Beschluss vom Bundesgerichtshof (9. Zivilsenat) - IX ZB 95/15

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. November 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Schuldner ist Eigentümer zweier mit Mehrfamilienhäusern bebauter Grundstücke, die mit Darlehen einer Sparkasse finanziert wurden. Zur Sicherung der Ansprüche auf Rückzahlung der Darlehen trat der Schuldner seine gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche gegen die Mieter und Pächter der beiden Häuser an die Sparkasse ab. Ferner sind zugunsten der Sparkasse im Grundbuch an beiden Grundstücken Grundschulden im Nennbetrag von jeweils 511.291,88 € nebst Zinsen eingetragen. Am 29. Oktober 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Die Sparkasse meldete eine Forderung in Höhe von mehr als 2 Mio. € zur Tabelle an. Die zur Insolvenzverwalterin bestellte weitere Beteiligte zieht im Wege der so genannten stillen oder kalten Zwangsverwaltung die Miete/Pacht (nachfolgend nur noch zusammenfassend: Miete) in Höhe von monatlich knapp 6.000 € ein und führt sie nach Abzug eines Betrags für die Feststellung und Verwertung an die Sparkasse ab.

2

Der Schuldner hat mit Schreiben vom 6. Februar 2015 beantragt, ab Februar 2015 monatliche Mieteinkünfte in Höhe von 517,89 € pfandfrei zu stellen; nur dann verbleibe ihm unter Berücksichtigung seiner sonstigen Einkünfte und bei Abzug des Krankenversicherungsbeitrags der nach § 850c ZPO pfandfrei zu belassende Betrag von 1.049,99 €.

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Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Mit seiner vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Freistellungsantrag weiter.

II.

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Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht im vollstreckungsrechtlichen Rechtszug nach § 567 Abs. 1, § 793 ZPO, § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

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1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Freigabe von Mieteinnahmen nach der über § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO anwendbaren Norm des § 850i ZPO komme nicht in Betracht. Dem stehe die Sicherungsabtretung der Mieten an die Sparkasse entgegen. Die Unwirksamkeit dieser Abtretung nach § 110 Abs. 1 InsO solle die Mieterträge für die Insolvenzmasse sichern und nicht einen erneuten Zugriff des Schuldners auf die Mieten ermöglichen. Maßgeblich sei, wie sich die Situation in einem normalen Zwangsvollstreckungsverfahren darstellte. Dort scheide eine Freigabe der Mieten nach § 850i ZPO aus, weil die Sicherungsabtretung einen Zugriff des Schuldners auf die Mieten ausschließe. Das Abtretungsverbot des § 400 BGB für unpfändbare Forderungen greife nicht ein, weil die Sparkasse zugleich Grundpfandrechtsgläubigerin sei. Das Grundpfandrecht eröffne der Gläubigerin nach § 1192 Abs. 1, § 1123 Abs. 1 BGB auch den Zugriff auf die Mietforderungen. Wenn das Gesetz die Mietforderung dem Haftungsverband des Grundpfandrechts zuordne, sei damit die Entscheidung getroffen, dass die Pfändung zulässig sein solle. Jedenfalls müsse dies im vorliegenden Fall gelten, in dem die Sparkasse die Erzielung von Mieteinnahmen durch die gewährten und noch nicht zurückgeführten Darlehen erst ermöglicht habe. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 850i ZPO gegeben seien, könne danach offen bleiben.

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2. Mit dieser Begründung kann die vom Schuldner beantragte Freistellung von Mieteinnahmen nicht verweigert werden.

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a) Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. Gemäß Satz 2 dieser Norm gilt unter anderem die Regelung in § 850i ZPO entsprechend. Danach hat das Gericht bei der Pfändung sonstiger Einkünfte des Schuldners, die kein Arbeitseinkommen sind, dem Schuldner auf dessen Antrag so viel zu belassen, als ihm verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Die durch das Gesetz vom 7. Juli 2009 (BGBl. I S. 1707) neu gefasste Regelung überträgt den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen (§§ 850, 850a ff ZPO) auf sonstige vom Schuldner erwirtschaftete Einkünfte. Zu diesen gehören auch Einkünfte aus Miete und Pacht (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 88/13, ZIP 2014, 1542 Rn. 9, 16; vom 23. April 2015 - VII ZB 65/12, WM 2015, 1291 Rn. 9; vom 7. April 2016 - IX ZB 69/15, ZIP 2016, 1078 Rn. 23). Auf diese Weise soll im Insolvenzverfahren wie im Verfahren der Einzelzwangsvollstreckung gewährleistet werden, dass der Schuldner seinen Lebensunterhalt in angemessenem Umfang mit eigenen Mitteln bestreiten kann und hierfür nicht auf staatliche Leistungen angewiesen ist (BT-Drucks. 16/7615 S. 12, 18). Die Regelung in § 851b ZPO bietet dem Schuldner daneben einen ergänzenden, in eine andere Richtung zielenden Schutz (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014, aaO Rn. 16).

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b) Der Anwendung des § 850i ZPO steht hier nicht entgegen, dass die Mietforderungen an die Sparkasse abgetreten waren und zudem in den Haftungsverband der Grundschulden fielen. Eine gesicherte Rechtsposition der Sparkasse an den vollen, nicht um einen Pfändungsfreibetrag gekürzten Mietforderungen des Schuldners ergibt sich daraus nicht.

