Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 196/14

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flurstücke G1, G2, G3 und G4 in einer Größe von 1.000,00 m², des in gleicher Flur und Gemarkung gelegenen Grundstücks Flurstück G5 in einer Größe von 9.279,00 m² und des ebenfalls in gleicher Flur und Gemarkung gelegenen Grundstücks Flurstück G6, in einer Größe von 8.909 m².

3

Die Grundstücke, auf denen die Klägerin die „B.-Schule“ (Grundschule mit Orientierungsstufe) betreibt, liegen im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplanes Nr. 22 „J.-Straße“, der in seiner Ursprungsfassung im Jahre 2005 erlassen worden ist. Sie sind im Bebauungsplan als Gemeinbedarfsfläche ausgewiesen. Die östlich und nördlich an die Grundstücke der Klägerin angrenzenden Flächen sind als allgemeines Wohngebiet (WA), die westlich und südlich der klägerischen Grundstücke gelegenen Flächen sind als eingeschränktes Gewerbegebiet (GEe) bzw. als Gewerbegebiet (GE) ausgewiesen und werden entsprechend genutzt.

4

Die Grundstücke Flurstück G6 und G5 grenzen an die J.-Straße. Das Grundstück Flurstücke G1, G2, G3 und G4 liegt, ohne an die J.-Straße anzugrenzen, zwischen den beiden erstgenannten Grundstücken. Es grenzt westlich an die St.-Straße. Bei der J.-Straße handelt es sich um eine Gemeindestraße, die von der Einmündung in die Sp.-Straße in westliche Richtung führt und dabei die D.-Straße (Ortsdurchfahrt der B 96) in einem Straßentunnel unterquert. Westlich des Knotens führt die Verkehrsanlage den Namen H.-Straße.

5

In den Jahren 2007/2008 ließ die Stadt A-Stadt die J.-Straße in den vorhandenen Teileinrichtungen ausbauen. Die Bauabnahme erfolgte am 14. April 2008. Zu diesem Zeitpunkt endete die J.-Straße unmittelbar östlich der D.-Straße. Als Verbindung zur H.-Straße existierte lediglich ein Fußgängertunnel. Im Zeitraum Januar 2007 bis August 2008 wurde ein Ersatzneubau für das Brückenbauwerk der D.-Straße hergestellt. Im Zuge dieser Baumaßnahme wurden die J.-Straße und die H.-Straße miteinander verbunden. Der Knotenausbau wurde vollständig über Fördermittel (URBAN II-Mittel) finanziert.

6

Am 13. November 2008 fasste die Stadtvertretung der Stadt A-Stadt den Beschluss über Satzung der Stadt A-Stadt über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes „Nordstadt-Ihlenfelder Vorstadt“ (Sanierungssatzung). Die öffentliche Bekanntmachung der am 10. Dezember 2008 ausgefertigten Satzung erfolgte am 31. Dezember 2008. Die J.-Straße und die H.-Straße liegen im Geltungsbereich der Sanierungssatzung.

7

Die letzte Unternehmerrechnung für die durchgeführte Baumaßnahme datiert vom 29. Mai 2008. Für die Maßnahme waren Zuwendungen zur Förderung wirtschaftsnaher Infrastrukturmaßnahmen aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA-Mittel) ausgereicht worden, die auch den Beitragspflichtigen zugute kamen. Das Ergebnis der Verwendungsprüfung liegt dem Beklagten seit dem 29. Mai 2009 vor.

8

Mit Bescheiden vom 18. Dezember 2013 zog der Beklagte die Klägerin zu Straßenausbaubeiträgen für die J.-Straße i.H.v. 1.706,95 EUR, 8.645,65 EUR und 16.618,25 EUR heran. Dabei stufte er die J.-Straße als Innerortsstraße ein. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2014 zurück.

9

Am 12. März 2014 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Berücksichtigung des gebietsbezogenen Artzuschlages sei fehlerhaft. Der Aufwand sei nicht beitragsfähig. Die J.-Straße habe eine Luxusmodernisierung erfahren. Zudem habe der Beklagte in dem Grundstückskaufvertrag vom 16. September 2008 angegeben, dass mit einer Umlage von maximal 10.000,00 EUR zu rechnen sei. Die Grundstücke der insolventen ... GmbH seien bei der Abrechnung nicht berücksichtigt worden, um Einnahmeausfälle zu vermeiden. Die Berücksichtung des Artzuschlages sei fehlerhaft. Der Bebauungsplan sei nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden und damit unwirksam. Das klägerische Grundstück könne auch nicht als faktisches Gewerbegebiet angesehen werden. Der Bereich nördlich der J.-Straße sei nicht durch gewerbliche Grundstücksnutzungen geprägt. Zudem komme der unmittelbar westlich der klägerischen Grundstücke verlaufenden St.-Straße eine trennende Wirkung zu. Es sei weiter zu beachten, dass dem Beklagten hinsichtlich des Bebauungsplanes keine Verwerfungskompetenz zustehe. Daher müsse auch bei der gerichtlichen Überprüfung der Beitragsfestsetzung die für den Beklagten bestehende Bindungswirkung des Bebauungsplanes berücksichtigt werden.

