Urteil vom Arbeitsgericht Köln - 16 Ca 4504/16
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem
01.12.2016 über den Betrag von 6.160,39 € brutto hinaus jeweils zum
01. eines Monats einen Betrag in Höhe von 336,79 € brutto zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von
1.232,04 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus jeweils 102,67 € seit dem 02.07.2015, seit dem
02.08.2015, dem 02.09.2015, dem 02.10.2015, dem 02.11.2015, dem
02.12.2015, dem 03.01.2016, dem 02.02.2016, dem 02.03.2016, dem
02.04.2016, dem 03.05.2016 sowie dem 02.06.2016 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.683,95 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
jeweils 336,79 € brutto seit dem 02.07.2016, dem 02.08.2016, dem
02.09.2016, dem 02.10.2016 sowie dem 02.11.2016 zu zahlen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
5. Streitwert: 15.377,22 €.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Erhöhung der Betriebsrente zum 01.07.2015 und 01.07.2016.
3Der am …….geborene Kläger war vom 01.08.1983 bis 30.04.2015 bei der Volksfürsorge Deutsche Lebensversicherung AG, einer Rechtsvorgängern der Beklagten, und schließlich bei der Beklagten beschäftigt. Er bezieht seit dem 01.05.2015 Altersrente und als betriebliche Altersversorgung im Rahmen einer Gesamtversorgungszusage eine Versorgungskassenrente, sog. VK-Altersrente, bis zum 30.06.2015 i.H.v. 1.035,20 € sowie eine sog. Pensionsergänzung nach den Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerks, bis zum 30.06.2015 i.H.v. 5.069,07 € brutto.
4Die „Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ sind am 01.01.1961 in Kraft getreten und jedenfalls zuletzt als Gesamtbetriebsvereinbarung vereinbart worden, einschließlich der „Grundbestimmungen“ und der „Ausführungsbestimmungen“. Die Gesamtversorgungsbezüge betragen abhängig von der Betriebszugehörigkeit bis zu 70 % des pensionsfähigen Arbeitsentgelts und führen zur Zahlung der Differenz zwischen diesem und der gesetzlichen Rente.
5In den „Grundbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ heißt es u.a.:
6„§ 4 Ergänzungen, Änderungen der Bestimmungen
7- 8
1. Die Grundbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes können auf Antrag des Vorstandes der Volksfürsorge nach Zustimmung des Gesamtbetriebsrates/ Betriebsrates ergänzt oder geändert werden. Wenn der Gesamtbetriebsrat/ Betriebsrat eine Ergänzung oder Änderung wünscht, beantragt er diese mit schriftlicher Begründung beim Vorstand. Der gemeinsame Beschluss ersetzt die bisherige Grundbestimmung.
….
10- 11
3. Die Ausführungsbestimmungen zu den Grundbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes können vom Vorstand der Volksfürsorge nach Zustimmung des Gesamtbetriebsrates/Betriebsrates ergänzt oder geändert werden….“
In den „Ausführungsbestimmungen des betrieblichen Versorgungswerkes“ heißt es u.a.:
13„§ 6 Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte
14wirtschaftliche Verhältnisse
15- 16
1. Die Gesamtversorgungsbezüge werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt.
(…)
18- 19
2. Die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.
- 21
3. Hält der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlußfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll.
Der Beschluß ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.
23- 24
4. Eine Erhöhung der Pensionsergänzungszahlung kann im Einzelfall nicht durchgeführt werden, soweit und solange die nach § 5 ABVw anzurechnenden Bezüge und die nach § 4 ABVw vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge, erreichen oder überschreiten.“
Zum 01.07.2015 wurde die Rente der gesetzlichen Rentenversicherung um 2,1 % erhöht.
