Urteil vom Verwaltungsgericht Hamburg (8. Kammer) - 8 A 486/17
Tenor
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrages als unzulässig und begehrt hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten.
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Der Kläger, ein am ... in Bagdad geborener irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volks- und islamisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben Ende August 2015 aus dem Irak aus und am 22. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte hier am 17. Februar 2016 einen ersten Asylantrag.
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Mit Schreiben vom 25. Februar 2016 trug der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vor, er habe in Bagdad, in Aladamiye gelebt. Er habe die Grundschule abgeschlossen und dann im Bereich Mechanik gearbeitet. Die Regierung sei ohnmächtig und die Milizen würden immer stärker werden. Die Regierung sei nicht im Stande, die Milizen zur Rechenschaft zu ziehen. Vor zwei Wochen hätten die Milizen zwei seiner Kollegen entführt. Diese Miliz würde seine Kollegen beschuldigen, dass sie dem IS angehören würden, dass sie Kinder entführt hätten und dass sie die allgemeine Sicherheit/Stabilität gefährden würden. Sein Name sei am Ende auf der Liste dieser Milizen gelandet. Daher sei er über Kurdistan in die Türkei geflohen.
- 4
Im Rahmen seiner ersten Anhörung gem. § 25 AsylG Bundesamt am 24. März 2016 gab der Kläger ausweislich der hierzu aufgenommenen Niederschrift im Wesentlichen u.a an: Er habe zuletzt in Bagdad, Aladamiya, mit seinen Eltern und Geschwistern gelebt. Einen Monat vor seiner Ausreise sei er jedoch bei seiner Schwester gewesen, die in Al Karade lebe. Er habe die Grundschule abgeschlossen und dann als PKW-Mechaniker gearbeitet. Zu seinem Verfolgungsschicksal befragt, erklärte der Kläger, vier seiner Freunde seien vom Regime festgenommen worden. Der Grund sei gewesen, dass sie [vermeintlich] für den IS arbeiteten und Kinder entführten. Das sei nur gewesen, weil sie Sunniten seien. Sie hätten mit dem IS jedoch nichts zu tun. Ihm persönlich sei jedoch nichts passiert. Zweimal seien allerdings Polizisten bei ihnen zu Hause gewesen und hätten das Haus durchsucht.
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Mit Schreiben vom 30. September 2016 nahm der Kläger seinen Asylantrag zurück, weil er freiwillig ausreisen wolle. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Oktober 2016 das Asylverfahren ein und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen und drohte ihm die Abschiebung in den Irak an.
- 6
Am 18. November 2016 stellte der Kläger einen Folgeantrag. Er gab hierzu schriftlich an, dass er sich entschlossen hatte, in den Irak zurückzukehren, das Problem aber gewesen sei, dass es sich in seinem Herkunftsstaat herumgesprochen habe, dass er bald wieder zurückkehren werde. Diejenigen, die ihn bedroht hätten, hätten es mitbekommen und seine Eltern aufgesucht. Seine Familie habe ihn sofort benachrichtigt und ihm sei klar gewesen, dass es doch nicht sicher sei.
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Im Rahmen einer Anhörung vor dem Bundesamt am 8. Dezember 2016 gab der Kläger ausweislich der hierzu aufgenommenen Niederschrift im Wesentlichen an: Seine Eltern hätten gesagt, er könne nicht nach Bagdad zurückkehren. Er habe über seinen Facebook-Account kommuniziert, dass er in den Irak zurückkehre. Dann hätten ihm seine Eltern Bescheid gegeben, dass ihr Haus Ende Oktober 2016 durchsucht worden sei. Es sei nach ihm gesucht worden. Viele seiner Freunde seien verhaftet worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, die Leute, die das Haus durchsucht hätten seien maskiert gewesen. Es könnten Leute vom Militär oder von anderen Parteien oder Milizen gewesen sein. Nach ihm werde gesucht, weil die denken würden, dass seine Freunde und er IS-Anhänger seien. Diese Personen würden deshalb davon ausgehen, dass sie IS-Anhänger seien, weil sie Sunniten seien. Auf weitere Nachfrage erklärte der Kläger, die Leute hätten bei der Durchsuchung gar nichts zu seinen Eltern gesagt. Die hätten das Haus nach Waffen durchsucht. Die Frage, ob die Leute explizit nach ihm gefragt hätten, verneinte der Kläger.
