfolgte erst in der Zeit vom 24.11.2015 bis 31.12.2015.

40

(c) Ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) aufgrund nachwirkender Erwerbstätigeneigenschaft besteht ebenfalls nicht.

41

Soweit nach Aktenlage eine geringfügige Erwerbstätigkeit in der Zeit vom 20.8.2015 bis 31.8.2015 bei der ... dokumentiert ist, fehlt es bereits an einer Arbeitnehmereigenschaft der Antragstellerin zu 1). Denn sie hat diese Tätigkeit nach eigener Angabe nicht selbst ausgeübt. Unabhängig davon wäre diese Tätigkeit nach Art und Umfang nicht geeignet gewesen, eine Arbeitnehmereigenschaft mit einem Freizügigkeitsrecht zu begründen. Bei der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft müssen Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 51, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 3.7.1986 in der Rechtsache Lawrie-Blum, - C-66/85 - juris, Rn 17; Urteil vom 4.2.2010 in der Rechtssache Genc - C-14/09 - Slg 2010, I-931, Rn 19). Die Arbeitnehmertätigkeit muss ein gewisses Ausmaß an wirtschaftlicher Bedeutung erreichen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 51, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - juris, Rn 28: "erwerbsorientiert"). Von Bedeutung ist hierbei auch die Regelmäßigkeit der Ausübung der Tätigkeit; eine nur gelegentliche Erbringung von Leistungen kann ein Anhaltspunkt für eine fehlende wirtschaftliche Relevanz der Tätigkeit sein (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 53). Eine nicht nur untergeordnete und unwesentliche Marktteilnahme als Arbeitnehmer setzt eine hinreichende Vergütung voraus (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 53, unter Verweis auf einen Durchschnittslohn von etwa 175 EUR bei Arbeitnehmern: EuGH, Urteil vom 4.2.2010 in der Rechtssache Genc - C-14/09 - Slg 2010, I-931). Die fragliche Tätigkeit bei der vom 20.8.2015 bis 31.8.2015 bei der ... mit einem einmalig erzielten Entgelt von 36,33 EUR (brutto) genügt hierfür jedenfalls nicht.

42

Aber auch die im Zeitraum vom 24.11.2015 bis 31.12.2015 ausgeübte Tätigkeit als Verkäuferin auf dem Weihnachtsmarkt begründet gegenwärtig kein Aufenthaltsrecht. Zeitliche Grenzen der Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft ergeben sich aus § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU. Hiernach bleibt ein entsprechender Status als Arbeitnehmer (oder Selbstständiger) "bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt". Auf europarechtlicher Ebene bestimmt Art 7 Abs 3 Buchst c RL 2004/38/EG, dass einem Erwerbstätigen, wenn er sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt, seine Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten bleibt. Während dieses Zeitraums behält der betreffende Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat sein Aufenthaltsrecht nach Art 7 der Richtlinie und kann sich auf das in Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG verankerte Gleichbehandlungsgebot berufen (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 13).

43

Soweit die Richtlinie die Möglichkeit einer weiteren Abstufung zulässt, wenn der Zeitraum von sechs Monaten unzureichend sei, um die Rechte und Pflichten eindeutig zu erfassen, folgt hieraus kein über die Umsetzung in § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU hinausgehender Gestaltungsauftrag an den nationalen Gesetzgeber (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 14). Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Regelung. Die erweiterte Regelung des Art 8 Abs VII c des Kommissionsentwurfs zur UnionsbürgerRL ist nicht in die Endfassung der RL übernommen worden (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 14). Entsprechend hat der EuGH sowohl in seinem Urteil vom 4.6.2009 (Rs C-22/08/Rs C-23/08 (Vatsouras/Koupatantze) juris, Rn 32) als auch in seinem Urteil vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 (Alimanovic) juris, Rn 61) betont, dass "ein Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit, in dem der Anspruch auf Sozialhilfe aufrechterhalten" bleibe, eine "Rechtssicherheit und Transparenz" gewährleistende Regelung sei, die "zugleich im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" stehe. Ausdrücklich wird im Urteil vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 (Alimanovic) juris, Rn 61) betont, dass "§ 7 Abs 1 SGB II in Verbindung mit § 2 Abs 3 FreizügG/EU als auch Art 7 Abs 3 Buchst c der Richtlinie 2004/38" auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit abstelle (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 14). Eine mit Bezug auf die Entscheidung des EuGH vom 19.9.2013 (C-140/12 (Brey)) noch in Betracht kommende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung des SGB II-Leistungsausschlusses ist vom EuGH in den neueren Entscheidungen nicht mehr gefordert worden (BSG, Urteil vom 17.2.2016 - B 4 AS 24/14 R, juris Rn 15).

44

Gemessen an diesen Kriterien ist die Antragstellerin zu 1) (jedenfalls gegenwärtig) nicht mehr als Arbeitnehmerin anzusehen und kann sich als solche nicht auf ein entsprechendes nachwirkendes Aufenthaltsrecht berufen. Ihre Erwerbstätigkeit dauerte weniger als ein Jahr und endete am 31.12.2015. Ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht wegen vorangegangener Erwerbstätigkeit bestand daher allenfalls für die Dauer von nur sechs Monaten. Für die vorliegend streitige Zeit ab Januar 2017 ist eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin nicht mehr gegeben.

45

(d) Ein Aufenthaltsrecht für nicht erwerbstätige Unionsbürger nach § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 Satz 1 FreizügG/EU kommt ebenfalls nicht in Betracht, da die Antragsteller nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen.

46

(e) Auf § 2 Abs 2 Nr 6 iVm § 3 FreizügG/EU kann ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller ebenfalls nicht gestützt werden. Nach dieser Vorschrift haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch Familienangehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers im Sinne des § 2 Abs 2 Nr 1 bis 5 FreizügG, die diesen begleiten oder ihm nachziehen, unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 des Gesetzes.

47

Das in § 3 FreizügG/EU geregelte Aufenthaltsrecht des Familiennachzuges dient der Familienzusammenführung (vgl BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 33). Aus den Tatbestandsmerkmalen "begleiten" bzw "nachziehen" iSd § 3 Abs 1 und § 4 FreizügG/EU kann nicht der Schluss gezogen werden, dass das Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger nur besteht, wenn der freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und der Familienangehörige in einer gemeinsamen Wohnung wohnen (BSG, Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R, juris Rn 22). Ein ständiger gemeinsamer Wohnsitz ist nicht Tatbestandsmerkmal für das abgeleitete Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger (BSG, Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R, juris Rn 23, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C-413/99 - Baumbast und R). Das Recht des Ehegatten eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus § 2 Abs 1 FreizügG/EU ist daher nicht von der Aufrechterhaltung der tatsächlichen ehelichen Lebensgemeinschaft abhängig, sondern diesem steht das Einreise- und Aufenthaltsrecht auch dann weiterhin zu, wenn der Unionsbürger die gemeinsame Ehewohnung verlässt und sich von ihm auf Dauer trennt (so VG Saarland, Urteil vom 5.10.2016 - 8 K 2047/14, juris Rn 41, zur Ehe mit einem Drittstaatsangehörigen unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 21.5.1985 - 1 C 36.82).

48

Der Begriff "begleiten oder nachziehen" iSd § 2 Abs 2 Nr 6 iVm §§ 3 und 4 FreizügG/EU impliziert jedoch eine im Sinne des Ehe und Familienschutzes schutzwürdige tatsächliche Beziehung (so BVerwG, Urteil vom 16.7.2015 - 1 C 22/14, juris Rn 23). Nur unter diesen Voraussetzungen steht Familienangehörigen ein von einem Unionsbürger abgeleitetes Aufenthaltsrecht zu (BVerwG, aaO). Besteht schon nach dem Vorbringen des Familienangehörigen keine Verbindung und kann er diese auch nicht herstellen, ist ein vom Unionsbürger abgeleitetes Bleiberecht ausgeschlossen (vgl VG Hamburg, Urteil vom 22.11.2012 - 4 K 1514/12, juris Rn 35). Unter diesen Voraussetzungen kann sich der Familienangehörige eines Unionsbürgers bei einer Trennung von seinem Ehegatten nicht mehr auf ein von dem Unionsbürger abgeleitetes Freizügigkeitsrecht nach § 3 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU berufen (VG Bayreuth, Urteil vom 12.10.2016 - B 4 K 15.272, juris Rn 23).

49

Als abgeleitetes Recht ist das Recht auf Einreise und Aufenthalt eines Familienangehörigen zudem grundsätzlich vom (Fort-)Bestehen der Freizügigkeit des Unionsbürgers als originär Berechtigtem abhängig (VG Saarland, Urteil vom 5.10.2016 - 8 K 2047/14, juris Rn 43; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 11. Auflage 2016, § 3 FreizügG/EU, Rn 14: das familiär abgeleitete Freizügigkeitsrecht ist grundsätzlich akzessorisch). Das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen eines Unionsbürgers für das Bundesgebiet besteht daher nicht (mehr), wenn der Unionsbürger in einen anderen Mitgliedsstaat verzogen ist (VG Saarland, Urteil vom 5.10.2016 - 8 K 2047/14, juris Rn 43, zur Ehe mit einem Drittstaatsangehörigen unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 8.11.2012, Rs C-40/11; Dienelt, aaO, Rn 46).

50

Der Ehemann der Antragstellerin zu 1) und Vater der Antragsteller zu 4) und 5) ist im vorliegenden Falle kein freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger mehr. Anhaltspunkte für eine Freizügigkeitsberechtigung iSd § 2 Abs 2 Nr 1 bis 5 FreizügG/EU liegen nicht vor und werden auch von den Antragstellern nicht behauptet. Es bedarf insoweit keiner abschließenden Beurteilung, ob bzw für welche Dauer des Aufenthalts in Deutschland Herr K. freizügigkeitsberechtigt war. Lediglich klarstellend weist die Kammer insoweit darauf hin, dass sich aufgrund der Angaben der Antragsteller das Fortbestehen eines Freizügigkeitsrechts des Herrn K. wegen unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit iSd § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU ohnehin nicht feststellen ließe. Die Antragsteller konnten keine konkreten Angaben zu der angegebenen geringfügigen Tätigkeit des Herrn K. machen, die eine gerichtliche Prüfung zulassen würde. Es ist – gerade vor dem Hintergrund des abgebrochenen Kontakts - auch nicht ersichtlich, dass diese Feststellungen noch anderweitig getroffen werden könnten. Es kommt im Übrigen nicht darauf an, ob die Antragsteller ihr von Herrn K. abgeleitetes Freizügigkeitsrecht als Familienangehörige bereits mit der Trennung der Ehegatten oder erst zu einem späteren Zeitpunkt mit Beendigung der tatsächlichen familiären Beziehung verloren haben. Spätestens mit seiner Rückkehr nach ... vor ca einem Jahr ist das Freizügigkeitsrecht der Antragsteller nach § 3 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU entfallen.

51

Hinsichtlich des ehemaligen Lebensgefährten der Antragstellerin zu 1), des Herrn O., kommt ein Freizügigkeitsrecht der Antragsteller als Familienangehörige ebenfalls nicht in Betracht. Die Antragstellerin zu 1) ist nicht dessen Familienangehörige iSd § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU, da zwischen ihr und Herrn O. keine eingetragene Lebenspartnerschaft bestand, sondern lediglich eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Für eheähnlich zusammenlebende heterosexuelle Paare ist aus dem europäischen Recht kein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung abzuleiten, weil der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU abschließend geregelt ist (BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 33). Für die Antragsteller zu 2), 3) und 6) ergibt sich ebenfalls kein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 6 iVm § 3 FreizügG/EU. Zwar sind diese als Verwandte in absteigender Linie unter 21 Jahren als dessen Familienangehörige iSd § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU anzusehen, da sie seine leiblichen Kinder sind. Ob sich hinsichtlich des Antragstellers zu 6) etwas anderes daraus ergibt, dass die Vaterschaft wohl noch nicht anerkannt worden ist (zur Maßgeblichkeit der rechtlichen Beziehung: LSG Berlin-Brandenburg, juris Rn 12: keine Berücksichtigung der biologischen Abstammung ohne vorherige Durchführung des hierfür vorgesehenen Verfahrens der Vaterschaftsanerkennung bzw –anfechtung), bedarf keiner näheren Erörterung, da eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehöriger des Ehegatten der Antragstellerin zu 1) ebenfalls nicht bestände (s.o.). Ein Recht auf Freizügigkeit nach § 3 FreizügG/EU ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil zwischen dem Kindesvater und den Antragstellern keinerlei Kontakt mehr besteht und deshalb für die vom Schutzzweck der Norm vorausgesetzte schutzwürdige tatsächliche Beziehung die Grundlage entfallen ist. Ein tatsächlich gelebtes (wirkliches) Familienverhältnis besteht nach eigenen Angaben der Antragsteller nicht mehr und sie können dieses auch nicht herstellen, da sie keinen Kontakt zu Herrn O. haben. Es bedarf deshalb auch keiner näheren Ausführungen dazu, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass Herr O. seinerseits noch freizügigkeitsberechtigt iSd § 2 Abs 2 Nr 1 bis 5, Abs 3 FreizügG/EU ist. Nach Auskunft der Meldebehörde vom 12.1.2017 ist er unbekannt verzogen. Auch die Antragstellerin kann nicht sagen, wo er sich aufhält. Es lässt sich daher auch nicht feststellen, dass Herr O. sich überhaupt noch in Deutschland aufhält.

52

(f) Den Antragstellern steht auch aufgrund des § 3 Abs 4 FreizügG/EU kein materielles Freizügigkeitsrecht mit einem Anspruch auf Leistungen zu. Nach dieser Vorschrift behalten Kinder eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers und der Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich ausübt, auch nach dem Tod oder Wegzug des Unionsbürgers, von dem sie ihr Aufenthaltsrecht ableiten, bis zum Abschluss einer Ausbildung ihr Aufenthaltsrecht, wenn sich die Kinder im Bundesgebiet aufhalten und eine Ausbildungseinrichtung besuchen.

53

Ob den Antragstellern nach dieser Vorschrift ein Aufenthaltsrecht zustehen kann, kann dahinstehen. Denn auch bei Bestehen eines solchen Aufenthaltsrechts sind Leistungen nach dem SGB II durch die Neuregelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 c SGB II ausgeschlossen. Danach sind von Leistungen nach diesem Buch ausgenommen, Ausländerinnen und Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl L 141 vom 27.5.2011, S 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl L 107 vom 22.4.2016, S 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen. Art 10 dieser Verordnung bestimmt, dass die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen können.

54

Art. 10 VO 492/11/EU verleiht den Kindern eines Arbeitnehmers ein eigenes Recht auf Zugang zum Unterricht an einer allgemein bildenden Schule und damit ein autonomes, dh nicht vom Aufenthaltsrecht seiner Eltern abhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht. Dieses Recht hängt weder von der Rechtsstellung als Kind, dem Unterhalt gewährt wird, noch von dem Recht der Eltern auf Aufenthalt im Aufnahmestaat ab. Es gilt für Kinder von Arbeitnehmern wie auch für die Kinder ehemaliger Arbeitnehmer. Art. 10 VO 492/11/EU verlangt nur, dass das Kind mit seinen Eltern bzw seinem Elternteil in der Zeit in einem Mitgliedsstaat lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte (vgl LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.4.2016 - L 2 AS 182/16 B ER, juris Rn 37, unter Verweis auf EuGH, Urteile vom 13. 6. 2013 - C 45/12 -, vom 14. 6. 2012 - C-542/09 -, vom 6. 9. 2012 Czop und Punakova - C-147/11/148/11 - und vom 23. 2. 2010 Ibrahim - C 310/08 - und Teixeira - C-480/08; eingehend zu den Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts: BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R, juris Rn 29 ff).

55

Abweichend von der bisherigen Rechtslage (vgl zu dieser: BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R, juris Rn 29 ff; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7.6.2016 - L 2 AS 84/16 B ER, juris Rn 50 f; jeweils auch zum Fehlen eines Freizügigkeitsrechts und zur Frage eines möglichen Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen für Geschwister für die Dauer der Ausbildung), sind nach der seit dem 29.12.2016 geltenden gesetzlichen Regelung von Leistungen nunmehr auch Personen ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich unmittelbar oder abgeleitet von ihren Kindern nur aus dem Recht zum allgemeinen Schul- oder Ausbildungsbesuch aus Art 10 der Verordnung EU Nr 492/2011 ergibt (BT-Drucks 18/10211 S 13). Der Leistungsausschluss gilt sowohl für erwerbsfähige Schülerinnen und Schüler selbst, als auch für ihre Eltern, die ihr Aufenthaltsrecht nur von ihren Kindern ableiten und für die übrigen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Familienmitglieder (BT-Drucks 18/10211 S 13). Personen, die schon auf Grund von aktueller oder nachwirkender Erwerbstätigkeit freizügigkeitsberechtigt sind, bleiben jedoch anspruchsberechtigt (BT-Drucks 18/10211 S 13).

