Beschluss vom Bundesgerichtshof (9. Zivilsenat) - IX ZB 72/17

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Prozesskostenhilfe für eine Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 11. Oktober 2017 wird abgelehnt.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt    V.        beigeordnet. Ratenzahlungen oder Zahlungen aus dem Vermögen werden nicht festgesetzt.

Gründe

I.

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Mit Urteil vom 11. Januar 2017 ist der anwaltlich vertretene Beklagte verurteilt worden, an den Kläger 7.500 € nebst Zinsen zu zahlen. Am letzten Tag der Berufungsfrist haben seine Anwälte einen vom 14. Februar 2017 datierenden, mit "Prozesskostenhilfeantrag und Berufung" überschriebenen Schriftsatz eingereicht, in welchem "zunächst" Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz beantragt wurde. Wörtlich heißt es weiter: "Im Falle der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe wird zugleich gegen das am 11.01.2017 verkündete und am 16.01.2017 zugestellte Urteil des Landgerichtes ... Berufung eingelegt und zugleich beantragt, unter Abänderung des am 11.01.2017 verkündeten und am 16.01.2017 zugestellten Urteils des Landgerichts ... die Klage abzuweisen". Es folgt eine als solche bezeichnete Begründung, die von der anwaltlichen Unterschrift gedeckt ist. Auf einen gerichtlichen Hinweis hin hat der Beklagte erklärt, er habe die Erhebung der Berufung von der Bedingung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht, um so die Finanzierung der Berufung sicherzustellen. Der Schriftsatz vom 14. Februar 2017 sei als Berufungsschrift auszulegen, sofern Prozesskostenhilfe bewilligt werde.

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Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht abgelehnt. Der Beschluss ist dem Beklagten am 18. August 2017 zugestellt worden. Am 1. September 2017 hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, Berufung eingelegt, die Berufung begründet und erneut Prozesskostenhilfe für die Berufung beantragt. Mit einem weiteren Schriftsatz hat der Beklagte sofortige Beschwerde gegen den die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Berufungsgerichts eingelegt; er vertrat nunmehr die Ansicht, bereits mit Schriftsatz vom 14. Februar 2017 unbedingt Berufung eingelegt zu haben. Das Berufungsgericht hat die hierin liegende Gegenvorstellung gegen die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Mit gesondertem Beschluss hat es den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die beiden Berufungen als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss hat der Beklagte Rechtsbeschwerde eingelegt und diese begründet. Er beantragt Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Der Kläger beantragt ebenfalls Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren.

II.

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Die vom Beklagten beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat dem Beklagten nicht den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert und hat dessen Grundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.

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1. Gemäß § 519 Abs. 2 ZPO muss die Berufungsschrift neben der Bezeichnung des angefochtenen Urteils die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Die Einlegung der Berufung unter einer Bedingung sieht das Gesetz nicht vor. Die Prozesshandlung einer Partei, die von einer unzulässigen Bedingung abhängig gemacht wird, ist daher unwirksam (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2017 - V ZB 106/16, MDR 2017, 1019 Rn. 11 mwN; vgl. auch BFH, BFH/NV 2018, 225 Rn. 16). Das gilt nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch für Rechtsmittel, die unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegt werden (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2013 - VIII ZB 38/12, MDR 2013, 481 Rn. 11; vom 30. Mai 2017 - VIII ZB 15/17, juris Rn 12 mwN; Urteil vom 25. Oktober 2017 - VIII ZR 135/16, juris Rn. 14 mwN).

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2. Die mit Schriftsatz vom 14. Februar 2017 eingelegte Berufung stand unter der unzulässigen Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

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a) Der Senat hat die prozessualen Erklärungen des Beklagten im Schriftsatz vom 14. Februar 2017 selbst zu würdigen und unter Heranziehung aller für das Beschwerdegericht erkennbaren Umstände und unter Beachtung der durch die gewählten Formulierungen bestehenden Auslegungsgrenzen zu ermitteln, welcher Sinn ihnen aus objektiver Sicht beizumessen ist (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - IX ZB 86/10, WM 2012, 519 Rn. 11; Urteil vom 26. September 2007 - XII ZB 80/07, FamRZ 2008, 43 Rn. 11). Bei der Auslegung ist nicht allein auf den Wortlaut der Erklärung abzustellen. Vielmehr ist im Zweifel dasjenige gewollt, was nach Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Urteil vom 22. September 2011 - IX ZR 209/10, WM 2011, 2237 Rn. 7 mwN; vom 7. April 2016 - IX ZR 216/14, WM 2016, 982 Rn. 11 mwN). Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Einreichung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe verbunden mit einem Schriftsatz, der die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder an eine Berufungsbegründung erfüllt, regelmäßig als unbedingt eingelegtes und begründetes Rechtsmittel zu behandeln. Die Annahme, ein entsprechender Schriftsatz sei nicht als unbedingte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt, ist in solchen Fällen nur dann gerechtfertigt, wenn sich dies entweder aus dem Schriftsatz selbst oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt; denn im Allgemeinen will keine Partei die mit einer Fristversäumung verbundenen Nachteile in Kauf nehmen (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2017, aaO Rn. 14 f mwN; Urteil vom 25. Oktober 2017, aaO Rn. 16 f mwN). Es kommt allein auf den vom Berufungskläger erklärten, nach Außen hervorgetretenen Willen im Zeitpunkt der Einreichung des Schriftsatzes an. Klarstellende Parteierklärungen nach Ablauf der Begründungsfrist bleiben grundsätzlich unberücksichtigt (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2017, aaO Rn. 14; Urteil vom 25. Oktober 2017, aaO Rn. 16). Spätere Prozessvorgänge können jedoch als Auslegungsmittel herangezogen werden (BGH, Urteil vom 22. September 2011 - IX ZR 209/10, WM 2011, 2237 Rn. 7 mwN).

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b) Im Schriftsatz vom 14. Februar 2017 hat der Beklagte erklärt, "zunächst" Prozesskostenhilfe beantragen zu wollen. Diese Formulierung spricht für eine Staffelung des PKH-Antrags einerseits, der Berufung andererseits. In der Begründung des Antrags auf Prozesskostenhilfe hat der Beklagte jedoch auf "die nachfolgenden Ausführungen der Berufungsschrift" Bezug genommen. Den mit "Berufung" überschriebenen Teil des Schriftsatzes hat er mit den Worten eingeleitet, die Berufung werde "im Falle der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe" eingelegt. Dieser Formulierung lässt sich auch bei wohlwollender Auslegung nicht der unbedingte Wille zur Einlegung eines Rechtsmittels entnehmen. Der Beklagte hat nicht zum Ausdruck gebracht, die Berufung unabhängig vom Ausgang des Verfahrens über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, also zunächst auf eigene Kosten einlegen und durchführen zu wollen. Vielmehr wollte er die Berufung ausdrücklich erst und nur dann einlegen, wenn ihm Prozesskostenhilfe bewilligt werden würde. Die Berufung stand unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und war damit unzulässig.

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c) Diese Auslegung steht nicht im Widerspruch zu den bereits zitierten Entscheidungen des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 30. Mai 2017 und vom 25. Oktober 2017 (jeweils aaO). In den genannten Fällen lag jeweils eine vollständige Berufungsbegründung vor, welche zwar als "Entwurf" bezeichnet war, jedoch die Unterschrift des Anwalts trug und auch im Übrigen den Anforderungen des § 520 ZPO genügte. Anders als im vorliegenden Fall fehlte eine Erklärung des Rechtsmittelführers, dass gleichwohl noch keine unbedingte Berufungsbegründung erfolgen sollte. In beiden Fällen hatten die Parteien überdies bereits Berufung eingelegt und damit das Kostenrisiko eines Rechtsmittels auf sich genommen. Das war hier nicht der Fall. Der Beklagte wollte nur dann Berufung einlegen, wenn dafür Prozesskostenhilfe bewilligt werden würde.

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3. Die mit Schriftsatz vom 1. September 2017 eingelegte zweite Berufung ist unzulässig, weil sie außerhalb der Frist des § 517 ZPO beim Berufungsgericht eingegangen ist. Der im selben Schriftsatz gestellte Wiedereinsetzungsantrag bleibt ohne Erfolg, weil der Beklagte nicht ohne sein Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (§ 233 Satz 1 ZPO). Eine Partei, die nicht in der Lage ist, für die Kosten eines Rechtsmittels aufzukommen, muss unter Verwendung der vorgeschriebenen Vordrucke und Beifügung aller erforderlichen Unterlagen innerhalb der Rechtsmittelfrist einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe bei Gericht einreichen (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2017 - IX ZA 9/17, MDR 2017, 970 Rn. 4 mwN; vom 25. Juli 2017 - X ZA 2/17, juris Rn. 2 mwN). Der Beklagte hat innerhalb der laufenden Berufungsfrist schriftsätzlich Prozesskostenhilfe beantragt. Die nach § 117 Abs. 2 ZPO zwingend erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen ist jedoch erst nach Ablauf der Berufungsfrist, nämlich am 20. Februar 2017, bei Gericht eingegangen.

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4. Von einer weiteren Begründung wird in entsprechender Anwendung von § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen. Die Entscheidung über den Antrag des Klägers ergeht nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Kayser     

        

Lohmann     

        

Pape   

        

Möhring     

        

Meyberg     

        

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