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Mit Bescheid vom 5. Januar 2017 lehnte die Beklagte den Antrag als unzulässig (Ziffer 1) und den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 6. Oktober 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Ziffer 2) und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen und drohte ihm widrigenfalls die Abschiebung in den Irak an (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete die Beklagte auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung führt die Beklagte aus, der Antrag sei unzulässig. Ein weiteres Asylverfahren sei gemäß § 71 Abs. 1 AsylG nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien, folglich Wiederaufgreifensgründe vorlägen. Die nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erforderliche Änderung der Sachlage sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Kläger habe angegeben, dass sein Elternhaus im Oktober 2016 nach Waffen durchsucht worden sei. Nach ihm persönlich sei nicht gefragt worden. Demzufolge sei nicht davon auszugehen, dass die Hausdurchsuchung bezüglich des Klägers durchgeführt worden sei. Der Sachvortrag des Klägers sei vage und unsubstantiiert. Demnach sei der Sachvortrag nicht geeignet, um von einer Sachlagenänderung auszugehen. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG seien, wie dargelegt, nicht erfüllt. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gemäß § 49 VwVfG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls nicht vor. Der Kläger sei nach eigenen Angaben gesund. Er habe Familie im Irak. Somit sei davon auszugehen, dass er auf diesen Familienverbund zurückgreifen und mit dieser Hilfe eine Existenz im Irak aufbauen könne.
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Der Kläger hat am 16. Januar 2017 Klage erhoben und um Eilreichsschutz nachgesucht. Er meint, die Beklagte habe zu Unrecht seinen Folgeantrag sowie seinen Antrag auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes als unzulässig abgelehnt. Er habe neue Gründe vorgetragen. Der Grund seines ersten Asylantrags sei die Verhaftung seiner Freunde gewesen. Als er nunmehr habe ausreisen wollen, habe er telefonisch von seinen Eltern erfahren, dass ihre Wohnung in der Vergangenheit regelmäßig und nun auch noch einmal ganz aktuell von Milizen durchsucht worden sei. Es handele sich dabei um Zusammenschlüsse verschiedener Aktivisten, die junge Männer entweder ohne Grund verhaften oder für den „Krieg“ rekrutieren. Er könne nicht sagen, welche Miliz die Wohnung seiner Eltern durchsucht habe. Es könne sich auch um staatliches Militär gehandelt haben. Die Milizen hätten seinen Eltern nicht explizit mitgeteilt, dass sie seinen Namen haben und nach ihm suchen. Klar sei aber, dass, wenn er zu Hause gewesen wäre, sie ihn mitgenommen hätten. Er habe zwei Freunde, die schon seit Jahren im Gefängnis sitzen würden, weil sie von einer Miliz verhaftet und ohne Grund ins Gefängnis gesteckt worden seien. Die Leute, die zu seinen Eltern gekommen seien, hätten immer Uniformen getragen und seien mit offiziellen Fahrzeugen des Staates gekommen. Im Falle einer Rückkehr werde er entweder von einer Miliz zum Kämpfen gezwungen oder einfach verhaftet. Sein Vater sei bis 2003 in der Armee von Saddam Hussein gewesen. Er sei 2003 mit 65 Jahren ausgeschieden. Da er schon alt sei, habe er keine großen Probleme mehr. Aber er, der Kläger, als sein Sohn sei auf jeden Fall denen auch bekannt. Darüber hinaus sei es für Sunniten in Bagdad schwierig, weil Bagdad hauptsächlich von den Schiiten geführt werde. Mit Schreiben vom 26. Juni 2017 macht der Kläger weiter geltend: Er habe im Irak Freunde gehabt, die zu friedlichen Demonstrationen gegen die schiitische Regierung gingen. In seiner Freizeit habe er die begleitet, um mehr Rechte zu fordern. X. sei derjenige gewesen, der die Demos jeden Freitag nach dem Freitagsgebet in der Moschee des Imam Abu Hanife in Adamiye organisiert habe. Es hätten alle sunnitischen Bezirke demonstriert. Dann hätten die Milizen den Platz gestürmt und die Leute festgenommen und mit ihnen seine Freunde. Man habe sie ins Gefängnis gebracht und gefoltert. Als er das mitbekommen habe, sei er zu seiner Schwester in Karada gegangen. Seine Familie habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass die Milizen ins Haus gekommen seien und nach ihm gefragt hätten. Daraufhin sei er aus dem Irak ausgereist. Im März 2016 sei er in der Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg mit einem ehemaligen Angehörigen der irakischen Milizen und des Geheimdienstes aneinander geraten, nämlich X., der aus Deutschland abgeschoben worden und zu seiner Familie gegangen sei und ihnen gesagt habe, dass er wegen ihm, dem Kläger, in den Irak zurückgekehrt sei und dass er ihn geschlagen habe und er Geld wolle, damit sie ihren Sohn befreien würden und er würde den Kläger auf die Liste der Terroristen in Bagdad setzen. Nachdem er, der Kläger, lange gewartet habe, habe er sich entschieden, in den Irak zurückzukehren. Er habe die freiwillige Rückkehr in den Irak beantragt. Dann habe er auf Facebook gepostet, dass er in den Irak zurückkehren werde und nach drei Wochen habe ihn seine Familie angerufen und ihm gesagt, dass Milizen zu ihnen nach Hause gekommen und nach ihm gefragt hätten.