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aa) Die Vorausabtretung der Mietforderungen des Schuldners war wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 29. Oktober 2014 gemäß § 110 Abs. 1 InsO nur wirksam, soweit sie sich auf den Zeitraum bis zum 30. November 2014 bezog. Zwar dient diese Norm dem Schutz der Masse und nicht dem Schutz des Schuldners. Gleichwohl spricht sie gegen die Auffassung des Beschwerdegerichts, dem Schuldner sei die Freistellung eines Teils seiner Mieteinkünfte nach § 850i ZPO wegen der Abtretung dieser Forderungen zu versagen.

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bb) Auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens gewährte die Sicherungsabtretung der Sparkasse keinen sicheren Zugriff auf die Mietforderungen. Die Abtretung einer Forderung ist nach §§ 134, 400 BGB nichtig, soweit die abgetretene Forderung nicht der Pfändung unterworfen ist. Arbeitseinkommen und gleichgestellte Einkünfte können deshalb nur insoweit wirksam abgetreten werden, als sie nach den §§ 850a ff ZPO pfändbar sind (BGH, Urteil vom 19. Mai 2009 - IX ZR 37/06, WM 2009, 1475 Rn. 9). Ergibt sich die Unpfändbarkeit nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern ist sie wie im Falle des § 850i ZPO von einem Antrag des Schuldners und einer gerichtlichen Entscheidung abhängig, kann über die Pfändbarkeit auch vom Prozessgericht entschieden werden. Der Pfändungsschutz nach § 850i ZPO kann als zwingende Vorschrift des Schuldnerschutzes (vgl. MünchKomm-ZPO/Smid, 5. Aufl., § 850i Rn. 5) im Zuge einer Forderungsabtretung auch nicht ausgeschlossen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2003 - IXa ZB 51/03, WM 2003, 1346; vom 31. Oktober 2003 - IXa ZB 194/03, WM 2003, 2483, 2484; Urteil vom 19. Mai 2009, aaO Rn. 13). Eine Einschränkung des in § 400 BGB normierten Abtretungsverbots kommt nur in Betracht, wenn der Zessionar dem Zedenten eine Leistung gewährt, die den Pfändungsschutz entbehrlich macht (BGH, Urteil vom 9. November 1994 - IV ZR 66/94, BGHZ 127, 354, 356; BAG, NJW 2001, 1443). Dies war hier nicht der Fall. Der Schuldner war danach nicht gehindert, sich gegenüber der Sparkasse darauf zu berufen, dass die abgetretenen Forderungen teilweise nach § 850i ZPO pfändungsfrei zu stellen waren.

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cc) Eine uneingeschränkte Zuweisung der Mietforderungen an die Sparkasse folgt auch nicht daraus, dass diese Forderungen nach § 1192 Abs. 1, § 1123 Abs. 1 BGB in den Haftungsverband der Grundschulden fielen. Die Haftung der Mietforderungen realisiert sich mit der Beschlagnahme. Solange eine solche nicht erfolgt ist, kann der Schuldner über die Forderungen frei verfügen (§ 1124 Abs. 1 BGB). Außerhalb des Insolvenzverfahrens konnte die Sparkasse die Beschlagnahme nicht nur im Wege der Zwangsverwaltung (§ 148 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 2 ZVG), sondern auch durch eine Pfändung der Mietforderungen aufgrund des dinglichen Anspruchs bewirken (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - IX ZR 160/04, BGHZ 163, 201, 208; Beschluss vom 13. Juli 2006 - IX ZB 301/04, BGHZ 168, 339; Urteil vom 13. März 2008 - IX ZR 119/06, NJW 2008, 1599 Rn. 9). Einer solchen Pfändung konnte der Schuldner mit einem Antrag nach § 850i ZPO begegnen. Lediglich im Falle einer Anordnung der Zwangsverwaltung nach § 866 ZPO, §§ 146 ff ZVG gelten nicht die auf die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte beschränkten Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO, sondern die besonderen Bestimmungen in § 149 ZVG. Diese sehen die Freistellung von Einkünften aus Miet- und Pachtverhältnissen bis zur Pfändungsgrenze des § 850c ZPO nicht vor; die Sonderregelung des § 149 Abs. 3 ZVG für die Zwangsverwaltung eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Grundstücks ist hier nicht einschlägig.

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Ob dem Schuldner wegen der Neufassung des § 850i ZPO durch das Gesetz vom 7. Juli 2009 und der dadurch bewirkten Erweiterung des Pfändungsschutzes von Arbeitseinkommen auf sonstige Einkünfte auch im Falle der Zwangsverwaltung ein entsprechender Schutz zu gewähren ist, braucht nicht entschieden zu werden, weil im Streitfall eine Zwangsverwaltung weder vor noch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens angeordnet worden ist. Die vereinbarte stille Zwangsverwaltung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Juli 2016 - IX ZB 31/14, WM 2016, 1543 Rn. 14 ff) begründet kein der Beschlagnahme entsprechendes Recht der Sparkasse an den Miet- und Pachtforderungen des Schuldners. Eine zum Verlust des unverzichtbaren Pfändungsschutzes führende Vereinbarung wäre unzulässig.

13

3. Mangels entgegenstehender Rechte der Sparkasse hat das Insolvenzgericht (§ 36 Abs. 4 Satz 1 InsO) demnach auf den Antrag des Schuldners zu entscheiden, ob die Miet- und Pachtforderungen in vollem Umfang als Neuerwerb Teil der Insolvenzmasse sind (§ 35 Abs. 1 Fall 2 InsO) oder ob dem Schuldner ein Teil dieser Einkünfte nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i ZPO als massefrei zu belassen ist. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen sind. Die Sache ist daher zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 und 5 ZPO).

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