26Mit Schreiben vom 15.06.2015 hörte die Beklagte ihren Gesamtbetriebsrat und vorsorglich auch örtliche Betriebsräte mit der Bitte um Stellungnahme an, wonach der Nachvollzug der gesetzlichen Rentenerhöhung „… im Gesamtkonzern zu einer zusätzlichen Belastung von 0,4 Mio. € jährlich führen“ würde und daher „nicht vertretbar“ sei. Die Beklagte begründete ihre Absicht, stattdessen eine Erhöhung von 0,5 % vorzunehmen, u.a. mit dem ökonomischen Umfeld, Regulierungsanforderungen, einer Einsparungsstrategie und mit Gleichbehandlungsaspekten anderer Versorgungsregelungen im Konzern. Der Gesamtbetriebsrat und örtliche Betriebsräte widersprachen der Einschätzung des Vorstands und sprachen sich insbesondere mit Blick auf die gute Ertragssituation im Konzern unter Verweis auf das Jahresergebnis 2014 von 236 Mio. € Jahresüberschuss für die Erhöhung um 2,1 % aus.
27Am 09.10.2015 stimmte der Aufsichtsrat der Beklagten im Umlaufverfahren der Vorlage des Vorstands der Beklagten vom 26.08.2015 zu, „… die zum 01.07.2015 zu gewährende Rentenanpassung der Gesamtversorgungsbezüge … nicht wie grundsätzlich vorgesehen gemäß der Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 2,1 %, sondern nur in Höhe von 0,5 % zu gewähren …“
28Ab Juli 2015 zahlte die Beklagte an den Kläger eine um 0,5% erhöhte Leistung aus dem betrieblichen Versorgungswerk. Die Versorgungskassenleistung blieb unverändert.
29Mit dem Klageantrag zu 2. macht der Kläger ab Juli 2015 die Differenz geltend zwischen dem gezahlten Betrag und einem um 2,1 % erhöhten Gesamtbetrag aus Vk-Rente und Pensionsergänzung.
30Zum 01.07.2016 wurde die Rente der gesetzlichen Rentenversicherung um 4,2451 % erhöht.
31Die Beklagte erhöhte die Betriebsrente zum 01.07.2016 nach vorheriger Anhörung ihres Gesamtbetriebsrats und vorsorglich ihrer Betriebsräte, die einer beabsichtigten verminderten Anpassung der Versorgungsbezüge um lediglich 0,5 % nicht zugestimmt haben, auf Grund eines gemeinschaftlichen Beschlusses ihres Vorstands und ihres Aufsichtsrats ebenso wie im Jahr zuvor nur um 0,5 %.
32Mit seiner Klageerweiterung verlangt der Kläger den Differenzbetrag zu einer ab 01.07.2016 um 4,2451 % erhöhten gesamten betrieblichen Altersversorgung.
33Er hält die getroffenen Anpassungsentscheidungen für unbillig und beruft sich insbesondere auf den Jahresüberschuss der vergangenen Geschäftsjahre der Beklagten von ca. 60 Mio Euro (2013), 190 Mio Euro (2014) und 132 Mio Euro (2015). Er vertritt die Auffassung, § 6 Ziff. 3 ABVw sei AGB-rechtlich wie betriebsverfassungsrechtlich unwirksam, letzteres, weil die Norm es auch ermögliche, den Anpassungsvertrag verschieden zu verteilen. Zudem habe die Beklagte nicht durch einen rückwirkenden Beschluss des Aufsichtsrats im Oktober 2015 in bereits seit Juli 2015 bestehende Rechte eingreifen können.
34Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger beginnend mit dem 01.11.2016 über den Betrag von 6.160,39 € brutto hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von 336,79 € brutto zu zahlen;
- 38
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1232,04 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 102,67 € seit dem 02.07.2015, dem 02.08.2015, dem 02.09.2015, dem 02.10.2015, dem 02.11.2015, dem 02.12.2015, dem 02.01.2016, dem 02.02.2016, dem 02.03.2016, dem 02.04.2016, dem 02.05.2016 sowie dem 02.06.2016 zu zahlen;
- 40
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.347,16 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 336,79 € seit dem 02.07.2016, 02.08.2016, 02.09.2016 sowie 02.10.2016 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
42die Klage abzuweisen.
43Sie beruft sich zur Begründung ihrer Erhöhungsentscheidung insbesondere auf die auch den Betriebsräten mitgeteilten Gründe, also auf das schwierige ökonomische Umfeld, die steigenden Regulierungs- und Kundenanforderungen, die Neustrukturierungs- und Personaleinsparstrategie „SSY“, die geringeren Steigerungen anderer Betriebsrenten im Konzern und zusätzlich auf die Kostensenkungen bei Mitbewerbern sowie den Verbraucherpreisindex. Die Beklagte ist der Auffassung, § 6 Ziff. 3 ABVw begründe ein Leistungsbestimmungsrecht, welches sie gemäß der Anforderungen des § 315 BGB ausgeübt habe. Die Norm sei auch unter Mitbestimmungsgesichtspunkten wirksam, da kein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Höhe der Betriebsrente bestehe. Im Übrigen würden die Rechte der Arbeitnehmer durch § 16 BetrAVG abgesichert. § 6 Ziff. 3 ABVw ließe im Übrigen auch eine rückwirkende Erhöhungsregelung zu.
44Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.
45Entscheidungsgründe
46Die Klage ist zulässig und begründet.
47Neben den unproblematisch zulässigen Anträgen zu 2. und 3., die auf Zahlung rückständiger Beträge gerichtet sind, ist auch der Klageantrag zu 1. zulässig. Dieser ist auf die Verurteilung zu künftigen Zahlungen gerichtet. Dabei handelt es sich um wiederkehrende Leistungen i. S. des § 258 ZPO. Bei wiederkehrenden Leistungen, die - wie Betriebsrentenansprüche - von keiner Gegenleistung abhängen, können grundsätzlich auch künftig fällig werdende Teilbeträge eingeklagt werden. Im Gegensatz zu § 259 ZPO muss nicht die Besorgnis bestehen, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde (BAG, Urteil vom 10.12.1971, AP Nr. 154 zu § 242 BGB „Ruhegehalt“ unter I. der Gründe; Urteil vom 11.10.2011, NZA 2012, 454, 456 unter A I. der Gründe je m.w.N.).
48Ein auf zukünftige Leistungen gerichteter Klageantrag muss nicht nachträglich (teilweise) umgestellt werden, wenn im Laufe des Prozesses einzelne ursprünglich zukünftige Ansprüche bereits fällig geworden sind (Hamacher: Antragslexikon Arbeitsrecht, 2. Auflage München 2015, Stichwort: Betriebliche Altersversorgung, S. 101 m.w.N.). Das Gericht kann vielmehr, ohne dass es einer Änderung des Klageantrags bedarf, aufgrund des ursprünglichen Antrags auch über im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits entstandene und fällige Ansprüche entscheiden (BGH, Teilversäumnis- und Endurteil vom 04.05.2005, NJW-RR 2005, 1169 unter II 1. der Gründe; BAG, Urteil vom 22.10.2014, NZA 2015, 501, 502 unter I 1 a) der Gründe m.w.N.). Die Klage auf künftige Leistungen schließt solche ein, die im Laufe des Verfahrens bereits fällig werden (Musielak/Voit: ZPO-Kommentar, 13. Auflage 2016, § 258 Rz 5 m.w.N.). Dem trägt die über den Antrag zu 2. Hinausgehende, aber vom Antrag zu 1. erfasste Tenorierung zu 2. Rechnung.
49Die Klage ist in vollem Umfang begründet. Die Beklagte war gemäß § 6 Nr. 1 ABVw verpflichtet, die Betriebsrente des Klägers zum 01.07.2015 und zum 01.07.2016 entsprechend der Erhöhung der gesetzlichen Rente zu erhöhen. Deshalb stehen dem Kläger die rechnerisch unstreitigen Nachzahlungsbeträge und die entsprechend höhere zukünftige Betriebsrente zu.
50In der Begründung folgt die erkennende Kammer der 7. Kammer in ihrem Urteil vom 07.09.2016 in dem die gleichen Vorschriften betreffenden Parallelfall 7 Ca 2664/16, die hinsichtlich der Anpassungsverpflichtung im Umfang der Erhöhung der gesetzlichen Rente zum 01.07.2015 unter I 2 b) der Gründe Folgendes ausgeführt hat:
51- 52
b. Die Anpassungsverpflichtung gem. § 6 Ziff. 1 ABVw wurde nicht gem. § 6 Ziff. 3 ABVw durch den Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 09.10.2015 ersetzt. § 6 Ziff. 3 ABVw ist unwirksam, weil sich in dieser Norm der Gesamtbetriebsrat den aus dem Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG folgenden Entscheidungskompetenzen in seiner Substanz begeben und sie an Aufsichtsrat und Vorstand der Beklagten abgegeben hat.
- 54
i. § 6 Ziff. 3 ABVw ist nicht schon deswegen unwirksam, weil nach den Grundsätzen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Verweisung in der Parteivereinbarung vom 15.01.2010 zu einer Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB dahingehend führen könnte, dass Auslegungsunklarheiten der ABVw aus AGB-Gesichtspunkten zu Lasten der Beklagten gehen würden. Denn eventuelle Unklarheiten von in Bezug genommenen Vorschriften führen nicht ihrerseits zu Unklarheiten der individualvertraglichen Verweisungsvorschrift, für diese reicht die Bestimmbarkeit der in Bezug genommenen Vorschriften aus (BAG 08.12.2015 – 3 AZR 267/14 – Rn. 33ff.). Die Verweisungsklausel in der Vereinbarung der Parteien vom 15.01.2010 ist eindeutig bestimmbar. Darüber hinaus findet die Inhaltskontrolle der §§ 305ff. BGB gem. § 310 Abs. 4 S. 1 BGB bei Betriebsvereinbarungen nicht statt (vgl. statt aller BAG 01.02.2006 – 5 AZR 187/05 – Rn. 26).
- 56
ii. § 6 Ziff. 3 ABVw ist unwirksam, da der Gesamtbetriebsrat das Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG - zugunsten einer Alleinentscheidung der Beklagten - in seiner Substanz aufgegeben hat.
(aa) Bei der Verteilung der Betriebsrentenanpassung besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats der Beklagten gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Hat sich - wie hier - der Arbeitgeber verpflichtet, selbst Versorgungsleistungen zu erbringen, so ergibt sich das Recht des Betriebsrats, bei der Regelung von Fragen der betrieblichen Altersversorgung mitzubestimmen, aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dabei ist allerdings zu unterscheiden zwischen den mitbestimmungsfreien unternehmerischen Grundentscheidungen und der konkreten Ausgestaltung der Leistungsordnung, die ihrerseits mitbestimmungspflichtig ist. Zwar ist die Entscheidung des Arbeitgebers, ob er überhaupt eine betriebliche Altersversorgung gewährt, welche Mittel er hierfür zur Verfügung stellt und welcher Personenkreis bedacht werden soll, mitbestimmungsfrei. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat allerdings bei allen Regeln beteiligen, mit denen die zur Verfügung stehenden Mittel auf die Begünstigten verteilt werden. Fehler im Mitbestimmungsverfahren führen nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung dazu, dass die getroffene Regelung grundsätzlich unwirksam ist (BAG 19.08.2008 – 3 AZR 194/07 – Rn. 29 mwN.).
58Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG darf ein Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nicht in der Weise ausüben, dass er dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand eröffnet (vgl. BAG 05.05.2015 – 1 AZR 435/13 – Rn. 19; BAG 26.04.2005 – 1 AZR 76/04 – Rn. 18). Zwar dürfen dem Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarung gewisse Entscheidungsspielräume in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten eingeräumt werden. Der Betriebsrat kann aber über sein Mitbestimmungsrecht im Interesse der Arbeitnehmer nicht in der Weise verfügen, dass er in der Substanz auf die ihm gesetzlich obliegende Mitbestimmung verzichtet.
59(bb) Durch § 6 Ziff. 3 ABVw hat sich der Gesamtbetriebsrat seines nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bestehenden Mitbestimmungsrechts, das die Verteilungsgrundsätze der Betriebsrentenanpassung betrifft, im Kern begeben und allein der Beklagten den Letztentscheid eröffnet. Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG reduziert § 6 Ziff. 3 ABVw damit im Kernbereich des Mitbestimmungstatbestands auf ein Anhörungsrecht. Das ist unwirksam.
60Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und diese wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei einem unbestimmten Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (BAG 08.12.2015 – 3 AZR 267/14 – Rn. 22).
61Die Auslegung von § 6 Ziff. 3 ABVw ergibt, dass die Regelung nicht gesetzeskonform dahingehend auszulegen ist, dass sie sich lediglich auf die nicht mitbestimmte Höhe der Betriebsrentenleistungen beschränkt (so aber ArbG Hamburg 29.06.2016 – 8 Ca 201/15 – S. 14 ohne nähere Erörterung (Bl. 237 dA.). Die Kammer geht jedoch davon aus, dass die Regelung auch die Leistungsverteilung betrifft:
62Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn: § 6 ABVw ist überschrieben mit „Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse“, enthält also gerade keine wörtliche Beschränkung auf die Höhe der Anpassung. Im Gegenteil kommt eine Beschränkung der Anpassung auf deren Höhe erst in § 6 Ziff. 4 Satz 1 ABVw im Wort „Erhöhung“ zum Ausdruck, während in den anderen Absätzen von § 6 ausdrücklich lediglich von „angepaßt“ (Ziff. 1), „Anpassung“/“verändert“ (Ziff. 2), „Veränderung“/ “was…geschehen soll“ (Ziff. 3) und „Veränderungen“ (Ziff. 4 Satz 2) die Rede ist. Demnach beschränkt sich der Wortsinn außer im hier nicht vorliegenden Sonderfall des § 6 Ziff. 4 Satz 1 eben nicht auf die Höhe oder Erhöhung, sondern ist umfassender gewählt. Dieses Wort(sinn)verständnis wird gestützt durch die ausdrücklich allumfassende Formulierung im streitgegenständlichen § 6 Ziff. 3 der Norm: „…so schlägt [der Vorstand] nach Anhören der Betriebsräte… vor…, was nach seiner Auffassung geschehen soll.“ Diese semantisch unbegrenzte Regelungsaufforderung an die Leitung der Beklagten hätte ohne Schwierigkeiten gefasst werden können: „...in welchem Maß die Gesamtversorgungsbezüge erhöht werden.“ Stattdessen haben die Betriebspartner eine möglichst weite Formulierung gewählt, die eben dem Wortsinne nach nicht auf eine andere Mittelhöhe begrenzt ist, sondern durch die Formulierung „…was geschehen soll…“ dem Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten jedweden Spielraum bezüglich der Verteilung etwaig zur Verfügung gestellter Mittel lässt.
63Der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck finden in diesem Wortlaut insoweit Berücksichtigung, als dass der Leitungsebene der Beklagten durch die verstärkenden Worte „nach seiner Auffassung“ offenbar eine eigene abschließende Regelungskompetenz hinsichtlich der Anpassungsentscheidung übertragen werden sollte. Das Wort „Auffassung“ betont gerade die subjektive Seite der Entscheidung, nach der eben unabhängig von objektiven Gegebenheiten die Entscheidung der Beklagten ermöglicht werden sollte. Denn dass bei anderen Entscheidungen über das Betriebliche Versorgungswerk die Mitbestimmungsrechte gewahrt werden sollten, zeigt § 4 der Grundbestimmungen, der ausdrücklich in Abs. 1 und Abs. 3 die Zustimmungen des Gesamtbetriebsrats/Betriebsrats für die Ergänzung oder Änderung von Bestimmungen verlangt.
64Auch der Gesamtzusammenhang und die Systematik von § 6 Ziff. 3 ABVw lassen nicht erkennen, dass die Regelung sich lediglich auf die Höhe einer Anpassungsentscheidungen beschränken wollte: mit der Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge hat die (Rechtsvorgängerin der) Beklagte(n) versprochen, unter Einbeziehung unterschiedlichster Leistungen gem. § 5 ABVw den Betriebsrentnern eine Alterssicherung zu bieten und deren wirtschaftliche Anpassung über § 16 BetrAVG hinaus mittels kollektiver Regelung vorzunehmen. Wegen dieser im Vergleich wohl komfortablen Rentenregelungen lag es im Interesse der Beklagten insgesamt, die Anpassung mit einem Regulativ zu begrenzen. Vor diesem Hintergrund soll die größtmögliche Regelungsweite von § 6 Ziff. 3 ABVw mit den Worten „…was geschehen soll…“ der Beklagten die Möglichkeit geben, die Rentenzusage passgenau mit ihrer jeweils aktuellen Lage zu verzahnen. Zu dem, „…was geschehen soll…“ gehört dann aber eben auch nicht nur die Entscheidung, ob die Betriebsrente um 0%, 2,1% oder 0,5% erhöht werden soll, sondern auch die Verteilungsgrundsätze, ob etwa bestimmte Gruppen von Betriebsrentnern bei einer Erhöhung besondere Berücksichtigung finden, zB. nicht der Kläger, sondern finanziell weniger gut ausgestattete Arbeitnehmer. Würde in einem solchen Fall der Betriebsrat eine andere oder eine gleichmäßige Verteilung der Gelder fordern, würde ihm ggf. § 6 Ziff. 3 ABVw und die dort geregelte Begrenzung auf eine bloße Anhörungsverpflichtung entgegen gehalten werden.
65- 66
iii. Aus der Unwirksamkeit von § 6 Ziff. 3 ABVw folgt nicht die Unwirksamkeit der gesamten ABVw bzw. der gesamten Gesamtbetriebsvereinbarung. Denn nach dem Rechtsgedanken des§ 139 BGB gilt, dass die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung die Unwirksamkeit auch ihrer übrigen Bestimmungen nur dann zur Folge hat, wenn diese ohne die unwirksamen Teile keine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung mehr darstellen (BAG 05.05.2015 – 1 AZR 435/13 – Rn. 20; BAG 26.04.2005 – 1 AZR 76/04 – Rn. 23; BAG 22.03.2005 – 1 ABR 64/03 – Rn. 61; BAG 21.01.2003 - 1 ABR 9/02 - ). Danach sind die ABVw als Bestandteil der Gesamtbetriebsvereinbarung „Bestimmungen des Betrieblichen Versorungswerkes“ nicht insgesamt unwirksam. Sie bilden auch ohne die unwirksame Festlegung der Anpassung durch den Aufsichtsrat eine in sich geschlossene und praktikable Regelung der anzuwendenden Betriebsrentengrundsätze. Insbesondere lässt sich aus § 6 Ziff. 1 ABVw die Regelanpassung der Gesamtversorgungsbezüge zweifelsfrei ermitteln.
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an. Sie gelten für die Anpassungsverpflichtung zum 01.07.20016 entsprechend.
68Die Zinsforderungen sind gemäß §§ 286, 288, 291 BGB begründet. Die Ausnahme, nach der eine Verzinsung dann nicht in Betracht kommt, wenn erst die Rechtskraft einer Entscheidung die der Billigkeit entsprechende Ermessensausübung der Arbeitgeberin ersetzt (BAG 3 AZR 859/09), greift hier nicht, weil mit der vorliegenden Entscheidung nicht ein fehlerhaft ausgeübtes oder ausgefallenes Ermessen ersetzt, sondern die von der Arbeitgeberin geltend gemachte Norm, die ein Ermessen erst eröffnen soll, für unzulässig erachtet wird.
69Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 9 ZPO.
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