Urteil vom Verwaltungsgericht Koblenz (4. Kammer) - 4 K 834/19.KO

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung.

2

Ihre Gesellschafter sind Eigentümer der Grundstücke Flur …, Flurstück-Nr. …/189, …/333, …/334, …/373, …/372 in der Gemarkung A.. Diese Grundstücke bilden ein Rechteck von circa 130 m×180 m, auf dem um einen Parkplatz, welcher von der Straße B. angefahren wird, Verkaufsgebäude angeordnet sind. Derzeit sind auf dem Areal ALDI, LIDL, KiK, Takko, ein Friseur, eine Apotheke und Ernstings Family angesiedelt. Zur Veranschaulichung der örtlichen Verhältnisse wird auf den folgenden Auszug aus geoportal verwiesen:

3

Die klägerischen Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „C.“.

4

In seiner Ursprungsfassung vom 25. Juni 1990 setzt der Bebauungsplan für den Bereich der klägerischen Grundstücke ein Industriegebiet fest. Zudem enthält er die Festsetzung eines „Sondergebiets 1“ für großflächige Einzelhandelsbetriebe im Osten des Industriegebiets, in welchem nach Ziffer I. 1.3.1 der textlichen Festsetzungen unter anderem Verbrauchermärkte nach der Art der baulichen Nutzung zulässig sind. Gemäß Ziffer I.2.4 der textlichen Festsetzungen sind nach dem Maß der baulichen Nutzung Verbrauchermärkte mit einer Verkaufsfläche von höchstens 4.500 m² zulässig.

5

Die 4. Änderungsfassung des Bebauungsplans vom 24. Mai 2004 setzt für den Bereich der klägerischen Grundstücke ein „Sondergebiet 3“ fest mit folgenden textlichen Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung:
„Art der baulichen Nutzung – SO3 –
Sondergebiet für großflächige Einzelhandelsbetriebe
Zulässig sind Einzelhandelsbetriebe, deren innenstadtrelevanten Sortimente ausschließlich auf folgende Arten und Verkaufsflächen beschränkt sind:
Textilwaren max. 1.670 m²
Discounter max. 1770 m²
Drogeriewaren max. 630 m²
Getränkewaren max. 360 m²*)
Elektro/Multimediawaren max. 420 m²*)
Anmerkung: Die mit *) gekennzeichneten Arten wurden aufgrund des Stadtratsbeschlusses vom 02.03.2004 entsprechend dem Ergebnis des Zielabweichungsverfahrens ergänzt.
(…)
Hinweis:
Der Planung geht ein Zielabweichungsverfahren gemäß Landesplanungsgesetz voraus, das zur Verwirklichung der baulichen Nutzung erforderlich war. Da das Zielabweichungsverfahren antragsgebunden ist, entsprechen die Festsetzungen des Bebauungsplans den Antragsunterlagen der Verbandsgemeindeverwaltung D. vom 23.04.2003.“

6

Mit der 13. Änderungsfassung des Bebauungsplans vom 17. März 2016 wird die Verkaufsflächenobergrenze für Discounter auf 2000 m² angehoben.

7

Die Klägerin beabsichtigt die Umnutzung der im nordwestlichen Teil liegenden Teilfläche des auf dem Grundstück Flur …, Flurstück-Nr. …/189, postalische Anschrift B. stehenden Gebäudes. Die ehemals als dm-Markt genutzte, derzeit leerstehende Verkaufshalle sowie ein Teil der nebenanliegenden Fläche (ehemals KiK) sollten zusammengelegt und als Action-Verkaufsmarkt umgenutzt werden. Hinsichtlich des Sortiments des Action Marktes wird auf die in der Verwaltungsakte befindliche Tätigkeitsbeschreibung (Bl. 15 der Bauakte) verwiesen.

8

Am 16. April 2018 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Baugenehmigung für die beschriebene Nutzungsänderung von einem dm-Drogeriemarkt zu einem Action-Markt mit einer Verkaufsfläche von 791 m² und die Erweiterung der Grundfläche von 750,14 m² auf 928,26 m². Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens machte sie geltend, die Festsetzungen des Bebauungsplans „C.“ in der der 4. und 13. Änderungsfassung stünden dem Vorhaben nicht entgegen, da der Bebauungsplan unwirksam sei. Die Festsetzung „Discounter“ sei nicht hinreichend bestimmt und die Verkaufsflächenobergrenze sei baugebietsbezogen und vorhabenunabhängig und daher unzulässig.

9

Mit Stadtratsbeschluss vom 20. August 2018 verweigerte die Beigeladene ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben.

10

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 11. Januar 2019 die Erteilung der beantragten Baugenehmigung ab. Die Nutzungsänderung widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans, von dessen Wirksamkeit er ausgehe. Bei dem Handelswarenmarkt Action handle es sich ausweislich des Sortiments um einen Non-Food Discounter. Die maximale Verkaufsfläche für Discounter von 2000 m² werde bereits durch den LIDL- und ALDI-Markt, die zusammen eine Verkaufsfläche von 2001,60 m² aufwiesen, ausgenutzt. Eine Befreiung komme weder nach § 31 Abs. 1 des Baugesetzbuches – BauGB – noch nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht, da die Grundzüge der Planung berührt würden.

11

Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch wiederholte die Klägerin ihre Begründung aus dem Ausgangsverfahren und führte ergänzend an, das Vorhaben sei bei einer Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit nach § 34 BauGB zulässig. Das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein, da es sich nicht um ein großflächiges Vorhaben handle. Schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche seien mangels Großflächigkeit nicht zu erwarten und von dem Beklagten nicht dargelegt.

12

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2019 wies der Kreisrechtsausschuss bei dem Beklagten den Widerspruch mit folgender Begründung zurück: Zwar trage die Klägerin Gründe vor, die aufgrund unzulässiger Kontingentierung der Verkaufsflächen für eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans sprächen. Jedoch habe er, der Kreisrechtsausschuss, keine Normverwerfungskompetenz, sodass er den Bebauungsplan in seiner 4. und 13. Änderungsfassung anwende. Hiervon ausgehend sei das Vorhaben wegen Ausschöpfung des Kontingents für Discounter im Sondergebiet 1 unzulässig.

13

Mit ihrer am 1. August 2019 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie die Ausführungen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Ergänzend führt sie im Wesentlichen an, es handle sich lediglich um eine – keine besondere Sog- und Magnetwirkung auslösende – Agglomeration von Einzelhandelsbetrieben.

14

Die Klägerin beantragt,

den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 11. Januar 2019 und den dazu ergangenen Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses E. vom 15. Juli 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin die mit ihrem Bauantrag vom 10. April 2018 beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

15

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend führt er im Wesentlichen an, die im Bebauungsplan in der 4. und 13. Änderungsfassung vorgesehene baugebietsbezogene Verkaufsflächenbegrenzung sei ausnahmsweise zulässig, wenn wie vorliegend zwar mehrere Einzelbetriebe geplant seien, diese jedoch ein Einkaufszentrum bildeten. Aus der Historie des Bauleit- und Zielabweichungsverfahrens ergebe sich, dass diese gerade auf die Verwirklichung des vorliegenden Einkaufszentrums abzielten, sodass die Verkaufsflächenbegrenzung betriebsbezogen sei. Auch bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans in der 4. und 13. Änderungsfassung sei das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig. Die Zulässigkeit sei dann nach dem Ursprungsbebauungsplan zu beurteilen, der für das Areal ein Industriegebiet festsetze. Das Areal sei als Einkaufszentrum i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) zu charakterisieren und daher im Industriegebiet unzulässig. Durch die gemeinsame Zufahrt und die zentral für alle Betriebe angelegten Parkplätze stelle sich der Komplex für Kunden als ein gemeinsames, verbundenes Konzept dar.

17

Die Beigeladene stellt keinen Antrag und schließt sich der vom Beklagten dargelegten Auffassung an.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakte des Beklagten (19 Hefte und ein Plan) Bezug genommen; sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid vom 11. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Sie hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung.