10

Die Klägerin beantragt,

11

die Beitragsbescheide des Beklagten vom 18. Dezember 2013 und seinen Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2013 aufzuheben.

12

Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2014 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

17

Sie finden ihre gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung der Stadt A-Stadt über die Erhebung von Beiträgen für den Ausbau von Straßen, Wegen und Plätzen in der Stadt A-Stadt (Straßenbaubeitragssatzung – SBS) vom 27. November 2001.

18

1. Die Satzung ist nach gegenwärtiger Erkenntnis wirksam. Dies gilt zunächst in formell-rechtlicher Hinsicht. Ihre Bekanntmachung ist ordnungsgemäß nach den Maßgaben der Bekanntmachungsvorschriften in § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt vom 24. Mai 1995 i.d.F. der 3. Änderung vom 31. Januar 2001 (HS 1995) erfolgt. Diese Bestimmungen sind wirksam (OVG Greifswald, Urt. v. 08.10.2014 – 1 L 168/11 –, juris Rn. 26 ff.).

19

In materiell-rechtlicher Hinsicht bestehen zwar bereits mit Blick auf das Alter der Satzung gewisse Zweifel daran, dass die der Festsetzung der Tiefenbegrenzung in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 SBS zugrunde liegende Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe den Maßgaben der neueren Rechtsprechung des OVG Greifswald (vgl. Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris Rn. 77) entspricht. Allerdings führt ein solcher – hier nur unterstellter – Fehler nicht zur Nichtigkeit der Straßenbaubeitragssatzung. Es ist im Straßenbaubeitragsrecht allgemein anerkannt, dass eine fehlerhafte Verteilungsregelung der Beitragssatzung nur dann zur Rechtswidrigkeit des Heranziehungsbescheides führt, wenn sie im Abrechnungsgebiet auch tatsächlich zur Anwendung kommen muss (Grundsatz der regionalen Teilbarkeit, vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 26.02.2004 – 1 M 242/03 –, juris Rn. 46). Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Ausweislich der vom Beklagten vorgelegten Abrechnungsunterlagen hat die für Grundstücke im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 1 Baugesetzbuch – BauGB) zum Außenbereich (§ 35 BauGB) (sog. Randlagengrundstücke) geltende Bestimmung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 SBS bei der Abrechnung der J.-Straße keine Anwendung gefunden. Anhaltspunkte dafür, dass sie hätte Anwendung finden müssen, bestehen ebenfalls nicht. Randlagengrundstücke gehören nicht zum Abrechnungsgebiet. Damit greift der Grundsatz der regionalen Teilbarkeit.

20

Ebenfalls fehlerhaft ist die Bestimmung in § 2 Satz 3 SBS. Zwar geht sie im Einklang mit der nach dem Kommunalabgabengesetz 1993 geltenden Rechtslage davon aus, dass der Gebäudeeigentümer neben dem Grundeigentümer beitragspflichtig ist („auch“). Nach der im Rahmen der KAG-Novelle 2005 in das Kommunalabgabengesetz eingefügten Bestimmung des § 7 Abs. 2 Satz 4 KAG M-V ist allerdings der Gebäudeeigentümer anstelle des Grundstückseigentümers beitragspflichtig. Die für unzulässig gewordene Altregelungen geltende Anpassungsfrist des § 22 Abs. 2 Satz 2 KAG M-V ist lange abgelaufen. Auch dieser Fehler führt nach dem Grundsatz der regionalen Teilbarkeit nicht zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Denn er ist nicht auf (fehlerhafte) Verteilungsregelungen beschränkt, sondern auch auf Entstehensregeln bzw. sonstige Regelungen der Straßenbaubeitragssatzung anwendbar, wenn dies denklogisch möglich und sinnvoll ist, d.h. wenn die Regelung auch ohne den unwirksamen Teil noch Bestand hat und der unwirksame Teil im Abrechnungsgebiet tatsächlich keine Anwendung findet (VG Greifswald, Urt. v. 15.03.2010 – 3 A 2032/08 –, n.v.). Dies trifft vorliegend zu. Es ist nicht ersichtlich, dass es im Abrechnungsgebiet der J.-Straße Grundstücke gibt, an denen isoliertes Gebäudeeigentum besteht. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet.

