Urteil vom Sozialgericht Speyer (13. Kammer) - S 13 KR 286/16


Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 773,54 Euro zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 773,54 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zahlung der weiteren Vergütung für eine Krankenhausbehandlung.

2

Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte 1933 geborene Patient H… F… wurde in der Zeit vom 14.09.2009 bis zum 19.09.2009 in der U.klinik L., dessen Trägerin die Klägerin inzwischen ist, stationär behandelt. Die Klägerin stellte der Beklagten für diese Behandlung auf Grundlage der DRG I32F (Eingriffe an Handgelenk und Hand ohne mehrzeitigen Eingriff, ohne Komplexbehandlung der Hand, ohne komplexen Eingriff, außer bei angeborener Anomalie der Hand, ohne komplexe Diagnose, mit mäßig komplexem Eingriff, Alter > 5 Jahre) unter dem 02.10.2009 einen Gesamtbetrag in Höhe von 2.581,30 Euro in Rechnung.

3

Die Beklagte zahlte am 28.10.2009 zunächst den gesamten Rechnungsbetrag.

4

Mit einem Schreiben vom 18.09.2013 übersandte die Beklagte der Klägerin eine Liste mit zwischen den Beteiligten abgerechneten Behandlungsfällen (u.a. den Behandlungsfall F…), die ihrer Auffassung nach routinemäßig ambulant durchgeführt würden. In den aufgeführten Fällen seien die erforderlichen Angaben zum Grund der Aufnahme bisher nicht an die Beklagte übermittelt worden. Das Bundessozialgericht (BSG) habe entschieden, dass bei fehlender Begründung die Entgeltforderung des Krankenhauses nicht fällig werde. Die Beklagte forderte Klägerin auf, bis zum 08.10.2013 in allen genannten Fällen eine entsprechende Begründung an die Beklagte zu übersenden oder eine Gutschrift per Datenträgeraustausch zu übermitteln. Versäume die Klägerin, für die stationäre Behandlungsbedürftigkeit zu benennen, so fehle es an der notwendigen Grundlage für die Abrechnungsprüfung und damit an einer Voraussetzung für den Lauf der Ausschlussfrist gemäß § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V.

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Nachdem die Klägerin diesem Ansinnen widersprochen hatte, verrechnete die Beklagte am 18.12.2013 eine behauptete Erstattungsforderung aus dem Behandlungsfall Fischer in Höhe von 773,54 Euro mit einer unstreitigen Vergütungsforderung der Klägerin gegen die Beklagte über insgesamt 4.349,80 Euro aus einer Behandlung des Versicherten C… vom 20.11.2013 bis zum 24.11.2013 in der Klinik der Klägerin. Dieser Behandlungsfall war am 09.12.2013 abgerechnet worden.

6

Die Klägerin hat am 28.12.2015 Klage erhoben und zunächst von der Beklagten Vergütungsansprüche aus Krankenhausbehandlungen aus den Jahren 2013 und 2014 in Höhe eines Gesamtbetrags von 16.847,09 Euro gefordert, gegen die die Beklagte vermeintliche Erstattungsansprüche aus vergüteten Behandlungen aus den Jahren 2009 bis 2012 aufgerechnet hatte.

7

Das Gericht hat das Verfahren entsprechend der Vergütungsanteile für von den jeweiligen Erstattungsforderungen betroffenen Behandlungsfälle durch Beschluss vom 24.06.2016 getrennt. Unter dem vorliegenden Aktenzeichen ist ein Vergütungsanspruch in Höhe von 773,54 Euro aus dem Behandlungsfall C… streitgegenständlich, gegen den die Beklagte mit einem umstrittenen Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall F…r aufgerechnet hat.

8

Zur Begründung der Klage führt die Klägerin u.a. aus, dass seitens der Beklagten über Jahre die hier streitgegenständliche Behandlung nicht problematisiert worden seien und dann letztlich – plötzlich und ohne Vorwarnung – durch Aufrechnungen Regresse durchgeführt worden seien. Es sei unstreitig, dass die Darlegung der Anspruchsvoraussetzung der Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung Sache der Klägerin sei. Allein Gegenstand dieses Rechtsstreits sei die Frage, wie lang entsprechende Prüfungen noch zulässig seien. Der Beklagten habe ein Recht auf Prüfung nicht mehr zugestanden, weil die Ausschlussfrist des § 275 SGB V begonnen hätte und innerhalb der entsprechenden Nachprüfungsfrist seitens der Beklagten eine Nachprüfung nicht veranlasst worden sei. Der Beklagten gehe es offenkundig darum, die Tatsache auszunutzen, dass die Krankenhäuser nach Ablauf eines derart langen Zeitraums den entsprechenden Nachweis für die Notwendigkeit der stationären Behandlung nach § 115b SGB V in der Regel nicht mehr führen könnten.

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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 773,54 Euro zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

13

Zur Begründung führt sie aus, dass das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 21.03.2013 (B 3 KR 28/12 R) entschieden habe, dass ambulant durchführbare Behandlungen den Krankenkassen gegenüber begründungspflichtig seien. Das BSG habe deutlich gemacht, dass eine Krankenkasse auch rückwirkend bis zur Grenze der Verjährung Sachverhalte erneut aufgreifen und prüfen dürfe, wenn diese rechnerisch und sachlich fehlerhaft seien. Das BSG habe es als sachlich fehlerhaft angesehen, dass in Fällen, in denen eine Behandlung ambulant möglich sei, trotz Aufforderung des Kostenträgers keine medizinische Begründung für die stationäre Aufnahme seitens des Leistungserbringers erfolge. Das BSG habe insofern eine Informationsobliegenheit auf Seiten des Leistungserbringers erkannt, welche dazu führe, dass der Vergütungsanspruch weder dargelegt noch bewiesen werden könne, wenn die Krankenkasse erfolglos um Mitwirkung bitte. Als Folge der fehlenden Darlegung des Vergütungsanspruches entstehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, der vom Leistungserbringer durchgesetzt werden dürfe. Dieser Anspruch bestehe unabhängig davon, ob der zu Grunde liegende Behandlungsfalls seinerzeit geprüft worden sei oder nicht. Das BSG habe der Kostenträgerseite ganz bewusst ein Abrechnungsinstrument an die Hand gegeben, um Behandlungsfälle auch noch nachträglich kontrollieren zu können. Hinsichtlich der Frage der Verjährung verweist die Beklagte auf die BSG-Entscheidungen vom 23.06.2015 (B 1 KR 26/14 R) und vom 21.04.2015 (B 1 KR 11/15 R). In beiden Entscheidungen habe das Bundessozialgericht (BSG) anschaulich und überzeugend ausgeführt, dass bei Streitigkeiten über die Krankenhausvergütung die vierjährige Verjährungsfrist nach dem SGB gelte, nicht dagegen die dreijährige Verjährungsfrist nach BGB. Zum Zeitpunkt der Aufrechnung sei keine Verjährung eingetreten.

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Zur weiteren Darstellung des Tatbestands, insbesondere zum weiteren Vorbringen der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagte verwiesen. Er war Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

I.

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Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben.

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Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft, da ein Streit im Gleichordnungsverhältnis vorliegt und auch im Übrigen zulässig. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.

II.

17

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der verrechneten unstreitigen Vergütungsanteils 773,54 Euro für die stationäre Behandlung des Herrn C… vom 20.11.2013 bis zum 24.11.2013 im Krankenhaus der Klägerin.