20

Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Erteilung einer Baugenehmigung ist § 70 Abs. 1 Satz 1 der Landesbauordnung – LBauO. Danach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.

21

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da das klägerische Vorhaben gegen die bauplanungsrechtliche Vorschrift des § 30 Abs. 1 BauGB verstößt. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich nach dem Bebauungsplan „C.“ in der Ursprungsfassung vom 13. Oktober 1992 (I.) und das klägerische Vorhaben widerspricht dessen Festsetzungen (II).

I.

22

Da der Bebauungsplan „C.“ in der 4.-13. Änderungsfassung, welcher für das Vorhabengrundstück ein Sondergebiet „großflächiger Einzelhandel“ festsetzt, jedenfalls bezüglich der Sondergebietsfestsetzung unwirksam ist (1.), beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens nach den Festsetzungen des Bebauungsplans „C.“ in seiner Ursprungsfassung vom 13. Oktober 1992, welcher für das Vorhabengrundstück wirksam ein Industriegebiet festsetzt (2.).

1.

23

Der Bebauungsplan „C.“ in der 4.-13. Änderungsfassung enthält für den Bereich, in welchem sich das klägerische Vorhaben befindet, die Festsetzung baugebietsbezogener, vorhabenunabhängiger Verkaufsflächenbeschränkungen. Diese Festsetzung ist unwirksam, was zur Unwirksamkeit der gesamten Sondergebietsfestsetzung führt.

a.)

24

Nach der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, ist die Festsetzung einer baugebietsbezogenen, vorhabenunabhängigen Verkaufsflächenobergrenze in einem Sondergebiet mangels Rechtsgrundlage unzulässig (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 2019 – 4 CN 8.18 –, BeckRS 2019, 30316; vom 24. März 2010 – 4 CN 3/09 –, NVwZ 2010, 782 und vom 3. April 2008 – CN.3.07 –, ZfBR 2008, 478 sowie Beschluss vom 6. August 2013 – 4 BN 24/13). Sie ist weder als Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung zulässig, weil sie nicht mit Hilfe eines der von § 16 Abs. 2 BauNVO zugelassenen Parameters (Grundfläche, Geschossfläche) vorgenommen worden ist, noch handelt es sich um eine in sonstigen Sondergebieten nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO zulässige Festsetzung der Art der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 2008, a.a.O.). Denn eine Kontingentierung der Verkaufsflächen, die auf das Sondergebiet insgesamt bezogen ist, öffnet das Tor für sogenannte Windhundrennen potentieller Investoren und Bauantragsteller und schließt die Möglichkeit ein, dass Grundeigentümer im Fall der Erschöpfung des Kontingents von der kontingentierten Nutzung ausgeschlossen sind. Dieses Ergebnis widerspricht dem der Baugebietstypologie (§§ 2 bis 9 BauNVO) zu Grunde liegenden Regelungsansatz, demzufolge im Geltungsbereich eines Bebauungsplans im Grunde jedes Baugrundstück für jede nach dem Nutzungskatalog der jeweiligen Baugebietsvorschrift zulässige Nutzung in Betracht kommen können soll (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 2019 und 3. April 2008, a.a.O.; OVG RP, Urteil vom 25. April 2018 – 8 C 10812/17.OVG –, BeckRS 2018, 9921).

25

Ausnahmsweise kann eine baugebietsbezogene Verkaufsflächenbegrenzung jedoch auf § 11 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 BauNVO gestützt werden, wenn in dem in Rede stehenden Sondergebiet nur ein einziger Handelsbetrieb zulässig ist; denn dann ist die gebietsbezogene mit der vorhabenbezogenen Verkaufsflächenbeschränkung identisch (BVerwG, Urteile vom 3. April 2008 und 24. März 2010, a.a.O.). Die Zulässigkeit nur eines einzigen Betriebes muss allerdings durch städtebauliche Gründe gerechtfertigt sein. Gebiets- und vorhabenbezogene Verkaufsflächenbegrenzung sind nur dann identisch, wenn die Festsetzungen des Bebauungsplans nur die Errichtung eines einzigen Einzelhandelsbetriebs zulassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 2010, a.a.O.). Es genügt nicht, dass alle Grundstücke innerhalb des Sondergebiets im Eigentum eines Vorhabenträgers stehen. Der Bebauungsplan kann nicht gewährleisten, dass es bei den im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Plan gegebenen Eigentumsverhältnissen bleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 2010, a.a.O.).