21

Weiter ist die Bestimmung in § 2 Satz 1 zweite Var. SBS („dinglich Berechtigter“) unzulässig, weil nach § 7 Abs. 2 KAG M-V nur Eigentümer, Erbbauberechtigte oder die Inhaber dinglicher Nutzungsrechte i.S.d. Art. 233 § 4 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) – die bereits angesprochenen Gebäudeeigentümer – beitragspflichtig sein können. Erbbauberechtigte oder die Inhaber dinglicher Nutzungsrechte i.S.d. Art. 233 Abs. 4 EGBGB sind mit dem Merkmal „dinglich Berechtigter“ offensichtlich nicht gemeint, denn sie werden in den spezielleren Vorschriften der Sätze 2 und 3 ausdrücklich genannt. Dieser Fehler führt aber ebenfalls nicht zur Gesamtnichtigkeit der Straßenbaubeitragssatzung. Vielmehr liegt nach der Rechtsprechung des OVG Greifswald lediglich ein Fall der Teilnichtigkeit vor (Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris Rn. 71).

22

Fehlerhaft ist schließlich die Regelung über den gewerblichen Artzuschlag in § 5 Abs. 5 Buchst. a SBS. Der Artzuschlag resultiert aus dem dem Vorteilsprinzip innewohnenden Differenzierungsgebot. Er trägt den Verschiedenheiten in der Art der baulichen oder sonst beitragserheblichen Nutzung Rechnung. Gewerbliche und dem Gewerbe vergleichbare Nutzungen schöpfen regelmäßig aufgrund des durch sie typischerweise verursachten verstärkten Ziel- und Quellverkehrs aus einer Straße einen größeren Vorteil als eine Wohnnutzung. § 7 Abs. 1 Satz 3 KAG M-V schreibt zwar nicht vor, in welcher Weise die unterschiedliche Nutzungsart im Vergleich zum Nutzungsmaß beitragsrechtlich zu bewerten ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Vorschrift dem Ortsgesetzgeber für die Berücksichtigung der Nutzungsart im Verteilungsmaßstab ein weitgehendes (Bewert-ungs-) Ermessen einräumt. Die Ausübung dieses Ermessens ist jedoch durch das Vorteilsprinzip eingeschränkt (VG Greifswald, Urt. v. 19.04.2012 – 3 A 356/10 –, juris Rn. 13).

23

Mit Blick auf das Vorteilsprinzip ist es zwar nicht zu beanstanden, dass in der Straßenbaubeitragssatzung sowohl ein nutzungsbezogener (§ 5 Abs. 5 Buchst. a SBS) als auch ein gebietsbezogener (§ 5 Abs. 5 Buchst. b SBS) Artzuschlag normiert ist. Ebenfalls unbedenklich ist, dass der gebietsbezogene Artzuschlag höher ist als der nutzungsbezogene. Dies beruht auf der Annahme, dass Grundstücken in den in § 5 Abs. 5 Buchst. b SBS genannten Gebietstypen der Baunutzungsverordnung (Gewerbegebiet – § 8 BauNVO, Industriegebiet – § 9 BauNVO, Kerngebiet – § 7 BauNVO und sonstiges Sondergebiet – § 11 BauNVO) durch eine beitragsfähige Straßenbaumaßnahme ein größerer Vorteil vermittelt wird, als Grundstücken, die – außerhalb der genannten Gebietstypen gelegen – lediglich überwiegend gewerblich oder in einer der gewerblichen Nutzung ähnlichen Weise genutzt werden.

24

Fehlerhaft und weder mit dem Vorteilsprinzip des § 7 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V noch dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) zu vereinbaren ist es jedoch, dass § 5 Abs. 5 Buchst. a SBS die Entstehung des nutzungsbezogenen Artzuschlags davon abhängig macht, dass die überwiegend gewerblich oder gewerbeähnlich genutzten Grundstücke in einem der in der Vorschrift genannten festgesetzten oder faktischen Gebietstypen der Baunutzungsverordnung liegen. Dies schließt die Anwendbarkeit der Vorschrift auf überwiegend gewerblich oder gewerbeähnlich genutzte Grundstücke im unbeplanten Innenbereich i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB aus. Ein sachlicher Grund für diese Differenzierung ist nicht erkennbar. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich im Regelfall oder auch nur überwiegend nach § 34 Abs. 2 BauGB richtet, mit der Folge, dass es für die Fälle des § 34 Abs. 1 BauGB keiner Regelung bedarf. Denn die Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB darf nicht dazu führen, dass eine vorhandene Bebauung in Zielrichtung auf eine scharfe Trennung von Gebietscharakter und zulässiger Bebauung geradezu gewaltsam in eine der Alternativen des Gebietskatalogs in § 1 Abs. 2 BauNVO gepresst wird, um dann in einer zweiten Stufe mehr oder weniger schematisch die Zulässigkeitsregeln der §§ 2 ff. BauNVO anzuwenden (BVerwG, Urt. v. 23.04.1969 – VI C 12/67 –, BVerwGE 32, 31 <37>). Weist die nähere Umgebung z.B. die Merkmale zweier Baugebiete i.S. der Baunutzungsverordnung auf, findet § 34 Abs. 2 BauGB keine Anwendung. Die Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich in diesem Fall ausschließlich nach § 34 Abs. 1 BauGB (Mitschang/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Auflage 2014, § 34 Rn. 60).

