Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (5. Kammer) - 5 A 230/10
Tatbestand
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Die Kläger begehren von der Beklagten die restliche Zahlung einer einmaligen Entschädigung, nachdem der Ehemann der Klägerin, der als Berufssoldat im Dienste der Beklagten stand, am 15.04.2010 bei einem Einsatz in Afghanistan infolge eines Angriffs durch Aufständische gefallen ist.
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Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann haben ein gemeinsames Kind, den am … geborenen Kläger. Daneben lebte im Haushalt der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes noch der am 05.07.2008 geborene Beigeladene als Pflegekind.
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Mit Bescheid vom 20.05.2010 gewährte die Beklagte der Klägerin, dem Kläger und dem Beigeladenen nach dem Soldatenversorgungsgesetz gemeinschaftlich eine einmalige Entschädigung im Gesamtbetrag von 60.000 €. Dabei teilte die Beklagte den Zahlbetrag zwischen der Klägerin, dem Kläger und dem Beigeladenen im Verhältnis 2:1:1, zahlte den beiden Erstgenannten einen Betrag von insgesamt 45.000 € und stellte in Aussicht, den restlichen Betrag von 15.000 € an den Beigeladenen zahlen zu wollen.
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Hiergegen legte die Klägerin am 17.06.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, dass der Beigeladene weder Abkömmling ihres verstorbenen Ehemannes noch adoptiert worden sei. Er gelte folglich nicht als Waisenkind. Der Beigeladene könne auch nicht als Hinterbliebener angesehen werden, da dies nach dem Sprachgebrauch nur enge Verwandte des Verstorbenen sein könnten. Soweit der Gesetzgeber Pflegekinder begünstigen wolle, so habe er dies im Gesetz durch die Formulierung „als Kinder gelten auch“ jeweils klar zum Ausdruck gebracht. Im Übrigen seien mit der Formulierung „Kinder“ innerhalb der Gesetze nur die leiblichen oder die an Kindes Statt angenommen bzw. die adoptierten Kinder gemeint. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu rechtfertigen, den Beigeladenen im Umfang von 15.000 € an der einmaligen Entschädigung teilhaben zu lassen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Anspruchsberechtigt seien nach dem Soldatenversorgungsgesetz neben der Witwe auch „die nach diesem Gesetz versorgungsberechtigten Kinder“. Da § 80 SVG auf das Bundesversorgungsgesetz (BVG) verweise und dort in § 45 Abs. 2 BVG ausdrücklich auch Pflegekinder als anspruchsberechtigt aufgeführt seien, habe auch der Beigeladene einen Anspruch auf anteilige Zahlung der gewährten Entschädigung.
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Mit der hiergegen am 16.12.2010 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Zahlung auch der restlichen 15.000 € weiter. Die Kläger wiederholen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und betonen noch einmal, der Beigeladene könne nicht als Halbwaise angesehen werden, weil seine leiblichen Eltern noch lebten und der verstorbene Ehemann der Klägerin nur der Pflegevater gewesen sei.
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Die Kläger beantragen,
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die Beklagte unter entsprechender Teilaufhebung ihres Bescheides vom 20.05.2010 und des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2010 zu verpflichten, der Klägerin eine weitere einmalige Entschädigung in Höhe von 10.000 € und dem Kläger eine weitere einmalige Entschädigung in Höhe von 5.000 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszins seit dem 16.12.2010 zu bewilligen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie tritt der Klage unter Wiederholung ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahren zudem mit der Begründung entgegen, dass das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt dem Beigeladenen mit Bescheid vom 18.01.2011 eine Halbwaisenrente nach § 38 des Bundesversorgungsgesetzes i.V.m. § 81e Abs. 6 des Soldatenversorgungsgesetzes zugesprochen habe. Damit seien auch die Voraussetzungen für einen Anspruch des Pflegekindes auf anteilige Zahlung der einmaligen Entschädigung gegeben.