26

Diese Rechtsprechung ist auf Einkaufszentren übertragbar und zwar unabhängig davon, ob in ihnen nur ein einziger oder mehrere Handelsbetriebe zulässig sind. Denn Einkaufszentren sind in § 11 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO genannt und bilden damit eine von sonstigen großflächigen Einzelhandelsbetrieben zu unterscheidende eigenständige Kategorie (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2019, a.a.O.).

27

Eine baugebietsbezogene Verkaufsflächenbegrenzung kann weiterhin wirksam sein, wenn das Plangebiet nur aus einem vorhabengeeigneten Grundstück besteht und damit mit einer grundstücksbezogenen, grundsätzlich zulässigen Verkaufsflächenbeschränkung identisch ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2019, a.a.O.). Zwar können sich die Eigentumsverhältnisse dann auch ändern, das Eigentum bleibt aber stets in der Hand eines Eigentümers. Dieser kann das Grundstück in den Grenzen der Verkaufsflächenbegrenzung nutzen und muss nicht befürchten, durch andere Eigentümer Abstriche an seinen Nutzungsmöglichkeiten hinnehmen zu müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2019, a.a.O.; OVG RP, Urteil vom 17. April 2013 – 8 C 10859/12 –, juris).

28

Gemessen an diesen Maßstäben sind die Festsetzungen betreffend die Verkaufsflächenbeschränkung für das Sondergebiet im Bebauungsplan „C.“ in der 4.-13. Änderungsfassung mangels Rechtsgrundlage unwirksam. Die Festsetzung, wonach Einzelhandelsbetriebe zulässig sind, deren innenstadtrelevanten Sortimente ausschließlich auf bestimmte Arten und Verkaufsflächen beschränkt sind, ist weder mit einer vorhaben- noch mit einer grundstücksbezogenen Festsetzung identisch. Denn sie lässt nicht lediglich die Errichtung eines einzigen Einzelhandelsbetriebs oder eines Einkaufszentrums zu. Vielmehr ist aufgrund der Festsetzung die Errichtung mehrerer Einzelhandelsbetriebe zulässig. Ob derzeit tatsächlich ein einziges Einkaufszentrum vorliegt, ist insoweit unerheblich. Auch besteht das Sondergebiet nicht lediglich aus einem, sondern aus mehreren vorhabengeeigneten Grundstücken. Ein Windhunderennen wird mithin durch die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht ausgeschlossen.

b.)

29

Die Unwirksamkeit der gebietsbezogenen Verkaufsflächenbeschränkung für das Sondergebiet führt zur Unwirksamkeit der Sondergebietsfestsetzung insgesamt.

30

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat die Ungültigkeit eines Teils einer Satzungsbestimmung nur dann nicht deren Gesamtnichtigkeit zur Folge, wenn die Restbestimmung auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleibt (Grundsatz der Teilbarkeit) und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wäre (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers, vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 2008, a.a.O.).

31

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn die Beigeladene hätte das Sondergebiet für großflächigen Einzelhandel nicht ohne Verkaufsflächenbeschränkungen festgesetzt. Dies ergibt sich aus den in den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „C.“ in der 4.-13. Änderungsfassung in Bezug genommenen Unterlagen. Zum einen enthalten die textlichen Festsetzungen den Hinweis, dass die Festsetzungen den Antragsunterlagen der Verbandsgemeindeverwaltung D. vom 23. April 2003 für das Zielabweichungsverfahren nach Landeplanungsgesetz entnommen sind. In diesen Antragsunterlagen wird auf Seite 5 ausgeführt, der Bebauungsplan sehe in seinen textlichen Festsetzungen ausdrücklich eine Begrenzung der Verkaufsflächen in den betreffenden Sortimenten vor, um sicherzustellen, dass das Vorhaben nicht doch zu einem übermäßigen Kaufkraftabfluss aus benachbarten zentralen Orten führt. Zudem wird in den textlichen Festsetzungen auf den Stadtratsbeschluss vom 2. März 2004 verwiesen, in welchem die Verkaufsflächenbeschränkung ebenfalls als zentraler Bestandteil der Festsetzungen geschildert wird (vgl. Sitzungsniederschrift, S. 4 und 6).