25

Einer weiteren Vertiefung bedarf es vorliegend nicht. Denn der dargestellte Fehler führt nach dem Grundsatz der regionalen Teilbarkeit ebenfalls nicht zur Gesamtnichtigkeit der Straßenbaubeitragssatzung. Denn die Bestimmung des § 5 Abs. 5 Buchst. a SBS findet – wie noch zu zeigen sein wird – in Ansehung der Grundstücke der Klägerin keine Anwendung. Anhaltspunkte dafür, dass die Berücksichtigung eines nutzungsbezogenen Artzuschlages für andere Grundstücke im Abrechnungsgebiet notwendig ist, bestehen ebenfalls nicht. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Die Wirksamkeit der Regelung in § 5 Abs. 5 Buchst. a SBS ist für die Vorteilsverteilung im Abrechnungsgebiet der J.-Straße daher ohne Belang.

26

2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.

27

a. Fehler bei der Ermittlung und des beitragsfähigen Aufwandes sind nicht ersichtlich.

28

Die Aufwandsermittlung verstößt trotz der Belegenheit der J.-Straße in einem förmlich festgesetzten Sanierungsgebiet nicht gegen § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB. Werden in einem förmlich festgesetzten Sanierungsgebiet Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 hergestellt, erweitert oder verbessert, sind nach dieser Bestimmung Vorschriften über die Erhebung von Beiträgen für diese Maßnahmen auf Grundstücke im förmlich festgesetzten Sanierungsgebiet nicht anzuwenden. Die Vorschrift findet vorliegend jedoch keine Anwendung, denn nach § 156 Abs. 1 Satz 1 BauGB bleiben Beitragspflichten für Erschließungsanlagen i.S.d. § 127 Abs. 2, die vor der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebietes entstanden sind, unberührt. Diese Voraussetzungen sind hier aus zwei Gründen gegeben.

29

So fehlt es trotz des Erlasses der Sanierungssatzung vom 10. Dezember 2008 an der förmlichen Festsetzung eines Sanierungsgebietes, denn die Sanierungssatzung ist mangels ordnungsgemäßer Bekanntmachung unwirksam. Die Bekanntmachung der Sanierungssatzung erfolgte auf Grundlage der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt vom 8. August 2002. Die in § 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 dieser Satzung normierten Bekanntmachungsvorschriften sind unwirksam (OVG Greifswald, Urt. v. 08.10.2014 – 1 L 168/11 –, juris Rn. 32 ff.).

30

Aber auch wenn man von der Wirksamkeit der Sanierungssatzung ausgeht, ist die Beitragspflicht vor der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebietes entstanden. Insoweit kommt es nicht auf den nach dem Inkrafttreten der Sanierungssatzung liegenden Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht am 9. Mai 2009 an (dazu sogleich), sondern auf den des Abschlusses der Bauarbeiten. Im Unterschied zu § 8 Abs. 5 KAG M-V bzw. § 9 SBS stellt § 156 Abs. 1 Satz 1 BauGB nämlich nicht auf die endgültige Ausprägung des Beitrags ab. Vielmehr wollte der Gesetzgeber auf den Zeitpunkt des Abschlusses der zur endgültigen Herstellung im Rechtssinne führenden (technischen) Ausbauarbeiten abstellen. Denn zu diesem Zeitpunkt sind grundsätzlich alle Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflichten erfüllt (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 3 Rn. 9 m.w.N.). Die Ausschlusswirkung des § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB erfasst daher nur Erschließungsmaßnahmen, die nach der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebietes als Ordnungsmaßnahmen i.S.d. §§ 146 Abs. 1, 147 Abs. 1 BauGB durchgeführt werden (Driehaus a.a.O., § 3 Rn. 10). Die Baumaßnahme an der J.-Straße war vor dem Erlass der Sanierungssatzung vom 10. Dezember 2008 abgeschlossen, denn die für den technischen Abschluss maßgebliche Bauabnahme erfolgte bereits am 14. April 2008.