18

1. Die Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsanspruch in Höhe von 773,54 Euro ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und dem durch Schiedsspruch am 01.01.2000 in Kraft getretenen Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V zwischen der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz e.V. und den Landesverbänden der Krankenkassen über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung (KBV-RP). Die Forderung resultiert aus dem stationären Aufenthalt des bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten Herrn M… C… im Jahr 2013. Der diesbezüglich mit der Rechnung vom 09.12.2013 geltend gemachte Vergütungsanspruch ist zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach unstreitig. Soweit sich die beklagte Krankenkasse – wie vorliegend – gegenüber einer Klage auf Zahlung auf Vergütung ausschließlich im Rahmen der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, bedarf es bezüglich des (unstreitigen) Bestehens der Hauptforderung keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen (BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 21/03 R –, Rn. 13; BSG, Urteil vom 03.08.2006 – B 3 KR 7/06 R –, Rn. 10; alle Entscheidungen zitiert nach juris).

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2. Der durch die Klägerin geltend gemachte Restanspruch in Höhe von 773,54 Euro ist nicht durch Aufrechnung der Beklagten erloschen.

20

Gemäß § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bewirkt eine Aufrechnung, dass Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind. Nach § 387 BGB kann eine Forderung gegen eine andere Forderung aufgerechnet werden, wenn zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind. Die §§ 387 ff. BGB sind nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V mangels entgegenstehender Spezialregelungen im Verhältnis zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 02.07.2013 – B 1 KR 49/12 R –, Rn. 11). Hierzu bedarf es weder eines Rückgriffes auf "ungeschriebene" Rechtsinstitute noch einer analogen Anwendung des BGB. Auch in § 9 Abs. 6 Satz 4 KBV-RP ist ausdrücklich geregelt, dass Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art auch nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht und Differenzbeträge verrechnet werden können (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 23).

21

3. Als Rechtsgrundlage für die seitens der Beklagten geltend gemachte Gegenforderung kommt ein Herausgabeanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB in Betracht. Diese Anspruchsgrundlage ist über die Verweisung des § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V bei Rechtsverhältnissen zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V anwendbar. Diesbezüglich bedarf es keines Rückgriffes auf ein Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 – S 3 KR 645/13 –, Rn. 38 f.; SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 23; SG Mainz, Urteil vom 01.03.2016 – S 14 KR 536/12 –, Rn. 26).

22

4. Ob ein Erstattungsanspruch der Beklagten gegen die Klägerin bestanden hat, kann vorliegend jedoch offenbleiben. Der Anspruch wäre gegebenenfalls verjährt.

23

Für Vergütungsforderungen von Krankenhäusern gegen Krankenkassen gelten auf Grund der Verweisung in § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V die Verjährungsregeln des BGB. Gleiches gilt für Erstattungsansprüche von Krankenkassen gegen Krankenhausträger (SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 – S 3 KR 645/13 –, Rn. 41 ff. mit Anmerkung von Schütz, jurisPR-SozR 21/2014 Anm. 2; SG Mainz, Urteil vom 24.06.2014 – S 3 KR 518/11 –, Rn. 31 ff. mit Anmerkung von Rehm, jurisPR-SozR 1/2015 Anm. 4; SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 26 ff.; SG Speyer, Urteil vom 23.01.2017 – S 19 KR 521/16 –, Rn. 24 ff.).

24

Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB V werden die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden abschließend im Vierten Kapitel des SGB V, in den §§ 63, 64 SGB V und im Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), im KHEntG sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V gelten für diese Rechtsbeziehungen im Übrigen die Vorschriften des BGB entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem Vierten Kapitel des SGB V vereinbar sind.

25

Regelungen über die Verjährung von Ansprüchen sind weder in den §§ 63, 64 SGB V, noch im Vierten Kapitel des SGB V (§§ 69 bis 140h SGB V) enthalten. Weder das KHG und das KHEntG noch hierzu erlassene Rechtsverordnungen enthalten Regelungen über die Verjährung. Darüber hinaus enthält das gesamte Sozialgesetzbuch (SGB) keine Regelung über die Verjährung von Ansprüchen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen bzw. generell zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern. Insbesondere § 45 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) enthält keine allgemein für das Sozialrecht normierte Verjährungsfrist von vier Jahren. Die Vergütung eines Krankenhausträgers durch eine Krankenkasse ist keine Sozialleistung im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB I.

26

Da § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V eine ausdrückliche Verweisung auf das BGB enthält, greifen mangels speziellerer Regelung die Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB (so bereits SG Berlin, Urteil vom 27.08.2002 – S 81 KR 3690/01; SG Marburg, Urteil vom 27.05.2004 – S 6 KR 902/02; SG Marburg, Urteil vom 27.07.2004 – S 6 KR 3/03 jeweils zum wortgleichen § 69 Satz 3 SGB V i.d.F. vom 22.12.1999). Demzufolge ist gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 195 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren einschlägig.

27

Die Verjährungsvorschriften des BGB sind sowohl mit § 70 SGB V (Gewährleistung einer bedarfsgerechten, dem allgemein anerkannten Standard der medizinischen Erkenntnisse entsprechender Versorgung und Hinwirkung auf humane Krankenbehandlung) als auch mit den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem Vierten Kapitel des SGB V vereinbar (SG Speyer, Urteil vom 23.01.2017 – S 19 KR 521/16 –, Rn. 29).

28

5. Die Kammer weicht diesbezüglich von der Rechtsprechung des BSG ab, das im Falle von Vergütungsansprüchen von Krankenhäusern gegen Krankenkassen und umgekehrt bei Erstattungsforderungen von Krankenkassen gegen Krankenhäusern von einer vierjährigen Verjährungsfrist ausgeht (BSG, Urteil vom 12.05.2005 – B 3 KR 32/04 R; BSG, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 12/06 R; BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 60/12 R; BSG, Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 11/15 R –, Rn. 13; BSG, Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R –, Rn. 44).

29

Der nach dem Geschäftsverteilungsplan für das Krankenhausvergütungsrecht seit dem 01.01.2015 nicht mehr zuständige 3. Senat des BSG begründete seine Auffassung damit, dass die Regelung des § 69 (Abs. 1) Satz 3 SGB V einengend so zu interpretieren sei, dass entsprechend der Regelung des § 61 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über den öffentlich-rechtlichen Vertrag die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches nur dann in Analogie ergänzend heranzuziehen seien, wenn sich aus den übrigen Vorschriften des (gesamten) SGB nichts anderes ergebe (§ 61 Satz 1 SGB X). Die Frage der Verjährung sei schon aus dem 4. Kapitel des SGB V selbst und den hierfür geltenden allgemeinen Rechtsprinzipien zu beantworten. Es bleibe daher auch für die Zeit ab dem 01.01.2000 bei der vierjährigen Verjährungsfrist für die Vergütungsansprüche der Krankenhausbetreiber gegen die Krankenkassen für die Krankenhausbehandlung von Kassenpatienten. Die Heranziehung der kürzeren Verjährungsfristen der BGB-Vorschriften könne deshalb mit den "Rechten und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel" kollidieren (BSG, Urteil vom 12.05.2005 – B 3 KR 32/04 R –, Rn. 17).

30

Dieser Auffassung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen (ebenso bereits SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 – S 3 KR 645/13 –, Rn. 48 ff.; SG Mainz, Urteil vom 24.06.2014 – S 3 KR 518/11 –, Rn. 38 ff.; SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 33 ff.; SG Speyer, Urteil vom 23.01.2017 – S 19 KR 521/16 –, Rn. 30 ff.). Ohne dies auszuformulieren, zieht das BSG der Sache nach weiterhin in entsprechender Anwendung die nicht einschlägige vierjährige Verjährungsfrist des § 45 Abs. 1 SGB I und anderer Vorschriften heran, obwohl spätestens mit Einführung des § 69 Satz 3 SGB V a.F. (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V n.F.), wenn nicht bereits mit Einführung des § 61 Satz 2 SGB X, die Voraussetzung hierfür – das Bestehen einer Regelungslücke – weggefallen ist. Damit verstößt das BSG gegen das Gebot der Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz - GG -).

