Urteil vom Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße (4. Kammer) - 4 K 540/11.NW



Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Sondernutzungsgebührenbescheid der Beklagten.

2

Die Klägerin, eine Kommanditgesellschaft (KG), betreibt im so genannten PRE-Park in Kaiserslautern auf einer von einer privaten Projektentwicklungsgesellschaft unter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel entwickelten Konversionsfläche ein Spaß- und Freizeitbad. An der KG ist die Beklagte als Kommanditistin beteiligt. Unmittelbar vor dem Bad befindet sich nördlich eine im Eigentum der Beklagten stehende Fläche, welche diese unter Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel zu einer Parkplatzfläche ausgebaut hat. Diese etwa 7.300 m² große Fläche stellte die Beklagte der Klägerin mit Vereinbarung vom 17. Dezember 2004 zur betriebsnotwendigen Nutzung als Parkplatzfläche kostenlos zur Verfügung. Gemäß § 8 dieser Vereinbarung bedarf die Nutzerin der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Grundstückseigentümerin u.a. zur ganzen oder teilweisen Weitergabe des Nutzungsrechts bzw. Errichtung von Bauwerken jeglicher Art auf der Nutzungsfläche.

3

In der Folgezeit beabsichtigte die Klägerin einen wesentlichen Teil der Wärmelieferung über ein neu zu errichtendes Blockheizkraftwerk sicherzustellen. Mit Bauschein vom 12. September 2006 erteilte die Beklagte der Firma L, die als Bauherrin fungierte, die Genehmigung zur Errichtung zweier Blockheizkraftwerke in Containerbauweise auf dem eigenen Betriebsgrundstück der Klägerin, FlurNr. ……. Die Blockheizkraftwerke wurden in der Folgezeit aber auf dem Parkplatzgrundstück aufgestellt. Mit Antrag vom 15. März 2007 begehrte die Bauherrin für die Stellungsänderung der Container vom eigenen Betriebsgrundstück der Klägerin, FlurNr. ………, auf eine 123 qm große und ca. 13 Parkplätze umfassende Teilfläche des Parkplatzgrundstückes, FlurNr. ……, nachträglich eine Tekturgenehmigung. Diese Tektur wurde mit Bescheid vom 4. Februar 2009 genehmigt.

4

Bereits im Jahr 2007 wurden von der Beklagten wegen einer möglichen Förderungsschädlichkeit dieses Bauvorhabens auf der Parkplatzfläche Gespräche mit dem zuständigen Ministerium des Innern und für Sport aufgenommen. Das Ministerium äußerte letztendlich die Auffassung, dass die anderweitige Nutzung förderschädlich und bei Fortsetzung die anteilige Förderung in Höhe von 66.000,00 € für diese Teilfläche zurückzuzahlen sei. In der Folgezeit wurde der Rückbau der Anlage bis zum 31. Mai 2010 vorgenommen.

5

Im Nachgang hierzu erteilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15. November 2010 eine Sondernutzungserlaubnis für die Nutzung dieser Teilfläche des Parkplatzes in der Vergangenheit und setzte für den Zeitraum vom 1. Oktober 2006 bis 31. Mai 2010 Sondernutzungsgebühren in Höhe von insgesamt 7.568,50 € fest. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids lautete wie folgt:

6

„Gegen beiliegende Erlaubnis kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist bei der Stadtverwaltung Kaiserslautern, Referat Stadtentwicklung, Rathaus, Willy-Brandt-Platz 1, 11. Obergeschoss, Zimmer Nr. 1123-1124 oder bei der Geschäftsstelle des Stadtrechtsausschusses, Rathaus Nord Benzinoring 1, 1. Obergeschoss, Zimmer Nr. B 110, schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen.“

7

Gegen den am 15. November 2010 zur Post gegebenen Bescheid legte die Klägerin am 10. Januar 2011 schriftlich Widerspruch bei der Beklagten ein und führte aus, falls in formeller Hinsicht die Frist des Widerspruchs beanstandet werden sollte, werde darauf hingewiesen, dass die Monatsfrist nicht einschlägig sei, weil die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids nicht ausreichend sei. Nach Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs sei der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben sei, irreführend und fehlerhaft. Damit laufe die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO. In der Sache sei der Bescheid rechtswidrig.

8

Der Stadtrechtsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2011 wegen Verfristung als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus, eine Belehrung über die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs in elektronischer Form sei nicht notwendig gewesen, da die Beklagte nach der Verkehrsanschauung keinen Zugang für den Empfang von Dokumenten mit qualifizierter elektronischer Signatur eröffnet habe. Gründe, unter Ermessensgesichtspunkten trotz Verfristung über den Widerspruch in der Sache zu entscheiden, seien nicht ersichtlich. Die Klägerin habe im Übrigen auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

9

Dagegen hat die Klägerin am 09. Juni 2011 Klage erhoben. Sie wiederholt weitgehend ihr Vorbringen aus dem Widerspruchverfahren und führt ergänzend aus, dass die Beklagte einen Zugang für Schreiben in elektronischer Form durch Hinweis auf ihrer Homepage eröffnet habe.

10

Die Klägerin beantragt,

11

den Bescheid vom 15. November 2010 über die Sondernutzungserlaubnis und die Festsetzung der Gebühren in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2011 aufzuheben.

12

Die Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Sie bezieht sich auf den ergangenen Widerspruchsbescheid.

15

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthafte Anfechtungsklage, die sich gegen die in dem Bescheid vom 15. November 2010 enthaltene Gebührenfestsetzung richtet, ist unzulässig. Denn die Klägerin hat das gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - erforderliche Vorverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt.

17

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Wird diese Frist versäumt, wird der Verwaltungsakt bestandskräftig. Die Wahrung der Widerspruchsfrist ist Zulässigkeitsvoraussetzung für den Widerspruch und auch für die Klage. Wird der Widerspruch wegen Fristversäumung als unzulässig zurückgewiesen, ist die hierauf erhobene Klage ebenfalls unzulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, vor § 68 Rn. 7 und § 70 Rn. 6 m.w.N.).

18

Die Klägerin hat den Widerspruch nicht innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingelegt (1.). Die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid vom 15. November 2010 war nicht fehlerhaft. Zwar hatte die Beklagte den Zugang für die wirksame elektronische Widerspruchseinlegung eröffnet (2.). Jedoch war die Beklagte rechtlich nicht verpflichtet, in der Belehrung des Bescheids vom 15. November 2010 auf die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung hinzuweisen, da die Belehrung die einschlägige Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Wortlaut wiedergegeben hat und damit objektiv zutreffend war (3.)

19

1. Die Klägerin hat die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs versäumt. Der am 15. November 2010 per einfachem Brief zur Post gegebene Bescheid galt gemäß §§ 1 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz - LVwVfG -, 41 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - als am 18. November 2010 gegenüber der Klägerin bekannt gegeben, so dass die nach § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Zivilprozessordnung - ZPO - oder nach §§ 79, 31 VwVfG, §§ 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - zu berechnende Monatsfrist am Montag, dem 20. Dezember 2010, ablief. Der Widerspruch ging bei der Beklagten jedoch erst am 10. Januar 2011 und damit verspätet ein.

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2. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids vom 15. November 2010 nicht fehlerhaft mit der Folge, dass der Widerspruch innerhalb eines Jahres hätte erhoben werden können. Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung möglich.

21

Hier hat die Beklagte in dem Bescheid vom 15. November 2010 die Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO beachtet, denn sie hat in der dem Bescheid beigefügten schriftlichen Rechtsbehelfsbelehrung den Wortlaut der maßgeblichen Norm wiedergegeben, indem sie die Klägerin auf die Möglichkeit eines Widerspruchs „schriftlich oder zur Niederschrift“ binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids hingewiesen hat. Diese Rechtsbehelfsbelehrung ist objektiv zutreffend und daher rechtlich nicht zu beanstanden.

22

Zwar hatte die Beklagte gemäß § 1 LVwVfG, §§ 79, 3a VwVfG den Zugang für die elektronische Widerspruchseinlegung in ihrem Zuständigkeitsbereich eröffnet mit der Folge, dass Widerspruchsführer ihren Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt jederzeit elektronisch einreichen konnten. Nach § 3a Abs. 1 VwVfG ist dafür zum einen notwendig, dass der Empfänger einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente eröffnet hat. Von einer Zugangseröffnung kann bei Behörden im Allgemeinen davon ausgegangen werden, wenn sie auf ihren Briefköpfen und/oder auf ihrer Homepage eine E-Mail-Adresse angegeben haben, die nach der Verkehrsanschauung nicht allein reinen Informationszwecken dient (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage 2008, § 3a Rn. 14). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da die Beklagte auf ihrer Homepage unter http://www.kaiserslautern.de/service/impressum/elektronsche_kommunikation/index. html?lang=de als Adresse für eine rechtsverbindliche elektronische Kommunikation die E-Mail-Adresse stv-kaiserslautern@poststelle.rlp.de angibt.

23

Liegt eine Zugangseröffnung nach § 3a Abs. 1 VwVfG vor, muss, um den elektronischen Widerspruch wirksam einlegen zu können, die Behörde darüber hinaus gemäß § 3a Abs. 2 VwVfG den Zugang auch für den Empfang von Dokumenten mit qualifizierter elektronischer Signatur eröffnet haben. Auch diese Voraussetzung ist hier gegeben, da die Beklagte auf ihrer Homepage ausführt:

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„3. Formgebundene elektronische Kommunikation

25

Eine rechtsverbindliche formgebundene elektronische Kommunikation ist erforderlich, wenn für Dokumente, die Sie der Stadtverwaltung Kaiserslautern übermitteln wollen, gesetzlich die Schriftform angeordnet ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn für bestimmte Unterlagen eine eigenhändige Unterschrift vorgeschrieben ist, z.B. bei der Erhebung eines Widerspruchs. Die eigenhändige Unterschrift kann, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, bei einer elektronischen Übermittlung eines Dokuments durch eine qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz ersetzt werden.

26

Für den Versand von E-Mails und Anlagen, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, steht Ihnen wie bei der formfreien elektronischen (siehe Ziffer 2) die folgende E-Mail-Adresse zur Verfügung:

27

stv-kaiserslautern@poststelle.rlp.de“

28

In der Belehrung des Bescheids vom 15. November 2010 hat die Beklagte, obwohl sie den Zugang für die elektronische Widerspruchseinlegung in ihrem Zuständigkeitsbereich eröffnet hat, lediglich darauf hingewiesen, dass der Widerspruch „schriftlich oder zur Niederschrift“ einzulegen sei. Soweit der Stadtrechtsausschuss der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2011 ausgeführt hat, die Beklagte habe nach der Verkehrsanschauung keinen Zugang für den Empfang von Dokumenten mit qualifizierter elektronischer Signatur eröffnet, ist dies unzutreffend. Es hätte der Beklagten daher frei gestanden, in Übereinstimmung mit Nr. 2.2. des an alle Behörden des Landes und der kommunalen Gebietskörperschaften sowie alle sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gerichteten Rundschreibens der Staatskanzlei und der Ministerien vom 23. Juni 2008 (s. Justizblatt 2008, 131 ff.) in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung ausdrücklich hinzuweisen. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu bestand nach Auffassung der Kammer jedoch nicht.

29

3. § 58 VwGO dient dem Schutz der durch eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung Betroffenen. Niemand soll durch Rechtsunkenntnis eines Rechtsbehelfs verlustig gehen. Deshalb knüpft die Vorschrift den Lauf von Rechtsbehelfsfristen an eine bestimmt geartete Belehrung. Diese ist allerdings nicht etwa als „Gebrauchsanweisung“ zu verstehen, die allen tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten Rechnung trägt, dem Betroffenen alle Einzelheiten seines Verhaltens vorschreibt und ihm damit auch jede eigene Verantwortung abnimmt (BVerwG, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 2). Da die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen u.a. auch die erforderliche Form des Rechtsbehelfs umfasst (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 2), gehört die Belehrung über die Form, in der ein Rechtsbehelf einzulegen ist, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, nicht zu den von § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben (s. z.B. BVerwG, NJW 1991, 508 und NJW 1976, 1332).

30

Das Bundesverwaltungsgericht betont jedoch stets, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann fehlerhaft ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält, sondern auch dann, wenn ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der objektiv geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren (s. z. B. BVerwG, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 77, DVBl 2002, 1553, NJW 2009, 2322). § 58 VwGO macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand. Ein unrichtiger oder irreführender Zusatz ist objektiv geeignet, die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren, wenn sie den Adressaten davon abhalten kann, das Rechtsmittel überhaupt, rechtzeitig oder formgerecht einzulegen (BVerwG, NVwZ 1997, 1211).

31

Letzteres hat das Bundesverwaltungsgericht in der Konstellation angenommen, dass nur darüber belehrt worden war, der Widerspruch könne „schriftlich“ eingelegt werden (NJW 1979, 1670). Zur Begründung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, diese Formulierung widerspreche dem Gesetz. Es sei durchaus denkbar, dass sich ein Widerspruchsführer dem Erfordernis, den Widerspruch schriftlich einzureichen, nicht gewachsen fühle, er auch die mit der Hilfe durch Rechtskundige verbundenen Umständlichkeiten und Kosten scheue und deshalb von der Einlegung des Widerspruchs absehe. Eine Erschwernis für den Betroffenen hat das OVG Nordrhein-Westfalen (DÖV 1979, 104) auch darin gesehen, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung eines Verwaltungsakts nur darauf hingewiesen worden war, dass Widerspruch auch bei der Widerspruchsbehörde eingelegt werden könne. Das OVG Nordrhein-Westfalen begründete seine Auffassung damit, es sei vorstellbar, dass ein Betroffener, für den die Widerspruchsbehörde nicht ebenso gut erreichbar sei wie die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen habe, sich allein wegen der räumlichen Entfernung zum Sitz der in der Belehrung angegebenen Widerspruchsbehörde von der Einlegung eines Widerspruchs abhalten lasse. Fehlerhaft war nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (DÖV 1981, 635) auch die Formulierung in der Rechtsbehelfsbelehrung eines Bescheids, der Widerspruch könne „schriftlich bzw. zur Niederschrift“ eingelegt werden. Diese Angabe, so das Bundesverwaltungsgericht, weiche von der Regelung des gesetzlichen Formerfordernisses in § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ab. Für die Auslegung von Willenserklärungen der Verwaltung sei gemäß der auch im öffentlichen Recht geltenden Regel des § 133 BGB der erklärte Wille maßgebend, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger habe verstehen können. Etwaige Unklarheiten gingen zu Lasten der Verwaltung. Bei objektiver Würdigung der beanstandeten Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung könne es aber nicht zweifelhaft sein, dass die Bedeutung des Begriffs "beziehungsweise" nicht mit der des Wortes "oder" übereinstimme. Dieser unrichtige Zusatz sei jedoch nicht geeignet, den Entschluss des Adressaten zur Einlegung eines Rechtsbehelfs zu erschweren. Es könne nicht angenommen werden, dass sich ein Betroffener durch diese Formulierung von der Einlegung eines an sich in Aussicht genommenen Rechtsbehelfs abhalten lasse. Denn auch der rechtsunkundige Adressat einer derartigen Rechtsbehelfsbelehrung werde erkennen, dass es sich bei dem Formerfordernis "zur Niederschrift bei der Behörde" um eine selbständige Form für die Einlegung des Rechtsbehelfs handele.

32

Gemessen an diesen Vergleichsfällen war die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid der Beklagten vom 15. November 2010 nicht fehlerhaft. Denn der mangelnde Hinweis auf die Möglichkeit, den Widerspruch auch elektronisch einlegen zu können, erschwerte der Klägerin die Rechtsverfolgung nicht in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise.

33

Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur zur verwaltungsgerichtlichen Klageerhebung in den Bundesländern, in denen - wie in Rheinland-Pfalz - der elektronische Rechtsverkehr nach § 55 a VwGO eröffnet ist, die Ansicht vertreten, dass der in Übereinstimmung mit § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO stehende Hinweis, die Klage sei schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben, nach dem objektiven Empfängerhorizont geeignet sei, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage nicht in elektronischer Form erhoben werden könne (s. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 03. Mai 2010 - 2 S 106.09 - und vom 02. Februar 2011 - OVG 2 N 10.10 -, jeweils juris; VG Trier, Urteil vom 22. September 2009 - 1 K 365/09.TR -, ESOVG und juris; VG Potsdam, Urteil vom 18. August 2010 - 8 K 2929/09 - juris; VG Neustadt, Urteil vom 10. September 2010 - 2 K 156/10.NW - juris; Starke, LKV 2010, 358; ferner verlangen Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O., § 58 Rn. 10 und Kintz, NVwZ 2004, 1429 einen entsprechenden Hinweis auf die Möglichkeit elektronischer Widerspruchseinlegung auch in der Rechtbehelfsbelehrung eines Ausgangsbescheids; vgl. für den Sozialprozess ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. November 2010 - L 5 AS 1773/10 B PKH -, juris). Denn die Verweisung auf das Erfordernis, die Begründung schriftlich einzureichen, erschwere dem Betroffenen die Rechtsverfolgung. Es sei durchaus denkbar, dass die Einreichung der Klage in elektronischer Form eine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post bzw. Boten oder Fax darstelle.