31

Soweit die Klägerin der Aufwandsermittlung mit dem Hinweis entgegen tritt, in der J.-Straße sei ein „Luxusmodernisierung“ erfolgt, kann dem nicht gefolgt werden. Die Klägerin hat ihre Behauptung nicht ansatzweise belegt. Daher ist das Gericht nicht gehalten, Ermittlungen zu dieser Behauptung anzustellen. Dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus. Der Untersuchungsgrundsatz ist keine prozessuale Hoffnung, das Gericht würde mit seiner Hilfe schon die klagebegründenden Tatsachen finden (BVerwG, Buchholz 310 § 86 Nr. 76).

32

bb. Auch die Verteilung des beitragsfähigen Aufwandes begegnet keinen Bedenken.

33

(1) Die mit der Einstufung der J.-Straße als Innerortsstraße getroffene Bestimmung des Gemeindeanteils am umlagefähigen Aufwand ist zutreffend. Da die Klägerin insoweit keine Einwände geltend macht, kann von weiteren Darlegungen abgesehen werden.

34

(2) Die Bildung des Abrechnungsgebiets ist frei von Fehlern. Dies richtet sich vorliegend nach § 4 Abs. 1 SBS. Danach bilden die Grundstücke das Abrechnungsgebiet, denen wegen ihrer räumlich engen Beziehung zur ausgebauten Einrichtung eine qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit dieser Einrichtung geboten wird. Damit kommt es auch für die Bildung des Abrechnungsgebietes auf den Einrichtungs- oder Anlagenbegriff an. Dieser ist identisch mit dem erschließungsbeitragsrechtlichen Anlagenbegriff (OVG Greifswald, Beschl. v. 15.09.1998 – 1 M 54/98 –, VwRR MO 1999, 104). Ebenso wie im Erschließungsbeitragsrecht ist daher für die Beantwortung der Frage, was beitragsfähige Einrichtung (Anlage) i.S.d. § 1 Satz 1 SBS und § 8 Abs. 1 Satz 1 M-V ist, darauf abzustellen, was sich bei natürlicher Betrachtungsweise als „gesamte Verkehrsanlage“ darstellt, wobei auf den Zustand nach Abschluss des Bauprogramms, d.h. auf das äußere Erscheinungsbild, das die Straße nach ihrem Ausbau erlangt hat, abzustellen ist (OVG Greifswald a.a.O.). Die Beurteilung richtet sich dabei nach dem Erscheinungsbild der Straße, wie es sich in seinem Gesamteindruck, geprägt durch die tatsächlichen Verhältnisse etwa in Gestalt von Straßenführung, -länge, -ausstattung, einem objektiven bzw. unbefangenen Beobachter vermittelt (OVG Greifswald, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 M 117/08 –, juris Rn. 18). Bei einem einheitlichen Verlauf und Ausbauzustand ist grundsätzlich von einer einheitlichen Verkehrsanlage i.S.d. natürlichen Betrachtungsweise abzustellen. Eine unterschiedliche Straßenbezeichnung ist dabei ebenso unerheblich wie eine einheitliche (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.04.1994 – 8 C 18/92 –, NVwZ-RR 1994, 539).

35

Gemessen an diesen Kriterien ist die Beschränkung des Abrechnungsgebietes auf den Bereich der J.-Straße trotz der Herstellung der Verbindung mit der H.-Straße nicht zu beanstanden. Die Verbindung zwingt nicht zu der Annahme, dass es sich bei der J.-Straße und der H.-Straße trotz der unterschiedlichen Bezeichnung in beitragsrechtlicher Hinsicht um eine einheitliche Anlage i.S.d. natürlichen Betrachtungsweise handelt. Zwar kann man durchaus von einem einheitlichen Verlauf sprechen, da die J.-Straße in einem leichten Bogen in die H.-Straße übergeht. Es fehlt jedoch bereits an einem einheitlichen Ausbauzustand. Die Fahrbahn der J.-Straße weist eine Breite von 7 m auf, die der H.-Straße nur von 6 m. Zudem verfügt die J.-Straße über einen beiderseitigen Gehweg, sowie einen Radweg, die H.-Straße dagegen nur über einen einseitigen Gehweg und keinen Radweg. Weiter ist die H.-Straße im Rahmen des Knotenausbaus nur auf eine Länge von ca. 100 m ausgebaut worden, obwohl bereits die parallel zur Bahntrasse verlaufende Teilstrecke dieser Verkehrsanlage eine Länge von über 300 m hat. Von einem einheitlichen Ausbauzustand kann auch unter diesem Gesichtspunkt keine Rede sein. Für den Gesamteindruck ist schließlich ebenfalls von Bedeutung, dass dem Brückenbauwerk der D.-Straße auch optisch eine trennende Funktion zukommt.