31

Allerdings ist schon zweifelhaft, ob seit Beginn der Kodifikation des SGB eine Regelungslücke hinsichtlich der Verjährung von Ansprüchen zwischen Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen jemals bestand, die der Ausfüllung mittels eines Analogieschlusses bedurft bzw. diese gerechtfertigt hätte (5.1). Selbst wenn eine solche Regelungslücke bestanden haben sollte, wäre sie mit Einführung des § 61 SGB X (5.2), spätestens mit Einführung des § 69 Satz 3 SGB V i.d.F. des Gesetzes vom 22.12.1999 (BGBl I S. 2626), inzwischen § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V, geschlossen worden (5.3). Hieran kann auch die rhetorische Aufwertung der analogen Anwendung des § 45 SGB I und anderer Verjährungsvorschriften des SGB zu einem "ungeschriebenen allgemeinen Rechtsprinzip" nichts ändern (5.4). Über die Begrenzungsfunktion des Gesetzeswortlauts können Erwägungen zu Sinn und Zweck sowie (vermeintlicher) gesetzgeberischer Motivation nicht hinweghelfen (5.5). Sowohl ein Analogieschluss als auch eine Herleitung einer Rechtsfolge aus "ungeschriebenen allgemeinen Rechtsprinzipien" verstoßen gegen das Gebot der Gesetzesbindung, wenn hierdurch eine anhand des positiven Normtextes legitimierbare Rechtsfolge verdrängt wird (5.6). Der Umstand, dass der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG nicht zum Anlass genommen hat, die gesetzlichen Regelungen zu ändern, ist für die Auslegung des Gesetzes bedeutungslos (5.8). Eine Verjährungsfrist von vier Jahren ist auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes in die ständige Rechtsprechung des BSG einzuräumen (5.9).

32

5.1 In der Rechtsprechung des BSG wurde das "allgemeine Rechtsprinzip der vierjährigen Verjährungsfrist" ursprünglich im Wege der Analogie aus § 45 Abs. 1 SGB I, später ergänzt durch Verweise auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) und § 113 Abs. 1 SGB X entwickelt (vgl. zum Ganzen bereits SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 – S 3 KR 645/13 –, Rn. 50 ff.; SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 35 ff.).

33

Erstmals hat das BSG kurz nach Inkrafttreten des SGB I den damaligen § 45 Abs. 4 SGB I, der vor Inkrafttreten des SGB X die Verjährung von Ansprüchen zwischen Leistungsträgern bei vorläufiger Leistung nach § 43 SGB I regelte, auf sonstige Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern analog angewandt (BSG, Urteil vom 28.04.1976 – 2 RU 119/75 –, Rn.27; durch § 113 Abs. 1 SGB X überholt). Das BSG knüpfte seinerseits an ältere Rechtsprechung an, die die Frage der Verjährungsfrist bei verschiedenen nicht in der Reichsversicherungsordnung (RVO) und anderen Sozialgesetzen positiv geregelten Anspruchskategorien betraf (BSG, Urteil vom 22.03.1974 – 3 RK 47/72; BSG, Urteil vom 09.09.1971 – 3 RK 5/70; BSG, Urteil vom 18.12.1969 – 2 RU 155/67) und setzte sich von einer anderen Rechtsprechungslinie ab, die bei öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüchen von der (entsprechenden) Anwendbarkeit der (damals) regelmäßigen 30jährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB a.F. ausging (BSG, Urteil vom 28.07.1972 – 8 RV 127/72 m.w.N.). Bereits im Urteil vom 25.02.1966 (3 RK 9/63) hatte das BSG den Grundsatz aufgestellt, dass ein Versicherungsträger in der Frage der Verjährung nicht schlechter gestellt werden dürfe, wenn er von einem anderen Versicherungsträger anstelle des Versicherten in Anspruch genommen werde, und die zweijährige Verjährungsfrist für Leistungen der Krankenversicherung nach § 223 Abs. 1 RVO a.F. "entsprechend" auf den Ersatzanspruch zwischen Krankenkassen bei Unzuständigkeit der vorleistenden Kasse angewandt.

34

Dem Urteil vom 28.04.1976 (2 RU 119/75) und den dort in Bezug genommenen Entscheidungen ist gemein, dass sie keine näheren Ausführungen zu der Frage enthalten, ob eine ggf. durch einen Analogieschluss ausfüllungsbedürftige Regelungslücke bestand. Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gesetzesbindungsgebots aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG ist eine analoge Anwendung von Rechtsnormen auf nach dem Wortlaut nicht erfasste Sachverhalte ist jedoch nur dann zulässig, wenn eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke besteht (SG Mainz, Gerichtsbescheid vom 21.09.2015 – S 3 KR 558/14 –, Rn. 29 ff.; SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 374 ff). Mit einer Analogiebildung wird dem Dilemma Rechnung getragen, dass die Gerichte einerseits an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), andererseits zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG) sind. Sie müssen auch in den Fällen, in denen eine einschlägige gesetzliche Regelung fehlt, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). In Folge des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gesetzesbindung darf allerdings von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke nur dann ausgegangen werden, wenn der zu entscheidende Fall andernfalls nicht methodisch korrekt zu lösen wäre. Wenn ein Fall auf Grundlage und in Übereinstimmung mit den einschlägigen Normtexten zu lösen ist, verstößt die Annahme einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke und in Folge dessen die analoge Heranziehung einer anderen Rechtsfolge gegen das Gesetzesbindungsgebot (SG Mainz, Gerichtsbescheid vom 21.09.2015 – S 3 KR 558/14 –, Rn. 29; SG Speyer, Urteil vom 27.10.2017 – S 16 KR 440/16 –, Rn. 73).

35

Deshalb ist eine Analogiebildung nicht bereits dann zulässig, wenn die (vermeintliche) Regelungsabsicht des Gesetzgebers wegen der Gleichheit der zugrundeliegenden Interessenlage auch den nichtgeregelten Fall hätte einbeziehen müssen (so aber BSG, Urteil vom 24.10.1984 – 6 RKa 36/83 ,– Rn. 6; BSG, Urteil vom 06.10.2011 – B 14 AS 171/10 R –, Rn. 22), wenn der (vermeintliche) Zweck der Vorschrift auch nicht geregelte Fälle erfasst (so aber BSG, Urteil vom 12.12.1996 – 11 RAr 31/96 –, Rn. 16; BSG, Urteil vom 13.02.2014 – B 4 AS 19/13 R –, Rn. 14), aus Gründen der vom Gesetzgeber gewollten Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsökonomie (so aber BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R –, Rn. 29 „über den Wortlaut hinaus“) oder wenn der Gesetzgeber bestimmte Möglichkeiten von Geschehensabläufen (mutmaßlich) nicht erkannt hat (so aber BSG, Urteil vom 16.04.2002 – B 9 VG 1/01 R –, Rn. 24). Das Bestehen einer Regelungslücke darf auch nicht allein aus einer postulierten Gleichartigkeit der Sachverhalte und Vergleichbarkeit der Interessenlage gefolgert werden (so aber BSG, Urteil vom 26.06.2013 – B 7 AY 6/12 R –, Rn. 18).

