Beschluss vom Verwaltungsgericht Halle (7. Kammer) - 7 A 16/12

Gründe

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Gemäß §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu gewäh-ren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

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Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nur dann gegeben, wenn mehr als eine theoretische Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Klage spricht (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 1997 - 1 BvR 391/93 -, NJW 1997, 2102, 2103), d.h. wenn der klägerische Rechtsstandpunkt ohne Überspannung der Anforderungen zutreffend oder bei schwieriger Rechtslage zumindest vertretbar erscheint (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 13. Mai 2003 - 2 O 145/03 -). Sie liegt nicht vor, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, 2745). Die Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage darf allerdings nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 1991 - 1 BvR 1386/91 -, NJW 1992, 889).

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Hiervon ausgehend ist der Klägerin, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, die beantragte Prozesskostenhilfe im tenorierten Umfang zu bewilligen. Dabei hat die Kammer das Klagebegehren im Hinblick auf den vorangegangenen Widerspruch der Klägerin gegen den Bewilligungsbescheid vom 11. Januar 2012 und den formulierten Klageantrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Januar 2012 in Gestalt des Abhilfebescheides vom 20. Januar 2012 (und des später ergangenen Bescheides vom 16. April 2012) zu verpflichten, der Klägerin Wohngeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen, dahingehend ausgelegt, dass die Klägerin ihr Widerspruchsbegehren auf Bewilligung eines höheren als des ursprünglich bewilligten Wohngeldes weiter verfolgt, obwohl sie zwischenzeitlich selbst die Auffassung vertritt, dass ihre Tochter M. wohngeldrechtlich nicht als Haushaltsmitglied zu berücksichtigen ist. Die so verstandene Klage bietet nach gegenwärtigem Sach- und Erkenntnisstand hinreichende Erfolgsaussichten im oben beschriebenen Sinn, soweit sie auf Aufhebung der den Bewilligungsbescheid vom 11. Januar 2012 „verbösernden“ Bescheide vom 20. Januar 2012 und vom 16. April 2012 gerichtet ist. Denn diese Bescheide sind aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Übrigen fehlt es an hinreichenden Erfolgsaussichten, denn der Klägerin steht für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 30. November 2012 kein höheres als das bewilligte Wohngeld von monatlich 146 Euro zu.

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Rechtsgrundlage für die Gewährung von Wohngeld ist § 1 des Wohngeldgesetzes (WoGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. September 2008 (BGBl. I, S. 1856) und der Änderung durch Gesetz vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I, S. 2963). Danach wird Wohngeld zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Zuschuss zur Miete oder zur Belastung geleistet. Ob und in welcher Höhe Wohngeld bewilligt wird, hängt gemäß § 4 WoGG von der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder (§§ 5 bis 8 WoGG), der zu berücksichtigenden Miete oder Belastung (§§ 9 bis 12) und dem Gesamteinkommen (§§ 13 bis 18) ab.

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Der Klägerin steht für den streitbefangenen Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 30. November 2012 Wohngeld in Form eines Lastenzuschusses in Höhe von monatlich 146 Euro zu. Bei einer wohngeldrechtlich berücksichtigungsfähigen Belastung für den selbst genutzten Wohnraum von 330,00 Euro und einem wohngeldrechtlich anzurechnenden monatlichen Einkommen von 516,53 Euro ergibt sich nach der Tabelle für einen Einpersonenhaushalt ein monatlicher Wohngeldanspruch in dieser Höhe. Insoweit wird zunächst auf die Berechnung in dem Ausgangsbescheid der Beklagten vom 11. Januar 2012 Bezug genommen.