36

(3) Auch die Einbeziehung der klägerischen Grundstücke in den Vorteilsausgleich ist nicht zu beanstanden. Bei den Grundstücken Flurstücke G6 und G5 handelt es sich um unmittelbar an die J.-Straße angrenzende Anliegergrundstücke. Die Berücksichtigung des Grundstücks Flurstücke G1, G2, G3 und G4 ist als (nicht gefangenes) Hinterliegergrundstück zulässig und geboten. Insoweit liegt ein Fall der Eigentümeridentität mit den beiden an die J.-Straße angrenzenden Grundstücken vor. Diese und das Hinterliegergrundstück werden einheitlich genutzt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 05.11.2014 – 1 L 81/13 –, S. 12 ff. des Entscheidungsumdrucks).

37

Soweit die Klägerin die Bildung des Abrechnungsgebiets mit der Behauptung beanstandet, die in der J.-Straße befindlichen Grundstücke der insolventen ... GmbH seien vom Beklagten nicht berücksichtigt worden, um Einnahmeausfälle zu vermeiden, ist der Vortrag rein spekulativ und daher ebenfalls unbeachtlich. Der Beklagte hat vorgetragen, auch die Grundstücke der ... GmbH berücksichtigt zu haben. Gegenteiliges lässt sich den Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen.

38

(4) Die Anwendung der Maßstabsregel begegnet im Ergebnis keinen Bedenken. Zwar ist der berücksichtigte Vervielfältiger für die Art der baulichen Nutzung (Faktor 1,5) fehlerhaft, denn nach § 5 Abs. 5 Buchst. b SBS ist für Grundstücke in einem tatsächlich bestehenden (§ 34 Abs. 2 BauGB) oder durch Bebauungsplan ausgewiesenen Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) der Faktor 2,0 anzuwenden. Diese Vorschrift – und nicht die fehlerhafte (s.o.) Bestimmung des § 5 Abs. 5 Buchst. a SBS – ist vorliegend maßgeblich. Zwar sind die Grundstücke der Klägerin im Bebauungsplan Nr. 22 als Gemeinbedarfsflächen i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB ausgewiesen, was die Anwendung des § 5 Abs. 5 Buchst. b SBS, der Gemeinbedarfsflächen nicht nennt, eigentlich ausschließt. Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Bekanntmachung des Bebauungsplanes Nr. 22 fehlerhaft und der Bebauungsplan damit unwirksam ist. Seine Bekanntmachung erfolgte auf Grundlage der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt vom 8. August 2002, deren Bekanntmachungsvorschriften – wie bereits dargelegt – unwirksam sind.

39

Soweit die Klägerin meint, die Festsetzungen des Bebauungsplanes seien wegen seiner Bindungswirkung (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 19.06.2006 – 3 M 63/06 –, juris Rn. 25 ff.) auch für die Beitragserhebung maßgeblich, trifft dies nicht zu. Dabei kann dahin stehen, ob die Bindungswirkung, die vom Beklagten bei baurechtlichen Entscheidungen zweifellos zu beachten ist, für ihn auch bei – wie hier – baurechtsfremden (abgabenrechtlichen) Entscheidungen gilt. Denn mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG kann die Bindungswirkung keinesfalls für das erkennende Gericht gelten, dem im Umkehrschluss aus Art. 100 Abs. 1 GG eine im Rahmen der Inzidentprüfung eine Verwerfungskompetenz für untergesetzliche Normen zusteht.

40

Der weitere Einwand der Klägerin, der Beklagte profitiere von einem allein in seiner Sphäre aufgetretenen Fehler, denn bei einer Wirksamkeit des Bebauungsplanes käme es für die Beitragserhebung auf die (unwirksame) Bestimmung des § 5 Abs. 5 Buchst. a SBS an, greift ebenfalls nicht durch. Die dem Einwand zugrunde liegende Erwägung ist zwar verständlich, aber dem Beitragsrecht fremd. Es kommt für die Beitragserhebung nicht darauf an, wer von welchem Fehler profitiert. Vielmehr ist allein maßgeblich, ob das Satzungsrecht des Beklagten – soweit wirksam – eine Beitragsfestsetzung in der tatsächlich erfolgten Höhe erlaubt. Dies ist – wie noch zu zeigen sein wird – vorliegend der Fall.

41

Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 5 Buchst. b SBS liegen vor. Der gebietsbezogene Artzuschlag findet auch bei Grundstücken in faktischen Gewerbegebieten Anwendung. Die Eigenart der näheren Umgebung der klägerischen Grundstücke entspricht der eines faktischen Gewerbegebietes nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO.