36

Um eine "Lücke" annehmen zu können, bedarf es vielmehr der Formulierung eines Regelungsziels (hier: die Verjährung eines Anspruchs) und vor allem der Begründung, weshalb dieses Regelungsziel im betreffenden Zusammenhang realisiert werden muss. Zunächst müsste also begründet werden, warum eine Kategorie von Ansprüchen überhaupt der Verjährung unterliegen muss, obwohl dies nicht in einem Gesetzestext positiviert worden ist. Ohne eine solche Begründung ist davon auszugehen, dass das Gesetz eine abschließende Regelung darstellt und das fragliche Ziel gerade nicht enthält (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Aufl. 2009, Rn. 371), konkret: dass der betreffende Anspruch eben nicht der Verjährung unterliegt. Jedenfalls bestand in sämtlichen vom BSG entschiedenen Konstellationen keine Regelungslücke in dem Sinne, dass der jeweilige Fall ohne Analogiebildung nicht entscheidbar gewesen wäre.

37

Darüber hinaus kann die Frage gestellt werden, ob die verjährungsrechtlichen Regelungen des BGB nicht ohnehin unmittelbar zur Anwendung kommen müssen, soweit bzw. solange es keine öffentlich-rechtlichen bzw. sozialrechtlichen Spezialregelungen gibt. Weder das BGB selbst noch dessen Einführungsgesetz (EGBGB) enthält eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf juristische und natürliche Personen des Privatrechts oder auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen.

38

Aus diesen Gründen kann bezweifelt werden, dass die im Urteil vom 28.04.1976 (2 RU 119/75) wohl erstmals praktizierte analoge Anwendung des § 45 SGB I überhaupt methodisch und – vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 97 Abs. 1 GG) – verfassungsrechtlich zu rechtfertigen war.

39

Eine analoge Anwendung des § 45 SGB I (bzw. die Heranziehung von dessen Rechtsfolgen als „allgemeines Rechtsprinzip“) haben in der Folgezeit verschiedene Senate des BSG beispielweise in Bezug auf die Honoraransprüche der Kassen-/Vertrags(zahn)ärzte (BSG, Urteil vom 10.05.1995 – 6 RKa 17/94), den Zahlungsanspruch eines Krankenhauses gegen einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urteil vom 28.06.1988 – 2 RU 40/87), den Arzneimittelregress einer Kassenärztlichen Vereinigung gegen eine Universität (BSG, Urteil vom 27.01.1987 – 6 RKa 27/86), den Erstattungsanspruch zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Bereich des Kassenarztrechts (BSG, Urteil vom 01.08.1991 – 6 RKa 9/89), den Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf Beitragszuschuss nach den §§ 257 SGB V, 61 SGB XI (BSG, Urteil vom 15.06.2000 – B 12 RJ 5/99 R), den Erstattungsanspruch der Krankenkasse gegen den Sozialhilfeträger nach § 264 Abs. 7 SGB V (BSG, Urteil vom 12.11.2013 – B 1 KR 56/12 R) und jüngst in Bezug auf den Anspruch der Länder auf Beteiligung des Bundes an Aufwendungen für Unterkunft und Heizung aus § 46 Abs. 5 SGB II (BSG, Urteil vom 31.05.2016 – B 1 AS 1/16 KL –, Rn. 15) bejaht.

40

Das Begründungsdefizit hinsichtlich der Regelungslücke wurde in diesen Entscheidungen nicht behoben. Für die "entsprechende" Anwendung des § 45 SGB I auf hiervon nicht erfasste Ansprüche wird beispielsweise eine "Ähnlichkeit der Sachverhalte in rechtlich-wertender Hinsicht" für ausreichend gehalten und hierfür die ausdrückliche Verweisung auf das BGB in § 61 Satz 2 SGB X unter den Vorbehalt gestellt, dass sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, den Erfordernissen des öffentlichen Rechts oder den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets nichts anderes ergibt (BSG, Urteil vom 27.01.1987 – 6 RKa 27/86 –, Rn. 15). Ein typisches Begründungsmuster ist auch die These, dass die Regelung „aus praktischen und haushaltsrechtlichen Gründen geboten“ sei, um früher zu beobachtende jahrzehntelange Auseinandersetzungen einer beschleunigten gerichtlichen Klärung zuzuführen (BSG, Urteil vom 31.05.2016 – B 1 AS 1/16 KL –, Rn. 15 m.w.N.).

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5.2 Von diesen grundsätzlichen Einwänden abgesehen kann seit Einführung des SGB X zum 01.01.1981 (BGBl. I 1980, 1469) für Verjährungsfragen in den Fällen, in denen auf dem Sozialgesetzbuch beruhende Rechtsbeziehungen durch öffentlich-rechtliche Verträge ausgestaltet werden, von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke nicht mehr die Rede sein (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 44 ff.).

42

Für öffentlich-rechtliche Verträge ist in § 61 Satz 1 SGB X geregelt, dass die übrigen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs gelten, soweit sich aus den §§ 53 bis 60 SGB X nichts anderes ergibt. Nach § 61 Satz 2 SGB X gelten ergänzend die Vorschriften des BGB entsprechend. Vergütungsansprüche von Krankenhausträgern gegen Krankenkassen resultieren aus öffentlich-rechtlichen Verträgen (§ 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; §§ 108, 109 SGB V) oder werden durch öffentlich-rechtliche Verträge maßgeblich gestaltet. § 61 SGB X war (vor Inkrafttreten des § 69 Satz 3 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.1999) somit auf (u.a.) Vergütungsansprüche zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen anzuwenden.

43

Der 3. Senat des BSG hatte bezüglich des Vergütungsanspruchs eines Krankenhauses gegen eine gesetzliche Krankenkasse wegen stationärer Behandlung eines Versicherten auch vor Einführung des § 69 Satz 3 SGB V und entgegen der Verweisung des § 61 Satz 2 SGB X gleichwohl die vierjährige Verjährungsfrist des § 45 SGB I herangezogen (BSG, Urteil vom 17.06.1999 – B 3 KR 6/99 R). Zur Begründung hatte er sich seinerzeit auf das allgemeine "Rechtsprinzip der vierjährigen Verjährung im Sozialrecht" bezogen (BSG, Urteil vom 17.06.1999 – B 3 KR 6/99 R –, Rn. 12) und die Termini "entsprechende" oder "analoge Anwendung" vermieden. Das BSG konstatiert im Urteil vom 17.06.1999 zwar, dass die "Frage der Verjährung einer Krankenhausforderung für die stationäre Behandlung eines Versicherten (...) indessen weder im Zweiten Buch, Vierter Abschnitt, der RVO ("VI: Verhältnis zu Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern, Apotheken, Hebammen und Einrichtungen für Haushaltshilfe") noch (...) im Vierten Kapitel, Dritter Abschnitt, des SGB V ("Beziehungen zu Krankenhäusern und anderen Einrichtungen") oder anderswo geregelt" sei (BSG, Urteil vom 17.06.1999 – B 3 KR 6/99 R –, Rn. 11). Dies führe "aber nicht dazu, wegen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages iS der §§ 53 ff SGB X gemäß § 61 Satz 2 SGB X die Verjährungsvorschriften des BGB ergänzend heranzuziehen". Vielmehr kämen nach § 61 Satz 1 SGB X vorrangig die Vorschriften des SGB zur Anwendung. Das BSG räumt diesbezüglich zwar ein, dass weder § 45 SGB I noch eine andere Verjährungsregelung für Vergütungsansprüche zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern einschlägig ist, behilft sich an dieser Stelle aber mit dem Verweis auf das oben genannte "allgemeine Rechtsprinzip" (BSG, Urteil vom 17.06.1999 – B 3 KR 6/99 R –, Rn. 12).