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In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage insoweit zurückgenommen, als sie auf die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten in Ziffer 4 des Bescheides vom 5. Januar 2017 (Einreise- und Aufenthaltsverbot) gerichtet war.
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Der Kläger beantragt nunmehr noch,
- 12
1. den Bescheid vom 5. Januar 2017 aufzuheben,
- 13
2. hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheids vom 5. Januar 2017, festzustellen, dass zugunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks vorliegt.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
- 16
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
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Im Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Hamburg mit Beschluss vom 23. Mai 2017 (14 AE 487/17) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet, weil ernstliche Zweifel an der Annahme der Beklagten bestünden, dass ein Wiederaufgreifensgrund gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht vorliege.
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Mit Beschluss vom 15. April 2020 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
- 19
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung am 12. Juni 2020 persönlich angehört worden. Hinsichtlich seiner Angaben wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
- 20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie auf die Asylakten des Bundesamts zu den Geschäftszeichen ... und ... Bezug genommen, welche ebenso zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden wie die mitgeteilten Erkenntnisquellen.
Entscheidungsgründe
I.
- 21
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, auf den der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG übertragen worden ist. Der Entscheidung steht nicht entgegen, dass für die Beklagte in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist. Hierauf ist die Beklagte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO mit der Ladung hingewiesen worden.
II.
- 22
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
III.
- 23
Die Klage ist, soweit darüber noch zu entscheiden ist, zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
- 24
1. Mit dem Hauptantrag ist die Klage als Anfechtungsklage statthaft, weil die Beklagte vorliegend eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG getroffen hat. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folgeanträgen, die als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, ist mit der Anfechtungsklage anzugreifen (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016, Az.: 1 C 4.16, juris, Rn. 17 ff.).
- 25
Die Klage ist insoweit unbegründet. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
- 26
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG (a)) noch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Ermessenswege nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1, § 49 Abs. 1 VwVfG (b)).
- 27
a) Stellt ein Ausländer, wie hier der Kläger, nach Rücknahme (oder unanfechtbarer Ablehnung) eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Dies ist der Fall, wenn sich die zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich – nach Abschluss des früheren Asylverfahrens – zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).
- 28
§ 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Bei dieser Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind. Hierfür genügt die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.3.2000, 2 BvR 39.98, juris, Rn. 32 m.w.N.). Ferner ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.