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Die „verbösernden“ Bescheide vom 20. Januar 2012 und vom 16. April 2012 sind rechtswidrig, weil sie unzutreffend von einem Zweipersonenhaushalt ausgehen. Es spricht Überwiegendes dafür, dass M. nicht als Haushaltsmitglied zählt. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 WoGG ist Haushaltsmitglied u.a. auch, wer mit einem Haushaltsmitglied in gerader Linie verwandt ist, und mit der wohngeldberechtigten Person in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft lebt, wenn der Wohnraum, für den Wohngeld beantragt wird, der jeweilige Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ist. Dies trifft für die am 23. Januar 1996 geborene Tochter der Klägerin, die in einer Betreuungseinrichtung in Leipzig lebt, nicht zu. Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer minderjährigen Person ist zwar grundsätzlich die Wohnung der Personensorgeberechtigten (vgl. auch Nummer 5.61 der VwV-WoGG). Auch ist bei Kindern, die in Heimen untergebracht sind, in der Regel davon auszugehen, dass sie nur vorübergehend vom Haushalt abwesend sind (vgl. Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG, Kommentar Stand 1/2012, § 5 RdNr. 15). Ein solcher Regelfall liegt hier aber nicht vor. Die Klägerin hat die 52 m² große Wohnung, für die sie Wohngeld beantragt hat, zum 1. Dezember 2010 bezogen. M. war zu diesem Zeitpunkt bereits seit einiger Zeit unbefristet in einer Einrichtung untergebracht, nämlich seit August 2010 und hat in der aktuellen Wohnung selbst nie gewohnt. In der Wohnung wurde auch kein Raum für M. geschaffen, womit nicht nur ein eigenes Zimmer gemeint ist, sondern überhaupt Platz, an dem M. eigene persönliche Sachen unterbringen kann. Vielmehr schläft M. nach den Angaben der Klägerin in deren Bett, wenn sie am Wochenende bei ihr ist. In der Wohnung finden sich dem Vortrag der Klägerin zufolge keine Gegenstände der Tochter. Bekleidung oder Kosmetika würden dort nicht vorgehalten, M. bringe diese Sachen jeweils mit und nehme sie wieder mit in die Einrichtung zurück (vgl. zum Fall, dass für den Abwesenden tatsächlich kein Wohnraum mehr vorgehalten wird BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1984 - 8 C 175.81 -, juris). Zudem muss gesehen werden, dass M. zum Zeitpunkt der Beantragung des Wohngeldes im Dezember 2011 schon fast 16 Jahre alt war, so dass nach einem deutlich über einjährigem Aufenthalt in der Einrichtung angesichts der geschilderten objektiven Umstände von einem Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen aufgrund der vierzehntäglichen Besuche im Haushalt der Mutter kaum ausgegangen werden kann (vgl. zum Gesichtspunkt des Lebensalters Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, a.a.O., § 5 RdNr. 12). Ist hiernach voraussichtlich von einem Einpersonenhaushalt auszugehen, kommt ein höherer Wohngeldanspruch nicht in Betracht.

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Der Vollständigkeit halber weist die Kammer darauf hin, dass die „verbösernden“ Bescheide voraussichtlich auch dann rechtswidrig wären, wenn man von einem Zwei-Personenhaushalt ausginge. Denn sie rechnen ein wohngeldrechtlich nicht zu berücksichtigendes Einkommen der Tochter der Klägerin an. Die Beklagte hat den Beitrag zu den Kosten der Heimunterbringung, zu dem der Vater von M. nach § 92 SGB VIII herangezogen wird, als deren Einkommen nach § 11 Abs. 2 Nr. 19 WoGG gewertet. Bei dem Betrag von 250 Euro monatlich, den der Vater an das Jugendamt zahlt, handelt es sich aber nicht um eine Unterhaltszahlung an seine Tochter. Der Vater von M. wird zwar in dem Umfang, in dem er zu einem Kostenbeitrag herangezogen wird, von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Tochter befreit (vgl. § 10 Abs. 2 SGB VIII), zahlt aber gerade keinen Unterhalt, sondern beteiligt sich an den Kosten der Heimunterbringung.

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Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint erforderlich, so dass dieser beizuordnen ist (§§ 166 VwGO, 121 Abs. 2 ZPO). Dabei ist entgegen dem Wortlaut des § 121 ZPO auch die Beiordnung einer Anwalts-GmbH im Sinne der §§ 59c ff. BRAO zulässig (vgl. BayLSG, Beschluss vom 21. Juni 2010 - L 2 U 428/09 B PKH -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Juni 2010 - L 19 AS 651/10 B -; OLG Nürnberg, Beschlüsse vom 1. Juli 2002 - 10 WF 1088/02 - und vom 15. Juli 2002 - 10 WF 1443/02 -; s.a. zur Beiordnung einer RA-Sozietät BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - IV ZR 343/07 - und zur Beiordnung einer RA-AG LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Februar 2010 - 2 Ta 12/10 -, a.A. OLG Celle, Beschluss vom 2. Mai 2003 - 7 U 11/03 -; Sächsisches LSG, Beschluss vom 24. April 2012 - L 3 AS 569/10 B PKH -). Die Rechtsanwaltsgesellschaft kann als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden (§ 59l Satz 1 BRAO). Sie hat dabei die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts (§ 59l Satz 2 BRAO) und handelt nach § 67 Abs. 2 Satz 3 VwGO durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragen Vertreter. Der Wortlaut des § 121 Abs. 1 ZPO, wonach „der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet“ wird, steht einer Beiordnung der Rechtsanwalts-GmbH nicht entgegen. Die bloße Wortlautauslegung des § 121 Abs. 1 ZPO ist im Hinblick auf die zeitlich späteren Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht teleologisch zu eng. § 121 Abs. 1 ZPO ist daher im Lichte der §§ 59c, 59l BRAO verfassungskonform im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG auszulegen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Juni 2010 - L 19 AS 651/10 B - unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 17. September 2009, a.a.O.). Hiernach ist antragsgemäß die von der Klägerin bevollmächtigte Rechtsanwalts-GmbH beizuordnen, wobei die Kammer den Antrag auf Beiordnung der überörtlich tätigen GmbH mit Blick auf § 121 Abs. 3 ZPO dahingehend auslegt, dass auf die Erstattung von Reisekosten für Sozien aus entfernt gelegenen Niederlassungen verzichtet wird (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N.).

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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 1 Nr. 2, 3 Abs. 2 GKG, § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.


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