44

Diese Auffassung kann indes bereits deshalb nicht überzeugen, weil die in Bezug genommen Vorschriften des SGB eingestandenermaßen nicht einschlägig sind, also für den entschiedenen Fall gerade nicht gelten. Genau für solche Fälle bedient sich der Gesetzgeber – wie im Falle des § 61 Satz 2 SGB X – der Regelungstechnik der Verweisung auf die Kodifikation des BGB, die auf Grund ihrer systematischen Geschlossenheit für die meisten Probleme bei der Durchführung von Vertragsverhältnissen Lösungen bietet (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 47).

45

5.3 Mit Einführung des § 69 Satz 3 SGB V in der Fassung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes vom 22.12.1999 (BGBl. I 59, 2626), der seit dem 18.12.2008 wortgleich in den § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V übergegangen ist (GKV-OrgWG vom 15.12.2008 – BGBl. I 58, S. 2426), erfolgte eine Konkretisierung dieser Verweisungstechnik speziell für die Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen, wodurch einer analogen Anwendung des § 45 SGB I bzw. der Heranziehung „allgemeiner Rechtsprinzipien“ vollends der Boden entzogen wurde (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 48 ff.).

46

Mangels konkreter Regelungen zur Verjährung von Ansprüchen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen (oder auch abstrakt zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern) im gesamten SGB einschließlich des SGB V und in den ergänzenden Gesetzen (KHG und KHEntG) schreibt § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V die Geltung des Verjährungsrechts des BGB vor. Dass diese Rechtsfolge im Wege semantischer Auslegung ohne weiteres begründbar ist, stellt das BSG nicht in Frage, sondern bezweifelt nur die Eindeutigkeit des Wortlauts (BSG, Urteil vom 12.05.2005 – B 3 KR 32/04 R –, Rn. 17 f.). Anlass für den Zweifel des Senats bietet allerdings nur der Verweis auf ein "ungeschriebenes" Rechtsprinzip. Die "Uneindeutigkeit" ergibt sich also gerade nicht aus dem "Geschriebenen", sondern wird durch Hinzufügung von "Ungeschriebenem" erst erzeugt. Auf diese Weise setzt sich das BSG über den geltenden Normtext und dessen Anwendungsbefehl hinweg.

47

Der Wortlaut eines Gesetzes steckt die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer und verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvarianten ab. Entscheidungen, die den Wortlaut einer Norm offensichtlich überspielen, sind unzulässig (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 310, zum Ganzen Rn. 304 ff., 10. Aufl. 2009). Die Bindung der Gerichte an das Gesetz folgt aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG. Dass die Gerichte dabei an den Gesetzestext (im Sinne des amtlichen Wortlauts bzw. Normtextes) gebunden sind, folgt aus dem Umstand, dass nur dieser Gesetzestext Ergebnis des von der Verfassung vorgegebenen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist. Die in Gesetzgebungstechnik und Rechtspraxis etablierten Standards der Gesetzessystematik stellen hierbei lediglich Abkürzungen für bestimmte sprachliche Operationen dar, die die Lesbarkeit von Gesetzestexten erhöhen und deren Umfang reduzieren sollen. Die Verwendung solcher Gesetzgebungstechniken bindet die Gerichte in gleichem Maße wie der Wortlaut des Gesetzestextes in seiner Begrenzungsfunktion (SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER –, Rn. 77). Dies gilt auch für die in § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V angeordnete Verweisung auf das BGB. Eine Überschreitung der Wortlautgrenze einschließlich der semantischen Grenzen der Gesetzessystematik verstößt sowohl gegen das Gesetzesbindungsgebot als auch gegen das Gewaltenteilungsprinzip.

48

5.4 Hieran vermag auch die Kategorisierung der vierjährigen Verjährungsfrist des § 45 SGB I (und anderer Regelungen) als "allgemeines Rechtsprinzip" nichts zu ändern (vgl. hierzu ausführlich SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 51 ff.). Diese Bezeichnung übernimmt in der Rechtsprechung des BSG die rhetorische Funktion, das Gericht von den in Rechtswissenschaft und Rechtsprechungspraxis anerkannten methodischen Grundsätzen für eine Analogiebildung, insbesondere von der Feststellung einer Regelungslücke, zu entlasten. In den Urteilen des BSG zur Verjährung des Vergütungsanspruchs nach Einführung der Verweisung auf das BGB in § 69 SGB V (BSG, Urteil vom 12.05.2005 – B 3 KR 32/04 R; BSG, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 12/06 R) kann eine Regelungslücke, die stets Voraussetzung für einen Analogieschluss ist, ernsthaft nicht festgestellt werden. In den genannten Urteilen wird daher auch darauf verzichtet, das Vorliegen einer Regelungslücke herauszuarbeiten und Überlegungen darüber anzustellen, mit Hilfe welcher sachnahen gesetzlichen Regelung im Wege einer Analogiebildung die Lücke geschlossen werden könnte. Andernfalls müsste bereits im ersten Schritt festgestellt werden, dass es an einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke fehlt. Denn unter Berücksichtigung des Verweises in § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V auf das BGB kann die Frage, ob der Anspruch verjährt ist, anhand des im Gesetzgebungsvorgang hervorgebrachten Normtextes vollständig und widerspruchsfrei beantwortet werden.

49

Der Gesetzgeber mit der Einführung partikularer Verjährungsregelungen im SGB gerade keine allgemeine Verjährungsfrist für das Sozialgesetzbuch geschaffen und trotz der bereits in den 1970er Jahren begründeten Judikatur zum "allgemeinen Prinzip der vierjährigen Verjährungsfrist" (erstmals wohl BSG, Urteil vom 11.08.1976 – 10 RV 165/75 –, Rn. 18) offenbar immer wieder konkreten Regelungsbedarf für bestimmte Kategorien von Ansprüchen gesehen. Der Befund, dass die vierjährige Verjährungsfrist einem allgemeinen Prinzip des Sozialrechts entspreche, wird im Übrigen dadurch widerlegt, dass das SGB selbst andere Verjährungsfristen kennt: dreijährige Verjährungsfristen sind in § 34 Abs. 3 SGB II, § 103 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, § 111 Abs. 1 SGB XII und durch einen Verweis auf die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB in § 113 SGB VII geregelt, dreißigjährige Verjährungsfristen in § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV und in § 52 Abs. 2 SGB X. § 303e Abs. 2 Satz 4 SGB V enthält eine Verordnungsermächtigung zur Regelung (u.a.) der Verjährungsfrist. Auch historisch lässt sich ein allgemeines Prinzip der vierjährigen Verjährungsfrist nicht begründen, was sich beispielsweise an § 223 RVO a.F. zeigt, der bis zum Inkrafttreten des SGB I zum 01.01.1976 eine zweijährige Verjährungsfrist für Leistungsansprüche in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen hatte.

50

Das BSG begründet auch nicht, auf Grund welcher Rechtfertigung dem „Prinzip der vierjährigen Verjährungsfrist“ eine normative Wirkung zukommen sollte, die über die Bereitstellung eines Regelungskonzepts für den Fall des Bestehens von Regelungslücken hinausgehen und hierbei eine ausdrückliche gesetzliche Verweisung verdrängen soll. Rechts- oder Strukturprinzipien, die aus verschiedenen gesetzlichen Regelungen abgeleitet werden, können zur Auslegung unklarer Bestimmungen oder zur didaktischen Aufarbeitung eines Rechtsgebietes herangezogen werden. Sie sind jedoch keine Supranormen, die positivgesetzliche Regelungen verdrängen könnten (so zutreffend BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8 AY 5/07 R –, Rn. 14; vgl. bereits SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 55).