- 29
Das Vorbringen des Klägers rechtfertigt nicht die Annahme, dass sich die Sach- oder Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nach der Rücknahme des Asylantrags mit Schreiben vom 30. September 2016 nachträglich zu seinen Gunsten geändert hat. Eine Änderung der Sachlage kann sich daraus ergeben, dass sich die allgemeinen politischen Verhältnisse im Herkunftsland oder die spezifisch für den Asylantragsteller wesentlichen Umstände oder Lebensbedingungen in einer Weise verändert haben, die eine asylrechtlich relevante Gefährdung erst möglich erscheinen lassen. Eine Änderung der Rechtslage setzt im Grundsatz voraus, dass sich die Gesetzeslage zugunsten eines abgewiesenen Asylbewerbers verändert hat (vgl. etwa Hailbronner, Ausländerrecht, 98. Akt. (Oktober 2016), § 71 AsylG, Rn. 59, 62). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
- 30
Soweit der Kläger behauptet, das Haus seiner Eltern sei Ende Oktober 2016 durchsucht worden, handelt es sich zwar um einen neuen Umstand, der aber auch bei Wahrunterstellung keine Änderung der Sachlage zugunsten des Klägers bedeutet. Denn es handelt sich nach dem Vortrag des Klägers um eine Bedrohung durch dieselben, nicht konkret bezeichneten Akteure, die in gleicher Form bereits Gegenstand des Asylerstverfahrens war. In der Anhörung am 24. März 2016 berichtete der Kläger gegenüber dem Bundesamt bereits, dass das Haus zweimal durchsucht worden sei. Auch nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung soll es bereits vor seiner Ausreise zweimal Hausdurchsuchungen geben haben. Es soll sich dabei jeweils um die Milizen gehandelt haben, die auch seine Freunde verhaftet hätten. Es ist mithin nicht dargelegt oder sonst erkennbar, dass aufgrund der neuerlichen Durchsuchung – diese als wahr unterstellt – sich die behauptete Bedrohungslage so verdichtet hat, dass von einer neuen Qualität bzw. einem qualitativen Sprung gesprochen werden kann (zu diesem Erfordernis Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar zum AsylG, 113. Aktualisierung (Oktober 2017), § 71, Rn. 290) und mithin eine zugunsten des Klägers geänderte Sachlage angenommen werden kann. Es gibt keine Hinweise auf eine Intensivierung der behaupteten Bedrohungslage. Insbesondere wurde nach Angabe des Klägers (Anhörung vom 8. Dezember 2016) bei der Durchsuchung nicht einmal nach ihm gefragt, sondern nach Waffen gesucht.
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Sonstige neue Umstände, aus denen sich eine Bedrohung des Klägers ergeben könnte, hat dieser nicht vorgetragen.
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Es liegen auch keine neuen Beweismittel gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO wurden nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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b) Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Ermessenswege nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1, § 49 Abs. 1 VwVfG zu. Das Bundesamt handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn es ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf den rechtskräftigen Bescheid im Asylverfahren ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen des Bundesamts. Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung gebieten, das Ermessen der Behörde also zugunsten des Betroffenen verdichten, müssen von einer den in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.2009, Az.: 1 C 26/08, zit. nach juris Rn. 20). Derartige Gründe sind vom Kläger weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
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2. Die Klage ist mit dem Hilfsantrag, der auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG und somit auf einen anderen Streitgegenstand als die Unzulässigkeitsentscheidung bezüglich des Antrags auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens mit dem Ziel der Anerkennung als Asylberechtigter beziehungsweise der Gewährung internationalen Schutzes gerichtet ist, als Verpflichtungsklage statthaft (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016, 1 C 4.16, juris, Rn. 20 a.E.).
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Die Klage hat aber auch insoweit in der Sache keinen Erfolg. Die Ablehnung der begehrten Feststellung ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist bei einem Asylfolgeantrag nur nach Maßgabe der Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG möglich, die hier nicht vorliegen (s.o. 1.).
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Lehnt das Bundesamt auf einen Folgeantrag hin die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen insofern nicht vor, ist es dem Wortlaut von § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG nach zwar gleichwohl zur Feststellung verpflichtet, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Diese Feststellung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG hat indes auch nach dem Inkrafttreten von Artikel 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. Teil I, S. 1939, 1946) nicht unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 VwVfG zu erfolgen, sondern nur, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vorliegen (so auch u.a.: VG Gießen, Urt. v. 15.5.2019, 2 K 3083/17.GI.A, juris, Rn. 30; VG Sigmaringen, Urt. v. 10.3.2017, A 3 K 3493/15, juris Rn. 40; VG Trier, Urt. v. 21.1.2020, 1 K 3689/18.TR, https://www.asyl.net/rsdb/m28067/; a.A.: OVG Bautzen, Urt. v. 21.6.2017, 5 A 109/15.A, juris, Rn. 26; VG München, Beschl. v. 8.5.2017, M 2 E 17.37375, juris, Rn. 17; VG Oldenburg, Beschl. v. 16.3.2017, 3 B 1322/17, juris, Rn. 11; Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, hrsg. v. Kluth/Heusch, Stand: 1.3.2020, § 31 AsylG, Rn. 14, 21; offengelassen durch: OVG Münster, Urt. v. 18.6.2019, 13 A 3930/18.A, juris, Rn. 30 ff.).