2.

32

Erweist sich die Sondergebietsfestsetzung für den Bereich der klägerischen Grundstücke im Bebauungsplan „C.“ in seiner 4. - 13. Änderungsfassung mithin als unwirksam, beurteilt sich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach der Ursprungsfassung dieses Bebauungsplans vom 13. Oktober 1992, welcher für den Bereich ein Industriegebiet festsetzt. Bedenken gegen die Wirksamkeit der Ursprungsfassung bestehen nicht.

33

Zunächst steht der Wirksamkeit nicht entgegen, dass der Bebauungsplan in seiner Ursprungsfassung vom 13. Oktober 1992 für das östlich der klägerischen Grundstücke gelegene Sondergebiet 1 ebenfalls eine Verkaufsflächenbegrenzung festsetzt. Offenbleiben kann insoweit, ob diese Festsetzung auch mangels Rechtsgrundlage unwirksam ist. Denn die Unwirksamkeit dieser Festsetzung und der Sondergebietsfestsetzung hinsichtlich des Sondergebiets 1 führt nicht zur Unwirksamkeit der Industriegebietsfestsetzung. Die Festsetzungen für das Industriegebiet tragen für sich genommen zur städtebaulichen Ordnung bei und der Plangeber hätte das Industriegebiet auch ohne das Sondergebiet 1 festgesetzt. Ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan „C.“ (Ziffer G I. 1) wurde die Art der Nutzung entsprechend dem Bedarf und der vorbereitenden Bauleitplanung festgesetzt. Dies verdeutlicht, dass die Festsetzungen für die einzelnen Baugebiete nach dem Willen des Plangebers nicht voneinander abhängig und aufeinander bezogen sind, sondern vielmehr nebeneinanderstehen. Für den Willen des Plangebers, das Industriegebiet auch ohne das Sondergebiet 1 festzusetzen spricht weiterhin, dass das Sondergebiet 1 räumlich einen im Verhältnis zum Industriegebiets relativ kleinen Bereich darstellt.

34

Ferner ist die Industriegebietsfestsetzung nicht wegen der faktischen Realisierung eines im Industriegebiet gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO unzulässigen Einkaufszentrums funktionslos geworden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 – 4 CN 11.03 –, juris und Beschluss vom 22. Juli 2010 – 4 B 22.10 –, DVBl 2010, 1374) kann ein Bebauungsplan funktionslos werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich so verändert hat, dass ein Planvollzug auf unüberschaubare Zeit ausgeschlossen erscheint, und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (BVerwG, Urteil vom 28. April 2004 – 4 C 10.03 –, NVwZ 2004, 1244). Diese hohen Anforderungen sind nicht erfüllt. Der räumliche Geltungsbereich des Industriegebiets erfasst nicht nur das vorliegend als Einkaufszentrum einzustufende Areal (vgl. hierzu II.), sondern geht über dieses hinaus. Zudem ist nicht auf unüberschaubare Zeit ausgeschlossen, dass auf dem Areal ein Industriegebiet verwirklicht wird.

II.

35

Das klägerische Vorhaben widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans „C.“ in seiner Ursprungsfassung vom 13. Oktober 1992. Dieser setzt für den Bereich, in dem das Vorhabengrundstück gelegen ist, als Art der baulichen Nutzung ein Industriegebiet fest. Das Vorhaben erweist sich als Teil eines Einkaufszentrums i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO, welches nur in Kerngebieten und für sie festgesetzten Sondergebieten – nicht jedoch in einem hier vorliegenden Industriegebiet – zulässig ist.

36

Von einem Einkaufszentrum im Rechtssinne ist dann auszugehen, wenn eine räumliche Konzentration von Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe – zumeist in Kombination mit verschiedenartigen Dienstleistungsbetrieben – vorliegt, die entweder einheitlich geplant ist oder sich in anderer Weise als gewachsen darstellt. Außer der erforderlichen Konzentration von Einzelhandelsbetrieben ist weiter erforderlich, dass die einzelnen Betriebe aus Sicht der Kunden als aufeinander bezogen erscheinen und durch ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation als miteinander verbunden in Erscheinung treten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Dezember 2010 – 4 B 3.12 –, juris und vom 12. Juli 2007 – 4 B 29.07 –, juris; OVG RP, Urteil vom 25. April 2018, a.a.O.).

37

Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich jedenfalls bei den um den gemeinsamen Parkplatz herum gruppierten drei Gebäudekomplexen (LIDL, Ernstings Family, Apotheke, KIK, Takko, Friseur sowie die derzeit leerstehenden Räumlichkeiten, ehemals dm) um ein Einkaufszentrum. Ob auch der ALDI-Markt zu diesem Einkaufszentrum gehört oder wegen des abgesetzten Parkplatzes nicht Bestandteil dieses Einkaufszentrums ist, bedarf daher keiner Entscheidung.

38

Für die Einheitlichkeit spricht zunächst als Indiz, dass das Areal – wie aus der Historie des Zielabweichungs- und Bebauungsplansverfahrens betreffend die 4. Änderungsfassung des Bebauungsplans „C.“ hervorgeht – einheitlich geplant wurde und zudem – ausweislich der von der Kammer eingeholten Grundbuchauszüge – in einheitlichem Eigentum steht.

39

Zudem stellt sich der Komplex aufgrund der baulichen Gestaltung als aus Kundensicht miteinander verbunden in Erscheinung tretend dar. Die Einzelhandelsbetriebe befinden sich auf einem gemeinsamen Areal, welches nur über eine einzige gemeinsame Zufahrt zu erreichen ist. Sie werden zudem um einen einheitlich gestalteten gemeinsamen Großparkplatz angeordnet (vgl zu einem solchen Fall auch OVG RP, Urteil vom 3. November 2011 – 1 A 10270/11. OVG –, ZfBR 2012, 45). Außerdem besteht an der Zufahrt ausweislich der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bildaufnahmen ein gemeinsamer Werbepylon, auf dem alle Betriebe vertreten sind.

40

Schließlich weisen die Einzelhandelsflächen mit einer Verkaufsfläche von insgesamt über 3000 m² (1000 m² Lidl + 791 m² geplanter Actionmarkt + 347 m² Taccomarkt + 223 m² Apotheke + 723 m² KiK + Ernstings Family und Friseur) eine Größe auf, die geeignet ist, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO zu erfüllen, zumal die Geschossfläche dieses Vorhabens die in der Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 Satz 3BauNVO angesprochene Größe für großflächige Einzelhandelsbetriebe mit regelmäßig städtebaulichen Auswirkungen deutlich überschreitet (vgl. OVG RP, Urteil vom 3. November 2011 – 1 A 10270/11.OVG –, ZfBR 2012, 45). Daneben kann nicht außer Acht gelassen werden, dass hier die Einzelhandelsflächen in der genannten Größenordnung nicht in einem großstädtisch geprägten Innenstadtbereich, sondern in einem Industriegebiet einer circa 4.300 Einwohner (Stand: 31. Mai 2020) zählenden Kleinstadt realisiert werden soll, sodass dem Gebäudekomplex eine für ein Einkaufszentrum typische Sog-Wirkung zu unterstellen ist (vgl. OVG RP, Urteil vom 3. November 2011, a.a.O; VG Neustadt a.d. Weinstraße, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 K 861/13.NW –, esovgrp).

41

Ist nach alldem davon auszugehen, dass das Vorhabengrundstück Teil eines im Industriegebiet unzulässigen Einkaufszentrums ist, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung.

III.

42

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer der Billigkeit, ihr einen Kostenerstattungsanspruch gegen die unterlegene Klägerin zu versagen.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.
Beschluss

44

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 118.650 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

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