51

5.5 Die weiteren Ausführungen des BSG im Urteil vom 12.05.2005 (B 3 KR 32/04 R –, Rn. 18 ff.) zu Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck des § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V vermögen an diesem Befund bereits deshalb nichts zu ändern, weil sie nur in der Auseinandersetzung zwischen Auslegungsalternativen innerhalb der Grenzen des möglichen Wortsinns und im Einklang mit der Gesetzessystematik verfassungsrechtlich zulässige Argumente liefern können (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 56 ff.).

52

Darüber hinaus überzeugen sie auch inhaltlich nicht. Das BSG begründet seine Auffassung damit, dass durch die Neufassung des § 69 SGB V nur die Ausgrenzung des Zivilrechts aus den Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen bezweckt gewesen sei. Es finde sich nicht der geringste Hinweis in den Gesetzesmaterialien, dass bei Ausdehnung der öffentlich-rechtlichen Bindungen entgegen dieser Tendenz die Vorschriften des BGB noch in einem größeren Maße herangezogen werden sollten, als es schon in § 61 SGB X vorgesehen sei (BSG, Urteil vom 12.05.2005 – B 3 KR 32/04 R –, Rn. 25).

53

Diese Begründung ist zirkulär, da sie zur Voraussetzung hat, dass die vor Einführung des jetzigen § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V etablierte Rechtsprechung (insbesondere im Urteil vom 17.06.1999 – B 3 KR 6/99 R) entgegen der bereits in § 61 Satz 2 SGB X enthaltenen Verweisung auf das BGB zutreffend war. Diese beruhte aber gerade nicht auf einer gesetzgeberischen Entscheidung, sondern auf einer (fehlerhaften) Lückenfüllung per Analogieschluss, sodass mit dem Verweis auch auf die Verjährungsregelungen des BGB keine Änderung hin zum BGB verbunden ist, sondern allenfalls eine Klarstellung. Davon abgesehen ändert eine Verweisung auf das BGB nichts am öffentlich-rechtlichen Charakter der Rechtsbeziehung. Eine dreijährige Verjährungsfrist ist ebensowenig "naturgemäß" bürgerlich-rechtlich wie eine vierjährige Verjährungsfrist "naturgemäß" öffentlich-rechtlich bzw. sozialrechtlich ist.

54

Auch das Argument, dass die Einbindung der Beziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen in das öffentliche Recht wegen der Behandlung von Kassenpatienten zur Wahrung von Rechtsklarheit und Einheitlichkeit die Anwendung der allgemeinen sozialrechtlichen Verjährungsvorschrift des § 45 Abs. 1 SGB I erfordere (so bereits BSG, Urteil vom 17.06.1999 – B 3 KR 6/99 R –, Rn. 13 und ähnlich BSG, Urteil vom 28.11.2013 – B 3 KR 27/12 R –, Rn. 43: "Denn das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die in § 45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient") überzeugt nicht. Zunächst ist nicht ersichtlich, worin der Gewinn an Rechtsklarheit bestehen sollte. Der Verweis auf das BGB lässt sich sowohl dem § 61 Satz 2 SGB X als auch dem § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V entnehmen. Die Verjährungsfrist des § 45 SGB I ist hingegen eindeutig nicht einschlägig. Gleiches gilt für die anderen im SGB normierten Verjährungsregelungen. Ein Gewinn an Rechtsklarheit lässt sich am ehesten dadurch erreichen, dass sich die Rechtsprechung möglichst eng am Wortlaut des publizierten Gesetzes orientiert. Eine von Wortlaut und Gesetzessystematik gelöste Rechtsprechung führte hingegen tendenziell zur Rechtsunklarheit, da die Normadressaten zur rechtlichen Bewertung ihres Falles stets profunde Kenntnisse der Rechtsprechung benötigten. Auf die in der BSG-Rechtsprechung zu Grunde gelegten "ungeschriebenen Prinzipien" und Gerechtigkeitspostulate ist zudem kein Verlass, da diese Entscheidungsgrundlagen mangels Gesetzeskraft keinerlei Bindungswirkung unterliegen, stets zur Disposition der Gerichte stehen und dem Gerechtigkeitsempfinden des jeweiligen Spruchkörpers fortwährend aufs Neue angepasst werden können.

55

Auch zur Wahrung der "Einheitlichkeit" bzw. zur „Harmonisierung“ ist die Anwendung der Verjährungsfrist des § 45 Abs. 1 SGB I nicht erforderlich. Da das BSG diese These im Zusammenhang mit Vergütungsansprüchen von Leistungserbringern nicht näher begründet, muss wohl davon ausgegangen werden, dass es hiermit an eine Rechtsprechung anknüpft, die ein Gleichlaufen der Verjährungsfrist von Sozialleistungsansprüchen mit diesen korrespondierenden Erstattungsansprüchen als notwendig erachtet (so schon BSG, Urteil vom 25.02.1966 – 3 RK 9/63 –, Rn. 11 f.). Im Falle der Ansprüche zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern im Bereich des SGB V bedarf es einer Harmonisierung mit der Verjährungsfrist des Sozialleistungsanspruchs jedoch nicht. Der Anspruch des Leistungserbringers gegen den Leistungsträger hängt zwar vom Naturalleistungsanspruch des Versicherten ab, der (theoretisch) der vierjährigen Verjährungsfrist des § 45 Abs. 1 SGB I unterliegt. Der Anspruch des Leistungserbringers gegen den Leistungsträger entsteht aber erst mit Inanspruchnahme des Leistungserbringers durch den Versicherten und somit mit Erfüllung des Naturalleistungsanspruchs. Zu berücksichtigen sind also zwei zeitlich aufeinander folgende Verjährungsfristen. Es ist kein Grund dafür erkennbar, warum diese Verjährungsfristen die gleiche Länge haben müssten.

56

Dass die Heranziehung der vierjährigen Verjährungsfrist entgegen der Anwendung des § 195 BGB über § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V damit begründet wird, dass die "Regelung (...) aus praktischen und haushaltsrechtlichen Gründen geboten (sei), um jahrzehntelange Auseinandersetzungen einer beschleunigten gerichtlichen Klärung zuzuführen" (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 28.11.2013 – B 3 KR 27/12 R –, Rn. 43) ist nicht nachvollziehbar, da die Anwendung des BGB zu einer kürzeren Verjährungsfrist führt. Wegen § 196 Abs. 1 Nr. 11 und Nr. 14 BGB a.F. (zweijährige Verjährungsfrist von Ansprüchen der öffentlichen Anstalten und der Inhaber von privaten Anstalten, welche der Heilung dienen und der Ansprüche von Ärzten usw.) galt dies in der Regel auch schon vor den Änderungen des Verjährungsrechts im Rahmen der Schuldrechtsreform. Abgesehen davon rechtfertigen selbstverständlich auch keine "praktischen und haushaltsrechtlichen" Gründe die Außerachtlassung von Gesetzestext und -systematik (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 56 ff.).

57

5.6 Die Vorgehensweise des BSG im Urteil vom 12.05.2005 (B 3 KR 32/04 R, hier insbesondere Rn. 18 ff.) besteht im Wesentlichen darin, den Wortlaut der Regelung "einengend" auszulegen und dadurch den Regelungsgehalt der Vorschrift zu verkürzen, um dies anschließend mit einer Analogiebildung zu kompensieren. Im Ergebnis führt dies dazu, dass mit der Anwendung der vierjährigen Verjährungsfrist des § 45 SGB I analog die nach Wortlaut und Gesetzessystematik allein maßgebliche Regelung der Verjährungsfrist des § 195 BGB contra legem verdrängt wird. Soweit das BSG eine am Normtext legitimierbare Rechtsfolge durch eine nicht am Normtext, sondern lediglich auf Grund eines ungeschriebenen Prinzips legitimierte Rechtsfolge ersetzt, überschreitet es die Grenzen zulässiger Konkretisierung und handelt wegen des Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG verfassungswidrig (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 62; vgl. auch SG Speyer, Urteil vom 23.01.2017 – S 19 KR 521/16 –, Rn. 33).