- 38
Selbst wenn der Wortlaut von § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG eine solche Einschränkung nicht enthält, sprechen die Entstehungsgeschichte der Norm und der Gesetzeszweck entscheidend für diese Auslegung:
- 39
Vor dem Inkrafttreten von Artikel 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 entsprach es allgemeiner Auffassung, dass die Feststellung von (nationalen) Abschiebungsverboten bei Folgeanträgen vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 VwVfG abhängig sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.10.2004, 1 C 15/03, juris, Rn. 10 ff.; Urt. v. 21.3.2000, 9 C 41/99, juris, Rn. 9; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, Rn. 42). Durch Artikel 6 Nr. 11 lit. c) Integrationsgesetz wurde § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG dahin geändert, dass die Vorschrift statt für „unbeachtliche“ nunmehr für „unzulässige“ Asylanträge gilt. Nach früherer Rechtslage waren Asylfolgeanträge allerdings nicht „unbeachtlich“, fielen mithin nicht unter § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Unbeachtlich waren nach dem seit 1992 geltenden Recht gemäß § 29 AsylVfG und der entsprechenden Nachfolgeregelung in § 29 AsylG a.F. nur solche Asylanträge, bei denen offensichtlich war, dass der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 29, Rn. 1). Demgegenüber sind „unzulässige“ Asylanträge nach der ebenfalls durch Artikel 6 (Nr. 7) des Integrationsgesetzes geänderten Fassung von § 29 AsylG (Abs. 1 Nr. 5) AsylG nunmehr u.a. solche, auf die hin im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Indem der Gesetzgeber mit der Änderung durch das Integrationsgesetz in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf „unzulässige“ Asylanträge abstellt, sind dem Wortlaut nach mithin auch Asylfolgeanträge von der Regelung umfasst.
- 40
Den Gesetzesmaterialien lässt sich aber nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber damit die Konsequenz herbeiführen wollte, dass über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG unabhängig davon zu entscheiden ist, ob die Voraussetzungen von § 51 VwVfG vorliegen. Vielmehr sollte die Zusammenfassung der Unzulässigkeitstatbestände in § 29 AsylG – unter Einbeziehung der Fälle in denen auf einen Folge- oder Zweitantrag kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 5) – lediglich der besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung dienen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/8615, S. 51). Dass durch die Bezugnahme auf (alle) „unzulässigen“ Asylanträge in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ein Verständnis der Norm nahegelegt werden könnte, wonach für Asylfolgeanträge bezüglich der Abschiebungsverbote Wiederaufgreifensvoraussetzungen nicht zu prüfen sind, hatte der Gesetzgeber ersichtlich nicht vor Augen. Vielmehr erfolgte die Änderung in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG, wonach nunmehr auf „unzulässige“ (statt auf „unbeachtliche“) Asylanträge abgestellt wird, lediglich aus redaktionellen Gründen, weshalb diese in der Begründung des Gesetzentwurfs als bloße „Folgeänderung“ bezeichnet wird (BT-Drs. 18/8615, S. 52). Ein gesetzgeberischer Wille für eine materielle Rechtsänderung, die zudem den Grundsatz der Bestandskraft durchbrechen würde, indem bei Asylfolgeanträgen trotz ggf. bereits ergangener bestandskräftiger Entscheidung regelmäßig unabhängig von Wiederaufgreifensvoraussetzungen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG inhaltlich zu prüfen wären, lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen. Diese sprechen sogar gegen eine solche Rechtsänderungsabsicht. Denn die Änderungen im Asylgesetz durch das Integrationsgesetz sollten das Asylverfahren effizienter ausgestalten (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/8615, S. 26). Dem liefe es zuwider, wenn das Bundesamt bei Asylfolgeanträgen unter Durchbrechung der Bestandskraft der entgegenstehenden Entscheidung die materiellen Voraussetzungen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG auch dann prüfen müsste, wenn die Wiederaufgreifensvoraussetzungen nicht vorliegen.
IV.
- 41
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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