56

Die Antragsteller zu 2) bis 5) besuchen zwar in ... die allgemeinbildende Schule, was ihnen aufgrund der vorausgegangenen Erwerbstätigkeit der Kindesväter bzw der Antragstellerin zu 1) ein eigenes Freizügigkeitsrecht für die Dauer der Ausbildung gewähren könnte. Von den Antragstellern zu 2) bis 5) könnte dann auch die Antragstellerin zu 1) als sorgeberechtigter Elternteil ein Aufenthaltsrecht ableiten. Dies bedarf jedoch keiner Vertiefung, da ein Leistungsanspruch jedenfalls nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 c SGB II sowohl für die Antragsteller zu 2) bis 5) als auch für die Antragstellerin zu 1) und 6) ausgeschlossen ist, weil das vorgenannte Aufenthaltsrecht nach der gesetzlichen Neuregelung weder für die Schüler, noch für ihre Familienangehörigen einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II begründet (zur Vereinbarkeit mit EU-Recht: sogleich).

57

(g) Die Voraussetzungen des Daueraufenthaltsrechts des § 1 Abs 1 Nr 7 iVm § 4a Abs 1 FreizügG/EU, insbesondere das Erfordernis der Freizügigkeitsberechtigung für einen zusammenhängenden Zeitraum von fünf Jahren (vgl BVerwG, Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12), erfüllen die Antragsteller nicht. Der Ausnahmetatbestand des § 7 Abs 1 Sätze 4 und 5 SGB II ist ebenfalls nicht erfüllt, da die Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt noch nicht seit mindestens 5 Jahren im Bundesgebiet haben. Nach dieser Vorschrift kommen zwar für die von den Leistungsausschlüssen nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II erfassten Personen und ihre Familienangehörigen nunmehr erstmals unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen auch Leistungen nach dem SGB II in Betracht. Dies ist allerdings erst nach fünf Jahren der Fall, da erst ab diesem Zeitpunkt von einer Verfestigung des Aufenthalts auszugehen ist (vgl BT-Drucks 18/10211 S 14). Die Frist ist angelehnt an den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts, setzt jedoch im Gegensatz zu diesem keine materielle Freizügigkeitsberechtigung voraus (BT-Drucks, aaO). Ein solcher tatsächlich verfestigter Aufenthalt hat keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, insbesondere folgt daraus kein materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht im Sinne des Europa- oder Ausländerrechts (BT-Drucks, aaO). Bis dahin sind die in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II genannten erwerbsfähigen Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen dem Leistungssystem des SGB XII zugewiesen, in dem ihnen aber nur ein Anspruch auf eine zeitlich beschränkte Übergangsleistung zusteht (BT-Drucks, aaO).

58

(2) Der Antragstellerin zu 1) und ihren Kindern steht auch kein anderes materielles Aufenthaltsrecht aus nach dem AufenthG zu.

59

Weil diese Vorschriften des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 a und b SGB II darauf abstellen, dass kein Aufenthaltsrecht besteht bzw sich das Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, werden jedenfalls die Unionsbürger von diesem Leistungsausschluss nicht erfasst, bei denen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem des Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern vom 30.7.2004 (FreizügG/EU; BGBl. I, S. 1950) oder ggf dem begrenzt subsidiär anwendbaren Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 25.2.2008 (AufenthaltsG; BGBl. I, S. 162) aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche vorliegen. Insofern ist der Regelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II immanent, dass der Ausschluss Unionsbürger nicht betrifft, sich auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht berufen können (vgl BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 27).

60

Nach § 11 Abs 1 Satz 11 FreizügG findet das AufenthaltsG Anwendung, wenn es den Betroffenen eine günstigere Rechtstellung vermittelt als das FreizügG. Nach dem gemäß § 11 Abs 1 Satz 11 FreizügG auch auf Unionsbürger und ihre Familienangehörige anwendbaren § 7 Abs 1 Satz 3 AufenthG kann - unabhängig von der ansonsten geforderten Bindung der Aufenhaltserlaubnis an konkrete, im AufenthG genannte Aufenthaltszwecke - in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden (BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 33). Jedoch ist nur ein Aufenthaltsrecht, welches eine längerfristige Bleibeperspektive vermittelt und das deshalb auch einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht entgegensteht, geeignet, als Ausnahme zu § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II den Zugang zu Leistungen nach dem SGB II zu eröffnen. Ohne längerfristige Bleibeperspektive ist die Eröffnung des Zugangs zu diesen Leistungen - einschließlich denen zur Eingliederung in Arbeit - nicht sachgerecht (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 29). Daher kann eine etwaige in Betracht kommende Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 4 Satz 1 und 2 AufenthG mit einem erlaubten, aber nur vorübergehenden Aufenthalt aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen zwar eine Antwort des Aufenthaltsrechts auf eine Krisensituation des Ausländers bieten, lässt jedoch den Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nach dessen Sinn und Zweck unberührt (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 29).

61

Allerdings ist für eheähnlich zusammenlebende heterosexuelle Paare weder aus dem Auffangtatbestand des § 7 Abs 1 Satz 3 AufenthG noch aus dem europäischen Recht ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung abzuleiten, weil der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU und den §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt ist (BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 33). Da nichteheliche Lebensgemeinschaften nach den ausdrücklichen Regelungen gerade nicht erfasst sind, ist die Anwendung von § 7 Abs 1 Satz 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt (BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 33, unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 27.2.1996 - 1 C 42/93).

62

Im Rahmen der Ausschussklausel des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ist insbesondere ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen zu berücksichtigen, das aus dem Zusammenleben von Partnern mit einem oder mehreren Kinder folgt. Solche Personengruppen bildeten eine Familie im Sinne des Art. 6 Grundgesetz (GG) und der §§ 27 Abs 1, 28 Abs 1, 29 und 32 AufenthaltsG und können sich auf den Schutz aus Art 8 der Konvention des Europarats zum Schutz der Menschenrecht und Grundfreiheiten (MRK) berufen (BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 34). Zwar gewährt Art 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art 6 Abs 1 GG iVm Art 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die familiären Bindungen des Ausländers an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen zu berücksichtigen (vgl BVerfG, Beschluss vom 11.5.2007 - 2 BvR 2483/06, juris Rn 18). Denn die Ausweisung eines Familienmitglieds stellt einen Eingriff in das Recht aller Familienangehörigen auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens dar (vgl EGMR, Urteil vom 31.10.2002 - 37295/97, juris Ls, zur Ausweisung eines ausländischen Ehemanns und Kindesvaters). Insofern tritt die staatliche Verpflichtung aus Art 6 Abs 1 GG iVm Abs 2 GG ein, die insbesondere die Rechtsposition des Kindes sowie dessen Anspruch auf Ermöglichung bzw Aufrechterhaltung eines familiären Bezugs zu beiden Eltern betrifft und aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen entfaltet (BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 35 f). Kann dieser nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04, juris Rn 19).

63

Ob eine ausländerrechtliche Maßnahme im Hinblick auf Art. 8 Abs 2 EMRK verhältnismäßig ist, lässt sich nicht abstrakt und generell beurteilen, sondern nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalls (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.8.1997 - 1 B 163/97, juris Rn 8). Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art 6 GG und damit auch etwaige Vorwirkungen ist deshalb nicht vorrangig auf formal-rechtliche familiäre Bindungen abzustellen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege einer Einzelfallbetrachtung (BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 36). Geschützt ist dabei ein enges und tatsächlich gelebtes (wirkliches) Familienverhältnis (vgl BVerwG, Beschluss vom 21.8.1997 - 1 B 163/97, juris Rn 8). Dies setzt voraus, dass das der ausländische Elternteil überhaupt im Bundesgebiet lebt (vgl BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris Rn 35, auch zu aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen für den Aufenthaltsstatus eines Ausländers bei bevorstehender Geburt).

64

Gemessen an diesen Kriterien steht den Antragstellern kein materielles Aufenthaltsrecht aus nach dem AufenthG zu. Ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung ist für die Antragstellerin zu 1) bezüglich des Herrn O. nicht begründet, sie mit diesem lediglich in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen gelebt hat. Ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen ergibt sich auch in Ansehung der noch bestehenden Ehe zwischen der Antragstellerin zu 1) mit Herrn K. nicht. Gleiches gilt für die Antragsteller zu 2) bis 6) bezüglich der Kindesväter, da es an einer tatsächlichen Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern iSe engen und tatsächlich gelebten (wirklichen) Familienverhältnisses fehlt. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zum Nichtbestehen eines materiellen Freizügigkeitsrechts nach § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU ergänzend Bezug genommen.

65

Ein sonstiges Aufenthaltsrecht, welches den Antragstellern eine längerfristige Bleibeperspektive vermittelt, ist nicht ersichtlich. Selbst wenn den Antragstellern ein Recht auf vorübergehenden Aufenthalt aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen zustehen sollte, hätte dies keine Auswirkungen auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II.

66

bb) Der Ausschluss der Antragsteller von Leistungen ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar.

67

(1) Ein Verstoß gegen europäisches Recht ist nicht festzustellen.

68

(a) Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ist nach den Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache Dano (Urteil vom 11.11.2014 - C 333/13) und in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14) europarechtskonform (BSG, Urteil vom 17.2.2016 - B 4 AS 24/14 R, juris Rn 15). Weiter ist als geklärt anzusehen, dass der nach dem Wortlaut des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II normierte, ausnahmslose Ausschluss der Arbeitsuchenden von SGB II-Leistungen auch bereits im Bundesgebiet beschäftigt gewesene Unionsbürger und Unionsbürgerinnen erfasst, die weniger als ein Jahr gearbeitet haben (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 16). Haben diese nach Ablauf der Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigeneigenschaft für den Zeitraum von sechs Monaten erneut ein Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche, steht der nachfolgende ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen unabhängig von der Dauer des rein tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts der (wieder) Arbeitsuchenden im Bundesgebiet sowie deren familiären Umstände nach der Rechtsprechung des EuGH im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben des Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 20034/38/EG (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 16). Insoweit kann es etwa keine Berücksichtigung finden, wenn der Grundsicherungsträger den Unionsbürger durch Eingliederungsvereinbarungen zur Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt verpflichtet hat (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 16). Zudem hat der EuGH zugrunde gelegt, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht (gleichzeitig) als finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates erleichtern sollen, eingestuft werden können, sondern ausschließlich als "Sozialhilfe" iS von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG anzusehen sind (Rs C-67/14 (Alimanovic); bestätigt durch EuGH Urteil vom 25.2.2016 - C-299/14, juris Rn 37). Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben sich dem angeschlossen, weshalb ein Verstoß gegen das in Art 45, 18 AEUV enthaltene Diskriminierungsverbot bei finanziellen Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen, nicht zu diskutieren ist (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 17).

69

(b) Auch die Neuregelung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 c SGB II begegnet nach Ansicht der Kammer keinen europarechtlichen Bedenken.

70

Hinsichtlich des Zugangs zu Leistungen der Sozialhilfe iSd Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG, zu denen auch die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II gehört (EuGH, Urteil vom 15.9.2015 – C-67/14 [Alimanovice], juris Rn 44-46), kann ein Unionsbürger eine Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates nach Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG nur dann verlangen, wenn sein Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates die Voraussetzungen der RL 2004/38/EG erfüllt (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 69; EuGH, Urteil vom 15.9.2015 – C-67/14 [Alimanovice], juris Rn 49; EuGH, Urteil vom 25.2.2016 – C-299/14 [Garcia-Nieto], juris Rn 38).

71

Bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten ist die Ausübung des Aufenthaltsrechts von den in Art 7 Abs 1 der RL 2004/38/EG genannten Voraussetzungen abhängig, und nach Art 14 Abs 2 der Richtlinie steht Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen dieses Recht nur zu, solange sie diese Voraussetzungen erfüllen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 71). Bei der Beurteilung, ob nicht erwerbstätige Unionsbürger hinsichtlich des Anspruchs auf Sozialleistungen eine Gleichbehandlung mit den Angehörigen des Aufnahmestaates verlangen dürfen, ist danach zu prüfen, ob der Aufenthalt dieser Unionsbürger die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 b der RL 2004/38/EG erfüllt. Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass der nicht erwerbstätige Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 73).

72

Ob ein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG besteht, ist auch bei Arbeitsuchenden Unionsbürgern und für ihre Familienangehörigen nach deren Bestimmungen zu beurteilen (vgl EuGH, Urteil vom 15.9.2015 – C-67/14 [Alimanovice], juris Rn 52). Zwar kann ein arbeitsuchender Unionsbürger und dessen Kind auch nach Ablauf des in Art 7 Abs 3 c RL 2004/38/EG genannten Zeitraums von sechs Monaten, in denen bei einer vorausgegangenen Erwerbstätigkeit die Erwerbstätigeneigenschaft aufrecht erhalten bleibt, für die Dauer des in Art 7 Abs 3 c RL 2004/38/EG abgedeckten Zeitraums ein Aufenthaltsrecht ableiten, dass ihnen einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen verschafft, der Aufnahmemitgliedstaat kann sich in diesem Fall aber auf die Aufnahmebestimmung des Art 24 Abs 2 dieser Richtlinie berufen, um dem betreffenden Unionsbürger die beantragte Sozialhilfe nicht zu gewähren (EuGH, Urteil vom 15.9.2015 – C-67/14 [Alimanovice], juris Rn 57). Aus der in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG vorgenommenen Verweisung auf deren Art 14 Abs 4 b ergibt sich nämlich ausdrücklich, dass der Aufnahmemitgliedstaat einen Unionsbürger, dem ein Aufenthaltsrecht allein aufgrund der letztgenannten Vorschrift zusteht, jegliche Sozialhilfeleistungen verweigern darf (EuGH, Urteil vom 15.9.2015 – C-67/14 [Alimanovice], juris Rn 58). Die Vorschrift steht im Einklang mit dem Ziel der Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten, das mit der RL 2004/38/EG verfolgt wird (EuGH, Urteil vom 25.2.2016 – C-299/14 [Garcia-Nieto], juris Rn 45). Dürfen die Mitgliedstaaten von den Unionsbürgern nicht verlangen, dass sie für die Dauer eines bestimmten Aufenthalts im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaates über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und eine persönliche Absicherung für den Fall der Krankheit verfügen, ist es legitim, dass den betreffenden Mitgliedstaaten nicht auferlegt wird, während dieses Zeitraums die Kosten für sie zu übernehmen (EuGH, Urteil vom 25.2.2016 – C-299/14 [Garcia-Nieto], juris Rn 45, zum bedingungslosen Aufenthaltsrecht bis zu drei Monaten nach Art 14 Abs 1 RL 2004/38/EG iVm § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II).

73

Einer individuellen Prüfung der persönlichen Verhältnisse und einer unangemessenen Belastung der Sozialsysteme durch den Aufenthalt bedarf es – anders als bei einer Ausweisung (EuGH, Urteil vom 25.2.2016 – C-299/14 [Garcia-Nieto], juris Rn 46; näher zu dieser Situation eines materiell rechtswidrigen Aufenthalts, bei der gleichwohl eine Ausweisung nicht erfolgen darf: Thym, NZS 2016, 441, 442) - insoweit nicht; die RL 2004/38/EG, die ein abgestuftes System für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft schafft, welches das Aufenthaltsrecht und den Zugang zu Sozialleistungen sichern soll, berücksichtigt nämlich selbst verschiedene Faktoren, die die jeweiligen persönlichen Umstände der die Sozialleistung beantragenden Person kennzeichnen, insbesondere die Dauer der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (EuGH, Urteil vom 15.9.2015 – C-67/14 [Alimanovice], juris Rn 59 f). Der Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit ist ein Kriterium, welches es den Betroffenen ermöglicht, ihr Rechte und Pflichten eindeutig zu erfassen und folglich geeignet ist, bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen im Rahmen der Grundsicherung ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit und Transparenz zu gewährleisten und zugleich im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht (EuGH, Urteil vom 15.9.2015 – C-67/14 [Alimanovice], juris Rn 61).

74

Ließe man nämlich zu, dass Personen, denen kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht, unter gleichen Voraussetzungen wie Inländer Sozialleistungen beanspruchen könnten, liefe dies dem in dem im zehnten Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannten Ziele zuwider, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, zu verhindern (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 74; EuGH, Urteil vom 15.9.2015 – C-67/14 [Alimanovice], juris Rn 50; EuGH, Urteil vom 25.2.2016 – C-299/14 [Garcia-Nieto], juris Rn 39). Art 7 Abs 1 b der RL 2004/38/EG soll nichterwerbstätige Unionsbürger daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmestaates zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 76; vgl auch die Argumentation des Generalanwalts Wathelet in den Schlussanträgen vom 26.3.2015 Rs 67/14, Rn 91 und vom 4.6.2015, Rs C-299/14, Rn 71: die Mitgliedstaaten dürfen sich durch Vorenthaltung von Existenzsicherungsleistungen vor einer "Masseneinwanderung in ihre Sozialleistungssysteme" schützen). Eine eventuelle Ungleichbehandlung von Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt Gebrauch gemacht haben, und Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates bei der Gewährung von Sozialleistungen ist eine unvermeidliche Folge der RL 2004/38/EG. Eine solche potentielle Ungleichbehandlung beruht nämlich auf dem Verhältnis, das der Unionsgesetzgeber in Art 7 dieser Richtlinie zwischen dem Erfordernis ausreichender Existenzmittel als Voraussetzung für den Aufenthalt und dem Bestreben, keine Belastung für die Sozialhilfesysteme der Mitgliedstaaten herbeizuführen, geschaffen hat (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 77). Ein Mitgliedstaat muss daher gem Art 7 der RL 2004/38/EG insbesondere die Möglichkeit haben, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaates zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen, Sozialhilfeleistungen zu versagen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 78).

75

Auch das Diskriminierungsverbot des Art 4 der VO (EG) 883/2004 spricht nicht dagegen, dass die Gewährung "besonderer beitragsunabhängiger Leistungen" iSd Art 70 Abs 2 dieser Verordnung, zu denen die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II gehört, an nicht erwerbstätige Unionsbürger von dem Erfordernis abhängig zu machen, dass sie die Voraussetzungen der RL 2004/38/EG für ein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erfüllen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 83). Die Vorschrift des Art 70 der VO Nr 883/2004, die den Begriff der "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" definiert, soll nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruchs auf diese Leistungen festlegen. Daher ist es Sache des Gesetzgebers jedes Mitgliedstaats, diese Voraussetzungen festzulegen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 89).

76

Da sich diese Voraussetzungen für einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen somit weder aus der VO (EG) Nr 883/2004 noch aus der RL 2004/38/EG oder aus anderen Sekundärrechtsakten der Union ergeben und die Mitgliedstaaten für die Regelung der Voraussetzungen, unter denen solche Leistungen gewährt werden, zuständig sind, sind sie auch zuständig, den Umfang der mit derartigen Leistungen sichergestellten sozialen Absicherung zu definieren (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 90). Die Mitgliedstaaten führen folglich nicht das Recht der Union durch, wenn sie die Voraussetzungen und den Umfang der Gewährung besonderer, beitragsunabhängiger Geldleistungen festlegen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 [Dano], juris Rn 91, unter Hinweis darauf, dass der Gerichtshof daher für die Beantwortung der Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II iVm europäischem Sekundärrecht mit europäischem Primärrecht nach Art 45 AEUV iVm Art 18 AEUV nicht zuständig ist; näher dazu, dass der EuGH keine Notwendigkeit einer primärrechtskonformen Auslegung gesehen hat: Epiney, NVwZ 2015, 777; kritisch hierzu: Kingreen, NVwZ 2015, 1503, 1505; Lenze, NJW 2016, 557). Da Alg II-Leistungen als Sozialhilfeleistungen zu qualifizieren sind, unterfallen sie dem Ausnahmetatbestand des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG, der auch Leistungen nach Art 45 Abs 2 iVm Art 7 Abs 2 VO 492/2011 - und subsidiär auch solche nach Art 21 Abs 1 iVm Art 18 oder Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG - einschränken kann (Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art 45 AEUV Rn 73).

77

Nach dieser Rechtsprechung des EuGH kommt das Diskriminierungsverbot nach zutreffender Auffassung nur dann zur Anwendung, wenn dem Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht auf Grund der RL 2004/38/EG zusteht (Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art 45 AEUV Rn 74); nicht ausreichend ist insbesondere ein auf nationalem Recht gegründetes Aufenthaltsrecht (Epiney, NVwZ 2015, 777). Nach anderer Ansicht soll nach der Rechtsprechung des EuGH dagegen offen sein, ob die in der Freizügigkeitsrichtlinie vorgesehene Ausnahmeregelung vom Gleichbehandlungsverbot auch dann gilt, wenn sich ein Aufenthaltsrecht wirtschaftlich nicht aktiver Unionsbürger nicht aus der Freizügigkeitsrichtlinie ergibt, sondern aus anderen europarechtlichen Normen (Derksen, info also, 2016, 257). Diese Frage stellt sich insbesondere hinsichtlich des in Art 10 Abs 1 VO (EU) 492/2011 geregelten Rechts von Kindern der im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates beschäftigten bzw ehemals beschäftigten Arbeitnehmern auf Teilnahme am allgemeinen Unterricht und der Lehrlings- bzw Berufsausbildung, welches auch dem Elternteil, der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnimmt, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht einräumt. Dieses gegenüber der Freizügigkeitsrichtlinie unabhängige Aufenthaltsrecht ist nicht abhängig vom Nachweis eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes und ausreichender Existenzmittel (näher hierzu: Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art 45 AEUV Rn 81). Nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung lagen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nicht vor, da bei einem Aufenthaltsrecht nach Art 10 Abs 1 VO (EU) 492/2011 die Arbeitsuche nicht mehr alleiniger Zweck des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland war (s.o.). Aufgrund dieser Regelung kam es für den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht darauf an, ob europarechtlich auch ein Aufenthaltsrecht nach Art 10 Abs 1 VO (EU) 492/2011 ein Recht auf Gleichbehandlung begründete. Nach der Neufassung der §§ 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 c SGB II, 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB XII ist für das aus Art 10 Abs 1 VO (EU) 492/2011 folgende Aufenthaltsrecht nunmehr ein Anspruch auf existenzsichernde Leistungen ausdrücklich ausgeschlossen (s.o). Vor dem Hintergrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts hat der Leistungsausschluss nur dann keinen Bestand, wenn sich ein gemeinschaftsrechtlicher Anspruch auf Gleichbehandlung hinsichtlich der Sozialhilfeleistungen im Sinne der EuGH-Rechtsprechung auch aus einem Aufenthaltsrecht nach Art 10 Abs 1 VO (EU) 492/2011 ergeben kann. Dies ist nach Ansicht der Kammer jedoch nicht der Fall.

78

In der Literatur wird dagegen insoweit die Auffassung vertreten, dass die Neuregelung des Leistungsausschlusses nach §§ 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 c SGB II, 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB XII sich auf keine europarechtliche Ausnahmeregelung vom Diskriminierungsverbot, insbesondere nicht auf Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG, stützen lasse und daher unvereinbar mit dem Gleichbehandlungsverbot des Art 4 VO 883/2004 sei (so Derksen, info also, 2016, 257, 260; unter Bezugnahme auf diesen LSG NRW, Beschluss vom 27.12.2016 – L 7 AS 2148/16 B, juris Rn 6: "erhebliche europarechtliche Bedenken"; die Europarechtskonformität verneinend auch das Gutachten zum Referentenentwurf des Fachbereichs Europa des Deutschen Bundestages PE 6-3000-76/16, S 18 ff). Diese Auffassung wird damit begründet, dass sich weder der Dano- noch der Alimanovice-Entscheidung entnehmen lasse, dass nach der Rechtsprechung des EuGH nur ein Aufenthaltsrecht nach der Freizügigkeitsrichtlinie einen Anspruch auf sozialrechtliche Gleichbehandlung begründe (so Derksen, info also, 2016, 257, 259). Nach der Logik des in der jüngeren EuGH-Rechtsprechung verfolgten Paradigmas des Aufenthaltsrechts lasse sich dieses nur dann auf die Aufenthaltsrichtlinie stützen, soweit sich das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern nach dieser bestimme. Soweit sich ein europarechtliches Aufenthaltsrecht nicht (allein) auf die Freizügigkeitsrichtlinie stütze, seien die zu § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ergangenen Entscheidungen des EuGH nicht anwendbar (so Derksen, info also, 2016, 257, 258). Denn sei ein Aufenthaltsrecht nicht allein aus der Freizügigkeitsrichtlinie begründet, beurteile sich der Leistungsausschluss nicht nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG, sondern nach dem leistungsrechtlichen Beschränkungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit sich sperrenden Gleichbehandlungsgebot der Koordinierungsverordnung gemäß Art 4 VO 883/2004 (so Derksen, info also, 2016, 257, 258). Zwar setze Art 4 VO 883/2004 voraus, dass sich eine sozialleistungsrechtliche Gleichbehandlungspflicht von EU-Ausländern nicht vorrangig nach einer anderen europarechtlichen Vorschrift bestimme und dass zudem das Gleichbehandlungsgebot auch für die in Frage stehenden Sozialleistungen Anwendung finde (so Derksen, info also, 2016, 257, 259). Finde aber Art 24 RL 2004/38/EG für Konstellationen, in denen ein Aufenthaltsrecht nach Art 10 Abs 1 VO 492/2011 gegeben sei, keine Anwendung, könne diese Norm auch nicht die vom EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung angenommene vorrangige Geltung gegenüber dem Gleichbehandlungsgebot nach Art 4 VO 883/2004 beanspruchen (so Derksen, info also, 2016, 257, 259). Zwar schließe Art 4 VO 883/2004 nach der Rechtsprechung des EuGH nicht jede Ungleichbehandlung aus, jedoch ließen sich Beschränkungen nur auf Gründe stützen, die der VO 883/2004 zu entnehmen seien (so Derksen, info also, 2016, 257, 260). Eine Ungleichbehandlung könne überdies nach der Rechtsprechung des EuGH zwar auch im koordinierenden Sozialrecht gerechtfertigt sein, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhe. Art 4 VO 883/2004 verbiete jedoch jegliche Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit, einschließlich mittelbarer Diskriminierungen (so Derksen, info also, 2016, 257, 260, unter Hinweis auf Otting, in: Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Art 4 Rn 1, 7; Frings, ZAR 2012, 317, 319; ebenso das Gutachten zum Referentenentwurf des Fachbereichs Europa des Deutschen Bundestages PE 6-3000-76/16, S 18 f). Dies habe die weitreichende Folge, dass Leistungsbeschränkungen für Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten im Aufenthaltsmitgliedstaat, die dort ein Aufenthaltsrecht nach Art 10 VO 492/211 haben und die diese an der Staatsangehörigkeit der Antragsteller festmachten, gegen das Diskriminierungsverbot nach Art 4 VO 883/2004 verstoßen sollen und daher unwirksam seien (so Derksen, info also, 2016, 257, 260; ebenso das Gutachten zum Referentenentwurf des Fachbereichs Europa des Deutschen Bundestages PE 6-3000-76/16, S 18 f).

79

Dieser Auffassung schließt sich die Kammer nicht an, da sie die geltend gemachten Einwände für nicht durchgreifend hält. Der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH zu § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Gerichtshof die Geltung des Diskriminierungsverbotes an ein Aufenthaltsrecht nach der Freizügigkeitsrichtlinie knüpft und andere Aufenthaltsrechte für eine Gleichbehandlung bei Sozialhilfeleistungen für nicht maßgebend ansieht. Der vom Generalanwalt Wathelet (Schlussanträge vom 26.3.2015 in der Rs C-67/14 [Alimanovice] Rn 119-121) geforderten Berücksichtigung der familiären Verhältnisse (die in Deutschland erfolgte Geburt der Kinder von Frau Alimanovice sowie deren Schulbesuch) ist der EuGH unter Hinweis auf das abgestufte System des Art 7 RL 2004/38/EG ausdrücklich nicht gefolgt (Kingreen, NVwZ 2015, 1503, 1505). Er hat die abweichende Beurteilung des Generalanwalts auch nicht aufgegriffen, um eine differenzierte Lösung herauszuarbeiten, sondern einen anderen rechtlichen Ansatz als maßgebend angesehen. Dies lässt sich auch nicht mit dem Hinweis darauf in Abrede stellen, der EuGH habe sich hierzu nicht äußern müssen, da ihm diese Frage vom BSG nicht zur Entscheidung vorgelegt wurde (so aber Derksen, info also, 2016, 257, 258 Fn 17; Kötter, info also, 2016, 3, 5). Aufgabe des Gerichtshofes ist es, alle Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen, die die staatlichen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den dem Gerichtshof von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind (EuGH, Urteil vom 18.3.1993 – C-280/91, juris Rn 17). Im Rahmen des durch Art 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof ist es dessen Aufgabe, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (EuGH, Urteil vom 19.9.2013 – C-140/12, juris Rn 31). Selbst wenn in dem Vorlageverfahren Alimanovice eine Auslegung des Gleichbehandlungsgebotes nach Art 4 VO 883/2004 durch den EuGH im Hinblick auf die von Art 10 Abs 1 VO 492/2011 erfassten EU-Ausländer nicht unbedingt erforderlich gewesen sein mag und diese Frage vom BSG nicht ausdrücklich vorgelegt worden ist, besteht kein ernsthafter Zweifel daran, dass die Entscheidungen des EuGH auch für die vorgenannten Fälle eines anderen Aufenthaltsrechts außerhalb der Freizügigkeitsrichtlinie Geltung beanspruchen, da eine zumindest inzidente Stellungnahme hierzu – gerade vor dem Hintergrund der vom Generalanwalt Wathelet geltend gemachten gegenteiligen Auffassung - zumindest sachdienlich war. Darüber hinaus legt auch der vom EuGH gewählte Ansatz mehr als nur nahe, dass der Gerichtshof eine Aussage auch zu der vorgenannten Frage zu treffen hatte und dies in der Sache auch getan hat. Denn indem der EuGH die Reichweite des Gleichbehandlungsgebotes hinsichtlich existenzsichernder Leistungen aus dem Verhältnis des Freizügigkeitsrechts zu dem unionsrechtlich nicht nur anerkannten, sondern auch zwingend vorgegebenen Schutz der nationalen Sozialleistungssysteme abgeleitet hat, lässt sich die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht überzeugend dahingehend verstehen, der EuGH habe mit der Voraussetzung des Aufenthaltsrechts nach der Freizügigkeitsrichtlinie lediglich "irgend ein" unionsrechtlich geschütztes Aufenthaltsrecht für ausreichend erklärt oder dies zumindest offen gelassen. Vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses von Freizügigkeit und dem Schutz der nationalen Sozialleistungssysteme ist die Anknüpfung an das in Freizügigkeitsrichtlinie ausgeformte, abgestufte Aufenthaltsrecht eine klare, konsequente und notwendig abschließende Umsetzung der zum Ausgleich zu bringenden europarechtlichen Vorgaben.

80

Letztlich macht auch die konkrete Argumentation des EuGH im Einzelnen sehr deutlich, dass der Gerichtshof die unionsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen des Gleichbehandlungsgebotes für die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen mit der Anknüpfung an die Aufenthaltsrechte nach der Freizügigkeitsrichtlinie auch für etwaige sonstige, europarechtliche Aufenthaltsrechte umfassend betrachtet und dahingehend mit entschieden hat, dass rechtlich maßgebend allein ein Aufenthaltsrecht nach Maßgabe des abgestuften Systems der Freizügigkeitsrichtlinie ist. Nur so lässt sich das mit der RL 2004/38/EG verfolgte Ziel der Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten letztlich sicherstellen und mit der Freizügigkeit zum Ausgleich bringen. Denn die RL 2004/38/EG, die durch ein abgestuftes System für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft das Aufenthaltsrecht und den Zugang zu Sozialleistungen sichern soll, berücksichtigt selbst die verschiedenen Faktoren, die die jeweiligen persönlichen Umstände der die Sozialleistung beantragenden Person kennzeichnen sollen. Könnten Personen, wie die von Art 10 Abs 1 VO 492/2011 erfassten, soweit ihnen kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht, unter den gleichen Voraussetzungen wie Innländer Sozialleistungen beanspruchen, liefe dies dem in dem im zehnten Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannten Ziele zuwider, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, zu verhindern. Art 7 Abs 1 b der RL 2004/38/EG soll nichterwerbstätige Unionsbürger aber daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmestaates zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen, und zwar auch dann, wenn sie ein sich aus sonstigen europarechtlichen Bestimmungen ergebendes Aufenthaltsrecht haben. Die vom Unionsgesetzgeber in Art 7 dieser Richtlinie mit dem Erfordernis ausreichender Existenzmittel als Voraussetzung für den Aufenthalt und dem Bestreben, keine Belastungen für die Sozialhilfesysteme der Mitgliedstaaten herbeizuführen, geschaffene Wertung muss auch für Ausländer gelten, die sich auf ein anderes Aufenthaltsrecht berufen können. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass dieses Ziel andernfalls strukturell nicht erreicht werden könnte, wenn aus dem mit der Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit typischerweise verbundenen Aufenthaltsrecht für die Kinder und die sorgeberechtigten Elternteile faktisch ein von der Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft unabhängiges Aufenthaltsrecht mit Zugang zu den nationalen Sozialhilfesystemen ohne Sicherstellung des Erfordernisses ausreichender Existenzmittel zur Vermeidung einer unangemessenen Inanspruchnahme der Sozialleistungssysteme der Aufnahmemitgliedstaaten resultieren würde. Vor allem steht die von Derksen vertretene Auffassung im Widerspruch zu der grundlegenden Feststellung des EuGH, dass nicht das europäische Recht die Voraussetzungen und den Umfang für einen Anspruch auf existenzsichernde Sozialhilfeleistungen regelt, sondern dies vielmehr Sache der Mitgliedstaaten ist und hierbei Unionsrecht nicht durchgeführt wird. Der EuGH differenziert mithin erkennbar zwischen einem materiellen Aufenthaltsrecht und einem Anspruch auf Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zu den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfe, um das unionsrechtlich verfolgte Ziel der Verhinderung der Einwanderung in die Sozialleistungssysteme der Mitgliedstaaten durch die Möglichkeit der Vorenthaltung von Existenzsicherungsleistungen nicht leerlaufen zu lassen. Diese Unterscheidung ergibt sich auch daraus, dass der EuGH ausdrücklich festgestellt hat, dass dann, wenn die Mitgliedstaaten von den Unionsbürgern nicht verlangen dürfen, dass sie für die Dauer eines bestimmten Aufenthalts im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaates (ohne materielles Aufenthaltsrecht als Erwerbstätiger bzw aufgrund nachwirkender Erwerbstätigeneigenschaft) über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und eine persönliche Absicherung für den Fall der Krankheit verfügen, es legitim ist, dass den betreffenden Mitgliedstaaten nicht auferlegt wird, während dieses Zeitraums die Kosten für sie zu übernehmen.

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Diese grundsätzliche Entscheidung des EuGH steht, trotz dem damit verbundenen inzident vorgenommenen "Richtungswechsel" gegenüber der früheren Rechtsprechung in einzelnen Teilaspekten (näher dazu: Thym, NZS 2016, 441, 442; Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art 45 AEUV Rn 74 ff), auch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Dies betrifft zum einen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Danach ist den Bestimmungen des Unionsrechts ihre volle praktische Wirksamkeit zu verschaffen, wobei Lösungen praktischer Konkordanz in Bezug auf Normen zu suchen sind, deren Anwendung die Wirksamkeit oder die Kohärenz der Unionsregelungen in Frage stellen könnten (EuGH, Urteil vom 10.4.2012 – C-83/12, juris Rn 46; Ahlt/Deisenhofer, Europarecht, 3. Auflage, S 59: die Bedeutung gemeinschaftsrechtlicher Normen ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang; hierzu gehört auch, die einzelnen Rechtsnomen zu einem sinnvollen Ganzen zu verknüpfen). Im Falle der Auslegungsbedürftigkeit ist eine Bestimmung des sekundären Gemeinschaftsrechts möglichst so auszulegen, dass sie mit den Verträgen und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts vereinbar ist (EuGH, Urteil vom 21.3.1991 – C-314/89, juris Rn 17). Insbesondere wenn europarechtliche Bestimmungen gegenläufige Regelungen enthalten, ist deren jeweilige Wirksamkeit nur dadurch sicherzustellen, dass ihre Auslegung sich um einen angemessenen Ausgleich im Sinne einer praktischen Konkordanz bemüht (so ausdrücklich: Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 8.9.2005 in der Rs C-540/03, juris Rn 39; näher zur Auslegung des EU-Rechts: Schröder, JuS 2004, 180 ff).

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Gemessen daran erscheint die vom EuGH für maßgebend angesehene Geltung des Gleichbehandlungsgebotes hinsichtlich des Zugangs zu existenzsichernden Leistungen nach Maßgabe eines Aufenthaltsrechts nach der Freizügigkeitsrichtlinie als eine Lösung, die auch aus Gründen der Kohärenz des Gemeinschaftsrechts und der praktischen Wirksamkeit der entgegenstehenden jeweiligen europarechtlichen Vorgaben auf sachgerechte Weise Rechnung trägt, indem sie einen angemessenen Ausgleich gewährleistet. Einem Anspruch auf Gleichbehandlung aus anderen Aufenthaltsrechten, namentlich gemäß Art 10 Abs 1 VO 492/2011, stände entgegen, dass dann, wenn ein sonstiges Aufenthaltsrecht als ausreichend angesehen würde, der Freizügigkeit einseitig ein Vorrang gegenüber dem Rechtsgut des Schutzes der nationalen Sozialsysteme eingeräumt würde und so der Schutzzweck der RL 2004/38/EG weitgehend verfehlt würde. Die hätte zur Folge, dass ein sachgerechter und notwendiger Ausgleich der jeweiligen europarechtlichen Rechtsvorschriften im Sinne einer praktischen Konkordanz nicht gewährleistet wäre. Der vom EuGH gewählte Weg stellt demgegenüber sicher, dass sowohl das Freizügigkeitsrecht gewahrt, als auch der Schutz der nationalen Sozialleistungssysteme sichergestellt werden kann. Denn das dem von Art 10 Abs 1 VO 492/2011 erfassten Personenkreis zustehende Aufenthaltsrecht bedingt auf diese Weise nicht zugleich eine Gleichbehandlung mit Inländern in Ansehung der existenzsichernden Leistungen Alg II bzw Sozialhilfe. Dies steht letztlich auch im Einklang mit der früheren Rechtsprechung des EuGH. Auch wenn die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Freizügigkeit von Personen eine bestimmte finanzielle Solidarität der Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaates mit denen der anderen Mitgliedstaaten anerkennen (so noch EuGH, Urteil vom 20.9.2001 – C-184/99 [Grzelczyk], juris Rn 31), ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wie aus dem zehnten Erwägungsgrund der RL 2004/38/EG hervorgeht, zu vermeiden, dass ihr Aufenthaltsrecht ausübende Personen während ihres Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates unangemessen in Anspruch nehmen. Die Ausübung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen für die Zeiten von mehr als drei Monaten unterliegt daher gemäß Art 21 AEUV und den Bestimmungen der in RL 2004/38/EG genannten Bedingungen (EuGH, Urteil vom 4.10.2012 – C-75/11, juris Rn 60, zur Ungleichbehandlung von Studierenden aus Gründen der Staatsangehörigkeit).

83

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Mitgliedstaaten nach Art 10 Abs 2 VO 492/2011 die Bemühungen fördern, durch diese den in Abs 1 genannten Kindern ermöglicht werden soll, unter den bestehenden Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen. Diese Vorschrift zielt zwar nicht nur auf die Zulassungsbedingungen, sondern auch auf die allgemeinen Maßnahmen ab, welche die Teilnahme am Unterricht erleichtern sollen. Dies bedingt jedoch nur eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaates, die eine Ausbildungsförderung betreffen (vgl EuGH, Urteil vom 3.7.1974 – 9/74, juris Rn 4). Wie bereits im Recht der Sozialhilfe anerkannt, sollen im deutschen Recht auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II – jedenfalls für die vorliegend in Rede stehenden Ansprüche - keine versteckte Ausbildungsförderung auf einer "zweiten Ebene" sein (BVerwGE 94, 224, 227; BSG, Urteil vom 6.9.2007 – B 14 /7b AS 28/06 R). Die Ausbildungsförderung durch Sozialleistungen, die die Kosten der Ausbildung und den Lebensunterhalt umfassen, sind im deutschen Recht sondergesetzlich abschließend geregelt (BSG, aaO). Vorliegend geht es jedoch nicht um einen Anspruch der Antragsteller auf Ausbildungsförderung, sondern um einen solchen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bzw Sozialhilfe. Etwaige Ansprüche auf Ausbildungsförderung stehen nicht im Streit.

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Schließlich wird diese Auslegung auch durch den Normzweck von Art 7 Abs 1 der Richtlinie 2003/86 bestätigt. Denn der Nachweis der in Buchstabe c dieser Vorschrift vorgesehenen Voraussetzung bestimmter Einkünfte soll es der zuständigen Behörde ermöglichen, sicherzustellen, dass weder der Zusammenführende noch seine Familienangehörigen nach der Familienzusammenführung Gefahr laufen, während ihres Aufenthalts die Sozialhilfe ihres Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen zu müssen (so EuGH, Urteil vom 21.4.2016 – C-558/14, juris Rn 39). Dies macht deutlich, dass der EuGH das Recht der Mitgliedstaaten, ihre Sozialleistungssysteme bei der Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch Unionsbürger zu schützen, uneingeschränkt anerkennt und den Zugang zu den existenzsichernden Leistungen über abgeleitete, wenn auch eigene Rechte der Familienangehörigen, wozu auch das Aufenthaltsrecht der Kinder vormals freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger und der die elterliche Sorge ausübenden Elternteile nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 gehören, europarechtlich für nicht geboten ansieht.

85

Im Übrigen kann sich die von Derksen und im Gutachten zum Referentenentwurf des Fachbereichs Europa des Deutschen Bundestages PE 6-3000-76/16, S 18 f vertretene Auffassung hinsichtlich der Unvereinbarkeit der gesetzlichen Neuregelung mit Art 4 VO 883/2004 nach Ansicht der Kammer auch nicht auf die Rechtsprechung des EuGH stützen. Nach dieser ist eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht generell und ausnahmslos mit Art 4 VO 883/2004 unvereinbar. Die Verordnung Nr 883/2004 schafft nämlich kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit, sondern lässt die unterschiedlichen nationalen Systeme bestehen und soll diese nur koordinieren, um zu gewährleisten, dass das Recht auf Freizügigkeit wirksam ausgeübt werden kann (EuGH, Urteil vom 14.6.2016 – C-308/14, [Kommission/Vereinigtes Königreich], juris Rn 67, zu Familienleistungen als originären Leistungen der sozialen Sicherheit). Sie lässt somit unterschiedliche Systeme bestehen, die zu unterschiedlichen Forderungen gegen unterschiedliche Träger führen, gegen die dem Leistungsberechtigten unmittelbare Ansprüche entweder allein nach nationalem Recht oder nach dem erforderlichenfalls durch Unionsrecht ergänzten nationalen Recht zustehen (EuGH, Urteil vom 14.6.2016 – C-308/14, [Kommission/Vereinigtes Königreich], juris Rn 67).

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Zwar begeht ein Aufnahmestaat, der die Gewährung von Sozialleistungen für Angehörige eines anderen Mitgliedstaates von Bedingungen hinsichtlich des Aufenthalts abhängig macht, eine mittelbare Diskriminierung (EuGH, Urteil vom 14.6.2016 – C-308/14, [Kommission/Vereinigtes Königreich], juris Rn 76, zur Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes). Allerdings kann eine solche Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein. Um gerechtfertigt zu sein, muss eine solche mittelbare Diskriminierung geeignet sein, die Verwirklichung eines legitimen Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (EuGH, Urteil vom 14.6.2016 – C-308/14, [Kommission/Vereinigtes Königreich], juris Rn 79, zu Familienleistungen als originären Leistungen der sozialen Sicherheit; Urteil vom 20.6.2013 – C-20/12, juris Rn 46). Als rechtfertigender Grund ist jedoch die Notwendigkeit, die Finanzen des Aufnahmemitgliedstaates zu schützen, grundsätzlich ausreichend, um die Gewährung einer Sozialleistung an Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates, die wirtschaftlich nicht aktiv sind, von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen, da diese Gewährung geeignet ist, sich auf das gesamte Niveau der Beihilfe auszuwirken, die dieser Staat gewähren kann (vgl EuGH, Urteil vom 14.6.2016 – C-308/14, [Kommission/Vereinigtes Königreich], juris Rn 81, zu Familienleistungen als originären Leistungen der sozialen Sicherheit [auch mwN zur Rechtsprechung des Gerichtshofs]). Was die Verhältnismäßigkeit des Kriteriums des Aufenthaltsrechts angeht, ist festzustellen, dass die Prüfung der nationalen Behörden, ob sich der Antragsteller nicht unrechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhält, im Zusammenhang mit der Gewährung von Sozialleistungen als eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts von Unionsbürgern nach der Richtlinie 2004/38 anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 14.6.2016 – C-308/14, [Kommission/Vereinigtes Königreich], juris Rn 81, zu Familienleistungen als originären Leistungen der sozialen Sicherheit). Nach Art 14 Abs 2 der Richtlinie 2004/38 steht Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen (EuGH, Urteil vom 14.6.2016 – C-308/14, [Kommission/Vereinigtes Königreich], juris Rn 82, zu Familienleistungen als originären Leistungen der sozialen Sicherheit).

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Diese Entscheidung des EuGH zu den Anspruchsvoraussetzungen für Familienleistungen, dh – im Sinne der Sozialrechtskoordinierung nach der VO (EG) 883/2004 – originären Leistungen der sozialen Sicherheit, setzt die Rechtsprechungslinie in Sachen "Dano" und Alimanovice fort, wobei der Gerichtshof nicht zwischen beitragsunabhängigen Geld- und Familienleistungen unterscheidet (Behrend, jurisPK-SozR 17/2016, Anm 1). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung vermag die Kammer keine Unvereinbarkeit der gesetzlichen Neuregelung mit Art 4 VO 883/2004 erkennen. Eine Ungleichbehandlung von EU-Ausländern und ihren Familienangehörigen gegenüber Inländern bei der Gewährung von Sozialleistungen aufgrund der Staatsangehörigkeit mag eine mittelbare Diskriminierung darstellen, ist jedoch nicht generell unzulässig, sondern kann gerechtfertigt sein. Als rechtfertigenden Grund erkennt der EuGH auch hier insbesondere den Schutz der nationalen Sozialleistungssysteme an. Jedenfalls dann, wenn – wie hier – kein Aufenthaltsrecht nach der Freizügigkeitsrichtlinie besteht, ist der Ausschluss der EU-Ausländer auch verhältnismäßig, da die Richtlinie selbst eine von den individuellen Umständen des Einzelfalles unabhängige abgestufte Regelung hinsichtlich des Ausgleichs zwischen den Regelungszielen der Freizügigkeit und dem Schutz der Finanzen des Aufnahmestaates trifft (s.o.).

