Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 4 S 1967/20

Tenor

Auf Antrag der Klägerin wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12. Mai 2020 - 8 K 2562/19 - insoweit zugelassen, als darin die Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 12.01.2018 für den Zeitraum ab dem 27.07.2018 abgewiesen worden ist.

Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Gründe

 
Der fristgerecht gestellte (vgl. § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch im Übrigen zulässige Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12.05.2020 - 8 K 2562/19 - hat (nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist die Berufung weder wegen ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch wegen eines Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen.
I.
1. Eine Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (BVerfG, Beschlüsse vom 16.07.2013 - 1 BvR 3057/11 -, BVerfGE 134, 106 [118], und vom 08.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104 [140]). Das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfordert dabei eine substantiierte Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung, durch die der Streitstoff entsprechend durchdrungen oder aufbereitet wird. Dies kann regelmäßig nur dadurch erfolgen, dass sich die Antragsbegründung konkret mit der angegriffenen Entscheidung inhaltlich auseinandersetzt und aufzeigt, was im Einzelnen und warum dies als fehlerhaft erachtet wird. Eine Bezugnahme auf früheren Vortrag genügt grundsätzlich nicht (vgl. nur VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 09.11.2004 - 11 S 2771/03 -, Juris Rn. 2; Senatsbeschluss vom 19.05.1998 - 4 S 660/98 -, Juris Rn. 2). Wird ein Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund dargelegt wird und auch vorliegt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 09.03.2010 - 3 S 1537/08 -, Juris Rn. 3).
Werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils hinsichtlich einer Tatsachen- und/oder Beweiswürdigung geltend gemacht, gelten besondere Anforderungen an deren Darlegung (vgl. zum Folgenden VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 24.11.2020 - 10 S 2012/19 -, Juris Rn. 3, vom 18.11.2020 - 11 S 1465/19 -, Juris Rn. 20, vom 11.02.2019 - 12 S 2789/18 -, Juris Rn. 19, und vom 21.07.2012 - 2 S 1265/12 -, Juris Rn. 3 f.; jew. m.w.N.). Denn nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Verwaltungsgericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ist bei der Würdigung aller erheblichen Tatsachen - nicht nur des Ergebnisses einer gegebenenfalls durchgeführten förmlichen Beweisaufnahme, sondern auch des Inhalts der Akten, des Vortrags der Beteiligten, eingeholter Auskünfte usw. - frei, d.h. nur an die innere Überzeugungskraft der in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Argumente, an Denkgesetze, anerkannte Erfahrungssätze und Auslegungsgrundsätze gebunden. Ist das Gericht unter umfassender Würdigung des Akteninhalts und der Angaben der Beteiligten (sowie gegebenenfalls des Ergebnisses einer Beweisaufnahme) zu der Überzeugung gelangt, dass entscheidungserhebliche Tatsachen vorliegen oder nicht, können ernstliche Zweifel an deren Richtigkeit nicht schon durch die Darlegung von Tatsachen hervorgerufen werden, die lediglich belegen, dass auch eine inhaltlich andere Überzeugung möglich gewesen wäre oder dass das Berufungsgericht bei einer Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach Aktenlage zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte. Vielmehr bedarf es der Darlegung erheblicher Fehler bei der Tatsachen- oder Beweiswürdigung, die etwa dann vorliegen können, wenn das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich von einem unzutreffenden, ggfs. auch unzureichend ermittelten, Sachverhalt ausgegangen ist oder wenn bei der Beweiswürdigung etwa gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen, eine sachwidrige Beweiswürdigung vorgenommen oder gesetzliche Beweisregeln missachtet wurden. Insoweit können die Gründe, aus denen heraus ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen, auch aus einer unzureichenden Ermittlung und Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (§ 86 VwGO) resultieren, weshalb auch im Rahmen des Zulassungsgrunds der ernstlichen Richtigkeitszweifel in zulässiger Weise eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gerügt werden kann; eine Zulassung der Berufung unter diesem Gesichtspunkt ist jedoch nur möglich, wenn eine entsprechende Verfahrensrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ebenfalls zur Zulassung führte (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 24.11.2020 - 10 S 2012/19 -, Juris Rn. 3, und vom 17.02.2009 - 10 S 3156/08 -, Juris Rn. 5; Sächs. OVG, Beschluss vom 23.11.2016 - 3 A 630/16 -, Juris Rn. 15).