42

Als nähere Umgebung in diesem Sinne ist der umliegende Bereich der Bauvorhaben anzusehen, soweit sich die Ausführung der Vorhaben auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstückes prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.08.1998 – 4 B 79.98 –, juris Rn. 7). Dabei sind die Grenzen der rahmenbildenden Bebauung nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.08.2003 – 4 B 74.03 –, juris Rn. 2). Bei der für die Prüfung erforderlichen Bestandsaufnahme ist dabei grundsätzlich alles tatsächlich Vorhandene in den Blick zu nehmen.

43

Nach diesen Kriterien ist auf der Grundlage der vom Beklagten vorgelegten Unterlagen und der im Internet (www.gaia-mv.de) einsehbaren maßstabsgenauen Überfliegungsfotos (zur Zulässigkeit einer lediglich auf Flurkarten und Lichtbilder gestützten Einstufung vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.12.2008 – 4 BN 26.08 –, juris Rn. 3) davon auszugehen, dass die Grundstücke der Klägerin hinsichtlich der Nutzungsart durch die Bebauung in dem Bauquartier beiderseits der J.-Straße geprägt wird, das aus den Grundstücken besteht, für die der (unwirksame) Bebauungsplan die Festsetzungen „GEe 1“, „GEe 2“, „GEe 3“, „Gemeinbedarf“ und „GE 5“ ausweist. Dabei handelt es sich fast ausnahmslos um große Gewerbeflächen mit einer – abgesehen von den Flächen im Bereich der Festsetzung „GEe 2“ – weitgehend einheitlichen Tiefe. Die östlich und nördlich an die Gemeinbedarfsflächen sowie die nördlich an die Flächen mit den Festsetzungen GEe 1 bis 4 angrenzenden Baugrundstücke – hierbei handelt es sich vornehmlich um Wohngrundstücke – haben keine das Bauquartier prägende Wirkung. Die andersartige Nutzung, vor allem aber der Umstand, dass die gewerblich genutzten und die wohngenutzten Grundstücke nicht miteinander „verzahnt“, sondern streng voneinander getrennt sind, schließen eine Prägung aus. Dieses Ergebnis ist auch naheliegend. Das Gericht kann bei der bodenrechtlichen Einstufung der klägerischen Grundstücke nicht an der Tatsache vorbeigehen, dass der Bebauungsplan Nr. 22 trotz seiner – zunächst allerdings unerkannten – Unwirksamkeit die bauliche Entwicklung in seinem Geltungsbereich beeinflusst und die Entstehung inhomogener Bebauungstrukturen verhindert hat. Als Folge davon ist ein einheitliches Gewerbegebiet entstanden, dessen Erschließungsanlagen – entgegen der Auffassung der Klägerin – keine trennende Wirkung haben. Dieser Gebietscharakter erstreckt sich auch auf die Grundstücke der Klägerin. Schulen und die dazugehörigen Nebenanlagen sind in Gewerbegebieten als Anlagen für kulturelle Zwecke (vgl. Boeddinghaus, BauNVO, 5. Auflage 2005, § 2 Rn. 24; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 10/2009, § 2 Rn. 80) zumindest ausnahmsweise zulässig (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Die Annahme einer faktischen Gemeinbedarfsfläche verbietet sich, da § 34 Abs. 2 BauGB ausschließlich auf die Baugebiete der Baunutzungsverordnung, nicht aber auf § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB verweist.

44

Der in der Anwendung des Faktors 1,5 liegende Fehler begründet keinen Aufhebungsanspruch. Denn er führt lediglich zu einer Entlastung der Klägerin. Der Beklagte hat bei allen Grundstücken mit der Festsetzung „GE“, „GEe“ und „Gemeinbedarf“ lediglich den Artzuschlag nach § 5 Abs. 5 Buchst. a SBS berücksichtigt. Daraus folgt, dass der Fehler für diese Grundstücke belastungsneutral ist. Lediglich Grundstücke außerhalb dieser Gebiete werden durch die mit der Anwendung des Faktors 1,5 verbundene Reduzierung der Beitragseinheiten und der damit einhergehenden Erhöhung des Beitragssatzes benachteiligt. In dem Maße, wie diese Grundstücke stärker belastet werden, werden die Grundstücke in festgesetzten oder faktischen Gewerbegebieten – und damit auch das Grundstück der Klägerin – entlastet. Dies zeigt die vom Beklagten mit Schriftsatz vom 5. März 2015 vorgelegte Beitragsneuberechnung, wonach die Berücksichtigung des Artzuschlages nach § 5 Abs. 5 Buchst. b SBS zu einer geringfügigen Mehrbelastung der Klägerin führen würde.