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Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen des weiteren Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung des Gerichts.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht hat das Aktivrubrum von Amts wegen berichtigt. Klage erhoben hat zwar ausdrücklich nur die Klägerin. Diese ist jedoch nicht prozessführungsbefugt, soweit sie im eigenen Namen fremde Rechte ihres Sohnes geltend macht. Klägerin und Kläger sind vorliegend Teilgläubiger, da kein einheitlicher Zahlungsanspruch vorliegt, sondern gesonderte Zahlungsansprüche für jeden von ihnen bestehen. Die unvollständige Bezeichnung der Kläger in der Klageschrift ist aber unschädlich, wenn – wie hier – ohne weiteres ersichtlich ist, welche Personen Klage erheben. Auch wenn der streitgegenständliche Bescheid formal nur an die Klägerin gerichtet war, so verhielt er sich inhaltlich auch zu einem etwaigen Anspruch des Klägers. Die Klägerin hat ihren Widerspruch jedoch nicht ausdrücklich auf die Geltendmachung eigener Rechte beschränkt, sondern insgesamt Widerspruch erhoben. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Klägerin den Widerspruch und die Klage richtigerweise auch im Namen ihres Sohnes erheben wollte. Demgemäß wurde die Bezeichnung der Kläger nach Klarstellung durch den Prozessbevollmächtigten berichtigt.
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Die Klage, über die das Gericht mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist hinsichtlich des im Tenor bezeichneten Umfangs begründet. Soweit die angefochtenen Bescheide dem entgegenstehen, sind sie rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Gemäß § 63e des Gesetzes über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen (Soldatenversorgungsgesetz – SVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.09.2009 (BGBl. I S. 3054), zuletzt geändert durch Gesetzes vom 20.12.2011 (BGBl. I S. 2854), gilt § 63a entsprechend, wenn ein Soldat einen Einsatzunfall im Sinne von § 63c Absatz 2 mit den in § 63a Absatz 1 genannten Folgen erleidet.
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Nach § 63c Abs. 2 Satz 1 SVG liegt ein Einsatzunfall vor, wenn ein Soldat während einer Verwendung im Sinne von Absatz 1, also – wie vorliegend – während einer besonderen Auslandsverwendung, in Ausübung oder infolge eines militärischen Dienstes eine gesundheitliche Schädigung u.a. auf Grund eines Unfalls erleidet. Die in § 63e SVG unter Bezugnahme auf die in § 63a Absatz 1 genannten Folgen sind gegeben, wenn der Soldat nach Feststellung des Bundesministeriums der Verteidigung oder der von diesem bestimmten Stelle infolge des Unfalles in seiner Erwerbsfähigkeit dauerhaft um wenigstens 50 vom Hundert beeinträchtigt ist.
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Vorliegend ist der Ehemann der Klägerin während eines Einsatzes beim deutschen Einsatzkontingent in Afghanistan infolge eines Angriffs durch Aufständische gefallen. Damit handelt es sich – zwischen den Beteiligten unstreitig – um einen Einsatzunfall i.S.d. § 63c Abs. 2 SVG, an dessen Folgen der Ehemann der Klägerin verstorben ist. Damit sind die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung einer einmaligen Entschädigung nach § 63e i.V.m. 63a SVG grundsätzlich gegeben.
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In entsprechender Anwendung des § 63a Abs. 3 SVG der vorliegend maßgeblichen Gesetzesfassung vom 16.09.2009 erhalten in diesen Fällen u.a. die Witwe sowie die nach diesem Gesetz versorgungsberechtigten Kinder eine einmalige Entschädigung in Höhe von insgesamt 60.000 Euro. Die einzelnen Anspruchsberechtigten sind hierbei Teilgläubiger (vgl. Schwenk/Weidinger, Handbuch des Wehrrechts, 2. Aufl., 96. EL, Stand April 2010, § 63a, Ziffer IV). Zur Berechnung der Anteilssätze (2:1:1) hat die Beklagte zunächst in nicht zu beanstandender Weise Rückgriff auf die Wertungen des § 39 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes (Beamtenversorgungsgesetz – BeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24.02.2010 (BGBl. I S. 150) Bezug genommen, indem sie sich an dem vom Gesetzgeber festgelegten Verhältnis der Anteilssätze des Unfallwitwengeldes und des Unfallwaisengeldes am Ruhegehalt eines bei einem Dienstunfall verstorbenen Beamten orientiert hat.
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Die Berechnung der Anteilssätze durch die Beklagte war jedoch insoweit rechtswidrig, als sie den Beigeladenen als ein „nach diesem Gesetz versorgungsberechtigtes Kind“ i.S.d. § 63a Abs. 3 Nr. 1 SVG angesehen und deshalb den Anspruch der Kläger in Höhe von insgesamt 15.000 € gekürzt hat.
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Auf welche Vorschrift des SVG sich der Anspruch des „nach diesem Gesetz versorgungsberechtigten“ Kindes stützt, ist unerheblich. Es muss sich jedoch um eine Versorgung handeln, auf die ein Rechtsanspruch besteht.
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Das SVG regelt die Versorgung der ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihrer Hinterbliebenen. Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten erhalten aufgrund ihrer Dienstzeit in der Bundeswehr nach dem Zweiten Teil eine Dienstzeitversorgung (§§ 11 bis 44a SVG) und daneben wegen einer in der Bundeswehr erlittenen Wehrdienstbeschädigung nach dem Dritten Teil eine Beschädigtenversorgung (§§ 80 ff. SVG). Beide Ansprüche bestehen nebeneinander (§ 84 Abs. 1 SVG). Während die Regelungen über die Dienstzeitversorgung der Soldaten (§§ 11 bis 44a SVG) regelmäßig auf die Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes verweisen, nehmen die Regelungen über die Beschädigtenversorgung (§§ 80 ff. SVG) auf das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.01.1982 (BGBl. I S. 21), zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.11.2011 (BGBl. I S. 2131), Bezug.
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Neben der Dienstzeitversorgung und der Beschädigtenversorgung hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Regelung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungsgesetz – EinsatzVG) vom 21.12.2004 (BGBl. I S. 3592) unter Einfügung eines neuen Abschnitt IV (§ 63c bis § 63 g) im Zweiten Teil des SVG die „Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen“ geregelt und hierbei das Institut der sog. Einsatzversorgung geschaffen. Insbesondere vor dem Hintergrund eines Sprengstoffattentats vom 07.06.2003, bei dem vier deutsche Soldaten getötet und 29 Soldaten verletzt worden sind, wollte der Gesetzgeber hiermit die Voraussetzungen für die einzelnen Versorgungsleistungen eindeutig und möglichst einheitlich definieren, um dadurch größere Rechtssicherheit für die Betroffenen zu erreichen (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/3416, S. 12 ff.). Im Falle eines „Einsatzunfalles“ (§ 63c Abs. 2 SVG) stand dabei – neben der Gewährung einer erhöhten (sog. qualifizierten) Unfallversorgung bzw. einer Ausgleichszahlung – auch die (angehobene) Zahlung einer einmaligen Entschädigung, „insbesondere für hinterbliebene Ehegatten und versorgungsberechtigte Kinder“ (BT-Drs. 15/3416, S. 13), im Vordergrund. Zusätzlich wird für den Fall einer Wehrdienstbeschädigung auf die Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem Dritten Teil des Gesetzes verwiesen (§ 63c Abs. 3 Satz 2 SVG).
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Was die Versorgungsansprüche der Hinterbliebenen eines aufgrund eines Einsatzunfalles i.S.d. § 63c Abs. 2 SVG ums Leben gekommenen Soldaten anbelangt, so verweist der Gesetzgeber in § 63c Abs. 3 auf die Hinterbliebenenversorgung (§ 63c Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SVG) sowie die Beschädigtenversorgung (§ 63c Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 81e Abs. 6 SVG). Soweit der Gesetzgeber des SVG deshalb von den „nach diesem Gesetz versorgungsberechtigten Kindern“ spricht (so in § 63, § 63a, § 63b und § 63f SVG), kann damit für die Kinder eines verstorbenen Soldaten nur ein Anspruch auf Gewährung von Waisengeld nach § 43 Abs. 1 SVG i.V.m. § 23 BeamtVG (ggf. in Verbindung mit § 42a Abs. 1 und Abs. 3 SVG) bzw. nach § 81e Abs. 6 SVG i.V.m. § 45 BVG gemeint sein.
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Ein aufgrund dieser Vorschriften bestehender etwaiger Anspruch des Beigeladenen auf Gewährung von Waisengeld scheitert jedoch bereits daran, dass er nicht als Kind i.S.d. § 63a Abs. 3 Nr. 1 SVG anzusehen ist.
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Was unter einem „Kind“ i.S.d. SVG gemeint ist, geht aus dem Gesetz nicht unmittelbar hervor. Aus dem Vergleich dieser Regelung mit § 63a Abs. 3 Nr. 2 SVG, wonach eine einmalige Entschädigung den Eltern sowie den nach diesem Gesetz nicht versorgungsberechtigten Kindern (lediglich) dann gewährt wird, wenn Hinterbliebene der in Nummer 1 bezeichneten Art nicht vorhanden sind, folgt zunächst, dass es sich bei den von der Regelung des § 63a Abs. 3 SVG umfassten Kindern um „Hinterbliebene“ des Soldaten handeln muss.
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Das SVG definiert jedoch auch den Begriff des Hinterbliebenen nicht. In der üblichen Verwendung der deutschen Sprache werden neben dem ehemaligen Ehegatten oder Lebenspartner eines Verstorbenen auch sonstige, mit dem Verstorbenen eng verwandte Personen als Hinterbliebene bezeichnet. Insofern ist – wie die Klägerin zutreffend geltend macht – schon zweifelhaft, ob Pflegekinder nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als derart eng verwandte Personen anzusehen sind. Die Klägerin weist daneben zu Recht darauf hin, dass durch die Regelungen des BVG Pflegekinder den leiblichen Kindern lediglich gleichgestellt werden (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 2 BVG: „als Kinder gelten auch“). Andererseits kann die alltägliche Verwendung des Begriffs des Hinterbliebenen vom juristischen Sprachverständnis abweichen. So werden nach zivilrechtlichen Betrachtungshinweise als Hinterbliebene überwiegend der Ehegatte, die Kinder und die Pflegekinder verstanden (vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2010 – VII ZB 5/08 – juris Rn. 13 m.w.N. zum Begriff des Hinterbliebenen nach § 851c ZPO).
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Für die Sichtweise der Klägerin spricht jedoch die Gesetzesbegründung zum Adoptionsanpassungsgesetz vom 24.06.1985 (AdAnpG - BGBl I S 1144). Daraus ist abzuleiten, dass mit "Kindern" im Sinne der versorgungsrechtlichen Vorschriften ursprünglich „die leiblichen oder an Kindes Statt angenommenen Kinder“ gemeint waren. Während nämlich das Soldatenversorgungsgesetz – ähnlich wie das Bundesversorgungsgesetz und das Beamtenversorgungsgesetz – bis zum 27.06.1985 noch von „den leiblichen Kindern“ und den „an Kindes Statt angenommenen Kindern“ sprach, erfolgte durch das Adoptionsanpassungsgesetz vom 24.06.1985 (AdAnpG – BGBl. I S. 1144) eine Gleichstellung sämtlicher Abkömmlinge als „Kinder“. Die frühere Aufzählung der anspruchsberechtigten „Kinder“ ist mit Wirkung ab 28.06.1985 reduziert worden, weil der Begriff des „Kindes“ im Bürgerlichen Gesetzbuch seither umfassender ist als vor der Gesetzesänderung. Insoweit handelte es sich zwar nur um redaktionelle Änderungen (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 10/1746, S. 14). Gleichzeit wird damit jedoch klargestellt, dass Pflegekinder vom Begriff des Kindes nicht umfasst werden sollten. Die Gesetzesbegründung führt weiter ausdrücklich aus:
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„Soweit neben den vom bürger-rechtlichen Kindbegriff umschriebenen Kindern andere Personen als Kinder zu berücksichtigen sind, wie etwa Pflegekinder oder die Geschwister, bringt der Entwurf ihre Einbeziehung mit der Wendung „als Kinder gelten auch“ zum Ausdruck.“
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Der Gesetzeshistorie kann damit entnommen werden, dass mit dem Begriff „Kind“ (lediglich) die ehelichen, die nicht ehelichen, die für ehelich erklärten und die angenommen Kinder umschrieben werden sollen.
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Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass das SVG hinsichtlich der Gewährung einer Beschädigtenversorgung auf die Regelungen des BVG verweist.
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Nach § 81e Abs. 6 SVG erhalten auch die Hinterbliebenen eines Geschädigten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, wobei vorliegend insbesondere der Anspruch auf (Halb-)Waisenrente gemäß § 45 Abs. 1 BVG von Bedeutung ist. Danach sind Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres versorgungsberechtigt, wobei unter besonderen Voraussetzungen auch erwachsenen Kindern eine Waisenrente zusteht, vgl. § 45 Abs. 3 BVG. Nur in diesen Fällen besteht ein Versorgungsanspruch des hinterbliebenen Kindes und damit ein Anspruch auf Gewährung einer einmaligen Entschädigung i.S.d. § 63a Abs. 3 Nr. 1 SVG. In allen anderen Fällen (Vollendung des 18. Lebensjahres und kein Ausnahmefall nach § 45 Abs. 3 BVG) kommt lediglich ein (wertmäßig geringerer) Entschädigungsanspruch nach § 63a Abs. 3 Nr. 2 SVG in Betracht. Der Gesetzgeber hat die Zahlung einer einmaligen Entschädigung somit nur für einen Teil der Hinterbliebenen – nach dem jeweiligen Grad der familiären Verbundenheit bzw. Abhängigkeit des Hinterbliebenen zum Verstorbenen – vorgesehen. Danach soll die wertmäßig höchste Entschädigung nach § 63a Abs. 3 Nr. 1 SVG nur der Witwe und "den nach diesem Gesetz versorgungsberechtigten Kindern" zu Gute kommen, während in allen anderen Fällen eine geringere Entschädigung vorgesehen ist.
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Waisenrente nach § 45 Abs. 1 BVG wird jedoch nicht nur den (leiblichen oder angenommenen) Kindern gewährt. Vielmehr gelten nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 BVG auch die Pflegekinder im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKKG) als Kinder i.S.d. § 45 Abs. 1 BVG.
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Diese gesetzliche Regelung erhielt ihre streitgegenständliche Fassung (Bezugnahme auf den Pflegekindbegriff des Bundeskindergeldgesetzes) bereits mit Wirkung zum 01.07.1977 durch das Neunte Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Neuntes Anpassungsgesetz – KOV – 9. AnpG-KOV). Bis zu diesem Zeitpunkt galten als Waisen nur „Pflegekinder, die der Verstorbene bei seinem Tode mindestens seit einem vor der Schädigung oder vor der Anerkennung der Folgen der Schädigung liegenden Zeitpunkt oder seit mindestens einem Jahr unentgeltlich unterhalten hat“ (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 5 BVG in der Fassung vom 20.12.1950, BGBl. S. 791). Die Gleichstellung von Pflegekindern mit leiblichen Kindern bestand damit im Anwendungsbereich des BVG schon von Anfang an, ohne dass hierbei ersichtlich wird, was Hintergrund für diese Entscheidung des Gesetzgebers gewesen war. Die zum 01.07.1977 eingetretene Änderung des Pflegekindbegriffs durch Bezugnahme auf das Bundeskindergeldgesetz sollte (lediglich) bewirken, dass künftig auch Pflegekinder, die der Beschädigte erst nach der Schädigung oder nach Anerkennung der Folgen der Schädigung in seinen Haushalt aufgenommen hat, als Waise i.S.d. § 45 BVG gelten. Hiermit sollte ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.05.1975 (1 BvR 332/72) umgesetzt werden (vgl. hierzu die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 8/167, S. 8). Daneben sollte mit dieser Bezugnahme auf das Bundeskindergeldgesetz der Begriff des Pflegekindes vereinheitlicht werden, und zwar auch für das Versorgungsrecht.
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Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Entscheidung vom 10.12.2004 (1 BvR 2320/98 – juris) zur Waisenversorgung „faktischer Stiefkinder“ geäußert und u.a. ausgeführt:
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„Die Hinterbliebenenrente soll grundsätzlich einen bürgerlichrechtlichen Unterhaltsanspruch ersetzen, den der Hinterbliebene gegen den Geschädigten besessen hat und der durch dessen Tod erlischt. Versorgung und Unterhaltsrecht sind im Opferentschädigungsrecht eng verknüpft. Die Renten nach §§ 38 ff. BVG stehen grundsätzlich nur Unterhaltsberechtigten zu. Dem entspricht es, dass eigene Kinder eines Geschädigten, die nach § 1601 BGB unterhaltsberechtigt sind, eine Hinterbliebenenversorgung erhalten (§ 45 Abs. 1 BVG). Dieses im Versorgungsrecht verwirklichte gesetzliche Konzept der Hinterbliebenenrente als Ersatz für einen erloschenen Unterhaltsanspruch ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, DVBl 2004, S. 36 f.). […]
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Auch im Verhältnis zu den nach § 45 Abs. 2 BVG versorgungsberechtigten Stief- und Pflegekindern eines Geschädigten besteht keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung.
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Allerdings stellt die Einbeziehung dieser Kinder in den Kreis der Versorgungsberechtigten eine Ausnahme von dem dargestellten gesetzlichen Konzept dar, weil Stief- und Pflegekinder, von bestimmten Fällen der Adoptionspflege (§ 1751 Abs. 4 Satz 1 BGB) abgesehen, ebenso wenig wie der Beschwerdeführer unterhaltsberechtigt sind.
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Auch die Ungleichbehandlung gegenüber diesen Kindern ist jedoch hinreichend gerechtfertigt. […]“
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Damit hat das Bundesverfassungsgericht die Gleichstellung von Pflegekindern mit leiblichen Kindern im Bereich der Kriegsopferversorgung nach dem BVG anerkannt.
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Soweit nun § 81e Abs. 6 SVG auf die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes verweist, so wird das Leistungsrecht des BVG hiermit – wie die Beklagte im Ansatz zutreffend annimmt – zwar in seiner Gesamtheit in Bezug genommen, soweit nicht Abweichendes in den entsprechenden Vorschriften bestimmt ist und soweit nicht Bestimmungen des BVG ihrer Natur nach für den Personenkreis der Bundeswehr ohne Bedeutung sind. Der Schriftliche Bericht des Ausschusses für Verteidigung des Deutschen Bundestages betont hierzu als einen Leitsatz des Gesetzes, dass möglichst weitgehend gleiches Recht gilt für die Soldaten der ehemaligen und alten Wehrmacht wie für die Soldaten der Bundeswehr (vgl. Schwenk/Weidinger, a.a.O., Einführung zum SVG, Ziffer III.1.). Da zwischen den Leistungen der Beschädigtenversorgung der Bundeswehr und der Kriegsopferversorgung somit grundsätzlich kein Unterschied bestehen soll, sind in dem gleichem Umfang wie das BVG auch die zu diesem Gesetz erlassenen Verordnungen und Verwaltungsvorschriften anzuwenden (vgl. Schwenk/Weidinger, a.a.O., § 80 SVG Ziff. I.2.).
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Allerdings kann aus dieser umfassenden Verweisung auf die Regelungen des BVG nicht der Schluss gezogen werden, dass hiermit – im Sinne einer Rechtsgrundverweisung – auch Pflegekinder erfasst werden sollen.
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Hiergegen spricht schon, dass in diesem Fall ein Widerspruch zu etwaigen Ansprüchen von „nach diesem Gesetz versorgungsberechtigten Kindern“ festzustellen wäre, soweit der Anspruch nicht aus der Beschädigtenversorgung, sondern aus der Dienstzeitversorgung folgt. Da das BeamtVG, auf welches das SVG hinsichtlich der Gewährung einer Dienstzeitversorgung verweist, eine dem § 45 Abs. 2 Nr. 2 BVG entsprechende Vorschrift nicht kennt, Pflegekinder also nicht in den Anwendungsbereich des BeamtVG mit einbezieht, würden Pflegekinder – je nach Art der gewährten Versorgung – unterschiedlich behandelt. Ein Grund für diese Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich.