88

Durch die Rechtsprechung des EuGH ist damit eine Klärung des Verhältnisses des Gleichbehandlungsgebotes des Art 4 VO (EG) 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG erfolgt (so auch Greiser/Kador/Krause, ZFSH 2015, 569, 572: faktische Klärung). Es bedarf insoweit keiner abschließenden Beurteilung, ob der in der Literatur vertretenen Auffassung, der EuGH habe Art 4 VO (EG) 883/2004 keinerlei eigene Bedeutung beigemessen, sondern dieses Gleichbehandlungsgebot zwar neben dem des Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG zitiert, aber Art 4 der VO (EG) 883/2004 nicht gesondert geprüft, zu folgen ist. Gleiches gilt bezüglich der Aussage, der EuGH sehe Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG gleichermaßen als Ausnahmevorschrift zu Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG wie zu Art 4 VO (EG) 883/2004 (so Greiser/Kador/Krause, aaO). Ebenso kann dahinstehen, ob der erweiterte Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG danach als lex specialis zu Art 4 der VO (EG) 883/2004 gesehen werden muss und deshalb auch die Ungleichbehandlung bei koordinierten Leistungen erlaubt (so Wallrabenstein, JZ 2016, 109, 114; Kötter, info also 2016, 3, 5: der EuGH gehe implizit von einer lex specialis-Regelung aus; vgl Eichenhofer, EuR 2015, 73, 76 f: der EuGH habe Widersprüche zwischen Art 24 der Unionsbürgerrichtlinie und Art 4 der Koordinierungsverordnung im Interesse der Einheit der Europäischen Rechtsordnung beseitigt; Thym, NZS 2016, 441, 442, Fn 12: der EuGH habe unter Zurückstellung der Koordinierungs-VO (EG) Nr 883/2004 deren unklare Interaktion mit dem Freizügigkeitsrecht in ein stimmiges Gesamtbild überführt, indem das koordinierende Sozialrecht als bloßer Rechtsgrundverweis ohne materielle Harmonisierungswirkung konzipiert werde). Jedenfalls ergibt sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus Art 4 VO (EG) 883/2004 kein abweichender Rechtfertigungsmaßstab (so Greiser/Kador/Krause, aaO). Denn der EuGH sieht – wie der Entscheidung vom 14.6.2016 (– C-308/14, [Kommission/Vereinigtes Königreich], juris) ausdrücklich zu entnehmen ist - Ungleichbehandlungen von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen auch vor dem Hintergrund des Art 4 VO (EG) 883/2004 zum Schutz der Sozialleistungssysteme als grundsätzlich gerechtfertigt an, wenn kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38/EG besteht.

89

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gesetzgeber (vgl BT-Drucks 18/10211, S 13) mithin zu Recht davon ausgehen durfte, dass die gesetzliche Neuregelung im Einklang mit der europäischen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG steht und auch sonst mit europäischem Recht vereinbar ist. Die Regelungen der Freizügigkeitsrichtlinie liefen ins Leere, wenn sie für Personen, die nicht mehr erwerbstätig sind und nicht mehr von der Nachwirkungsfiktion des § 2 Abs 3 FreizügG/EU erfasst werden, nicht mehr gelten sollten, wenn und solange diese schulpflichtige Kinder haben (so zutreffend: BT-Drucks 18/10211, S 13).

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(2) Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ebenfalls nicht entgegen. Denn das EFA ist weder nach seinem sachlichen noch seinem persönlichen Anwendungsbereich einschlägig. Bezogen auf SGB II-Leistungen kann sich ein Unionsbürger nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung am 19.12.2011 nicht mehr auf das Gleichbehandlungsgebot des EFA berufen (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 18). Der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt ist wirksam (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15, juris Rn 18 ff). Zudem gilt das EFA nur für Staatsangehörige von Unterzeichnerstaaten (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 30). Die Antragsteller sind ... Staatsangehörige und ... ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.

91

Es bestehen auch keine durchgreifenden Gründe dafür, ein anspruchsbegründendes völkerrechtliches Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen, die nicht Vertragspartner sind (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 17). Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ist ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge, ohne dass alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch anspruchsbegründend auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten (näher hierzu: BSG, Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R, juris Rn 33 f).

92

(3) Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II ist auch mit Verfassungsrecht vereinbar. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II jedenfalls dann nicht entgegen, wenn für die betroffenen Ausländer existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII seitens des zuständigen Sozialhilfeträgers in Betracht kommen (vgl BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 19). Unter diesen Umständen ist der Leistungsausschluss insbesondere mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 32). Dies ist nach Ansicht der Kammer im Hinblick auf die gesetzliche Neuregelung der Fall, da § 23 SGB XII für die nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen Ausländer und ihre Familienangehörigen weiterhin - wenn auch nur in beschränktem Umfang - Leistungen zur Existenzsicherung gewährt. Bis zur Verfestigung ihres Aufenthalts nach Maßgabe des § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II sind diese Personen dem Leistungssystem des SGB XII zugewiesen, in dem ihnen aber nur ein Anspruch auf eine zeitlich beschränkte Überbrückungsleistung zusteht (BT-Drucks, 18/10211, S 14). Diese Regelung ist nach Auffassung der Kammer ebenfalls verfassungsgemäß, weshalb auch der aus der Systematik der Normen sich ergebende Leistungsausschluss als solcher, dh soweit sich auch nach dem SGB XII kein Leistungsanspruch ergibt, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (dazu sogleich).

93

b) Die Antragsteller haben auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des SGB XII gegen die Beigeladene glaubhaft gemacht.

94

aa) Den Antragstellern steht kein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zu. Es bedarf insoweit keiner abschließenden Beurteilung, ob die Antragsteller die Leistungsvoraussetzungen nach §§ 19 Abs 1, 27 Abs 1 SGB XII erfüllen.

95

Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Antragsteller steht § 21 Abs 1 SGB XII nicht entgegen. Die Antragstellerin zu 1) ist danach nicht bereits wegen ihrer Erwerbsfähigkeit von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (eingehend dazu: BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 40 ff).

96

Die Antragsteller unterliegen jedoch dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII. Zwar waren bereits nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung EU-Ausländer, die weder über eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss erfasst war, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügten, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 38). Allerdings führte die Anwendung des Leistungsausschlusses gemäß § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII nach der Rechtsprechung des BSG nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aF (eingehend hierzu: BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 51 ff; Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 41). Für die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers sollte die Kenntnis des SGB II-Trägers maßgebend sein, da diese ihm zuzurechnen ist (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 39). Aus verfassungsrechtlichen Gründen ging das BSG davon aus, dass § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe iSd § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII regeln sollte, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 56 f; Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 41, unter Hinweis auf das verfassungsrechtliche Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG). Das Ermessen des Sozialhilfeträgers sollte sich dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduzieren, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat, was regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland anzunehmen sein sollte (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 53). Etwas anderes sollte nur dann gelten, wenn besondere Umstände vorlagen, wie insbesondere dann, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen ließen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen werde oder wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hatte (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 58). Hierfür sollte es jedoch nicht ausreichen, wenn die Ausländerbehörde ein eingeleitetes Verlustfeststellungsverfahren nicht weiter betrieben und den weiteren Aufenthalt damit faktisch geduldet hatte (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 45). Entsprechendes sollte für Familienangehörige iSd § 3 Abs 1, Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU eines sich in Deutschland aufhaltenden EU-Ausländers gelten (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 50).

97

Nach der Neufassung des § 23 Abs 3 SGB XII zum 29.12.2016 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn sie 1. weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, 3. ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Nummer 2 aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten oder 4. eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII. Satz 1 Nummer 1 und 4 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, § 23 Abs 3 SGB XII. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3, § 23 Abs 3 Satz 3 SGB XII. Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist, § 23 Abs 3 Satz 6 SGB XII. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 und 3 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde, § 23 Abs 3 Satz 7 SGB XII. Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen, § 23 Abs 3a Satz 1 SGB XII. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können, § 23 Abs 3a Satz 2 SGB XII. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen, § 23 Abs 3a Satz 2 SGB XII.

98

Die Neuregelung der Leistungsausschlüsse in § 23 Abs 3 SGB XII wurden den Leistungsausschlüssen in § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II angepasst (BT-Drucks 18/10211, S 15). Dies beruht darauf, dass das BSG die nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgenommenen Ausländer dem SGB XII zugeordnet hat, weshalb § 23 Abs 3 SGB XII um eine § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II entsprechende Regelung ergänzt wurde. Zusätzlich wird, wie im SGB II klargestellt, dass Personen ohne materielles Freizügigkeitsrecht oder Aufenthaltsrecht ebenso wie Personen, die sich mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche oder nach Art 10 der Verordnung (EU) Nummer 492/2011 in Deutschland aufhalten, von den Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sind (BT-Drucks 18/10211, S 16). Durch die neue Formulierung in § 23 Abs 3 Satz 1 wird außerdem klargestellt, dass den ausgeschlossenen Personen weder ein Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs 1 SGB XII zusteht, noch dass ihnen Leistungen im Ermessenswege gewährt werden können (BT-Drucks 18/10211, S 16). Bis zur Verfestigung ihres Aufenthalts nach Maßgabe des § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II sind diese Personen dem Leistungssystem des SGB XII zugewiesen, in dem ihnen aber nur ein Anspruch auf eine zeitlich beschränkte Überbrückungsleistungen zusteht (BT-Drucks 18/10211, S 14). Der Anspruch auf Überbrückungsleistungen wird für alle von Leistungen ausgeschlossenen Personen eingeführt, soweit sie hilfebedürftig sind (BT-Drucks 18/10211, S 16).

99

Die Neuregelung berücksichtigt, dass die Situation von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern einerseits und Asylbewerberinnen und Asylbewerbern andererseits nicht vergleichbar ist (BT-Drucks, aaO). Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern stehen andere Möglichkeiten der Selbsthilfe offen, als dies bei Asylbewerberinnen und Asylbewerbern der Fall ist. Während Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oftmals nicht ohne möglicherweise drohende Gefahren (etwa durch Verfolgung) in ihr Heimatland zurückkehren können, ist dies Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern gefahrlos möglich und zumutbar (BT-Drucks, aaO). Die betroffenen Personen können in ihrem Heimatstaat ohne Gefahren für Leib und Leben sicher wohnen und existenzsichernde Unterstützungsleistungen erlangen, da in der EU soziale Mindeststandards bestehen, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben. Nach Art 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18.10.1961 haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen kann, ausreichende Unterstützung im Heimatland gewährt wird. Daneben besteht uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt (BT-Drucks, aaO).

100

Durch § 23 Abs 3 SGB XII wird ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen für alle von Leistungen ausgeschlossen Personen eingeführt, soweit sie hilfebedürftig sind. Orientiert an § 1a Abs 2 AsylbLG erhalten diese ausländischen Personen einmalig für einen Zeitraum bis zur Ausreise längstens jedoch für einen Monat Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Körper- und Gesundheitspflege sowie die angemessenen Aufwendungen für eine Unterkunft. Im Zeitraum von einem Monat ist es in jedem Fall möglich, innerhalb der EU eine angemessene Rückreisemöglichkeit zu finden (BT-Drucks, aaO, S 16). Durch eine Härtefallregelung wird sichergestellt, dass innerhalb der Leistungsfrist von einem Monat auch über das gewährte Niveau der vorgesehenen Überbrückungsleistungen hinausgehende Bedarfe gedeckt werden können, soweit dies im Einzelfall zur Überwindung einer besonderen Härte erforderlich ist. Ebenso können bei Vorliegen besonderer Umstände Bedarfe, die entstehen, soweit im Einzelfall eine Ausreise binnen eines Monats nicht möglich oder zumutbar ist, gedeckt werden (BT-Drucks, aaO). Daneben wird den Leistungsberechtigten durch § 23 Abs 3a SGB XII ein Anspruch auf ein Darlehen für die angemessenen Aufwendungen einer Rückfahrt eingeräumt, soweit sie diese nicht selbst finanzieren können (BT-Drucks, aaO, S 17).

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Gemessen an diesen Vorschriften ist ein Anspruch der Antragsteller auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach der Neuregelung ausgeschlossen, da sie nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind (s. o.) und ihnen wegen des Gleichlaufs des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs 3 SGB XII auch keine Leistungen nach dem SGB XII gewährt werden können. Insbesondere hat der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BSG die Grundlage entzogen, einen Anspruch auf Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII zuzusprechen. Auch diese Leistung ist nunmehr ausdrücklich ausgeschlossen.

102

Ob den Antragstellern ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs 3 Satz 3 SGB zusteht, bedarf keiner Entscheidung. Eine solche Leistung steht nicht im Streit, da die Antragsteller ausdrücklich keine Leistungen zur Überbrückung bis zur Ausreise begehren, sondern Leistungen zur Sicherung ihrer dauerhaften Existenz in der Bundesrepublik Deutschland. Der Anspruch auf Überbrückungsleistungen ist auch nicht hilfsweise geltend gemacht worden, da die Antragsteller eine Ausreise ausdrücklich ausschließen. Die Überbrückungsleistung ist auch nicht als "Minus" im Antrag auf laufende Leistungen der Existenzsicherung enthalten, da es sich insoweit um zwei verschiedene Leistungsarten handelt, wie sich aus § 23 Abs 3 Satz 5 SGB XII ergibt. Im Übrigen erscheint es auch nicht tunlich, Überbrückungsleistungen zu anderen Zwecken als zur Überbrückung der Zeit bis zur Ausreise zu gewähren, wenn tatsächlich – wie hier ausdrücklich erklärt - kein Wille zur Ausreise besteht. Es fehlt dann nicht nur bereits an einem dem gesetzlichen Tatbestand immanenten Anknüpfungspunkt der "Überbrückung" "bis zur Ausreise", sondern auch die Befristung bzw die zeitliche Beschränkung des Anspruchs innerhalb der Zweijahresfrist macht deutlich, dass die Überbrückungsleistung ohne Vorkehrungen zur Ausreise zweckentfremdet würde, wenn sie ohne feststellbaren Willen zur Ausreise und dessen Betätigung zur allgemeinen Sicherung des Lebensunterhalts gewährt werden würde. Insbesondere ist unter derartigen Umständen absehbar, dass für die sich regelhaft in Kürze ergebende faktische Notlage keine rechtliche Möglichkeit mehr bestände, den Lebensunterhalt zur letztlich doch unumgänglichen Ausreise zu sichern. Denn nach Ausschöpfung des Anspruchs auf Überbrückungsleistung erhalten die vom Leistungsausschluss erfassten Personen grundsätzlich keine Leistungen mehr (BT-Drucks 18/10211, S 16).

103

bb) Der Ausschluss der Antragsteller von Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar.

104

(1) Der Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe ist mit dem EU-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes als zum Leistungsausschluss im SGB II (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 39).

105

(2) Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss der Antragsteller nicht entgegen (zur Anwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB XII: BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R, juris Rn 20 ff). Sind die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII erfüllt, sind Sozialhilfeleistungen zwar in Form von Hilfen zum Lebensunterhalt im Wege der Gleichstellung mit inländischen Staatsangehörigen zu erbringen. Bezogen auf diese Leistungen hat die Bundesregierung keinen Vorbehalt zum EFA erklärt (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 22). Die Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII findet von vornherein keine Anwendung (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 22). Die Gleichbehandlung erfordert einen erlaubten Aufenthalt, des Staatsangehörigen aus einem Vertragsstaat des EFA-Angehörigen, der jedenfalls bei einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche gegeben ist (BSG, Urteil vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R, juris Rn 22). Die Anwendung des EFA setzt jedoch voraus, dass - woran es hier fehlt (s.o.) - der Ausländer Staatsangehöriger eines Unterzeichnerstaates dieses Abkommens ist (BSG, Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R, juris Rn 39). Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen, bestehen auch für das SGB XII nicht (BSG, Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R, juris Rn 34).

106

(3) Der Ausschluss von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ist auch mit Verfassungsrecht vereinbar.

107

(a) Ein Verstoß gegen Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG ist nicht festzustellen.

108

Zwar ist der Sozialhilfe ein grundsätzlicher Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung systemimmanent (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 52, unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83). Der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ist grundsätzlich unabhängig von der Berechtigung oder der Dauer des Aufenthalts (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 56). Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 56, unter Hinweis darauf, dass nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland ausreicht).

109

Dies steht jedoch der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Neuregelung nicht entgegen. Das gilt nach Ansicht der Kammer auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG, welches zur bisherigen Gesetzeslage bei einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II bzw § 23 Abs 3 SGB XII von einem Anspruch auf Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII ausging. Das BSG hat seine Rechtsprechung (vgl Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris Rn 57) insoweit darauf gestützt, dass das BVerfG in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt hat. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 - 1 BvL 2/11, juris Rn 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus habe das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (so BSG, aaO, unter Hinweis auf BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 - 1 BvL 2/11, juris Rn 99). Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (so BSG, aaO, unter Hinweis auf BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 - 1 BvL 2/11, juris Rn 99 ff). Dies begründe im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn das BVerfG weise darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (so BSG, aaO, unter Bezugnahme auf BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 - 1 BvL 2/11, juris Rn 96).

110

Vor diesem Hintergrund ging das BSG davon aus, dass bei einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II (aF) und § 23 Abs 3 SGB XII (aF) der Zugang zu Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, aufgrund einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG angezeigt sei bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet werde (so BSG, Urteil vom 20.1.2016 – B 14 AS 35/15 R, juris Rn 41). Auf die Möglichkeit einer Heimkehr komme es in diesem Zusammenhang nicht an (so zur bisherigen Rechtslage: BSG, Urteil vom 20.1.2016 – B 14 AS 35/15 R, juris Rn 41). Diese Möglichkeit sei im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet werde (BSG, aaO). Ungeachtet dessen finde der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage – so das BSG zu der bis zum 28.12.2016 geltenden Gesetzeslage - nach dem "derzeit geltenden Recht" auch sozialhilferechtlich keine Grundlage (BSG, aaO: es fehle für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland an einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage im SGB XII).

111

Es bedarf vorliegend keiner abschließenden Stellungnahme zu der Frage, ob ein Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und Hilfe zum Lebensunterhalt nach der bis zum 28.12.2016 geltenden Rechtslage zulässig war. Jedenfalls nach der Neuregelung der Leistungsausschlüsse in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II und § 23 Abs 3 SGB XII ist ein Ausschluss von Leistungen für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nach Ansicht der Kammer nicht zu beanstanden. Denn nach der neuen Gesetzeslage ist jedenfalls nunmehr klar geregelt, dass der Ausschluss nach § 23 Abs 3 SGB XII auch für Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII gelten soll und die betroffenen Ausländer auf die Ausreise verwiesen sind, wenn sie ihren Lebensunterhalt ohne Sozialleistungen in Deutschland nicht sicherstellen können. Die Neuregelung zielt darauf ab, die nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossenen Ausländer und ihre Familienangehörigen dem Leistungssystem des SGB XII zuzuweisen, in dem ihnen aber nur ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise zustehen soll (BT-Drucks, 18/10211, S 14). Dies stellt eine – soweit man eine solche mit dem BSG für erforderlich hält - hinreichende einfachgesetzliche Rechtsgrundlage für eine Verweisung auf eine Selbsthilfe durch Rückkehr dar.

112

Die Neuregelung begegnet nach Ansicht der Kammer jedoch auch unter Berücksichtigung des materiell-rechtlichen Gehalts der Menschenwürde keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Ein von Leistungen ausgeschlossener Antragsteller kann einen Leistungsanspruch, solange er noch in der Bundesrepublik Deutschland lebt, nicht aus dem Grundrecht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Grundgesetz (GG) herleiten (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4.2.2015 – L 2 AS 14/15 B ER, juris Rn 40; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3.2.2015 – L 2 AS 16/15 B ER; BayLSG, Beschluss vom 1.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER, juris Rn 31 ff; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9.6.2016 – L 31 AS 1158/16 B ER, juris Rn 11; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 33 ff; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.2.2016 – L 9 AS 1335/15 B ER, juris Rn 84 ff; LSG NRW, Beschluss vom 7.3.2016 – L 12 SO 79/16 B ER, juris Rn 34 ff; LSG RhPf, Beschluss vom 11.2.2016 – L 3 AS 668/15 B ER, juris Rn 18 ff). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht zwar deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Der objektiven Verpflichtung aus Art 1 Abs. 1 GG korrespondiert auch ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und diese in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.7. 2012 - 1 BvL 10/10, juris Rn 63). Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass ein Unionsbürger seinen Existenzsicherungsanspruch auch in seinem Herkunftsland geltend machen kann, da in der EU gewisse soziale Mindeststandards bestehen, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben (Sozialcharta). Nach Art 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 verpflichten sich die Vertragsparteien sicherzustellen, dass jedem der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen kann, ausreichende Unterstützung gewährt wird. Ein Unionsbürger hat damit einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen innerhalb der EU. Einen Anspruch darauf, existenzsichernden Leistungen in einem bestimmten EU-Mitgliedstaat erhalten zu müssen, besteht nicht. Anders als bei einem Asylsuchenden, der sich auf das Grundrecht aus Art 16 GG stützt, gibt es auch keinen rechtlich beachtlichen Hinderungsgrund für eine Rückkehr in dieses Heimatland (näher dazu: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4.2.2015 – L 2 AS 14/15 B ER, juris Rn 40; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3.2.2015 – L 2 AS 16/15 B ER; BayLSG, Beschluss vom 1.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER, juris Rn 31 ff; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9.6.2016 – L 31 AS 1158/16 B ER, juris Rn 11; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 33 ff; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.2.2016 – L 9 AS 1335/15 B ER, juris Rn 84 ff; LSG NRW, Beschluss vom 7.3.2016 – L 12 SO 79/16 B ER, juris Rn 34 ff; LSG RhPf, Beschluss vom 11.2.2016 – L 3 AS 668/15 B ER, juris Rn 18 ff; aA SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.4.2016 – S 3 AS 149/16, juris Rn 507, welches diese Argumentation als "aus der Luft gegriffen" ansieht).

113

Der Gesetzgeber hat mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem Herkunftsland normiert, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (LSG NRW, Beschluss vom 7.3.2016 – L 12 SO 79/16 B ER, juris Rn 34 f; LSG RhPf, Beschluss vom 5.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER, juris Rn 26). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10 ua), denn das Urteil enthält keine Aussage darüber, inwiefern es dem Gesetzgeber möglich ist, Personen ohne Aufenthaltsrecht Sozialleistungen zu verwehren oder Personen mit einem bestimmten Aufenthaltsrecht vom Bezug von Sozialleistungen auszuschließen, soweit diese die Möglichkeit der Ausreise haben (LSG NRW, aaO).

114

Die Situation eines Asylbewerbers ist schon deshalb grundsätzlich nicht mit der eines EU-Ausländers vergleichbar, der von seinem Aufenthaltsrecht Gebrauch gemacht hat, und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, weil ein Asylbewerber, der sich auf eine politische Verfolgung in seinem Heimatland beruft, regelmäßig nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann, während dies den EU-Ausländern in der Regel ohne Weiteres zumutbar ist (LSG, NRW, aaO). Es ist davon auszugehen, dass innerhalb der EU grundlegende Werte der Rechtstaatlichkeit, Freiheit und auch staatliche Hilfen bei Bedürftigkeit allgemein gewahrt sind (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 33). Ohne eine solche Gewährleistung wäre eine Aufnahme in die EU kaum erfolgt; im Übrigen kann sich jeder EU-Bürger bei einer Verletzung seiner Menschenrechte durch sein Heimatland an die jeweiligen nationalen Gerichte, den EuGH und den EGMR wenden (Ulmer, ZRP 2016, 224, 225; zur unmittelbaren Anwendung des Europarechts als "eigener Rechtsordnung", deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Staatsangehörige sind: EuGH, Rs 26762 [van Gend & Loos], Slg 1963, 1ff; zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch vor nationalem (Verfassungs-)Recht: EuGH, Rs 11/70 [Internationale Handelsgesellschaft], Slg 1970, 1125, 1135). Es ist den Betroffenen daher zuzumuten, in ihr Heimatland zurück zu kehren und sich damit selbst zu helfen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 33). Sie können dort ohne Sprachschwierigkeiten eine Beschäftigung aufnehmen oder die Sozialleistungssysteme des Heimatlandes in Anspruch nehmen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 33). Die Rückkehr in das Heimatland stellt ein zumutbares Mittel zur Selbsthilfe dar, dessen Einforderung das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletzt (LSG, NRW, aaO). Das Grundgesetz gebietet nicht die Gewährung voraussetzungsloser Sozialleistungen (LSG RhPf, Beschluss vom 5.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER, juris Rn 23, 27).

115

Die Gewährleistung des Existenzminimums bedeutet nicht, dass Leistungen unabhängig von der Notwendigkeit zu gewähren sind. Wer kurzfristig und unproblematisch zur Selbsthilfe in der Lage ist, bedarf keiner Sozialleistungen (Ulmer, ZRP 2016, 224, 225). Zu der von der Selbstbestimmung nicht abzutrennenden Eigenverantwortung gehört auch, dass derjenige der von seinem Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer Gebrauch macht, dabei aber keinen nachhaltigen Erfolg hat, wieder in sein Heimatland zurück kehrt (Ulmer, ZRP 2016, 224, 225). Dies hebelt nicht das Grundrecht des betroffenen Ausländers auf Menschenwürde aus. Aus diesem folgt nicht zwangsläufig ein Leistungsanspruch in jeder Situation. Insoweit ist zwischen dem unantastbaren Grundrecht und den daraus resultierenden Rechtsfolgen, besonders wenn es sich um Leistungspflichten des Staates handelt, zu unterscheiden (instruktiv Ulmer, ZRP 2016, 224, 225: aus der Demonstrationsfreiheit folge kein Recht auf die Fahrkarte zur Demonstration). Die Gewährung der Menschenwürde muss auch von Verfassungs wegen nicht notwendig durch Leistungen der Bundesrepublik Deutschland erfolgen, ein Desinteresse an den Zuständigkeiten und Möglichkeiten der Sozialsysteme anderer Mitgliedstaaten der EU verstößt gegen den europäischen Geist des GG (vgl Ulmer, ZRP 2016, 224, 225: schon die Präambel des GG macht deutlich, dass Deutschland gleichberechtigtes Mitglied in einem vereinten Europa sein soll, nicht aber sein Lehrmeister). Aus der Garantie der Menschenwürde kann nicht abgeleitet werden, dass das Gemeinwesen ausnahmslos jeden beliebigen und frei gewählten Aufenthalt durch laufende Leistungen zu alimentieren habe (Ulmer, ZRP 2016, 224, 225).

116

Auch der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses für Studenten nach Maßgabe des § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II (Beschluss vom 8.10.2014 – 1 BvR 886/11, juris) ist zu entnehmen, dass das Grundgesetz keinen von dem Hilfebedürftigen möglichen Mitwirkungshandlungen losgelösten, allein aus der faktischen Hilfebedürftigkeit und dem tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet resultierenden Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums fordert. Der faktische Zwang, die bisherige Lebensführung zur Sicherung des Existenzminimums ändern zu müssen, führt danach nicht zur Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz, sondern berührt vielmehr lediglich das Grundrecht nach Art 2 Abs 1 GG, das diese vom Hilfebedürftigen gewählte Lebensführung schützt (LSG NRW, aaO; LSG RhPf, Beschluss vom 5.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER, juris Rn 26). Der faktische Zwang der Heimkehr, soweit keine Arbeitsaufnahme gelingt und auch kein Vermögen mehr vorhanden ist, stellt keine Notlage dar, die zu einer dauerhaften Inanspruchnahme der Sozialhilfesysteme in der Bundesrepublik Deutschland berechtigen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 33). Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, EU-Bürgern die vom Leistungsausschluss erfasst sind, trotz einer möglichen Rückkehr ins Heimatland dauerhaft Sozialleistungen in Deutschland zu erbringen und damit die gesetzlich geregelten, verfassungsmäßigen und europarechtlich zulässigen Leistungsausschlüsse ad absurdum zu führen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 33, mit weiterer Begründung der Verfassungsmäßigkeit).

117

Es ist von Verfassungs wegen auch nicht geboten, die Geltung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II bzw § 23 Abs 3 SGB XII von einem Tätigwerden der Ausländerbehörde abhängig zu machen (LSG NRW, aaO Rn 32). Denn die Ausschlusstatbestände erfassen nicht nur Tatbestände, in denen kein Aufenthaltsrecht besteht, sondern auch solche mit einem Aufenthaltsrecht (allein) zur Arbeitsuche. Ausländer, denen dieses Aufenthaltsrecht zusteht, sind rechtlich nicht (stets) zur Ausreise verpflichtet und könnten andernfalls allein durch die fortdauernde Anwesenheit im Bundesgebiet den Leistungsausschluss konterkarieren (LSG NRW, aaO). Der EuGH hat in der Rechtssache Alimanovice Gleichbehandlungsansprüche zwar an die fehlende Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nach Maßgabe der Unionsbürgerrichtlinie geknüpft; die fehlende Rechtmäßigkeit hat jedoch nicht unmittelbar die Ausreisepflicht zur Folge, da Art 14 Abs 3 RL 2004/38/EG deutlich macht, dass der Sozialleistungsbezug nicht automatisch zur Ausweisung führen darf. Art 14 Abs 4 der Vorschrift verbietet gar die Ausweisung all jener, die mit einiger Aussicht auf Erfolg nach Arbeit suchen (vgl Janda, ZRP 2016, 152). Die gesetzliche Neuregelung hat mithin zur Folge, dass Personen vom Zugang zur Grundsicherung ausgeschlossen sind, die nicht ausreisepflichtig sind (kritisch dazu: Janda, aaO, S 153).

118

Aber auch dann, wenn der Leistungsausschluss mit dem Fehlen eines materiellen Aufenthaltsrechts einhergeht, hat der Gesetzgeber dessen Geltung nicht unter den Vorbehalt des Tätigwerdens der Ausländerbehörde gestellt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 32). Nach der eindeutigen Regelung des Gesetzes und der Entstehungsgeschichte ist nicht daran zu zweifeln, dass der Leistungsausschluss unabhängig von einem Tätigwerden der Ausländerbehörde gilt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, aaO). Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum Leistungsansprüche nach dem SGB XII allein vor dem Hintergrund einer faktischen Duldung durch die Ausländerbehörde begründet sein sollten (LSG Mecklenburg-Vorpommern, aaO). Vielmehr besteht für den Betroffenen auch ohne eine von der Ausländerbehörde verfügte Ausreise grundsätzlich die – ohne weiteres erkennbare – Möglichkeit der Selbsthilfe in Form der Rückkehr ins Heimatland (LSG NRW, aaO). Die Leistungsgewährung kann nicht durch das schlichte Dableiben faktisch erzwungen werden (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 34).

119

Die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses von EU-Ausländern mit der Verfassung widerspricht nach Auffassung der Kammer auch nicht der Rechtsprechung der Bundesgerichte.

120

Die Rechtsprechung des BSG dürfte im vorliegenden Falle schon deshalb nicht entgegenstehen, weil die Ausländerbehörde bereits mit der Anhörung zur Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts vom 21.11.2016 Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Ob die Feststellung zwischenzeitlich bereits ausgesprochen worden ist, ist unerheblich, da selbst ohne diese jedenfalls noch nicht von einer Einstellung des Verfahrens ausgegangen werden kann. Damit dürfte es nunmehr an der Verfestigung des Aufenthalts fehlen, die das BSG als Anknüpfungspunkt für die von ihm für erforderlich gehaltene verfassungskonforme Auslegung gewählt hat (s.o.). Auch im Übrigen lässt sich der Rechtsprechung des BSG nicht entnehmen, dass die Neuregelung verfassungswidrig wäre (näher hierzu sogleich).

121

Das BVerwG hat zu der Entscheidung eines Sozialhilfeträgers, einem von Leistungen ausgeschlossenen Ausländer Sozialhilfe unter Hinweis darauf zu verweigern, dass es ihm ohne weiteres zugemutet werden könne, in sein Heimatland zurückzukehren, keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert (vgl BVerwG, Beschluss vom 8.7.1988 – 5 B 136/87 ua, juris Rn 3, zu Polen; vgl zur verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit der Rückkehr eines (Nicht-EU)Ausländers in seinen Heimatstaat trotz Fehlens der Möglichkeit einer wirksamen Existenzsicherung: BVerwG, Urteil vom 29.9.2011 – 10 C 24/10, juris Rn 22).

122

Die Kammer geht darüber hinaus davon aus, dass die von ihr geteilte Auffassung zur Auslegung des Grundrechts der Menschenwürde der Rechtsprechung des BVerfG nicht entgegensteht (aA SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.4.2016 – S 3 AS 149/16, juris, Rn 525, wonach diese Auffassung in einem leicht zu erkennenden Widerspruch zu der vom BVerfG entwickelten Grundrechtsdogmatik stehe; dieser Widerspruch werde jedoch nicht reflektiert und sodann offensiv unter Begründungsaufwand vertreten, sondern mit Hilfe einer selektiven und bisweilen sinnentstellenden Heranziehung von Versatzstücken der Judikatur des BVerfG und unter Behauptung einer Übereinstimmung mit dieser negiert). Dass dem Begriff der Hilfebedürftigkeit sowohl im verfassungsrechtlichen als auch einfachgesetzlichen Sinne immanent ist, dass der Betroffene nicht nur einen tatsächlichen Bedarf hat, sondern er diesen auch nur mit staatlicher Hilfe decken kann, ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Zwar hat das BVerfG die Frage, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II jenseits der unionsrechtlichen Fragen auf grundrechtliche Grenzen stößt, bislang nicht ausdrücklich entschieden (offen gelassen von BVerfG, Beschluss vom 4.10.2016 – 1 BvR 2778/13, juris Rn 12). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Frage, ob die Möglichkeit einer Bedarfsdeckung im Ausland den Ausschluss von Sozialleistungen rechtfertigen kann (BVerfG, aaO, Rn 8). Allerdings ist der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass die gesetzliche Neuregelung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

123

Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Mitbürger zu schaffen; dies umfasst insbesondere die Fürsorge für Hilfebedürftige (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2007 - 1 BvR 2971/06, juris Rn 17). Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und muss durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an den jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen im Hinblick auf die konkreten Bedarfe der Betroffenen auszurichten hat (BVerfG, Beschluss vom 27.7.2016 – 1 BvR 371/11, juris Rn 36). Dem Gesetzgeber steht ein Gestaltungsspielraum zu, bei dessen Ausfüllung auch zwischenstaatliche Verträge zu berücksichtigen sind (vgl BVerfG, Beschluss vom 27.7.2016 – 1 BvR 371/11, juris Rn 36, zu völkerrechtlichen Verpflichtungen). Soweit es nicht um die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein geht, steht es in der Entscheidung des Gesetzgebers, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden kann und soll (vgl BVerfG, Beschluss vom 24.10.1991 - 1 BvR 1159/91, juris Rn 11, zur Anrechnung des Zuschlags zum Kindergeld nach § 11a Bundeskindergeldgesetz auf die Sozialhilfe). Das Gewährleistungsrecht bedingt nicht, dass existenzsichernde Leistungen voraussetzungslos zur Verfügung gestellt werden müssten, und es fordert nicht, die gesetzliche Ausgestaltung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Richtung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen zu entwickeln (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 9.3.2016 – B 14 AS 20/15 R, juris Rn 36; BSG, Urteil vom 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R, juris Rn 51, unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 7.7.2010 – 1 BvR 2556/09, juris Rn 13). Eine solche Entscheidung muss dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben (BSG, Urteil vom 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R, juris Rn 53). Hat der Gesetzgeber von einem solchen Weg abgesehen, darf er sich bei der Ausgestaltung der Leistungen nach dem SGB II vor diesem Hintergrund von der Erwartung leiten lassen, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen (BSG, Urteil vom 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R, juris Rn 54).

124

Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich im Übrigen nur auf die unbedingt erforderlichen Mittel (BVerfG, Beschluss vom 27.7.2016 – 1 BvR 371/11, juris Rn 37). Auch der soziale Rechtstaat ist darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen wirklich Bedürftigkeit vorliegt (BVerfG, Beschluss vom 27.7.2016 – 1 BvR 371/11, juris Rn 38). Auftretende Unterdeckungen müssen entweder ausgeglichen werden können oder es muss ein gesonderter Anspruch auf Ausgleich im Bedarfsfall bestehen (BVerfG, Beschluss vom 27.7.2016 – 1 BvR 371/11, juris Rn 61). Bei der Ermittlung der Bedürftigkeit können jedoch grundsätzlich auch Mittel Dritter einbezogen werden, von denen ein Einstehen in den Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann (BVerfG, Beschluss vom 27.7.2016 – 1 BvR 371/11, juris Rn 38, zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft).

125

Eine Hilfebedürftigkeit ist daher nicht anzunehmen, soweit der Betroffene über eigene Mittel verfügt, die er zumutbar verwerten kann, bevor er staatliche Fürsorgeleistungen in Anspruch nimmt (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2007 - 1 BvR 2971/06, juris Rn 17, zu Vermögen). Gleiches gilt, wenn ihm Zuwendungen Dritter zur Verfügung stehen (BVerfG, Beschluss vom 27.7.2016 – 1 BvR 371/11, juris Rn 38). Dem steht grundsätzlich nicht entgegen, dass der Hilfebedürftige seine Rechte im Ausland realisieren müsste (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2007 - 1 BvR 2971/06, juris Rn 17, zur Verwertung einer in Rumänien gelegenen Eigentumswohnung). Unterlässt er dies, begegnet die Verweigerung existenzsichernder Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl BVerfG, Beschluss vom 15.1.2007 - 1 BvR 2971/06, juris Rn 16 f; zur Möglichkeit des Auszug aus einer Bedarfsgemeinschaft bei tatsächliche nicht gesicherter Existenz aufgrund ernsthafter Weigerung eines leistungspflichtigen Mitglieds: BVerfG, Beschluss vom 27.7.2016 – 1 BvR 371/11, juris Rn 76).

126

Auch diese Eigenverantwortlichkeit ist Teil der Art 1 Abs 1 GG zugrunde liegenden Vorstellung vom Menschen (BSG, Urteil vom 9.3.2016 – B 14 AS 20/15 R, juris Rn 39). Denn dem Schutz der Menschenwürde liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, dass darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten (BVerfG, Urteil vom 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 ua, juris Rn 364). Freiwilliges und eigenverantwortliches Handeln eines Grundrechtsträgers ist trotz der objektiv-rechtlichen Gestaltungsdimension der Menschenwürde bei der Frage des Vorliegens einer Verletzung dieses Grundrechts aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht unbeachtlich (vgl BVerfG, Beschluss vom 9.5.2016 – 1 BvR 2202/13, juris Rn 57). Gegen eine gesetzliche Regelung, die Hilfebedürftigen eigenverantwortliches Handeln abverlangt, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.7.2014 – 1 BvL 10/12 ua, juris Rn 119). Der vom Grundgesetz vorausgesetzten und in Art. 1 Abs. 1 und Art 2 Abs 1 GG verfassungskräftig geschützten Menschenwürde ist sowohl die Würde als auch die Eigenverantwortlichkeit des Menschen immanent (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.1996 - 2 BvR 1851/94 ua, Rn 132). Dem liegt eine Vorstellung vom Menschen zugrunde, die diesen als Person begreift, die in Freiheit über sich selbst bestimmen und ihr Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.1.2017 - 2 BvB 1/13, juris Rn 539). Die Würde des Menschen bleibt deshalb unangetastet, wenn der Einzelne als grundsätzlich frei, wenngleich stets sozialgebunden, und nicht umgekehrt als grundsätzlich unfrei und einer übergeordneten Instanz unterworfen behandelt wird (BVerfG, Urteil vom 17.1.2017 - 2 BvB 1/13, juris Rn 540).

127

Das verfassungsrechtliche Verständnis der Menschenwürde ist insoweit auch vor dem Hintergrund der "relativierten Bedeutung" des staatlichen Territoriums "im supranationalisierten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" iSd Art 67 ff AEUV (vgl dazu BVerfG, Urteil vom 30.6.2009 – 2 BvR 2/08 ua, juris Rn 344 f) im internationalen Regelungskontext in Bezug zu setzen (Thym, NZS 2016, 441, 445). Auch im Verfassungsrecht ist die Konsequenz daraus zu ziehen, dass das nationalstaatliche Modell einer aufenthaltsrechtlichen Einreisekontrolle mit anschließender Gleichberechtigung jedenfalls bei Unionsbürgern nicht mehr greift (so Thym, aaO: Ankunft der Globalisierung im Sozialrecht). Auch das BSG anerkennt letztlich, dass Leistungskürzungen mit der Menschenwürde vereinbar sind, wenn sie auf eigenverantwortlichen Entscheidungen gründen.

128

Gemessen an diesen Grundsätzen ist es verfassungsrechtlich ausreichend, wenn der Lebensunterhalt eines EU-Ausländers durch Ansprüche im Heimatstaat gesichert werden kann. Denn es genügt, dass dem Bedürftigen anderweitige Ansprüche zur Sicherung seiner Existenz zur Verfügung stehen. Dies können auch Ansprüche gegen staatliche Stellen im EU-Ausland sein, da das Grundgesetz hinsichtlich der Gewährleistung der Menschenwürde auch die auf Gemeinschaftsrecht als "eigener Rechtsordnung" bzw "autonomer Rechtsquelle" (vgl dazu EuGH, Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1251, 1269 f; BVerfGE 31, 145, 173) beruhenden Absicherungen bei der Frage, ob Hilfeleistungen durch den deutschen Staat zur Existenzsicherung unbedingt erforderlich sind, nicht unberücksichtigt lässt. Dies ergibt sich bereits aus Art 23 Abs 1 Satz 1 GG, wonach die Bundesrepublik Deutschland zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirkt, die rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Die Argumentation, die Menschenwürdegarantie erfordere die Sicherstellung des Existenzminimums gerade auf dem Geltungsbereich des GG, erscheint vor diesem Hintergrund zumindest nicht überzeugend, wenn nicht sogar zirkulär.

129

Die tatsächliche und rechtliche Verfügbarkeit dieser Sozialleistungssysteme ist für die betroffenen Ausländer durch Rückreise in ihren Heimatstaat gegeben. Dass sie gleichwohl nicht ausreisen, kann, ebenso wie die dadurch entstehende faktische Bedarfsunterdeckung, aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Leistungspflicht des deutschen Staates hinsichtlich laufender Sozialleistungen begründen. Es ist dem Gesetzgeber zwar nicht verwehrt, solche Ansprüche gesetzlich einzuräumen, tut er dies aber nicht, sondern schließt diese – wie durch die gesetzliche Neuregelung in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II und § 23 Abs 3 SGB XII erfolgt – aus, ist dies verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn – wie in § 23 Abs 3 und 3a SGB XII geregelt – Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise bzw Hilfen für die Reisekosten und insbesondere eine Härtefallregelung zur Verfügung stehen, die unabweisbar erforderliche Hilfen ermöglicht (zur verfassungsrechtlichen Bedeutung einer Härteregelung: BVerfG, Beschluss vom 9.2.2001 – 1 BvR 781/98, juris Rn 25, zur verfassungsrechtlich zulässigen Beschränkung der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt gem § 120 Abs 5 Satz 2 BSHG auf das Bundesland, in dem der Ausländer die Aufenthaltsbefugnis erstmals erhalten hat).

130

Die gegenteilige Auffassung ist nach Ansicht der Kammer auch deshalb nicht überzeugend, weil sie nicht vom Schutzbereich des Grundrechts der Menschenwürde gedeckt ist. Die existenzsichernden Leistungen sind Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts, nicht aber Hilfen zur Aufrechterhaltung eines bestimmten (frei gewählten und tatsächlich und zumutbar zu verändernden) Aufenthaltes. Ein von Leistungen ausgeschlossener EU-Ausländer, der nicht in seinen Heimatstaat zurück kehren will, um dort seinen – zumindest europarechtlich abgesicherten – Anspruch auf Sozialhilfeleistungen geltend zu machen, bedarf existenzsichernder Leistungen letztlich nicht, um seinen Lebensunterhalt sicher stellen zu können, sondern um seinen Aufenthalt im deutschen Staat trotz Fehlens eines materiellen Aufenthaltsrechts (mit Anspruch auf Leistungen) zu sichern. Dies ist nicht mehr vom Schutzzweck der Menschenwürde erfasst, sondern an Art 2 Abs 1 GG zu messen (vgl hierzu BVerfG, Beschluss vom 9.2.2001 – 1 BvR 781/98, juris Rn 25, zur verfassungsrechtlich zulässigen Beschränkung der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt gem § 120 Abs 5 Satz 2 BSHG auf das Bundesland, in dem der Ausländer die Aufenthaltsbefugnis erstmals erhalten hat). Die Gefährdung der Menschenwürde setzt vielmehr eine reale Gefahr für die Existenz voraus, nicht nur eine theoretisch-formale Beeinträchtigung, die darauf gestützt wird, der deutsche Staat müsse jeden Bedarf bereits aufgrund des tatsächlichen Aufenthalts decken, selbst wenn der Betroffene eine ihm zumutbare Möglichkeit der eigenverantwortlichen Bedarfsdeckung durch Ausreise nicht nutze.

131

Auch aus den vom BSG angeführten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen kann nicht der Schluss gezogen werden, das BVerfG habe grundlegend entschieden, dass jeder Mensch, der – aus welchen Gründen auch immer – in die Bundesrepublik Deutschland einreist und sich hier aufhält, generell und voraussetzungslos über die bestehenden Existenzsicherungssysteme hinaus Anspruch auf (dauerhafte) staatliche Leistungen zur Gewährung des menschenwürdigen Existenzminimums unmittelbar aus der Verfassung habe (LSG RhPf, Beschluss vom 5.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER, juris Rn 28). Aus der Begründung der Entscheidung vom 17.8.2012 (1 BvL 10/10) ergibt sich, dass die Erwägungen des BVerfG mit Blick auf die konkrete Fragestellung, nämlich ob die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für diesen Personenkreis zu gewährenden Leistungen verfassungsgemäß sind, zu beziehen sind (LSG RhPf, aaO; vgl auch Bernsdorff, NVwZ 2016, 633, 636, der darauf hinweist, in der Diskussion gelegentlich übersehen wird, dass der Entscheidung nur ein Höhenstreit zugrunde lag). Aus dieser Entscheidung des BVerfG abzuleiten, dass auch für EU-Bürger laufende Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums nach Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG zu erbringen wären, überzeugt auch wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der Sachlage zwischen ihnen und Asylbewerbern nicht (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 33). Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass die Neuregelung die "klare Rechtsprechung des BVerfG in seiner Entscheidung zum AsylbLG" übergehe und die Menschenwürde "migrationspolitisch relativiere" (so zu Unrecht Janda, ZRP 2016, 152, 154; dagegen überzeugend: Ulmer, ZRP 2016, 224). Wäre die Entscheidung des BVerfG unbesehen auf EU-Ausländer zu übertragen, wäre auch die Rechtsprechung des BSG verfassungswidrig, da dieses ein uneingeschränktes Recht auf Sozialhilfe regelmäßig erst ab einem Aufenthalt von sechs Monaten gewährt (Ulmer, ZRP 2016, 224), was nicht ernsthaft angenommen werden kann. Zudem passt es nicht zu einem unveräußerlichen Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums, wenn ein "Federstrich der Ausländerbehörde", dh konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts, dieses erlöschen lassen könnte (Ulmer, ZRP 2016, 224). Im Übrigen stellt die Ausweisung oder Abschiebung in das Heimatland einen schweren Eingriff in die Sphäre des Unionsbürgers gegenüber der Verweigerung von existenzsichernden Leistungen dar, die dem Betroffenen die Freiheit lassen, zu entscheiden, ob er sein Existenzminimum durch die Aufnahme einer Arbeit in Deutschland, Erschließung anderer Finanzquellen in Deutschland oder einem anderen Land oder durch Rückkehr in seinen Heimatstaat sicherstellen will (Ulmer, ZRP 2016, 224, 225).

132

Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, die Annahme einer Rückkehroption habe keinen inhaltlich-argumentativen Bezug zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG und ein gänzlicher Leistungsausschluss bedeute eine völlige Missachtung des Grundrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (so Coseriu, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014 § 23 Rn 63 ff), ist dies mindestens missverständlich (so Bernsdorf, NVwZ 2016, 633, 636, Fn 38). Denn Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG wird nach dieser Auffassung für die Bereitstellung des Existenzminimums einfach eine in jeder Hinsicht – und ohne Rücksicht auf den Kontext – durchzusetzende Grenze entnommen, jenseits dieser der Vorbehalt des politisch Gewollten nicht mehr greift (kritisch dazu: Bernsdorf, aaO), was die Kammer aus den vorgenannten Gründen nicht überzeugt.

133

Auch der Einwand, mit dem Leistungsausschluss würden faktisch Defizite des Ausländerrechts auf dem Gebiet des Sozialrechts kompensiert (vgl SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.4.2016 – S 3 AS 149/16, juris Rn 524), greift nach Ansicht der Kammer nicht durch. Die vom Gesetzgeber getroffene Regelung mag – was hier nicht zu beurteilen ist - rechtspolitisch kritikwürdig sein und die gesetzliche Regelung bzw die praktische Anwendung des Ausländerrechts unzureichend. Dies hätte jedoch keine Relevanz für die Frage, ob die Verfassung die Gewährung existenzsichernder Leistungen unabhängig von der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialhilfesystemen im Heimatstaat gebietet, was – wie vorstehend ausgeführt – nicht der Fall ist.

134

Die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung ist auch nicht deshalb zu bezweifeln, weil Sozialhilfeleistungen auch im Herkunftsstaat in der Regel nur bei tatsächlichem Aufenthalt gewährt werden, der Bedarf aber in der Bundesrepublik besteht und auch nicht durch die – erzwungene - Ausreise selbst gedeckt werde (so aber Siefert, ZFSH, 2016, 661, 665 f). Soweit insofern damit argumentiert wird, die Ausreise diene nicht der Bedarfsdeckung, sondern der –vermeidung und ihr Unterbleiben sei kein im SGB XII normierter Sanktionstatbestand (so Siefert, aaO), hält die Kammer diese Erwägungen für nicht durchgreifend. Der Gesetzgeber hat nicht den tatsächlichen Bedarf der von Leistungen ausgeschlossenen Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesrepublik in Abrede gestellt, sondern die betroffenen Personen lediglich auf die zumutbare Inanspruchnahme einer anderweitigen Möglichkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts verwiesen. Die darin liegende faktische Verweisung auf die Ausreise berührt nicht die Frage des tatsächlichen Bedarfs, sondern nur die der Zulässigkeit der Verweisung auf die Selbsthilfe im Rahmen der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Eigenverantwortlichkeit. Aus verfassungsrechtlicher Sicht reicht es aus, wenn der Gesetzgeber gewährleistet oder zumindest davon ausgehen kann, dass der Lebensunterhalt durch ein dem EU-Ausländer mögliches und zumutbares Verhalten sichergestellt werden kann. Kommt der Unionsbürger dem nicht nach, wird er nicht ohne Rechtsgrundlage sanktioniert, sondern die Bedarfsunterdeckung ist lediglich Folge des gesetzlich vorgesehenen Leistungsausschlusses. Insofern ist nicht entscheidend, ob ein Bedarf gedeckt oder verhindert wird, maßgebend ist allein, dass der Lebensunterhalt des Betroffenen sichergestellt werden kann. Soweit die Auffassung vertreten wird, das SGB XII gehe als eigenständiges Leistungssystem gerade nicht von einem generellen Nachrang seiner Leistungen im Sinne eines Systemnachrangs oder im Verhältnis der Selbsthilfemöglichkeiten aus, sondern differenziere unter sozialpolitischen Gesichtspunkten danach, wie dringend – aus Sicht der Gesellschaft – ein Bedarf zu decken sei, ohne dass es darauf ankommen solle, ob und inwieweit der Betreffende in der Lage oder bereit sei, diesen aus eigenen Mitteln zu finanzieren (so Siefert, aaO, S 667), kann das jedenfalls nach der Neuregelung der Leistungsausschlüsse für dafür betroffene EU-Ausländern nicht mehr gelten.

135

(b) Die Neuregelung ist auch mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Die Anwendung dieser Bestimmung verlangt den Vergleich von Lebensverhältnissen, die nicht in allen, sondern stets nur in einzelnen Elementen gleich sein können. Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Elementen er als maßgebend für eine Gleich- und Ungleichbehandlung ansieht. Wegen der fortwährenden, schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens ist dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialrechts eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen. Diese unterliegt nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Verfassungsgerichtlich ist insbesondere nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Die Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit sind erst dann überschritten, wenn ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt, es sich also um Regelungen handelt, die unter keinem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheinen, so dass die Unsachlichkeit evident ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.1991 - 1 BvR 1159/91, juris Rn 8). Im Übrigen vermag das Gleichheitsrecht für die gesetzliche Ausgestaltung des Existenzminimums keine weiteren Maßstäbe zu setzen (BSG, Urteil vom 9.3.2016 – B 14 AS 20/15 R, juris Rn 47; BVerfG, Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09, juris Rn 145).

136

Gemessen daran ist ein Verstoß des Leistungsausschlusses gegen Art 3 Abs 1 GG wegen einer darin (möglicherweise) liegenden benachteiligenden Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit (und/oder des Aufenthaltsstatus) ist nicht gegeben. Dem Gesetzgeber ist nicht jede Differenzierung wegen der Staatsangehörigkeit verwehrt (näher hierzu: Bernsdorf, NVwZ 2016, 633, 638, mwN zur Rechtsprechung des BVerfG). Soweit die Personengruppe nichterwerbstätiger Unionsbürger nicht nur zu Inländern, sondern auch zu anderen Ausländern, etwa Asylbewerbern oder Inhabern einer aufenthaltsrechtlichen Duldung, in Beziehung gesetzt wird, stehen diese mangels einer Heterogenität nicht zu einem verfassungsrechtlich relevanten Vergleich an; selbst bei Annahme einer solchen Vergleichbarkeit ist eine "Schlechterstellung" von EU-Bürgern sachlich gerechtfertigt, da sie im Gegensatz zu Asylbewerbern oder Geduldeten auf einen Aufenthalt und somit Existenzsicherungsleistungen nicht "unentrinnbar angewiesen" sind (offengelassen von Bernsdorf, aaO). Der Leistungsausschluss für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen beruht auf dem europäischen Konzept der Freizügigkeit einerseits und dem sozialrechtlichen Grundsatz der Selbsthilfe andererseits, und damit auf sachgerechten Gründen (LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER, juris Rn 11). Zwischen Asylbewerbern und EU-Bürgern besteht insoweit bereits keine Vergleichbarkeit (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7.7.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, juris Rn 32). Jedenfalls liegt eine ungerechtfertigte Besserstellung von EU-Ausländern gegenüber Personen, die trotz bestehender Ausreisepflicht leistungsberechtigt nach dem AsylbLG sind, nicht vor, da für die unterschiedliche Behandlung der beiden Personengruppen ein hinreichender Differenzierungsgrund gegeben ist, da letztere – anders als EU-Ausländer - nicht ohne weiteres in ihr Heimatland zurückkehren können (LSG RhPf, Beschluss vom 5.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER, juris Rn 19; LSG BW, Beschluss vom 29.6.2015 – L 1 AS 2338/15, juris Rn 34). Zudem muss der Gesetzgeber bei der ihm nur möglichen typisierenden Betrachtung nicht von der gleichmäßigen Gewähr adäquater, menschenwürdiger Umstände in und außerhalb der EU ausgehen (LSG Hamburg, aaO). Zumindest kann der Gesetzgeber nicht pauschal für alle Einzelfälle unterstellen, dass der Asylbewerber – ggf sogar entgegen dessen Vortrag – in einen Staat zurückkehren kann, in dem ein menschenwürdiges Dasein im Sinne des europäischen bzw deutschen Rechts gewährleistet ist (vgl Ulmer, ZRP 2016, 224).

137

(c) Auch ein Verstoß gegen Art 2 Abs 1 GG liegt nicht vor. Das auch Ausländern zustehende Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das die freie Wahl des Aufenthaltsortes und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland einschließt, steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, zu der sämtliche formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehenden Rechtsnormen zählen (BVerfG, Beschluss vom 9.2.2001 – 1 BvR 871/98, juris Rn 21, zur verfassungsrechtlich zulässigen Beschränkung der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt gem § 120 Abs 5 Satz 2 BSHG auf das Bundesland, in dem der Ausländer die Aufenthaltsbefugnis erstmals erhalten hat). Die gesetzliche Neuregelung des Leistungsausschlusses steht nach Ansicht der Kammer auch insoweit im Einklang mit der Verfassung, da sie mit der Beschränkung von existenzsichernden Leistungen zum Schutz des nationalen Sozialleistungssystems ein legitimes Ziel verfolgt, zur Erreichung desselben geeignet ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit den Regelungen des § 23 Abs 3 Satz 3 bis 7 und Abs 3a SGB XII hinreichend Rechnung trägt (zum Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers und der Vermeidung von Härtefällen durch Leistungen bei unabweisbar gebotener Hilfe: BVerfG, aaO, Rn 21, 25).

138

c) Den Antragstellern sind auch nicht im Wege einer Folgenabwägung vorläufig Leistungen zuzusprechen. Auch in gerichtlichen Eilverfahren, die die Gewährung existenzsichernder Leistungen betreffen, begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Fachgerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, wenn sie – wie hier - die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2007 - 1 BvR 2971/06, juris Rn 14). Eine Entscheidung auf der Grundlage der Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens ist insbesondere dann verfassungsrechtlich zulässig, wenn das Gericht diese auf der Grundlage einer weitgehenden Durchdringung der Sach- und Rechtslage unter Auswertung aller vorliegenden tatsächlichen Erkenntnisse trifft, ohne dass es zu erkennen gibt, dass seine Erkenntnis wesentlich unter dem Vorbehalt weiterer im Hauptsacheverfahren einzuholender Auskünfte und Gutachten stünde, weil es den Ausgang des Hauptsacheverfahrens auf der Grundlage der vorliegenden Stellungnahmen nicht schon weitgehend zuverlässig prognostizieren könnte (BVerfG, Beschluss vom 6.2.2013 - 1 BvR 2366/12, juris, Rn 7 und 9). Ob die Entscheidung des Gerichts danach sachlich richtig ist, ist insoweit unerheblich, da Art 19 Abs 4 Satz 1 GG kein Recht auf eine materiell-rechtlich richtige Entscheidung gewährt (BVerfG, aaO, Rn 8).

139

Trotz der existenziellen Bedeutung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts begegnet ihre Verweigerung im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes auch im Übrigen keinen generellen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2007 - 1 BvR 2971/06, juris Rn 16). Im Hinblick darauf liegt nach Auffassung der Kammer auch keine Überspannung der Anforderungen an die Glaubhaftmachung vor (siehe dazu in rechtlicher Hinsicht allgemein BVerfG, Beschluss vom 6.8.2014 - 1 BvR 1453/12, juris). Denn auch in gerichtlichen Verfahren über existenzsichernde Leistungen begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn einstweiliger Rechtsschutz nicht gewährt wird, weil Rechtsuchende – wie im vorliegenden Fall hinsichtlich der Ausreise (s.o.) - ihnen zumutbare Handlungen unterlassen (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2007 - 1 BvR 2971/06, juris Rn 16 ff).

140

2. Hinsichtlich der für die Zeit vom 1.2.2017 bis 30.6.2017 beanspruchten Leistungen hat der Antrag Erfolg. Die Antragsteller erfüllen die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Insbesondere sind sie hilfebedürftig, da sie nach ihrem glaubhaften Vortrag nicht über bedarfsdeckendes Einkommen oder Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügen. Es lässt sich jedoch im Eilverfahren nicht abschließend feststellen, ob sie gem § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sind. Offen ist insoweit, ob die Antragstellerin zu 1) als Arbeitnehmerin ein materielles Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU hat, mit der Folge, dass ihre Kinder sich auf ein Freizügigkeitsrecht nach § 3 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU berufen können.

141

Ob das von der Antragstellerin zu 1) für die Zeit ab 1.2.2017 geltend gemachte Beschäftigungsverhältnis nach Art und Umfang geeignet ist, eine Arbeitnehmereigenschaft mit einem Freizügigkeitsrecht zu begründen, ist derzeit nicht abschließend zu beurteilen. Bei der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft müssen zwar Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 51, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 3.7.1986 in der Rechtsache Lawrie-Blum, - C-66/85 - juris, Rn 17; Urteil vom 4.2.2010 in der Rechtssache Genc - C-14/09 - Slg 2010, I-931, Rn 19). Die Arbeitnehmertätigkeit muss ein gewisses Ausmaß an wirtschaftlicher Bedeutung erreichen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 51, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - juris, Rn 28: "erwerbsorientiert"). Von Bedeutung ist hierbei auch die Regelmäßigkeit der Ausübung der Tätigkeit; eine nur gelegentliche Erbringung von Leistungen kann ein Anhaltspunkt für eine fehlende wirtschaftliche Relevanz der Tätigkeit sein (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 53). Eine nicht nur untergeordnete und unwesentliche Marktteilnahme als Arbeitnehmer setzt eine hinreichende Vergütung voraus (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 53, unter Verweis auf einen Durchschnittslohn von etwa 175 EUR bei Arbeitnehmern: EuGH, Urteil vom 4.2.2010 in der Rechtssache Genc - C-14/09 - Slg 2010, I-931).

142

Nach dem vorgelegten Einstellungsbogen vom 1.2.2017 soll die Antragstellerin zu 1) als Gebäudereinigerin ab dem 1.2.2017 mit einem vereinbarten Stundenlohn von 11,30 EUR (brutto) im Rahmen eines sog Mini-Jobs mit einer Arbeitszeit von bis zu 20 Stunden monatlich beschäftigt werden. Dies könnte, je nach tatsächlicher Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses, ausreichend sein, eine Arbeitnehmereigenschaft zu begründen, kann aber derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden.

143

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass das Arbeitsverhältnis unwirksam ist oder lediglich ein Scheinarbeitsverhältnis darstellt. Der Herr G. hat ausweislich der vorgelegten Bescheinigung vom 15.3.2016 an diesem Tage ein Gewerbe im Bereich "Trockenbau" angemeldet. Dies lässt es als zweifelhaft erscheinen, ob er die Antragstellerin zu 1) in diesem Rahmen tatsächlich als Gebäudereinigerin beschäftigen kann und will. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass er erst mit Schreiben vom 13.2.2017 von der BfA eine Betriebsnummer zugewiesen bekommen hat, was es nahe legen könnte, dass die Beschäftigung der Antragstellerin zu 1) als Arbeitnehmerin erst wegen des laufenden gerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel der Begründung eines Leistungsanspruchs nach dem SGB II vorgenommen sein könnte. Im Erörterungstermin vom 25.1.2016 hatte die Antragstellerin zu 1) nach eigenen Angaben jedenfalls noch keine konkrete Stelle in Aussicht. Hinzu kommt, dass er mit der Antragstellerin zu 1) familiär verbunden ist. Nach eigenen Angaben auf der Rechtsantragstelle des Gerichts ist Herr G. wohl der Bruder der Antragstellerin. Allerdings sind diese Zweifel nach Ansicht der Kammer nicht ausreichend, um vom Vorliegen eines Leistungsausschlussgrundes auszugehen. Auch unter Verwandten können Beschäftigungsverhältnisse mit dem Willen zur ernsthaften Durchführung begründet werden, selbst wenn damit auch leistungserhebliche Zwecke verfolgt werden. Entscheidend ist letztlich die tatsächliche Durchführung und konkrete Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, die zumindest nicht von vorn herein in Abrede gestellt werden kann. Nach der vorgelegten Meldebescheinigung zur Sozialversicherung für den Arbeitnehmer nach § 25 DEÜV hat Herr G. die Antragstellerin ab dem 1.2.2017 als geringfügig beschäftigt gemeldet, weitere Unterlagen liegen nach Angaben der Antragstellerin zu 1) noch nicht vor. Den eingereichten Beschäftigungsnachweisen zufolge ist die Antragstellerin im Zeitraum vom 1.2. bis 17.2.2017 auf drei Baustellen für ca 13,5 Stunden tätig geworden.

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Von dem Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin zu 1) nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU abgeleitet werden gemäß § 3 Abs 1 FreizügG/EU die Freizügigkeitsberechtigungen der Antragsteller zu 2) bis 6) als Familienangehörige der Antragstellerin zu 1), die diese begleiten. Dem Fall des Nachzugs oder der Begleitung ist die Geburt des Antragstellers zu 6) in der Bundesrepublik Deutschland gleichzustellen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5.4.2016 - L 2 AS 102/16 B ER, juris Rn 58). Die Antragsteller zu 2) bis 6) sind als noch nicht 21 Jahre alte Kinder der Antragstellerin zu 1) von § 3 Abs 2 Nr 1 Alt 3 FreizügG/EU erfasst.

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Die Folgenabwägung geht hinsichtlich der zur Deckung der Regelbedarfe sowie der Kosten der Unterkunft und Heizung erforderlichen Grundsicherungsleistungen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zugunsten der Antragsteller aus. Denn die Antragsteller würden bei einer Ablehnung des Antrages keine existenzsichernden Leistungen in Deutschland erhalten, so dass sie faktisch das Land wieder verlassen müssten und das Ergebnis der Hauptsache für die Zukunft bereits vorweggenommen würde. In Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Situation muss das Risiko des Antragsgegners im Falle seines Obsiegens im Hauptsacheverfahren, die vorläufig zu gewährenden Leistungen nur unter Schwierigkeiten zurückerhalten zu können, hinter dem Interesse der Antragsteller auf Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts zurücktreten. Der Antragsgegner war somit im Wege der Folgenabwägung zu verpflichten, den Antragstellern dem Grunde nach vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.2.2017 bis 30.6.2016 zu gewähren.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.


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