34

Nach der Gegenmeinung muss dagegen nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage mittels elektronischer Datenübermittlung hingewiesen werden, weil diese Form bisher wenig verbreitet sei und besonderen Voraussetzungen und Umständen unterliege. Die elektronische Klageerhebung unterscheide sich von herkömmlichen Formen der Klageerhebung durch die eine Zugangsvoraussetzung, die gerade nicht jedermann offenstehe. Die dadurch eröffnete beschleunigte Übermittlung einer fristgebundenen Eingabe bei Gericht stehe nur einem Anwenderkreis offen, der in das Verfahren eingebunden sei und typischerweise nicht einem Irrtum über die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung unterliegen könne. Der Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung, dem Beteiligten den richtigen und regelmäßigen Weg der Klageerhebung zu zeigen, dürfe nicht dadurch verwässert werden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch alle anderen Möglichkeiten, die das Gesetz zur Fristwahrung genügen lasse, aufzählen müsse. Die Rechtsbehelfsbelehrung werde dadurch nicht übersichtlicher, sondern länger und verwirrend. Von daher müsse auf die Möglichkeit der Klageerhebung in elektronischer Form nicht gesondert hingewiesen werden (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08. Juli 2011 - 11 K 4808/10.F -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 12 L 253/10 -, juris; für den Sozialprozess LSG Hessen, Urteil vom 20. Juni 2011 - L 7 AL 87/10 -, juris und SG Marburg, Urteil vom 15. Juni 2011 - S 12 KA 295/10 -, juris).

35

Die erkennende Kammer folgt im Ergebnis der zuletzt genannten Meinung, wählt aber einen etwas anderen Ansatz. Da das Bundesverwaltungsgericht darauf abstellt, ob die Formulierung in der Rechtsbehelfsbelehrung die Rechtsverfolgung des Betroffenen in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise erschwert und deshalb irreführend ist, orientiert sich die Kammer ausschließlich am Wortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Diese Vorschrift enthält die maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben über Form und Frist des Widerspruchs. Die genannte Norm sieht - ebenso wie bei der Klageerhebung nach § 81 Abs. 1 VwGO - zwei gleichberechtigte Formen für die wirksame Einlegung des Widerspruchs vor, nämlich die schriftliche Widerspruchseinlegung oder den Widerspruch zur Niederschrift bei der Behörde. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die - wie hier - den Inhalt dieser maßgeblichen Vorschrift zutreffend wiedergibt, widerspricht nicht dem Gesetz und ist daher nicht unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO (Bay. VGH, Beschluss vom 18. April 2011 – 20 ZB 11.349 -, juris; vgl. auch BFH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - III B 20/09 – juris).

36

Zwar kann die verwaltungsgerichtliche Klage aufgrund der Regelung des § 55 a VwGO und der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlichen Fachgerichtsbarkeiten unter näher bezeichneten Anforderungen seit vielen Jahren auch elektronisch erhoben werden. Für das Widerspruchsverfahren gilt nichts anderes, denn über die Vorschriften der §§ 1 LVwVfG, 79 VwVfG findet die Bestimmung des § 3 a VwVfG Anwendung. Nach dessen Abs. 2 Sätze 1 und 2 kann eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. In diesem Fall ist das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen. § 3 a Abs. 2 Satz 1 VwVfG spricht ausdrücklich davon, dass die durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform - hier § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO - durch die elektronische Form ersetzt wird. Eine ähnliche Formulierung findet sich in § 126 Abs. 3 und 4 BGB. Nach § 126 Abs. 3 BGB kann die schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. § 126 Abs. 4 BGB bestimmt, dass die schriftliche Form durch die notarielle Beurkundung ersetzt wird.

37

Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob die elektronische Form ein Unterfall der Schriftform ist (bejahend Skrobotz, jurisPR-ITR 24/2009 Anm. 5 und Braun, jurisPR-ITR 15/2011 Anm. 5; eher ablehnend VG Trier, Urteil vom 22. September 2009 - 1 K 365/09.TR -, juris unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien, in denen das elektronische Dokument als „Alternative zur Schriftform“, „modifizierte Schriftform“ sowie „neue prozessuale Form“ charakterisiert und als gleichberechtigt neben der - herkömmlichen papiergebundenen - Schriftform bezeichnet wird [s. BT-Drucksache 14/4987, Seiten 13 und 23]). Maßgeblich ist allein, dass die in § 70 Abs. 1 VwGO angeordnete Schriftform des Widerspruchs gemäß § 3 a Abs. 2 VwVfG durch die elektronische Form ersetzt werden kann, d.h. unter näher genannten Voraussetzungen dem Schriftformerfordernis genügt. Es ist in der Rechtsprechung seit Jahren allgemein anerkannt, dass die Schriftform auch durch eine Widerspruchseinlegung oder Klageerhebung per Telefax (BVerfG, NJW 1987, 2098), Computerfax (GmSOBG, NJW 2000, 2340) oder Funkfax (BVerwG, NJW 2006, 1989) gewahrt wird. Ein gesonderter Verweis auf diese Formen der wirksamen Rechtsbehelfseinlegung wird von der Rechtsprechung in den Rechtsbehelfsbelehrungen aber gerade nicht verlangt. Ebenso unterliegt es keinem Zweifel, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung einen Hinweis auf die Möglichkeit der Widerspruchseinlegung oder Klageerhebung durch notarielle Urkunde, die dem gesetzlichen Formerfordernis nach § 70 Abs. 1 VwGO bzw. § 81 Abs. 1 VwGO genügt, nicht erfordert. Warum etwas anderes für den bloß zusätzlichen Übermittlungsweg eines Rechtsbehelfs per elektronischer Form gelten soll, obwohl damit die Schriftform - ebenso wie bisher schon durch die notarielle Beurkundung (vgl. § 126 Abs. 4 BGB) - ersetzt wird, erschließt sich der Kammer nicht. Dafür spricht für die elektronische Klageerhebung im Übrigen auch die Vorschrift des § 81 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Danach sollen der Klage und allen Schriftsätzen vorbehaltlich des § 55a Abs. 2 Satz 2 Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Diese Bestimmung, die mit In-Kraft-Treten des Justizkommunikationsgesetzes am 01. April 2005 geändert worden ist, unterstreicht, dass der Gesetzgeber bei der Änderung des § 81 Abs. 2 VwGO keine Veranlassung gesehen hat, den Absatz 1 Satz 1 um die Passage „oder elektronisch“ zu ergänzen, da er das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene elektronische Dokument einem schriftlich zu unterzeichnenden Dokument gleichgestellt hat (s. § 55 a Abs. 1 Satz 3 VwGO).

38

Die von der Beklagten erteilte Rechtsbehelfsbelehrung gibt somit in zulässiger Weise den Wortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO wieder, weil nach dem oben Gesagten ein mit einer qualifizierten Signatur versehener elektronischer Widerspruch aufgrund des § 3 a Abs. 2 Satz 1 VwVfG den schriftlichen Widerspruch ersetzt und damit wie ein solcher zu behandeln ist. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die den Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift enthält, ist aber objektiv zutreffend und damit ausreichend (s. auch Bay. VGH, Beschluss vom 18. April 2011 - 20 ZB 11.349 -, juris; vgl. auch BFH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - III B 20/09 - juris). Belehrt ein Bescheid über die einschlägige gesetzliche Vorschrift, so wird die Rechtsverfolgung des Betroffenen nicht in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise erschwert; sie ist daher auch nicht irreführend. Die reine Wortlautwiedergabe kann per se keine irreführende Auskunft enthalten, solange die entsprechende Norm nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Es wird durch diese Variante der Rechtsbehelfsbelehrung auch nicht der Eindruck vermittelt, dass die elektronische Rechtsbehelfsbelehrung unzulässig sei. Es ist zwar zutreffend, dass für die Auslegung der Rechtsbehelfsbelehrung der objektive Empfängerhorizont nach § 157 BGB maßgeblich ist und nicht das wirklich Gemeinte nach § 133 BGB. Allerdings kann die Wortlautwiederholung des Gesetzes nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht mehr aussagen als die zitierte Norm selbst.

39

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 Abs. 2 iVm 708 Nr. 11, 711.

40

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3, VwGO). Denn bei der Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung in einem Ausgangsbescheid einer Behörde, die den Zugang für die wirksame Einlegung eines elektronischen Widerspruchs eröffnet hat, fehlerhaft ist, wenn die Behörde in der Belehrung ausdrücklich über die Form belehrt hat, ohne auf die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung hinzuweisen, handelt es sich um eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint.

41

Beschluss

42

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.568,50 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

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