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Für eine Übernahme des erweiterten Personenkreises nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 BVG durch § 81e Abs. 6 SVG könnte allenfalls sprechen, dass der Gesetzgeber mit dieser am 24.06.1995 geschaffenen Verweisungsregelung (vgl. Gesetz zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften vom 24.06.1995 [BGBl. 1995 I, 962]) – erstmals – das Leistungsrecht des BVG in seiner Gesamtheit in Bezug nehmen und hierbei – bewusst – auch Pflegekinder in den Anwendungsbereich des SVG aufnehmen wollte. Zum einen findet sich jedoch für diesen Ansatz schon kein Hinweis in den Gesetzesmaterialien. Zum anderen fand sich eine (umfassende) Verweisung auf die Regelungen des BVG auch für Hinterbliebene schon vor diesem Zeitpunkt in § 80 Satz 2 SVG.
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Daneben ist zu bedenken, dass Pflegekinder dann theoretisch in den mehrfachen Genuss einer einmaligen Entschädigung – und nach der Auffassung der Beklagten auch einer Waisenrente – kommen könnten. Würde nämlich der unglückliche Fall eintreten, dass der leibliche Vater oder ein (anderer) Pflegevater des Beigeladenen bei einem Einsatzunfall i.S.d. § 63c Abs. 2 SVG ums Leben käme, so würde hieraus – nach der Argumentation der Beklagten – ein weiterer Anspruch des Pflegekindes auf Gewährung einer einmaligen Entschädigung bzw. auf Bewilligung einer Waisenrente folgen müssen. Dass dieses Ergebnis vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen ist, kann nicht angenommen werden.
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Überdies besteht bei Pflegekindern – anders als bei leiblichen Kindern – kein anerkennenswertes Bedürfnis, im Falle des Todes eines Pflegeelternteiles für das Pflegekind durch die Gewährung einer einmaligen Entschädigung einen finanziellen Ausgleich zu schaffen. Im Gegensatz zu leiblichen und adoptierten Kindern sind Pflegekinder gegenüber ihren Pflegeeltern nicht unterhaltsberechtigt. Mit der Hinterbliebenenversorgung sollen jedoch nur die vom Tod der Soldatin oder des Soldaten unmittelbar betroffenen und in der Regel wirtschaftlich von ihr oder ihm abhängigen Angehörigen abgesichert werden (vgl. hierzu die Gesetzesbegründung zum EinsatzVG zu § 63f Abs. 3 SVG, BT-Drs. 15/3416, S. 19). Der Hinterbliebenen- bzw. Waisenrente kommt damit in erster Linie Unterhaltsersatzfunktion zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.11.2004, a.a.O.). Kann die Pflegefamilie die Versorgung des Pflegekindes – aus welchen Gründen auch immer – nicht (weiter) sicherstellen, so übernimmt das zuständige Jugendamt die weitere Betreuung und damit auch die weitere Versorgung des Pflegekindes. Pflegekinder sind damit durch den Tod eines Pflegeelternteils nicht in gleicher Weise betroffen wie leibliche oder adoptierte Kinder. Insbesondere vor diesem Hintergrund verbietet sich eine Einbeziehung von Pflegekindern in den Anwendungsbereich der versorgungsrechtlichen Regelungen nach dem SVG.
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Der Anspruch auf Prozesszinsen besteht in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz entsprechend § 291 Satz 2 i.V.m. § 288 Abs 1 Satz 1 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da dieser keinen Antrag gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko unterworfen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Berufungszulassung erfolgt gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung, da für die hier behandelten Rechtsfragen bisher – soweit bekannt – keine (ober-)gerichtliche Rechtsprechung vorliegt und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die rechtliche Frage der Einbeziehung von Pflegekindern in den Anwendungsbereich des SVG auch in anderen Fallgestaltungen an Bedeutung gewinnen kann.
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Referenzen
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