58

5.7 Der 1. Senat des BSG hat sich der Rechtsauffassung des 3. Senates angeschlossen und diese mit Urteil vom 23.06.2015 (B 1 KR 26/14 R) unter Aufhebung des Urteils des SG Mainz vom 04.06.2014 (S 3 KR 645/13) aufrechterhalten. Zur Begründung hat der Senat lediglich konstatiert, dass die „Überlegungen des SG (…) zu einer abweichenden Sicht keinen Anlass“ gäben (BSG, Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R –, Rn. 44¸vgl. auch Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 195 BGB, Rn. 19.2 und SG Speyer, Urteil vom 23.01.2017 – S 19 KR 521/16 –, Rn. 30). Angesichts dessen, dass die Frage der Verjährungsfrist in dem entschiedenen Verfahren auch aus Sicht des BSG entscheidungserheblich war, lässt sich aus dem vollständigen Fehlen einer argumentativen Auseinandersetzung nur der Schluss ziehen, dass der 1. Senat des BSG der vom SG Mainz im Urteil vom 04.06.2014 (S 3 KR 645/13) ausgearbeiteten Rechtsauffassung sachlich nichts entgegenzusetzen hat (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 63).

59

5.8 Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die ständige Rechtsprechung des BSG nicht zum Anlass genommen hat, die gesetzlichen Regelungen zu ändern, wie der 1. Senat des BSG im Urteil vom 21.04.2015 (B 1 KR 11/15 R –, Rn. 15; vgl. auch BSG, Urteil vom 31.05.2016 – B 1 AS 1/16 KL –, Rn. 16) meint zu Gunsten seiner Auffassung anführen zu können, ist für die Auslegung des Gesetzes bedeutungslos. Die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verbreitete Praxis, das Festhalten an einer überkommenen Rechtsauffassung damit zu rechtfertigen, dass „der Gesetzgeber“ in Kenntnis der Rechtsprechung keine Gesetzesänderung vorgenommen habe, entbehrt einer rechtswissenschaftlichen Grundlage (SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 –, Rn. 140 ff.). Aus einer unterbliebenen Reaktion der Gesetzgebungsorgane auf eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung lässt sich seriös nichts ableiten, außer der offenkundigen Tatsache, dass der der Rechtsprechung (vorgeblich) zu Grunde liegende Normtext unverändert geblieben ist. Die Interpretation der Untätigkeit der Gesetzgebungsorgane als legitimierende Billigung der Rechtsprechung ist aus verfassungsrechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht begründbar (vgl. ausführlich SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 64 ff.).

60

5.9 Eine Verjährungsfrist von vier Jahren ist auch nicht aus Gründen eines schutzwürdigen Vertrauens in eine ständige Rechtsprechung des BSG einzuräumen (so ausführlich SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 73 ff.; SG Speyer, Urteil vom 23.01.2017 – S 19 KR 521/16 –, Rn. 43 f.).

61

Gerichte dürfen wegen ihrer Funktion im Rechtsstaat über auf konkrete Verfahren bezogene Maßnahmen hinaus keinen Vertrauensschutz auf ihre Rechtsprechung oder auf die Rechtsprechung der ihnen übergeordneten Gerichte gewähren. Gerichte (auch Revisionsgerichte) entscheiden stets nur den Einzelfall. Die Bindungswirkung ihrer Entscheidungen (mit der signifikanten Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts, vgl. § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG) erstreckt sich außer in Fällen der verwaltungsgerichtlichen Normkontrolle nur auf die jeweils Verfahrensbeteiligten (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

62

Die Bundesgerichte prägen mithin zwar tatsächlich die Rechtswirklichkeit, sie verfügen aber nicht exklusiv über das Recht. Sie haben insbesondere – abgesehen vom extremen Ausnahmefall der echten Regelungslücke (zu den Voraussetzungen s.o. unter 5.1) – keine Normsetzungsbefugnis. Die Etablierung einer "ständigen Rechtsprechung" bedeutet für einen Rechtssuchenden, der sich hiergegen wendet, daher nur eine tatsächliche Hürde. Ein rechtliches Problem ergibt sich hieraus aber nur in der Hinsicht, dass Prozessordnungen für eine Abweichung von höher- oder gleichrangiger Rechtsprechung bestimmte Rechtsfolgen regeln. Ein Gericht darf und kann jedoch in jeder Einzelentscheidung von eigener oder anderer Rechtsprechung abweichen, es muss gegebenenfalls nur die Berufung bzw. die Revision zulassen, im Falle eines Bundesgerichts gegebenenfalls die Entscheidung des Großen Senats oder des Gemeinsamen Senats. Die Gerichte haben aber das Recht stets so anzuwenden, wie es der jeweils zuständige Spruchkörper im konkreten Streitfall als richtig erkennt. Dies ergibt sich aus Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 97 Abs. 1 GG (BVerwG, Beschluss vom 28.02.1995 – 4 B 214/94 –, Rn. 3).

63

Dass Rechtsunterworfene nicht auf eine "ständige Rechtsprechung" vertrauen können, ist die notwendige Kehrseite dafür, dass sie mit ihrer Rechtsauffassung auch dann noch ernstgenommen werden (müssen) und durchdringen können, wenn eine "ständige Rechtsprechung" ihrer Rechtsauffassung entgegensteht. Die argumentativen Hürden mögen dann in tatsächlicher Hinsicht höher sein; sie sind jedoch nicht unüberwindlich. Gegen die Gewährung von Vertrauensschutz in eine ständige Rechtsprechung spricht daher auch, dass das Festhalten an einer als fehlerhaft erkannten ständigen Rechtsprechung im kontradiktorischen Verfahren stets zu einer nicht zu rechtfertigenden Benachteiligung der anderen Prozesspartei führt, obwohl dieser zur Überzeugung des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers in der Sache eigentlich Recht zu geben wäre (so geschehen etwa im Urteil des BSG vom 28.09.2005 – B 6 KA 71/04 R –, Rn 49). Für die nur auf Grund von "Vertrauensschutzgesichtspunkten" unterlegene Partei stellte dies eine Rechtsverweigerung dar, die ihrerseits vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips, der Bindung an Recht und Gesetz und des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nicht gerechtfertigt werden könnte (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 78).

64

Hiervon abgesehen ist keine Rechtfertigung dafür ersichtlich, weshalb Instanzgerichte Vertrauensschutz in die Rechtsprechung des obersten Bundesgerichts gewähren dürfen oder gar hierzu verpflichtet sein sollten, wenn sie selbst eine andere Rechtsauffassung vertreten und daher zur Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichts berechtigt (vgl. §§ 144 Abs. 2 Nr. 2, 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG) und gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG auch verpflichtet sind; des Weiteren ist kaum sinnvoll zu begründen, weshalb das Bundesgericht ein im Übrigen zutreffendes Urteil eines Instanzgerichts aufheben dürfen sollte, nur weil es selbst zuvor eine unzutreffende Rechtsauffassung vertreten hat. Die Vorstellung, dass Instanzgerichte Vertrauensschutz in ihre eigene Rechtsprechung gewähren müssten oder dürften, ist angesichts der Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, ohnehin fernliegend (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 79).

65

5.10 Die Heranziehung der vierjährigen Verjährungsfrist aus § 45 Abs. 1 SGB I für die Rechtsverhältnisse zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen im Rahmen des § 69 SGB V ist nach alldem nicht zu rechtfertigen. Die vom Beklagten vorliegend geltend gemachte Gegenforderung aus einem Erstattungsanspruch nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 195 BGB.

66

6. Die Verjährung ist eingetreten.

67

6.1 Der (potenzielle) Erstattungsanspruch der Beklagten wäre mit Leistung der streitigen Vergütung am 28.10.2009 entstanden. Die Verjährungsfrist begann somit gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB am 31.12.2009 zu laufen.

68

Die Beklagte hatte zugleich mit ihrer Zahlung am 28.10.2009 Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Anspruchsbegründender Umstand ist bei Ansprüchen aus Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB allein die Tatsache, dass die Leistung bewirkt wurde. Die Rechtsgrundlosigkeit als solche ist zwar eine Anspruchsvoraussetzung, aber kein den Anspruch begründender Umstand. Unter den Anspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB sind Tatsachen zu verstehen, nicht (zutreffende) rechtliche Würdigungen. Für den Beginn der Verjährungsfrist ist demnach nur die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von Tatsachen erforderlich, nicht deren rechtliche Würdigung. Die Rechtsgrundlosigkeit im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB ist wiederum Folge des Fehlens von Umständen bzw. Tatsachen, die nach zutreffender rechtlicher Würdigung einen Rechtsgrund für die erfolgte Leistung begründen würden. Für die Entstehung eines Kondiktionsanspruchs nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB muss daher neben der positiven Tatsache der Leistung kein weiterer positiver Umstand vorliegen, auf den sich die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beziehen könnte. Für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Bezug auf einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB reicht demnach die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis bezüglich des Umstands aus, dass eine Leistung im Sinne einer auf bewusste und zweckgerichtete Vermögensmehrung gerichteten Zuwendung (Martinek in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 812 BGB, Rn. 23 m.w.N.) erfolgt ist.

69

Soweit die Auffassung vertreten wird, dass für den Beginn der Verjährungsfrist bei einem Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB zu den anspruchsbegründenden Umständen auch diejenigen Tatsachen gehören, aus denen sich das Fehlen eines Rechtsgrunds ergibt (z.B. BGH, Urteil vom 15.06.2010 – XI ZR 309/09 – Rn. 12 m.w.N.; Schmidt-Räntsch in: Erman BGB, Kommentar, § 199 BGB, Rn. 21), vermag dies nicht zu überzeugen. Denn im strengen Sinne begründen solche Umstände den Kondiktionsanspruch nicht, sondern bilden lediglich Einwendungsausschlussgründe gegen ein mögliches Kausalverhältnis. Das Fehlen solcher Umstände beseitigt den Kondiktionsanspruch nur dann, wenn überhaupt Tatsachen vorliegen, die ein Kausalverhältnis begründen können. Zur Begründung des Anspruchs sind sie also nur unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich. Wenn in einem Rechtsstreit festgestellt wird, dass eine Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB erfolgt ist, jedoch keine Tatsachen festgestellt werden können, die einen Rechtsgrund für die Leistung belegen können, ist der Klage stattzugeben. Nur die Leistung als solche ist daher ein den Anspruch begründender Umstand im eigentlichen Sinne (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 88).

70

Zudem ist der Inbegriff der Tatsachen, „aus denen sich das Fehlen eines Rechtsgrundes ergibt“ (BGH, Urteil vom 15.06.2010 – XI ZR 309/09 – Rn. 12), nicht sinnvoll einzugrenzen. Denn jeder Umstand, der nicht dazu geeignet ist, das in Rede stehende Schuldverhältnis zu begründen, ist logisch gleichursächlich für das Fehlen eines Rechtsgrundes. Würden diese Umstände als den Anspruch begründend im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB angesehen, wäre deren Zahl unendlich.

71

Nur die Leistung als solche als anspruchsbegründenden Umstand zu betrachten, ist auch im Ergebnis sachgerecht, da auch der Bereicherungsschuldner hinsichtlich des Behaltendürfens des Geleisteten ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit hat. Auch dieser muss die Gründe für das Nichtbestehen eines Kausalverhältnisses nicht kennen und darf damit rechnen, nach Ablauf der nach erkennbaren Kriterien zu berechnenden Verjährungsfrist das Geleistete behalten zu dürfen. Dies gilt umso mehr, wenn potenzielle Bereicherungsgläubiger – wie vorliegend und allgemein Krankenkassen gegenüber Krankenhausträgern – bewusst die vermeintlich geschuldete Leistung erbringen, um anschließend erst zu prüfen, ob ein Rechtsgrund hierfür vorlag. Denn die Krankenkasse begibt sich wie hier die Beklagte bewusst in die Rolle eines potenziellen Bereicherungsgläubigers (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 –, Rn. 90).

72

6.2 Die Verjährungsfrist endete gemäß § 195 BGB am 31.12.2012. Hemmungstatbestände lagen nicht vor. Insbesondere haben zwischen den Beteiligten keine Verhandlungen im Sinne des § 203 Satz 1 BGB stattgefunden. Eine Verhandlung im Sinne des § 203 Satz 1 BGB liegt vor, wenn ein Meinungsaustausch über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände stattfindet, aufgrund dessen der Gläubiger davon ausgehen kann, sein Begehren werde von der Gegenseite noch nicht endgültig abgelehnt. Erforderlich aber auch ausreichend ist jeder Meinungsaustausch über den Anspruch oder die ihn begründenden Umstände, der über eine schlichte Erfüllungsverweigerung des Schuldners hinausgeht (Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 203 BGB, Rn. 5). Vorliegend fand ein derartiger Meinungsaustausch nicht statt. Andere Hemmungstatbestände kommen ersichtlich nicht in Betracht.

73

Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vom 18.12.2013 war die Forderung der Beklagten gegen die Klägerin aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB demnach verjährt.

74

7. Gemäß § 390 BGB ist die Aufrechnung mit einer Forderung ausgeschlossen, der eine Einrede entgegensteht. Der Erhebung der Einrede bedarf es hierfür nicht (Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 390 BGB, Rn. 9 m.w.N.).

75

8. Die Aufrechnung ist auch nicht deshalb wirksam, weil sich Gegenforderung oder Hauptforderung zu einem bestimmten Zeitpunkt aufrechenbar gegenübergestanden hätten. Nach § 215 BGB schließt die Verjährung der Gegenforderung die Aufrechnung nicht aus, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet werden konnte. Zum Zeitpunkt der Entstehung der von der Klägerin erhobenen Hauptforderung im Dezember 2013 war die Verjährung der Gegenforderung der Beklagten jedoch bereits eingetreten, so dass zu keinem Zeitpunkt eine Aufrechnungslage bestand.

76

9. Die am 18.12.2013 durch die Beklagte erklärte Aufrechnung ist somit unwirksam. Die mit der vorliegenden Klage geltend gemachte Vergütungsforderung ist nicht gemäß § 389 BGB erloschen. Der klägerische Anspruch selbst ist nicht verjährt. Die hierfür ebenfalls maßgebliche Verjährungsfrist von drei Jahren endete am 31.12.2016, wurde jedoch durch Erhebung der vorliegenden Klage gehemmt.

77

Die Beklagte war daher antragsgemäß zur Leistung zu verurteilen.

III.

78

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Demnach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Da die Klägerin voll obsiegt hat, waren der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

IV.

79

Der Streitwert in der Hauptsache ist nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen des Gerichts zu bestimmen (§ 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG. Der Streitwert entspricht hier der eingeklagten Hauptforderung.

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