2. Ausgehend hiervon hat die Klägerin, die seit mindestens Oktober 2016 Halterin des am 13.01.2015 geborenen Rüden „C.“ der Rasse „Dogo Argentino“ ist und die sich vor dem Verwaltungsgericht Freiburg erfolglos gegen mehrere im Zusammenhang mit der Haltung von „C.“ ergangene Bescheide der Beklagten gewandt hat, ernstliche Zweifel mit Erfolg nur mit Blick auf die Abweisung ihrer gegen die in Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 12.01.2018 ausgesprochene Beschlagnahme von „C.“ gerichteten Anfechtungsklage - und insoweit auch allein mit Blick auf den Zeitraum ab dem 27.07.2018 - geltend machen sowie hinreichend darlegen können.
a. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 12.01.2018, mit der der als gefährlich eingestufte Hund der Klägerin „C.“ gemäß § 33 PolG i.V.m. den §§ 1, 3, 5, 6 PolG beschlagnahmt wurde, für den Zeitraum ab dem 27.07.2018 als unzulässig abgewiesen und dies damit begründet, dass eine Beschlagnahme mit Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 33 Abs. 4 Satz 2 PolG automatisch außer Kraft trete, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedürfe. Da die Beschlagnahme von „C.“ am 26.01.2018 erfolgt sei, habe sie sich mit Ablauf des 26.07.2018 gemäß § 43 Abs. 2 LVwVfG durch Zeitablauf erledigt und sei deshalb ab dem 27.07.2018 kein tauglicher Klagegegenstand der Anfechtungsklage mehr.
b. Die Klägerin hält dieser Rechtsauffassung - die das Verwaltungsgericht selbst nicht konsequent verfolgt, wäre doch im Falle einer Erledigung der Beschlagnahmeverfügung durch Zeitablauf die statthafte Klageart für deren Überprüfung für den Zeitraum vor Erledigung nicht die Anfechtungs-, sondern die Fortsetzungsfeststellungsklage gewesen - gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO hinreichend substantiiert entgegen, dass sich eine Beschlagnahmeanordnung nicht schon durch Zeitablauf, sondern erst durch Rückgabe an den Eigentümer erledige; andernfalls sei der Grundrechtsträger bei schlichter Verweigerung der Rückgabe nach Ablauf der gesetzlichen Frist schutzlos gestellt. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt für die Anfechtungsklage sei daher derjenige der gerichtlichen Entscheidung.
c. Die Ausführungen der Klägerin wecken insoweit auch beim Senat ernstliche Zweifel an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts. Erledigung im Sinne von § 43 Abs. 2 LVwVfG tritt ein, wenn der Verwaltungsakt seine regelnde Wirkung verliert (vgl. VGH Bad.-Württ, Urteil vom 08.07.2014 - 8 S 1071/13 -, Juris Rn. 27; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., 2018, § 43 Rn. 204). Die Regelungswirkung einer Beschlagnahme liegt in der Begründung eines öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.08.2006 - 5 S 2497/05, Juris Rn. 37, und Beschluss vom 17.03.2005 - 1 S 381/05 -, Juris Rn. 11); (erst) mit Ende des Verwahrungsverhältnisses - etwa durch Rückgabe der beschlagnahmten Sache an den Eigentümer - endet auch die Regelungswirkung der Beschlagnahme. Der Ablauf der 6-Monats-Frist allein ändert an der Anordnung behördlichen Gewahrsams indes nichts. Anderes ergibt sich auch nicht aus § 33 Abs. 4 Satz 2 PolG - wortgleich übernommen in § 38 Abs. 4 Satz 2 PolG i.d.F. v. 17.01.2021 -; dort heißt es allein, dass die Beschlagnahme vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Regelung nicht länger als sechs Monate aufrechterhalten werden „darf“. Auch dieser Wortlaut spricht dafür, dass es sich bei der Regelung des § 33 Abs. 4 Satz 2 PolG / § 38 Abs. 4 Satz 2 PolG lediglich um eine materiell-rechtliche Vorgabe handelt, deren Nichtbeachtung zwar die Rechtswidrigkeit der Fortdauer der Beschlagnahme, nicht aber ihre Erledigung im Rechtssinne zur Folge hat (so auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 08.05.2008 - 1 S 2914/07 -, Juris Rn. 17).
Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis auch nicht aus dem zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11.03.2014 (- 1 S 2422/13 -, Juris). Zwar ist in der Entscheidung davon die Rede, mit Ablauf der Sechsmonatsfrist trete „die Beschlagnahme automatisch außer Kraft, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung der Beschlagnahme bedarf“ (Rn. 7), und an anderer Stelle heißt es, es fehle nach Ablauf der Sechsmonatsfrist „an einer wirksamen Beschlagnahme“ (Rn. 10). Dass der 1. Senat mit diesen etwas missverständlichen Formulierungen aber nicht zum Ausdruck bringen wollte, die Beschlagnahme erledige sich mit Ablauf der Sechsmonatsfrist im Sinne von § 43 Abs. 2 LVwVfG durch Zeitablauf, ergibt sich aus dem Gesamtkontext des Beschlusses. Denn dort wird auf die Beschwerde der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Anordnung der - zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits länger als sechs Monate andauernden - Beschlagnahme wiederhergestellt, was denklogisch die fortbestehende Wirksamkeit der Beschlagnahmeanordnung voraussetzt, andernfalls bereits die Statthaftigkeit des auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützten Antrags hätte verneint werden müssen. Auch heißt es im Beschluss mehrfach, die Beschlagnahme sei infolge des Fristablaufs „rechtswidrig geworden“ (Rn. 5, 9, 11, 12) und stelle keine taugliche Grundlage für eine Einziehung mehr dar; von einer Erledigung im Rechtssinne ist dagegen an keiner Stelle die Rede.
d. Die Klagabweisung erweist sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Denn wenn sich die Beschlagnahme mit Ablauf der Sechsmonatsfrist auch nicht im Rechtssinne erledigt haben dürfte, spricht nach obigen Ausführungen doch Überwiegendes dafür, dass sie infolge des Fristablaufs ab dem 27.07.2018 rechtswidrig geworden und auf die Anfechtungsklage der Klägerin hin aufzuheben ist.
10 
3. Der weitergehende Zulassungsantrag war hingegen abzulehnen. Denn die insoweit maßgeblichen, sich nur punktuell gegen einzelne Passagen des angegriffenen Urteils richtenden Ausführungen der Klägerin, auf die sich die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof beschränkt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), vermögen den geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu tragen.
11 
a. Dies gilt zunächst für die Abweisung der Anfechtungsklage betreffend die Beschlagnahmeanordnung in Ziffer 1 des Bescheids vom 12.01.2018 für den Zeitraum bis zum 26.07.2018 durch das Verwaltungsgericht als unbegründet, die die Klägerin mit ihrer Berufungszulassungsbegründung nicht angegriffen hat.
12 
b. Mit ihren Darlegungen zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 03.11.2017, mit dem diese den Hund der Klägerin „C.“ aufgrund seiner Rasse „Dogo Argentino“ und seines Verhaltens als Kampfhund im Sinne der Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde vom 03.08.2000 eingestuft hat, vermag die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht zu begründen.
13 
Das Verwaltungsgericht hat die Einstufung von „C.“ als Kampfhund als formell und materiell rechtmäßig angesehen. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 1 Abs. 3 PolVOgH seien gegeben. Insbesondere bestünden Anhaltspunkte im Sinne von Nr. 1.3.2 VwVgH dafür, dass „C.“ zu einem übersteigerten Aggressionsverhalten neige und gegenüber Menschen und Tieren gefährlich sei. Dies werde offenkundig in dem Beißvorfall vom 10.12.2016. Ein Hund sei schon dann als bissig anzusehen, wenn er - wie bei „C.“ der Fall - einmal im Beisein seines Halters oder einer Person, der der Hund überlassen wurde, einen Menschen gebissen habe. Diese Vermutung sei im Falle von „C.“ auch nicht widerlegt worden. Soweit die Klägerin erstmals am 26.04.2019 geltend gemacht habe, der Beißvorfall sei durch einen Tritt des Geschädigten, Herrn O., provoziert worden, könne dem nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass die Klägerin, die beim Vorfall nicht zugegen gewesen sei, in der mündlichen Verhandlung nur noch davon gesprochen habe, die jungen Männer hätten betrunken gepöbelt, sie aber den angeblichen Tritt unerwähnt gelassen habe, seien zu keinem Zeitpunkt während des polizeilichen Ermittlungsverfahrens und des Verwaltungsverfahrens ein Tritt oder eine andere vorherige Provokation erwähnt worden. Dies verwundere, weil im Regelfall die Erinnerung eines Zeugen mit zunehmendem Zeitablauf verblasse; hier dagegen falle die plötzliche Erinnerung des Herrn W. zufällig mit dem Wechsel des Verfahrensbevollmächtigten zusammen. Die angebotene Vernehmung der Klägerin sei ein untaugliches Beweismittel, weil sie beim Vorfall nicht zugegen gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin, die im Verfahren mehrfach prozesstaktisch ausgesagt habe, zudem eingestanden, es sei ein Fehler gewesen, Herrn W. den Hund zum Spazierengehen zu überlassen, weil dieser „C.“ unterschätzt habe. Weitere Anhaltspunkte für eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit des Hundes zeigten die Schilderungen der Polizeibeamtin und des Nachbarn, Herrn E. sowie weitere in den Verwaltungsakten dokumentierte Beschwerden von Nachbarn und Familienangehörigen der Klägerin. Selbst der von ihr beauftragte Sachkundige der Hundeschule S. sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei „C.“ wegen des Nachsetzens trotz Abbruchs der Bedrohungslage und wegen der langen Phase zur Beruhigung um einen kritischen Hund an der Grenze zur Gefährlichkeit handele, und dies noch ein Jahr nach dem Beißvorfall vom Dezember 2016. Es habe auch keiner Verhaltensprüfung nach § 1 Abs. 4 PolVOgH bedurft, weil jedenfalls aufgrund des Verhaltens des Hundes „C.“, das sich im Beißvorfall konkretisiert habe, auch abstrakt auf eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen und Tieren im Sinne von § 1 Abs. 3 PolVOgH zu schließen und kein atypischer Fall gegeben sei, aufgrund dessen ein Wesenstest ausnahmsweise durchgeführt werden müsse.
14 
(1) Die Klägerin wendet hiergegen zunächst ein, es könne ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass sie sich im laufenden Ermittlungsverfahren nicht sofort habe äußern wollen; stattdessen habe sie umgehend ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Ungefährlichkeit von „C.“ habe beweisen sollen. Soweit das Verwaltungsgericht sich auf Herrn W. berufe, erlaube sein Verhalten allenfalls einen Rückschluss auf seine fehlende Eignung, nicht aber unmittelbar auf ein übersteigertes Aggressionsverhalten des von ihm geführten Hundes.
15 
Die Klägerin setzt damit der Sachverhaltswürdigung des Gerichts lediglich ihre eigene Bewertung der Ereignisse entgegen. Dies genügt jedoch nicht für die Darlegung eines relevanten Mangels der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Dass es dagegen sachwidrig oder willkürlich sein könnte, ihren Vortrag, der Geschädigte O. habe „C.“ getreten, unter Berufung auf den Umstand, dass sie einen solchen Tritt erst knapp zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall - und im Übrigen mehr als zwei Jahre nach Abschluss des diesbezüglichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens - erstmals erwähnt und in der mündlichen Verhandlung wiederum nur von Pöbeleien seitens O. gesprochen hat, als Schutzbehauptung zu bewerten, ergibt sich daraus nicht. Auch dass das Gericht ihre Aussage, Herr W. habe „C.“ unterschätzt, als einen zusätzlichen Beleg für dessen Aggressivität gewertet hat - weil, so lässt sich ergänzen, der Umstand, dass W. „C.“ unterschätzen konnte, ein Abweichen des Hundes von der Norm nahe legt -, erscheint nicht als sachwidrig; anderes legt auch die Klägerin nicht substantiiert dar.
16 
(2) Soweit die Klägerin geltend macht, für eine Provokation seitens des Geschädigten W. - und damit eine Widerlegung der Vermutung der Bissigkeit des „C.“ - spreche bereits der Umstand, dass es zu wechselseitigen Beleidigungen gekommen sei, kann dies ernstliche Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Vermutung der Gefährlichkeit sei nicht durch besondere Umstände wie eine vorherige Provokation oder einen Angriff auf den Hund widerlegt, bereits deshalb nicht begründen, weil Adressat von Beleidigungen allenfalls der Hundeführer, nicht aber der Hund gewesen wäre; letzterer folglich auch nicht durch eine Beleidigung zum Biss hätte provoziert worden sein können. Im Übrigen lässt sich den polizeilichen Ermittlungen nur entnehmen, dass es zu wechselseitigen Beleidigungen „im weiteren Verlauf“ - also im Anschluss an den Biss - gekommen sei (vgl. VAS 25, 33).
17 
(3) Weiter trägt die Klägerin vor, gegen eine gesteigerte Aggressivität des „C.“ spreche das Sachverständigengutachten vom 17.12.2017, wonach „C.“ ein adäquates Aggressionsverhalten habe und nur seine Reaktion in einzelnen Situationen auf einen kritischen Hund an der Grenze zur Gefährlichkeit hindeute; dieses Ergebnis sei vom Verwaltungsgericht durch das Herausreißen einzelner Erwägungen aus dem Kontext ins Gegenteil verkehrt worden.
18 
Diesem Vortrag vermag der Senat bereits im Ansatz nicht zu folgen. Denn mit der Feststellung im angefochtenen Urteil, der Leiter der Hundeschule S. sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei „C.“ wegen des Nachsetzens und der langen Phase bis zur Beruhigung um einen „kritischen Hund an der Grenze zur Gefährlichkeit“ handele, hat das Verwaltungsgericht sowohl von der Formulierung als auch vom Sinngehalt her das Ergebnis der Stellungnahme völlig zutreffend wiedergegeben. Insoweit ist es nicht das Gericht, sondern die Klägerin, die hier einzelne Erwägungen der von ihr vorgelegten Stellungnahme aus dem Kontext reißt, wenn sie auf das durch S. festgestellte adäquate Aggressionsverhalten von „C.“ abstellt, ohne zu erwähnen, dass S. dem „C.“ dieses adäquate Verhalten nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Testsituation attestiert, diese Feststellung für den weiteren Testablauf aber ausdrücklich („drei Punkte sprechen aber hier dagegen“) mit Blick auf das Nachsetzen nach Abbruch der Bedrohungslage, die Kommentierung eines Kompensationsversuchs mit Aggression und die lange Zeit bis zur Beruhigung wieder deutlich relativiert und „C.“ abschließend als kritischen Hund an der Grenze zur Gefährlichkeit bzw. als „Grenzfall“ bezeichnet.
19 
(4) Weiter macht die Klägerin geltend, das Ergebnis des Gutachtens vom 17.12.2017 sei zweifelsfrei ein gewichtiger Anhaltspunkt für ein ungefährliches Wesen des Hundes, der die Durchführung eines Wesenstests nach § 1 Abs. 4 PolVOgH hätte veranlassen müssen; das Vorliegen einer gesteigerten Aggressivität sei aufgrund des Gutachtens nicht hinreichend wahrscheinlich. Auch mit diesem Vortrag stellt sie der Auffassung des Verwaltungsgerichts lediglich ihr hiervon abweichendes Verständnis vom Gutachteninhalt gegenüber, ohne substantiiert darzulegen, inwieweit die Auffassung des Verwaltungsgerichts, „C.“ weise eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen und Tieren im Sinne von § 1 Abs. 3 PolVOgH auf, an einem relevanten Mangel der Sachverhaltswürdigung leidet.
20 
(5) Schließlich ist die Klägerin der Auffassung, die Unterlassung der von ihr angebotenen Parteivernehmung unter Berufung darauf, dass sie beim Vorfall nicht anwesend gewesen sei, sei eine unzulässige Vorwegnahme der Würdigung des Beweisergebnisses. Der Sache nach beruft die Klägerin sich damit auf einen erheblichen Fehler bei der Tatsachenwürdigung des Verwaltungsgerichts durch Zugrundelegung eines unzureichend ermittelten Sachverhalts.
21 
Entgegen der Ansicht der Klägerin hat das Verwaltungsgericht indes seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht dadurch verletzt, dass es die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht förmlich (als Partei) zum Geschehen am 10.12.2016 in T. vernommen hat. Denn es ist bereits weder ersichtlich noch vorgetragen, welche weitergehenden Erkenntnisse die Klägerin über ihren bisherigen Vortrag hinaus hätte beitragen und in welcher Weise sich dies auf das Urteil hätte konkret auswirken können. Eines konkreten Vortrags, welche Behauptung die Klägerin durch eine Parteivernehmung hätte unter Beweis stellen wollen, hätte es aber umso mehr bedurft, als ihre bisherigen Angaben, was sie vom konkreten Ablauf des Geschehens gehört haben möchte, im Laufe des Verfahrens in einem zentralen Punkt - zunächst keinerlei Angaben zum Geschehen vor dem Biss, dann Tritt des O. gegen „C.“, schließlich Pöbeleien seitens der Personengruppe um O. - variiert haben. Angesichts dessen und mangels Antrags (§ 98 VwGO i.V.m. § 447 ZPO) war eine Grundlage für eine förmliche Parteivernehmung bereits im Ansatz nicht gegeben. Ungeachtet dessen war die Klägerin ausweislich der Urteilsgründe in der Lage, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung umfassend darzustellen.
22 
b. Auch mit ihren Einwendungen gegen den Kostenbescheid vom 13.06.2018 vermag die Klägerin nicht durchzudringen.
23 
Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage abgewiesen und dies, soweit hier erheblich, damit begründet, dass Rechtsgrundlage für die Erhebung der Unterbringungskosten im Zeitraum (gemeint) 26.01.2018 bis 16.05.2018 seien § 84 Abs. 1 Nr.4 PolG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 und 5 PolG. Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach seien gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass der vom Tierschutzzentrum der Beklagten in Rechnung gestellte Tagessatz von 20 EUR überhöht sei, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Beklagte sei auf die Unterbringung des Hundes bei einem Dritten angewiesen. Sie habe auch ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt; dem Zweck der Ermächtigung und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche es regelmäßig, wenn die Behörde die ihr entstandenen Kosten geltend mache.
24 
Dem hält die Klägerin entgegen, dass es Städte gebe, die Rahmenvereinbarungen mit Tierheimen besäßen, in denen gegen Zahlung einer einmaligen jährlichen Gebühr die Betreuung der zur Betreuung gegebenen sichergestellten Hunde pauschal abgegolten werde. Bis heute habe die Beklagte die Zahlung nicht nachgewiesen. Auch seien die Kosten deutlich übersetzt; mit Urteil vom 03.12.2018 habe das Verwaltungsgericht Würzburg Unterbringungskosten für Hunde von 12,- EUR, im Ausnahmefall von 15,- EUR als verhältnismäßig erachtet.
25 
Ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat sie damit nicht begründet. Zunächst gibt es aus Sicht des Senats angesichts der in den Akten befindlichen Rechnungen des Tierheims auch ohne Vorlage der Überweisungsträger keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Beklagte die ihr durch das Tierheim jeweils in Rechnung gestellten Unterbringungskosten auch tatsächlich beglichen hat, zumal andernfalls das Tierheim „C.“ sicherlich nicht weit über den hier in Rechnung gestellten Zeitraum hinaus untergebracht hätte. Auch in Ansehung des klägerischen Vorbringens begegnet die Vorgehensweise der Beklagten, die vom Tierheim in Rechnung gestellten Beträge gegenüber der Klägerin als Kosten für die Unterbringung von „C.“ festzusetzen, keine Bedenken. Dass andere Gemeinden Pauschalverträge mit Tierheimen haben mögen, steht dem - nachdem die Beklagte eine derartige Vereinbarung nicht abgeschlossen hat - ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass das Verwaltungsgericht Würzburg (Urteil vom 03.12.2018 - W 8 K 16.565 -, Juris) in einer nur eingeschränkt vergleichbaren Konstellation der Klage eines Tierheims auf Erstattung der ihm für die Unterbringung von Hundewelpen entstandenen Kosten auf Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs tägliche Unterbringungskosten von 15 EUR für angemessen gehalten hat. Denn die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass und ggf. welche kostengünstigeren Unterbringungsmöglichkeiten für „C.“ in der näheren Umgebung konkret bestanden hätten. Derartiger substantiierter Angaben aber hätte es umso mehr bedurft, als die Unterbringung von gefährlichen Hunde wie „C.“ mit einem besonderen und damit kostenträchtigen Betreuungsaufwand einhergehen dürfte.
II.
26 
Schließlich liegt auch der von der Klägerin geltend gemachte erhebliche Verfahrensfehler nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO in Form eines Verstoßes gegen § 86 VwGO durch Unterlassen einer Parteivernehmung der Klägerin, wie bereits erörtert, nicht vor.
III.
27 
Da es sich bei den gegen die diversen Bescheide der Beklagten gerichteten Anfechtungsklagen jeweils um selbstständige Streitgegenstände handelt und die gegen die Beschlagnahme (Ziffer 1 des Bescheides der Beklagten vom 12.01.2018) gerichtete Anfechtungsklage in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist hier die tenorierte teilweise Zulassung der Berufung (vgl. dazu Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, 5. Aufl., 2021, § 124a Rn. 65; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., 2018, § 124a Rn. 267 ff., 271) vorzunehmen.IV.
28 
Die Kostenentscheidung bleibt - auch soweit der Senat die Zulassung der Berufung teilweise abgelehnt hat - wegen der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung in einer Instanz der Schlussentscheidung vorbehalten (so auch etwa Sächs. OVG, Beschluss vom 12.04.2019 - 1 A 173/18 -, Juris; OVG RP, Beschluss vom 28.06.2018 - 2 A 11723/17 -, Juris; Bay. VGH, Beschluss vom 16.12.2020 - 12 ZB 15.1877 -, Juris; BeckOK VwGO, Stand 01.01.2021, § 124a Rn. 83).
V.
29 
Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt wird, ist dieser Beschluss unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts in diesem Umfang rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen