Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 A 94/19

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 20.09.2018, mit dem er auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung zur Zahlung von 12.886,91 € herangezogen wurde.

2

Der Kläger gab am 25.07.2014 (Bl. 17 der Beiakte A) bei der Ausländerbehörde A-Stadt eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG für xxx xx, dessen Ehefrau xx xx sowie deren drei Kinder xx, xx und xx ab. In der Verpflichtungserklärung heißt es, der Herr xxx xxx sei der Cousin des Klägers und er – der Kläger – verpflichte sich gegenüber der Ausländerbehörde, für die genannten Personen ab sofort bis zur Beendigung des Aufenthalts oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Zweck die Kosten für den Lebensunterhalt und die Ausreise zu tragen. Desweiteren heißt es, die Verpflichtung umfasse die Erstattung sämtlicher öffentlicher Mittel, die für den Lebensunterhalt einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfall und der Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden. Dies gelte auch, soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch beruhen im Gegensatz zu Aufwendungen die auf einer Beitragsleistung beruhen. Laut des dem Kläger ausgehändigten und von ihm unterschriebenen Formblattes wurde er – der Kläger – auch auf den Umfang und die Dauer der Haftung und auf die Bindungswirkung der Erklärung hingewiesen. Der Kläger bestätigte auf dem Formblatt zudem, zu der Verpflichtung aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage zu sein.

3

Auf Grundlage dieser Verpflichtungserklärung reiste die Familie xxx am 24.01.2015 in die Bundesrepublik ein.

4

Am 23.02.2015 gab der Bruder des Klägers, xxx A., in xxx ebenfalls für die Familie xxx einzelne Verpflichtungserklärungen (Bl. 3 bis 12 der Beiakte A) ab. Auch auf diesen war vermerkt, dass es sich bei xxx xxx um den Cousin des Verpflichtungsgebers handle.

5

Der eingereiste Herr xxx xxx und seine Familie meldeten sich am 13.04.2015 als Asylsuchende in Neumünster (Bl. 13 der Beiakte A). Mit ihrem Antrag vom 23.04.2015 (ab Bl. 23 der Beiakte A) stellten sie einen Antrag auf Leistungen bei der Beklagten. Dieser war zunächst nur auf die Gewährung von Krankenhilfe gerichtet, da die Familie nach eigenen Angaben durch den Kläger finanziert werde und daher keine staatlichen Leistungen für den alltäglichen Bedarf benötige.

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Am 09.07.2015 stellten sie schließlich einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, da der Verpflichtungsgeber – der Kläger – nur für die Wohnung aufkomme (Bl. 31 der Beiakte A - Rückseite). Die Familie xxx erhielt sodann ab diesem Tag Leistungen von der Beklagten. Mit Schreiben vom 10.07.2015 (Bl. 36 der Beiakte A) wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Familie xxx Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beantragt habe und auch erhalten werde und der Kläger die gewährten Leistungen der Beklagten zu erstatten habe.

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Im Juli 2015 zog die Familie xxx aus der von dem Kläger gestellten Wohnung aus und zog in eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wurden im Verlauf sukzessive reduziert, nachdem einzelnen Familienmitgliedern – zuletzt Anfang Juni 2016 (Bl. 183 der Beiakte A) – Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt wurden. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wurden daraufhin zum 30.06.2016 gänzlich eingestellt, nachdem die Familie in den SGB II Leistungsbezug übergegangen war (Bl. 187 der Beiakte A). Für die Familie xxx wurde bis dahin so insgesamt ein Betrag von 15.521,05 Euro auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes aufgewandt (Bl. 182 der Beiakte A).

8

Mit Bescheid vom 09.07.2016 verpflichtete die Beklagte den Kläger erstmalig zur Tragung der Kosten. Ein dagegen eingelegter Widerspruch wurde zurückgewiesen. Ein daraufhin angestrengtes Klageverfahren vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht wurde mit Beschluss vom 18.06.2018 (1 A 119/17) eingestellt. Die Beklagte hatte den angegriffenen Bescheid mit Blick auf ein nach eigener Auffassung nicht ausgeübtes Auswahlermessen zwischen dem Kläger und dem anderen Verpflichtungsgeber, Herrn xxx xxx, aufgehoben (Bl. 257 der Beiakte A), woraufhin die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erklärt hatten.

9

Mit Bescheid vom 20.09.2018 (Bl. 262 ff. d. A.) wurde der Kläger erneut zur Erstattung der Leistungen in Höhe eines Restbetrages von 12.886,91 € aufgefordert. Die Beklagte verwies dabei darauf, dass der Kläger gegenüber dem anderen Verpflichtungsgeber, Herrn xxx xxx, vorrangig heranzuziehen sei, da die Erklärung des Klägers und nicht die des Herrn xxx xxx ausschlaggebend für die Einreise und den Aufenthalt der Familie xxx gewesen sei. Angesichts der Liquidität des Klägers sei die Forderung auch nicht unverhältnismäßig. Eine atypische Situation, die es gebiete, von einer Inanspruchnahme des Klägers abzusehen, sei auch nicht darin zu sehen, dass es zu einem Vertrauensschwund zwischen dem Kläger und der Familie xxx gekommen sei.

10

Hiergegen erhob der Kläger am 16.10.2018 Widerspruch (Bl. 269 der Beiakte A). Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 276 der Beiakte A). Sie verwies erneut darauf, dass die Inanspruchnahme des Klägers der gesetzliche Regelfall sei und kein atypischer Ausnahmefall vorliege. Die Inanspruchnahme sei trotz der privaten Differenzen zwischen dem Kläger und der Familie xxx angemessen. Etwas Anderes folge auch nicht aus § 8 Abs. 2 AsylbLG, der darauf abziele, außergewöhnlichen Umstände wie einem unvorhergesehenen Verlust des Arbeitsplatzes beim Verpflichtungsbegünstigten zu begegnen. Persönliche Differenzen seien aber keine mit diesen Situationen vergleichbaren Umstände. Das Risiko eines persönlichen Zerwürfnisses sei allen Verpflichtungserklärungen innewohnend.

11

Der Kläger hat am 29.03.2019 Klage erhoben. Er macht insbesondere geltend, dass er der Familie umfangreiche Zahlungen zur Deckung der Lebenshaltungskosten geleistet und für sie auch eine Wohnung angemietet habe. Als er im Juli 2015 erfahren habe, dass die Familie ohne seine Kenntnis Sozialleistungen beantragt habe, sei er sehr verärgert gewesen und habe seine eigenen Zahlungen eingestellt. Auch die angemietete Wohnung habe er zum 31.10.2015 gekündigt. Bis dahin habe die Wohnung der Familie aber zur Verfügung gestanden. Er habe die Verpflichtungserklärung nur unterschrieben, weil er von einer Verwandtschaft zwischen ihm und der Familie xxx ausgegangen sei. Darüber sei er jedoch getäuscht worden, denn tatsächlich bestehe kein Verwandtschaftsverhältnis. Auch in der Höhe sei die Rückforderung unberechtigt, da diverse nicht erstattungsfähige Positionen abgerechnet würden. So würden mehrere Positionen abgerechnet, die nach Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels gegenüber der Familie entstanden seien. Es handele sich insofern um einen fälschlicherweise in Ansatz gebrachten Betrag von 1.005,92 €. Zudem habe er der Familie bis einschließlich Oktober 2015 eine Wohnung gestellt und könne daher erst ab November 2015 zur Kostentragung für die staatliche Bereitstellung einer Unterkunft herangezogen werden. Auch insofern sei ein Betrag von 1.368,00 € zu viel berechnet. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei zudem von einer Inanspruchnahme abzusehen, denn die Beklagte habe bei ihrer Ermessensausübung nicht alle Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt, insbesondere nicht die Täuschung durch die Familie xxx. Spätestens mit Kenntnis über das Nichtbestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses habe seine Unterhaltsverpflichtung geendet. Auch habe die Beklagte den Rechtsgedanken des § 8 Abs. 2 AsylbLG verkannt, wonach die zuständige Behörde einerseits monatliche Zuschüsse gewähren und andererseits in einem gewissen Umfang von der Geltendmachung der Erstattungsforderung absehen könne.

12

Nachdem der Kläger zunächst beantragt hat, den Bescheid der Landeshauptstadt Kiel – Amt für Wohnen und Grundsicherung vom 20.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2019 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte auch zukünftig keine Ansprüche gegen den Kläger aus der Verpflichtungserklärung von 25.07.2014 geltend machen kann, beantragt er nach Rücknahme der Klage im Übrigen nunmehr,

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den Bescheid der Landeshauptstadt Kiel – Amt für Wohnen und Grundsicherung – vom 20.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2019 aufzuheben.

14

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

16

Sie verweist erneut auf Ausgangs- und Widerspruchsbescheid und ergänzt, dass die Verpflichtungserklärung hinreichend bestimmt sei und keine Umstände ersichtlich seien, die zu einer anfänglichen oder nachträglichen Unwirksamkeit der Verpflichtungserklärung führen würden. Die Erklärung sei insbesondere nicht sittenwidrig, da der Kläger liquide und zahlungsfähig sei. Es sei zudem nicht zutreffend, dass die Wohnung der Familie xxx bis Ende Oktober 2015 zur Verfügung gestanden habe. Ausweislich der Akten (Bl. 40 der Beiakte A) habe der Kläger mit E-Mail vom 12.07.2015 mitgeteilt, dass die Familie xxx die Wohnung bereits zum 25. Juli 3015 habe verlassen müssen, damit er – der Kläger – notwendige Renovierungsarbeiten habe durchführen können. Dass die Familie xxx nach Ausstellung einer neuen Aufenthaltserlaubnis weiter Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten habe, sei unschädlich, da die Leistungspflicht des Verpflichtungsgebers auch nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis weiterbestehe. So habe das Bundesverwaltungsgericht in Fällen entschieden, in denen ein Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufentG einreise und ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufentG erteilt werde. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufentG sei in diesem Fall keine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Aufenthaltszweck. Eine Anfechtung der Verpflichtungserklärung analog § 142 BGB scheide ebenfalls aus, da weder ein Willensmangel entsprechend § 119 BGB noch eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB gegeben sei.

17

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie die ebenfalls beigezogene Gerichtsakte des Verfahrens 1 A 119/17 verwiesen.

Entscheidungsgründe

18

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet.

19

I. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig.

20

Das Gericht legt dabei der Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung als maßgeblich zugrunde (BVerwG, Urteil vom 26.01.2017 – 1 C 10/16 –, juris Rn. 17). Damit ist § 68 Abs. 1 AufenthG in der Fassung vom 31.07.2016 (neu gefasst mit Wirkung vom 06.08.2016 durch Gesetz vom 31.07.2016, BGBl. I S. 1939) anzuwenden, da die letzte Behördenentscheidung in Form des Widerspruchsbescheides am 15.03.2019 erfolgte. Die seit Abgabe der Verpflichtungserklärung am 25.07.2014 eingetretenen Änderungen sind vorliegend allerdings ohnehin irrelevant. Ein relevanter Unterschied der Fassungen ergibt sich einzig im Hinblick auf die neu eingefügte Befristung. Diese gilt (i.V.m. § 68a Abs. 1 S.1 AufenthG) auch für vor dem 06.08.2016 abgegebene Verpflichtungserklärungen, jedoch mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Zeitraums von fünf Jahren ein Zeitraum von drei Jahren tritt. Da der Kläger im hiesigen Verfahren ohnehin nur für einen Zeitraum von insgesamt weniger als einem Jahr in Anspruch genommen wurde, wirkt sich die Änderung insofern nicht aus.

21

Gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG in der Fassung vom 31.07.2016 hat derjenige, der sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen, sind nicht zu erstatten. Der Zeitraum nach Satz 1 beginnt mit der durch die Verpflichtungserklärung ermöglichten Einreise des Ausländers. Die Verpflichtungserklärung erlischt vor Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren ab Einreise des Ausländers nicht durch Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 des Kapitels 2 oder durch Anerkennung nach § 4 des Asylgesetzes.

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II. Die Leistungspflicht des Klägers besteht sowohl dem Grunde nach (1.) als auch der Höhe nach (2.) in dem durch die Beklagte geforderten Umfang.

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1. Gründe, die dafür sprechen würden, dass die Verpflichtungserklärung nicht wirksam abgegeben worden wäre, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist sie nicht aufgrund unzureichender Aufklärung durch die Beklage unwirksam. Dass der Kläger sich, wie in der mündlichen Verhandlung ergänzend vorgetragen, nicht hinreichend über die Trag- und Reichweite seiner Leistungspflichten im Klaren gewesen und die Relevanz der Erklärung nur unzureichend erfasst haben will, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die vom Kläger unterschriebene Verpflichtungserklärung führt die Reichweite und Bedeutung der Leistungspflichten hinreichend aus und es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger, ein promovierter Zahnarzt, nicht in der Lage gewesen wäre, ihren Bedeutungsgehalt zu erfassen.

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Die aus der insofern wirksamen Verpflichtungserklärung erfolgte Inanspruchnahme ist darüber hinaus weder wegen Ermessensfehlern ausgeschlossen noch kann sich der Kläger von der Verpflichtung anderweitig lösen.

25

a) Soweit der Kläger vorträgt, die Beklagte habe die Besonderheiten des Einzelfalls nicht vollständig in ihren Ermessenserwägungen berücksichtigt, folgt die Kammer dem nicht. Die Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung stellt, wie die Beklagte zu Recht ausführt, den Regelfall dar und kann überhaupt nur dann im Wege einer Ermessensübung modifiziert werden, wenn ein atypischer Fall vorliegt (Dollinger, Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 68 Rn. 16). Wann in diesem Sinne ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, ist anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (VG Köln, Urteil vom 25. September 2018 – 5 K 2572/18 –, juris Rn. 72). Das zitierte VG Köln nahm in seiner Entscheidung einen atypischen Fall für den Fall an, dass eine Verpflichtungserklärung mit Blick auf ihren objektiven Erklärungsgehalt dahin auszulegen war, dass eine Einstandspflicht nur bis zu einer Flüchtlingsanerkennung bestehen solle und die dortige Ausländerbehörde diesen Irrtum nicht aufgeklärt habe. Unabhängig von der Frage, ob die vom VG Köln diskutierte Irrtumsproblematik systematisch korrekt im Bereich der Atypik diskutiert wurde (denkbar wäre auch eine Einordnung im Rahmen der Anfechtung analog § 142 BGB), sieht die Kammer im hiesigen Sachverhalt keine vergleichbare Situation. Die vom VG Köln angenommene besondere Situation lag unter anderen darin, dass die Beklagte eine ihr bekannte Fehlvorstellung des Klägers nicht aufklärte. Im vorliegenden Fall war es aber auch der Beklagten nicht bekannt, dass die Verpflichtungsbegünstigten tatsächlich nicht mit dem Kläger verwandt waren. Es war der Beklagten folglich nicht möglich, die – behauptete – Fehlvorstellung aufzuklären. Stattdessen oblag es dem Kläger, sich über die tatsächliche Verwandtschaftsbeziehung klar zu werden, wenn er diese so maßgeblich zur Grundlage seiner Bereitschaft der Abgabe der Verpflichtungserklärung machen wollte. Das Bundesverwaltungsgericht hat bezüglich der früher in § 84 AuslG geregelten Verpflichtungserklärung zur Annahme atypischer Fälle in ähnlicher Weise auf die Sphären abgestellt, aus denen die Umstände für die atypische Situation herrühren und im Falle der Aufnahme bosnischer Flüchtlinge angemerkt, dass die damaligen Behörden „eine Risikoentscheidung getroffen und damit Mitverantwortung für die entstandenen Kosten übernommen haben. Sie haben sich nämlich zur Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen bereit gefunden, auch wenn im Einzelfall nicht nachgewiesen war, da[ss] die Aufwendungen für deren Lebensunterhalt durch den jeweiligen Verpflichteten bei Eintritt aller Eventualitäten getragen werden können. Die zuständigen Behörden haben daher das mit der Einreise und dem Aufenthalt der Flüchtlinge verbundene Kostenrisiko gleichsam mitübernommen. Das macht es erforderlich, bei der Heranziehung zu Erstattungsleistungen im Ermessenswege zu prüfen, ob es unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist, da[ss] die finanziellen Folgen dieser Risikoentscheidung allein von den Verpflichteten getragen werden“ (BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 – 1 C 33/97 –, juris Rn. 61). Auch mit Blick darauf ist im hiesigen Fall ein atypischer Fall gerade nicht ersichtlich. Es lag allein in der Risikosphäre des Klägers, sich über die Identität der Familie xxx Klarheit zu verschaffen. Dass die Verpflichtungsbegünstigten sich im Laufe der Einstandspflicht persönlich und familiär von dem Verpflichtungsgeber entfremden könnten, ist grundsätzlich kein völlig untypischer Ablauf, sondern gewöhnliches Risiko jeder langfristigen Verpflichtung. Etwas Anderes kann nicht dafür gelten, dass der Verpflichtungsgeber sich von Anfang an über das angenommene Näheverhältnis täuschte.

26

Mangels Annahme eines atypischen Falles war eine Ermessensausübung durch die Beklagte folglich bereits nicht eröffnet.

27

b) Der Kläger kann sich von der Verpflichtungserklärung auch nicht nachträglich durch Anfechtung analog § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB lösen. Zwar ist eine Anfechtung der Verpflichtungserklärung wegen Willensmängeln bzw. wegen arglistiger Täuschung in analoger Anwendung der §§ 119 ff., 123 f. BGB grundsätzlich möglich, da es sich bei dieser Erklärung um eine einseitige, empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1998 – 1 C 33/97 –, juris Rn. 28).

28

Der Kläger kann die Verpflichtungserklärung jedoch nicht analog § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB wegen arglistiger Täuschung durch seinen vermeintlichen Cousin, Herrn xxx xxx, anfechten. Nach § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB ist eine Erklärung nach Täuschung eines Dritten nur dann anfechtbar, wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung kannte oder kennen musste. Die Beklagte hatte von der vermeintlichen Täuschung durch den Verpflichtungsbegünstigten indes keine Kenntnis und musste diese auch nicht haben, da sie über die Verwandtschaftsverhältnisse des Klägers nicht besser informiert sein konnte als der Kläger selbst.

29

c) Die Verpflichtungserklärung ist schließlich auch nicht aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 60 VwVfG einseitig kündbar oder zugunsten des Klägers anzupassen.

30

Ungeachtet der Frage, ob die Regelung des § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG auf Verpflichtungserklärungen überhaupt anwendbar ist, setzt sie voraus, dass sich die (rechtlichen oder tatsächlichen) Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgeblich gewesen sind, seit Abschluss des Vertrages wesentlich geändert haben. Die Vorschrift dient der Korrektur eines Parteiwillens, der durch die Verhältnisse überholt ist. Unter den Verhältnissen, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgeblich waren, sind die grundlegenden Umstände zu verstehen, die zwar einerseits nicht zum schriftlich fixierten Vertragsinhalt gemacht wurden, andererseits auch nicht bloß inneres Motiv geblieben sind, die aber von den Vertragsparteien zur Grundlage des Vertrags gemacht worden sind und auf denen der beiderseitige Geschäftswille aufbauen soll (Bonk/Neumann/Siegel, Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018. § 60 Rn. 13). Vorliegend haben sich jedoch weder die Verhältnisse seit Abgabe der Verpflichtungserklärung geändert noch war die Verwandtschaft zwischen Kläger und Verpflichtungsbegünstigten Grundlage der Verpflichtungserklärung zwischen den Beteiligten. Es handelt sich vielmehr um einen allein in der Sphäre des Klägers anzusiedelnden Irrtum, der zudem bereits vor Abgabe der Erklärung bestand. Es handelt sich insoweit unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen zum atypischen Fall um ein enttäuschtes inneres Motiv des Klägers, das für seine grundsätzliche Einstandspflicht unerheblich ist.

31

2. Auch die Höhe der Inanspruchnahme begegnet keinen Bedenken.

32

a) Hinsichtlich der Kostenübernahme für die Unterbringung der Familie xxx geht das Gericht unter Würdigung der in den Akten befindlichen E-Mail vom 12.07.2015 (Bl. 40 der Beiakte A) und nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass die Wohnung der Familie xxx ab dem 25.07.2015 gerade nicht mehr zur Verfügung stand und die von der Beklagten aufgewandten Kosten für die Unterbringung zu Recht in Ansatz gebracht wurden. Zwar war die Kündigung der Wohnung, die der Kläger für die Familie xxx gemietet und bezahlt hatte, erst zu Ende Oktober 2015 wirksam (vgl. Bl. 80 der Beiakte A), die Familie musste aufgrund der für die Übergabe an den Vermieter nötigen Renovierungsarbeiten aber bereits im Juli ausziehen.

33

b) Auch soweit die Beklagte Kosten in Ansatz gebracht hat, die sich auf einen Zeitpunkt nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG beziehen, begegnet die Inanspruchnahme keinen Bedenken. Diesbezüglich hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass die Erteilung eines Titels aus dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes keine Änderung des Aufenthaltszwecks darstellt, die die Einstandspflicht entfallen lässt (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 1 C 10/16 –, juris Rn. 27 - 31). Dieser Rechtsprechung hat sich die Kammer bereits zuvor angeschlossen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 19.09.2018 – 11 A 486/18 –, nicht veröffentlicht) und sie hat auch in dem hier als maßgeblich zugrunde zu legenden Wortlaut des § 68 AufenthG Niederschlag gefunden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Leistungsaufstellung (Bl. 182 der Beiakte A) sind auch keine Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt worden, nachdem die Leistungspflicht auf andere Leistungsträger übergegangen war.

34

c) Eine Anpassung der Höhe der Forderung folgt schließlich auch nicht aus dem Rechtsgedanken des § 8 Abs. 2 AsylbLG. Täuschungen durch den Verpflichtungsbegünstigten sind keine „außergewöhnlichen Umstände in der Person des Verpflichteten“ im Sinne der Norm. Insofern gilt das eingangs zur Frage des atypischen Falls Gesagte.

35

III. Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs.1, 155 Abs. 2 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung ist nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.


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