45

cc. Die Heranziehung der Klägerin ist schließlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

46

(1) Zunächst ist der Beitragsanspruch nicht gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 47 Abgabenordnung (AO) infolge Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Straßenausbaubeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Nach § 9 Satz 1 SBS entsteht die Beitragspflicht mit dem Abschluss der Baumaßnahme, sobald die Kosten feststehen und der erforderliche Grunderwerb grundbuchrechtlich durchgeführt ist. Die Kosten standen erst am 29. Mai 2009, dem Zeitpunkt des Eingangs des Ergebnisses der Verwendungsnachweisprüfung beim Beklagten fest. Auf den Zeitpunkt des Eingangs der letzten Unternehmerrechnung kann es nicht ankommen, denn für die Baumaßnahme waren Fördermittel ausgereicht worden, die auch den Beitragspflichtigen zugute kommen. Da das Entstehen der Höhe nach voll ausgebildeter sachlicher Beitragspflichten wegen der Abhängigkeit der Beitragshöhe von dem Umfang der erschlossenen Grundstücksflächen und vom umzulegenden Aufwand abhängt, liegt eine endgültige Herstellung erst dann vor, wenn auch die Größe der erschlossenen Grundflächen bestimmbar ist und der umlagefähige Aufwand fest steht (vgl. Driehaus a.a.O., § 19 Rn. 6 m.w.N.). Letzteres ist erst sei dem Eingang des Ergebnisses der Verwendungsnachweisprüfung beim Beklagten am 29. Mai 2009 der Fall. Die Bescheide, aufgrund derer die Fördermittel gewährt wurden, bilden keine Rechtsgrundlage für das endgültige Behaltendürfen der Zuwendungen. Hierüber wird erst in der Verwendungsnachweisprüfung entschieden. Damit hängt von diesem Prüfergebnis auch die Höhe des umlagefähigen Aufwandes ab. Da die sachliche Beitragspflicht sonach erst im Jahre 2009 entstanden ist, erfolgte die Heranziehung der Klägerin im Jahre 2013 innerhalb der Festsetzungsfrist.

47

(2) Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt aus der Formulierung in dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Grundstückskaufvertrag vom 16. September 2008, wonach mit einer Umlage von maximal 10.000,00 EUR zu rechnen sei, kein Einwand gegen die Beitragserhebung. Geht man mit dem Beklagten davon aus, dass es sich dabei um keine Zusicherung, sondern lediglich um eine grobe Schätzung handelt, liegt dies auf der Hand und bedarf keiner weiteren Darlegung.

48

Etwas anderes ergibt sich aber auch dann nicht, wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, dass es sich bei der Vereinbarung um die vertragliche Zusicherung handelt, Straßenbaubeiträge maximal in Höhe von 10.000,00 EUR zu erheben. Denn in diesem Fall wäre die Vereinbarung unwirksam. Der Zusage käme die Qualität eines (teilweisen) Beitragsverzichts zu. Dabei kann dahin stehen, ob ein Beitragsverzicht in Höhe eines fünfstelligen Euro-Betrages ohne Befassung der städtischen Gremien von dem bei der Beurkundung anwesenden Mitarbeiter des Antragsgegners überhaupt wirksam erklärt werden konnte (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 07.12.2000 – 1 L 9/00 –, juris Rn. 18). Denn jedenfalls verstieße eine solche Zusage sowohl gegen die in § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V normierte Beitragserhebungspflicht („…sind Straßenbaubeiträge zu erheben“) als gesetzlichem Verbot i.S.d. § 134 BGB als auch den aus Art. 3 Grundgesetz (GG) abgeleiteten Grundsatz, dass die Abgabenerhebung nur nach Maßgabe der Gesetze und nicht abweichend von den gesetzlichen Regelungen aufgrund von Vereinbarungen zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner erfolgen darf, und wäre daher unwirksam. Anhaltspunkte dafür, dass die Begrenzung der Beitragserhebung auf einen Höchstbetrag ausnahmsweise zulässig ist, etwa weil Leistungen der Antragstellerin angerechnet werden sollen, sind nicht ersichtlich.

49

Die – hier nur unterstellte – Zusage ist schließlich auch nicht deshalb als wirksam anzusehen, weil sie möglicherweise ursächlich für die Kaufentscheidung war. Denn es besteht kein Bedürfnis dafür, diesen Fall anders zu behandeln als die übrigen Fälle unwirksamer Zusagen, denn der Adressat einer solchen Zusage ist durch das Bestehen von Sekundäransprüchen hinreichend geschützt (vgl. BGH, Urt. v. 03.05.2001 – III ZR 191/00; Urt. v. 27.06.2008 – V ZR 135/07 –; Urt. v. 09.10.2008 – III ZR 37/08).

50

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen