Urteil vom Amtsgericht Schwelm - 59 Ls-500 Js 551/20-25/20
Tenor
Die Angeklagten sind schuldig der gemeinschaftlichen versuchten gefährlichen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.
Es werden verurteilt
1.
die Angeklagte y2 einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird,
2.
die Angeklagte T einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Angeklagten tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschriften: §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, Abs. 2, 340 Abs. 1, 2, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB.
1
Gründe:
2I.
31.
4Die am 31. Dezember 1983 in Blankenberg geborene Angeklagte C ist verheiratet und Mutter eines 3 ½ Monate alten Kindes. Nach dem Abitur hat sie zunächst den Beruf der Grafikdesignerin erlernt und dann eine Ausbildung bei der Polizei begonnen und beendet. Seit 2013 ist sie Polizistin. Derzeit erhält sie Elterngeld in Höhe von 1.800,00 Euro.
5Die Angeklagte C ist nicht vorbestraft.
62.
7Die am 18. November 1988 in Hemer geborene Angeklagte ist ledig und kinderlos. Nach dem Abitur erlernte sie den Beruf der kaufmännischen Angestellten. Im Anschluss erfolgte eine Ausbildung zur Polizistin, die sie 2016 beendete. Als Polizistin verdient die Angeklagte T ca. 3.600,00 Euro netto monatlich.
8Die Angeklagte T ist nicht vorbestraft.
9II.
10In der Tatnacht gegen 23:41 Uhr führten die beiden Polizeibeamten E und y3 in der Mühlenstraße eine Verkehrskontrolle bei dem gesondert Verfolgten L durch. Der gesondert Verfolgte verhielt sich gegenüber den Beamten zunächst kooperativ, um dann zu seinem Fahrzeug zu laufen und die im Seitenfach befindliche Pistole Walther P 99 an sich zu nehmen. Aus kürzester Entfernung eröffnete er das Feuer auf den Polizeibeamten E, der von dem Schuss in Höhe der Milz getroffen wurde. Ein Eintreten des Projektils in den Oberkörper konnte durch die schusssichere Weste verhindert werden, jedoch wurde der Beamte durch die Wucht des Aufpralls nach hinten geschleudert und ging verletzt zu Boden.
11Sodann gab der gesondert Verfolgte weitere Schüsse in Richtung des auf dem Boden befindlichen Beamten ab. Nachdem der Beamte y3 nun seinerseits auf das Fahrzeug des gesondert Verfolgten geschossen hatte, feuerte jener auch in Richtung des Geschädigten y3, ohne diesen jedoch zu treffen.
12Bei dem Feuergefecht zwischen den beiden Polizeibeamten und dem gesondert Verfolgten, dem letztlich die Flucht gelang, wurden insgesamt 21 Schüsse abgegeben.
13Die beiden angeklagten Polizeibeamtinnen, die zwischenzeitlich den von ihnen geführten Polizeiwagen ca. zwei Fahrzeuglängen hinter der Kontrollstelle geparkt hatten, flohen vom Einsatzort, obwohl sie den Schusswechsel bemerkten und zudem ausdrücklich um Hilfe gebeten wurden, anstatt ihrerseits das Feuer auf den Angreifer zu eröffnen bzw. einen Warnschuss abzugeben und diesen so an einer weiteren Schussabgabe zu hindern bzw. zu hindern zu versuchen. Die geladenen Maschinenpistolen und das Einsatzfahrzeug ließen sie zurück. Dabei war beiden bewusst, ihre Kollegen damit zumindest der Gefahr erheblicher Verletzungen durch Schüsse des gesondert Verfolgten auszusetzen.
14III.
15Zu ihren persönlichen Verhältnissen haben sich die Angeklagten so eingelassen, wie festgestellt.
16Die Feststellungen zu den früheren Strafverfahren beruhen auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Bundeszentralregisterauszügen.
17Die Feststellungen zur Tat ergeben sich aus der geständigen Einlassung der Angeklagten, an deren Wahrheitsgehalt zu zweifeln keinerlei Veranlassung bestand sowie aus den Angaben der Zeugen E, y3, T3, S und C2 und der Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen aus dem Streifenwagen E/y3 und den Lichtbildern Bl. 163 ff. d.A. und der Verlesung von Bl. 503 - 505 d.A. und Bl. 774ff. d.A..
181.
19Die Angeklagten haben sich im Rahmen der Hauptverhandlung geständig zur Sache eingelassen. Die Angeklagte C führte aus, dass sie bei dem Einsatz Todesangst gehabt hätte. In der Nacht sei sie mit der Kollegin Streife gefahren. Die Kollegin sei gefahren. Sie hätten dann einen Einsatz bekommen. Das sei „An der Drehbank“ bei der Gocartbahn gewesen. Sie hätten ein Fahrzeug mit Warnblinklicht gesehen. Die Kollegin habe dann den Bully gestoppt und dabei geschrien: „Raus C.“ Sie sei dann perplex gewesen. Sie habe ihre Weste zugemacht, beide seien dann hinter das Fahrzeug gelaufen, in Deckung hinter die Motorhaube. Das Funkgerät sei im Fahrzeug verblieben. Es seien Schüsse gefallen. Sie habe damit gerechnet, dass der Täter in ihre Richtung käme und auf sie schießen würde. Ihre Kollegin habe gerufen: „Lauf, lauf.“ Sie habe die ganze Zeit gedacht, dass sie von hinten eine Kugel treffen würde. Sie habe absolute Todesangst gehabt. Dann sei ihnen ein Fahrzeug entgegen gekommen. Sie habe den Kollegen E auf der Straße liegen sehen. Sie habe dann das Auto gestoppt und der Fahrerin gesagt, dass sie einsteigen würden und sie fahren sollte. Das habe die Fahrerin dann auch gemacht. Die Kollegin habe dann um deren Handy gebeten und mit der Leitstelle telefoniert. Sie habe damit gerechnet, verfolgt zu werden. Nach 2 Minuten Fahrzeit hätten sie dann gestoppt. Die Leitstelle habe sie angewiesen, zurückzufahren. Die Fahrerin habe sie dann wieder raus gelassen. Herr y3 habe auf sie und ihre Kollegin gewartet. Sie hätten sich dann erstmal auf Verletzungen untersucht.
20Weiter führte die Angeklagte C aus, dass die letzten Monate schwierig für sie gewesen seien. Sie sei sonst immer handlungssicher gewesen. An dem Tag sei es anders gewesen. Sie habe nicht gewusst, woher die Schüsse gekommen seien. Sie habe um ihr Leben gefürchtet und instinktiv gehandelt. Man übe nicht, auszusteigen und in einen Kugelhagel zu geraten. Sie habe erst menschlich gehandelt, erst hinterher wieder als Polizistin. Es habe sich um einen taktischen Rückzug gehandelt, um hinterher wieder funktionieren zu können.
21Das Fahrzeug sei verschlossen gewesen.
222.
23Die Angeklagte T führte aus, dass sie Streife mit ihrer Kollegin gefahren sei. Sie habe das Fahrzeug geführt und dann ein Fahrzeug mit Warnblinker gesehen. Sie hätten dann erkannt, dass das ein Streifenwagen gewesen sei, C sei an ihrem Handy gewesen. Die Kollegen E und y3 hätten vor dem Streifenwagen gestanden. E habe seine Hand hochgezogen. Sie habe gedacht, er wolle grüßen, sie hätte zurück gegrüßt.
24Der L habe dann die Arme in Richtung des Kollegen bewegt. E habe sich die Hände vor das Gesicht gehalten. Sie hätte das Fahrzeug dann gebremst und gesagt: „Raus, Raus, Widerstand.“
25Die Kollegen hätten in Höhe der Fahrzeugtür gestanden. Andere Personen habe sie nicht gesehen. Es habe dann einen lauten Knall gegeben. Man habe in dem Moment nicht damit gerechnet. Sie habe nicht gewusst, woher das gekommen sei. Es sei kein Mündungsfeuer zu sehen gewesen. Sie sei dann stehen geblieben. Ihre Kollegin sei einige Meter hinter ihr gewesen. Sie habe dann den Kollegen auf dem Boden liegen sehen. Es sei dann ein Schuss nach dem anderen gekommen. Es habe laut gehallt. Sie habe so etwas noch nie gehört. Der Kollege y3 sei dann seitlich weggegangen. Es habe überall geknallt. Sie sei von einem Hinterhalt ausgegangen. Sie habe gedacht, sie stünden auch unter Beschuss. Sei sei der Situation nicht gewachsen gewesen. Sie habe erstmal in Deckung gehen wollen, um dann Unterstützung rufen zu können. Sie habe im Laufen gesagt: „Lauf C, lauf“. Leider hätte sie ihr Funkgerät nicht an der Schulter getragen. Es habe keine Möglichkeit bestanden, miteinander zu kommunizieren. Sie hätten nur die Wahl gehabt, Unterstützung anzufordern. Im Hintergrund seien immer noch Schüsse gewesen. Es habe geklungen, als würde es immer näher kommen. Sie habe damit gerechnet, in den Hinterkopf getroffen zu werden. An der Mühlenstraße seien sie dann runter und hätten das Fahrzeug angehalten. Sie sei dann zur Fahrerseite gegangen.
26Sie habe während des Einsteigens nach einem Mobiltelefon gefragt. Die Durchwahl der Leitstelle sei ihr nicht eingefallen. Sie habe dann die 110 gewählt und der Leitstelle erklärt, was passiert sei. Was im Fahrzeug gesprochen wurde, hätte sie gar nicht mitbekommen. Sie habe dann bemerkt, dass sie sich schon weit von der Örtlichkeit entfernt hätten. Die Leitstelle habe dann gesagt, sie sollen zurückfahren. Sie seien dann nach der Rückkehr direkt zu y3 gelaufen. Die Dienstwaffe von dem anderen Kollegen hätten sie entgegengenommen und in den Streifenwaren getan. Der Wagen sei verschlossen gewesen.
273.
28Der Zeuge E führte aus, dass es einen Abend zuvor Sprengungen von Geldautomaten gegeben habe. Deshalb sei der L kontrolliert worden.
29Sie hätten ihn angehalten und herausbekommen, dass er einen Haftbefehl offen hatte. Sie hätten den Haftbefehl durchsetzen wollen. Die Kolleginnen seien an der Kontrollstelle vorbeigefahren. Er habe eine winkende Handbewegung gemacht, damit sie anhalten. Die Angeklagte T habe das Fahrzeug dann abgebremst. Die Situation sei in dem Moment eskaliert.
30Er und sein Kollege hätten den L an der Fahrertür festhalten können. Er habe sich dann aber in das Fahrzeug geworfen und unter dem Sitz etwas gesucht. Der Kollege habe dann mit Pfefferspray in das Auto gesprüht. Der L habe trotzdem auf ihn schießen können. Er sei nach hinten gestrauchelt. Sein Kollege habe den Täter dann unter Druck setzen wollen. Das Fahrzeug der Kolleginnen sei leicht hinter seinem Wagen gewesen. Sie hätten sich mitten im Geschehen befunden. Die Kolleginnen seien unter Beschuss gewesen, der L habe mindestens einen Schuss in Richtung der Kolleginnen abgegeben. Die Entfernung müsse so ungefähr 20 m betragen haben. Er habe keine Schäden davongetragen und könne ganz normal seinen Dienst versehen. Er mache den Kolleginnen absolut keinen Vorwurf. Es tue ihm leid, dass die Kolleginnen in dieser Situation gewesen seien.
314.
32Der Zeuge y3 führte aus, dass sie Sichtkontakt zu den Kolleginnen gehabt hätten, als der L den Urinbbecher gefüllt habe. Die Kolleginnen seien langsam gefahren. Es habe keinen Einsatz für die Kolleginnen gegeben. Der L habe dann den Urinbecher in Richtung Gesicht des E geworfen. Er habe versucht, den L festzuhalten.
33Sie hätten ihn nicht aus dem Fahrzeug ziehen können. Der L habe dann nach unten gegriffen. Er habe dann mit Pfefferspray gesprüht. Sein Kollege E habe die Waffe gezogen gehabt. Es hätte einen Knall gegeben und er habe sehr lautes Schreien gehört. Er habe daraufhin das Pfefferspray fallen lassen und die Waffe gezogen. Dann habe er einen Positionswechsel gemacht. Beim Positionswechsel hätte er Sichtkontakt zu den Kolleginnen gehabt. Er habe gesehen, dass die Kolleginnen fußläufig in die andere Richtung gerannt seien. Herr E habe sich Richtung Parkplatz geschleppt. Der L sei dann geflüchtet. Er habe im Anschluss gefunkt und gefragt: „C, T, wo seid ihr?“
34Der Rettungswagen sei dann gekommen und habe die Erstversorgung gemacht. Dann seien die Kolleginnen zurückgekommen. Sie hätten sich dann gemeinsam über das weitere Vorgehen, Fahndung, Absperrung u.s.w., unterhalten.
35Der Zeuge führte weiter aus, dass der L nach hinten geschossen hätte. Die Kolleginnen seien in Gefahr gewesen und wenn die Kolleginnen geschossen hätten, hätten sie auch ihn und seinen Kollegen treffen können.
365.
37Der Zeuge S führte aus, dass er der Dienstgruppenleiter gewesen sei, er sei aber nicht im Dienst gewesen. Er sei dann aber nach Ennepetal gekommen, um zu unterstützen. Er habe durch Gespräche von dem Einsatz erfahren. In der Nacht habe er keinen Kontakt zu den Angeklagten gehabt. Am Tag darauf habe es ein erstes Gespräch mit den Angeklagten gegeben. Er habe sich erstmal nach dem Zustand der Kollegen y3 und E erkundigt.
38Er führte weiter aus, dass er denke, dass jeder versucht hätte, in dieser Situation weg zu kommen, um Deckung zu suchen.
396.
40Der Zeuge T3 führte aus, dass er zu dem Tatzeitpunkt Dienstgruppenleiter gewesen sei und sich auf der Wache befunden habe. Über Funk habe er von dem Schusswechsel erfahren.
41Er sei dann auf das verunfallte Täterfahrzeug getroffen. Ungefähr eine Stunde nach dem Schusswechsel sei er eingetroffen. Es seien Sicherungsmaßnahme zu treffen gewesen. Die Kollegen hätten ihm mitgeteilt, dass die Kolleginnen wohl unter Schock stünden. Er habe sie dann ins dienstfrei versetzt.
42Weiter führte er aus, dass der Zeuge y3 ihm gesagt habe: „Die sind einfach weggelaufen.“ Er habe das nicht richtig verstanden und habe das nicht richtig einordnen können. Als er zum Tatort gekommen sei, sei das Täterfahrzeug bereits weggewesen. Der Bully habe mit Abstand zu dem Streifenwagen von E und y3 gestanden. Er habe die Waffen im Kofferraum gefunden.
437.
44Die Zeugin C2 führte aus, dass sie sich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause befunden habe. Sie habe dann zwei Personen gesehen, die hin- und her gerannt seien. Die seien dann auf ihr Auto zu gerannt. Sie habe die Fensterscheibe runter gemacht. Die Dunkelhaarige habe sich hinten reingesetzt. Die beiden seien versetzt eingestiegen. Erst sei die blonde, dann die dunkelhaarige Polizistin eingestiegen. Eine habe gesagt, dass sie sie mitnehmen müsse. Genau könne sie das aber nicht mehr sagen, auch nicht, welche das gewesen sei. Das sei so lange her. Es habe Gespräche zwischen den beiden gegeben, wo sie hinfahren solle.
45Die beiden hätten panisch und ängstlich um den Kollegen gewirkt.
46Von einer Schießerei habe sie nicht sofort erfahren. Ob im Fahrzeug schon über Schüsse gesprochen worden sei, wisse sie nicht. Sie habe nur mitbekommen, dass jemand zu Boden gegangen sein soll. Sie sei über Rot gefahren, weil ihr das von einer der Beiden gesagt worden sei. Wer das gewesen sei, könne sie nicht sagen. Irgendwann habe eine der beiden gesagt, sie solle zurückfahren.
478.
48Der Geschehensablauf wird von den Beteiligten übereinstimmend geschildert. Auch die Verlesung der Mitschnitte des Funkverkehrs und die Inaugenscheinnahme der Videodatei stützt die Angaben der Beteiligten. Das Gericht hat keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dass es sich so zugetragen hat.
49IV.
50Die Angeklagten haben sich durch die festgestellte Tat der gemeinschaftlichen versuchten gefährlichen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen schuldig gemacht;
51strafbar gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, Abs. 2, 340 Abs. 1, 2, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB.
52Die Angeklagten haben eine gemeinschaftliche versuchte Körperverletzung im Amt durch Unterlassen begangen, dadurch dass sie aus ihrer Deckung heraus keine Abwehrmaßnahmen und sonstige Hilfemaßnahmen getroffen haben.
53Das Delikt ist nicht vollendet, ein Körperverletzungserfolg durch das Unterlassen der Angeklagten ist gerade nicht eingetreten. Der Versuch ist auch strafbar.
54Das Unterlassungsdelikt kann in Versuchsform begangen werden. Eine Versuchsstrafbarkeit kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der tatbestandliche Erfolg trotz Untätigkeit des Garanten ausbleibt. Der Tatentschluss muss sich auf sämtliche objektive Unrechtselemente des Unterlassungsdelikts beziehen (Gercke/Hembach in Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 13 Rn. 23).
55Die Angeklagten hatten jedenfalls bedingten Vorsatz in Bezug auf die Körperverletzung eines anderen Menschen und die Körperverletzung durch Unterlassen. Sie wussten, dass der Kollege E durch Schüsse verletzt werden könnte und nahmen dies in Kauf. Sie haben sich mit dem möglichen Erfolgseintritt abgefunden. In Abgrenzung zu einem Fahrlässigkeitsvorwurf, bei dem der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt, sich aber mit dieser gerade nicht abfindet, sondern vielmehr darauf vertraut, der Erfolg werde nicht eintreten. Die Angeklagten hatten Todesangst im Hinblick auf ihre eigene Person, aber auch um den Kollegen E. Aus der Situation wollten sie aus Fluchtreflex einfach nur weg.
56Hier kommt es insbesondere darauf an, dass in ihrer Vorstellung eine Möglichkeit der Erfolgsabwendung bestanden hat. Die Angeklagten haben vorgetragen, Todesangst aufgrund der Schüsse gehabt zu haben, auch in dem Wissen, dass keinerlei Kenntnis über den Täter und mögliche weitere Täter bestanden hätte. Ihnen war daher nicht bewusst, dass der Angriff unmittelbar nach der begonnenen Flucht beendet war, vielmehr bestand gerade in ihrer Vorstellung die Möglichkeit von weiteren Tätern und weiteren Schüssen. Der Täter und auch mögliche Mittäter hätte gegebenenfalls durch Warnschüsse vertrieben werden können. Außerdem wäre das sofortige Hinzurufen von Hilfe möglich gewesen, auch dieses hätte den Täter und mögliche Mittäter zum Aufgeben verleiten können. Die Funkgeräte befanden sich zwar von beiden Angeklagten im Fahrzeug, über die Seitentüren hätte die Möglichkeit bestanden, diese wieder an sich zu nehmen, außerdem trug die Angeklagte C ihr Mobiltelefon am Körper. Des Weiteren bedarf es der Nichtvornahme der erfolgsabwendenden Handlung. Eine solche erfolgsabwendende Handlung liegt einerseits eben im Abgeben eines oder mehrerer Warnschüsse und andererseits in einem über Funk oder Mobiltelefon Verstärkung rufen. Diese Handlungen wurden seitens der Angeklagten nicht vorgenommen.
57Darüber hinaus oblag den Angeklagten eine Garantenpflicht. Die Angeklagten waren als Polizeibeamtinnen im Einsatz und unterliegen damit der Garantenpflicht. Zudem war die ihnen obliegende Handlung auch zumutbar. Die Angeklagten hatten nicht die Pflicht, dem Schützen entgegen zu rennen und sich dadurch in Gefahr zu bringen. Aus der Position heraus, in der sich die Angeklagte C auch zunächst befunden hatte, hätten beide aber sehr wohl zum Schutze der Kollegen agieren können. Hinter dem eigenen Fahrzeug in Deckung bestand die Möglichkeit, Warnschüsse in die Luft abzugeben und auch, Verstärkung zu rufen. Auch wenn beide Angeklagten ihr Funkgerät im Fahrzeug liegen ließen, bestand die Möglichkeit in ihrer Deckung hinter dem eigenen Fahrzeug sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, nämlich das Mitsichführen von Funk oder Mobiltelefonen. Die Angeklagte C hatte ein Mobiltelefon bei sich, welches sie zum Rufen von Verstärkung hätte benutzen können. Die Angeklagten befanden sich jedenfalls 25 Meter entfernt von dem Schützen L. Es war ihnen zuzumuten, auch in der Ausnahmesituation, in der sie sich befanden, sich nicht weiter von dem Tatort zu entfernen.
58V.
59Bei der Strafzumessung hinsichtlich der festgestellten Tat ging das Gericht vom Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB aus, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren androht. Innerhalb dieses Strafrahmens waren folgende Umstände für die Zumessung der Strafe bestimmend:
60Bei der Bemessung der konkreten Strafe war zu Gunsten beider Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie nicht vorbestraft sind, dass sie ein vollumfängliches Geständnis abgelegt haben und dass die Tat schon einige Zeit zurückliegt. Außerdem war zu berücksichtigen, dass die Tat im Versuchsstadium stecken geblieben ist. Weiter war zu berücksichtigen, dass die Angeklagten durch die vorprozessuale Berichterstattung in den Medien vorverurteilt wurden und sich gewaltigen Anfeindungen gegenüber sahen. Weiter war zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass eine Verurteilung auch dienstrechtliche Folgen bis hin zu einer Entfernung aus dem Dienstverhältnis für die Angeklagten haben kann. Außerdem war zu berücksichtigen, dass der Zeuge E keinerlei Strafverfolgungsinteresse gegen die Angeklagten hat.
61Zu ihren Lasten ist zu berücksichtigen, dass die Angeklagten die Möglichkeit sahen, dass die Zeugen E und y3 in die Gefahr des Todes gebracht wurden.
62Unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen hielt das Gericht die Verhängung einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr sowohl für die Angeklagte C als auch für die Angeklagte T für tat- und schuldangemessen.
63Gemäß § 56 Abs. 1 StGB konnte diese Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Gericht geht davon aus, dass sich die Angeklagten schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen werden. Den Angeklagten war im Zeitpunkt der Hauptverhandlung eine positive Sozialprognose zu stellen.
64VI.
65Die Kostenfolge beruht auf §§ 464, 465 StPO.
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