Urteil vom Finanzgericht Hamburg (3. Senat) - 3 K 209/17

Tatbestand

A

1

Zwischen den Beteiligten sind die Voraussetzungen für die Anwendung des § 27 Abs. 19 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) bei Insolvenz des leistenden Unternehmens streitig.

I.

2

1. Die am ... 2010 zunächst in der Rechtsform einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gegründete A GmbH (im Folgenden: A-GmbH) schloss im Jahr 2010 Bauwerkverträge über die Durchführung bzw. Fertigstellung von Bauvorhaben mit vier Bauträgergesellschaften, der B GmbH & Co. KG (inzwischen firmierend unter C GmbH & Co. KG; Grundstück X-Weg), der D GmbH & Co. KG (inzwischen firmierend unter E GmbH & Co. KG; Grundstück Y-Straße), der GbR "F", bestehend aus der G GmbH und der H GmbH, (Grundstück Z-Straße) und der J GmbH (Grundstücke K-Allee, L-Weg, M-Allee und N-Straße; alle vier Gesellschaften im Folgenden als Bauträger bezeichnet). In den Bauwerkverträgen wurden jeweils Netto-Pauschalfestpreise vereinbart (...). Nachdem die A-GmbH die vereinbarten Bauleistungen in den Streitjahren 2010 bis 2012 erbracht hatte, veräußerten die Bauträger die in ihrem Eigentum stehenden und von der A-GmbH bebauten Grundstücke.

3

2. Die A-GmbH und die Bauträger gingen zunächst davon aus, dass die Bauträger nach § 13b UStG a. F. Schuldner der auf die Bauleistungen anfallenden Umsatzsteuer seien. Dementsprechend rechnete die A-GmbH gegenüber den Bauträgern über die jeweils vereinbarten Pauschalpreise ohne Umsatzsteuer ab und bezeichnete die Leistungsempfänger in den Rechnungen als Steuerschuldner gemäß § 13b UStG (...). Das Finanzamt O setzte die Umsatzsteuer jeweils gegenüber den Bauträgern fest.

4

3. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom ... 2012 (...) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A-GmbH eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

II.

5

1. Im Anschluss an das BFH-Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10), in dem der BFH entschied, dass § 13b UStG auf Bauträger, die selbst keine Bauleistungen erbringen, nicht anwendbar sei, beantragten die Bauträger mit Schreiben vom 07.04.2015, 28.04.2015, 06.08.2015 und 29.09.2015 beim Finanzamt O die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre und die Erstattung der bisher festgesetzten und bezahlten Umsatzsteuer auf die von der A-GmbH erbrachten Bauleistungen. Die Umsatzsteuer wurde jeweils antragsgemäß erstattet.

6

2. Das Finanzamt O setzte den für die Veranlagung der A-GmbH zuständigen Beklagten über die Anträge der Bauträger jeweils in Kenntnis. Der Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 08.05.2015, 13.05.2015, 17.09.2015 und 08.10.2015 mit, dass die Bauträger die Erstattung der Umsatzsteuer beantragt hätten, dass das BFH-Urteil vom 22.08.2013 in allen noch offenen Fällen anwendbar sei und dass daher nunmehr sie, die A-GmbH, die Umsatzsteuer auf der erbrachten Bauleistungen schulde, und regte die Erstellung korrigierter Rechnungen und die Anmeldung der Umsatzsteuer an.

7

3. Am 06.10.2015 übersandte der Beklagte dem Kläger Steuerberechnungen über Umsatzsteuer für die Streitjahre in Höhe von insgesamt ... €, die er am 20.10.2015 und am 03.03.2016 (...) jeweils änderte.

8

4. Der Beklagte meldete mit Schreiben vom 16.11.2015 Umsatzsteuerforderungen für 2010 bis 2012 in Höhe von insgesamt ... € zur Insolvenztabelle nach und minderte diesen Betrag mit Schreiben vom 29.02.2016 auf ... €. Wegen der Zusammensetzung dieses Betrages wird auf die Aufstellung des Beklagten Bezug genommen (...). Die Minderung erläuterte der Beklagte mit Schreiben vom 23.02.2016 gegenüber dem Kläger damit, dass die Umsatzsteuerschuld aufzuteilen sei; der Teil, der auf die bis zur Insolvenzeröffnung vereinnahmten Gegenleistungen entfalle, sei als Insolvenzforderung zu berücksichtigen und daher nachgemeldet worden, während der Teil, der auf die künftig noch zu vereinnahmenden Nachforderungen aus den berichtigten Rechnungen entfalle, eine Masseverbindlichkeit sei. Wegen der Berechnung der Aufteilung wird auf die Aufstellung des Beklagten Bezug genommen (...).

9

5. Der Kläger widersprach den nachgemeldeten Forderungen mit Schreiben vom 23.11.2015 und im Prüfungstermin.

10

6. Mit Datum vom 01.12.2015 übersandte der Kläger den Bauträgern berichtigte Rechnungen für die in den Jahren 2010 bis 2012 erbrachten Bauleistungen, in denen er die vereinbarten Pauschalpreise zzgl. Umsatzsteuer berechnete (...), und forderte die Bauträger zur Zahlung der ausgewiesenen Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt ... € auf. Da die Bauträger sich, u. a. unter Berufung auf die Einrede der Verjährung, weigerten, die Zahlungen zu leisten, erhob der Kläger beim Landgericht Hamburg Klagen gegen die Bauträger auf Zahlung der Umsatzsteuerbeträge. Das Landgericht Hamburg gab den Klagen jeweils statt (vgl. exemplarisch Urteil vom 02.06.2017 ...). Die von den Bauträgern als den dortigen Beklagten eingelegten Berufungen sind derzeit noch beim Hanseatischen Oberlandesgericht anhängig (Az. ... u. a.).

11

7. Der Beklagte erließ am 23.03.2017 einen Feststellungsbescheid, in dem er die nachgemeldeten Forderungen gemäß § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 179 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) als Insolvenzforderungen feststellte und darauf hinwies, dass die Steuerforderungen auf den gemäß § 13b, § 27 Abs. 19 UStG geänderten Festsetzungen beruhten.

III.

12

1. Hiergegen legte der Kläger am 27.04.2017 Einspruch ein.

13

2. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 17.08.2017 als unbegründet zurück. Der Feststellungsbescheid sei formell rechtmäßig; die Umsatzsteuerforderungen seien wirksam angemeldet worden. Auch sei die A-GmbH zu Recht als Schuldnerin in Anspruch genommen worden. Zu einem Übergang der Steuerschuld auf die Bauträger gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 4 i. V m. Abs. 5 Satz 2 UStG sei es nicht gekommen, weil die Leistungsempfänger die erbrachten Leistungen nicht ihrerseits für die Erbringung von Bauleistungen verwendet, sondern eigene Grundstücke bebaut und diese zu Wohnzwecken veräußert hätten. Die Voraussetzungen für die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen nach § 27 Abs. 19 UStG seien ebenfalls erfüllt. Insbesondere stehe die Regelung des § 176 AO der Änderung nicht entgegen, denn der A-GmbH stünden gemäß § 313 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) Ansprüche gegen die Bauträger auf Zahlung der Umsatzsteuer zu. Diese Ansprüche seien auch abtretbar und nicht verjährt, weil die A-GmbH erst in 2015 Kenntnis von den Erstattungsanträgen der Bauträger erhalten habe. Die Regelung des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG sei verfassungsrechtlich unbedenklich.

IV.

14

Der Kläger hat am 18.09.2017 Klage erhoben. Er trägt vor:

15

Die Anwendung des § 27 Abs. 19 UStG setze nach der Rechtsprechung des BFH die Abtretbarkeit des Anspruchs gegen den Leistungsempfänger auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrages voraus. Zwar sei dieser auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmens sachenrechtlich weiterhin abtretbar. Allerdings dürfe der Insolvenzverwalter diese Ansprüche nicht an das Finanzamt abtreten, da er anderenfalls eine Gläubigerbegünstigung bewirken würde. Dieses Handlungsverbot stehe der Nichtabtretbarkeit der Ansprüche im Sinne des BFH-Urteils vom 23.02.2017 (V R 16, 24/16) gleich.

16

Zudem sei höchstrichterlich nicht geklärt, ob § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG in einem eröffneten Insolvenzverfahren eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung entfalte.

17

Die Klage sei vor dem Hintergrund seiner, des Klägers, konträren Pflichten geboten. Bestünden entgegen der von ihm in den anhängigen Berufungsverfahren vertretenen Auffassung keine Zahlungsansprüche der A-GmbH gegen die Bauträger, weil die festgestellten Umsatzsteuerforderungen nicht bestünden, müsste die Feststellung der Umsatzsteuerforderungen zur Insolvenztabelle verhindert werden.

18

Der Kläger beantragt,
den Feststellungsbescheid vom 23.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.08.2017 aufzuheben.

19

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

20

Der Beklagte nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor, dass er sich in seiner Rechtsauffassung durch das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 02.06.2017 (...) vollumfänglich bestätigt sehe. Das Landgericht habe seine, des Beklagten, Befugnis zur Feststellung der streitgegenständlichen Umsatzsteuerfestsetzungen bejaht und darauf hingewiesen, dass es auf die Abtretbarkeit des Anspruchs an ihn, den Beklagten, aus Gründen, die nicht aus dem Verhältnis zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger herrührten, nicht ankomme.

V.

21

1. Auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 20.12.2017 (FGA Bl. 15 f.) wird Bezug genommen.

22

2. Dem Gericht haben ein Hefter "Feststellungsbescheid", ein Band Arbeitsakten (USt-Nachschau) und ein Band Rechtsbehelfsakten vorgelegen (St.-Nr. .../.../...).

Entscheidungsgründe

B.

23

Die Entscheidung ergeht gemäß § 79a Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin und ebenfalls mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

I.

24

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt nicht die durch den Kläger im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft geltend gemachten Rechte der A-GmbH (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die Umsatzsteuern auf die von der A-GmbH gegenüber den Bauträgern erbrachten Bauleistungen zu Recht als Insolvenzforderungen festgestellt.

25

1. a) Insolvenzgläubiger können gemäß § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i. S. von § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner "begründeten" Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen während eines Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern das Finanzamt muss sie zur Insolvenztabelle anmelden und kann sie im Falle des Bestreitens seitens des Insolvenzverwalters oder eines anderen Insolvenzgläubigers nach § 251 Abs. 3 AO i. V. m. § 179 Abs. 1 InsO feststellen.

26

b) Dabei kann Gegenstand des Feststellungsverfahrens nur eine Forderung sein, die mit der nach § 174 InsO angemeldeten und nach § 176 InsO zur Erörterung gestellten identisch ist. Meldet das Finanzamt nicht titulierte Umsatzsteuerforderungen in einer Summe zur Insolvenztabelle an, so ist die Anmeldung wirksam, wenn durch den Inhalt der Anmeldung sichergestellt ist, dass nur bestimmte Sachverhalte erfasst sind, die zur Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestände des UStG geführt haben. Das ist bei einer durch Betrag und Zeitraum bezeichneten Umsatzsteuerforderung regelmäßig der Fall (BFH-Urteil vom 24.08.2011 V R 53/09, BStBl II 2012, 256; Hessisches FG, Urteil vom 12.03.2013 6 K 1700/10, EFG 2013, 1297).

27

c) Vorliegend hat der Beklagte die Umsatzsteuerforderungen wirksam angemeldet, indem er sie in der korrigierten Nachmeldung zur Insolvenztabelle vom 29.02.2016 jeweils nach Betrag und Zeitraum bezeichnet hat.

28

2. Die A-GmbH ist Schuldnerin der vom Beklagten festgestellten Umsatzsteuerforderungen.

29

a) Als leistende Unternehmerin schuldet die A-GmbH die Umsatzsteuer auf die von ihr erbrachten nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG umsatzsteuerbaren Bauleistungen gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG.

30

b) Die Steuerschuldnerschaft ist nicht auf die Bauträger als Leistungsempfänger übergegangen.

31

aa) Gem. § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG in der bis zum 30.06.2010 geltenden Fassung vom 19.12.2008 (UStG 2008) schuldet in den in § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG 2008 genannten Fällen der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG 2008 erbringt. Letztere Vorschrift umfasst Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen (sog. Bauleistungen). Eine vergleichbare Regelung enthält § 13b Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 UStG in der ab dem 01.07.2010 geltenden Fassung (UStG 2010). Diese Bestimmungen blieben bei den weiteren Änderungen des § 13b UStG im Streitzeitraum unverändert. Die Regelungen in § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 UStG 2008 beruhen unionsrechtlich auf Art. 199 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL).

32

bb) Der Begriff der Werklieferung in § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG 2008 entspricht dem in § 3 Abs. 4 Satz 1 UStG. Danach sind Werklieferungen Lieferungen, bei denen der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstandes übernommen hat und hierbei Stoffe verwendet, die er selbst beschafft, wenn es sich bei den Stoffen nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies auch dann, wenn die Gegenstände mit dem Grund und Boden fest verbunden werden. Bei der Errichtung eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück handelt es sich um eine derartige Werklieferung (BFH-Urteil vom 22.08.2013 V R 37/10, BStBl II 2014, 128).

33

cc) § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2008 ist aber einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Steuerschuld nur dann in der Person des Leistungsempfängers entsteht, wenn er die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet (BFH-Urteil vom 11.12.2013 XI R 21/11, BStBl II 2014, 425, für das UStG i. d. F. des Jahres 2007; BFH-Urteil vom 22.08.2013 V R 37/10, BStBl II 2014, 128, für das UStG i. d. F. des Jahres 2005). Mit dieser Rechtsprechung wich der BFH von der bis dahin geltenden Verwaltungsauffassung ab, wonach dies nicht erforderlich war (so ausdrücklich noch Abschnitt 182a Abs. 11 der Umsatzsteuer-Richtlinien -UStR- 2005). Diese Rechtsprechung gilt auch für die nachfolgenden, im Streitzeitraum anwendbaren Fassungen der Vorschrift (FG München, Urteil vom 10.10.2017 14 K 344/16, EFG 2017, 1842, für 2011, Revision anhängig unter V R 49/17; FG Düsseldorf, Urteil vom 28.04.2017 1 K 2634/15 U, EFG 2017, 1217, für 2010, Revision anhängig unter XI R 21/17; FG Münster, Urteil vom 31.01.2017 15 K 3998/15 U, EFG 2017, 527, für 2013; § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG inzwischen geändert durch Gesetz vom 25.07.2014 mit Wirkung ab dem 01.10.2014).

34

dd) Ein Bauträger, der sein eigenes Grundstück bebauen lässt und es anschließend veräußert, erbringt eine nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG umsatzsteuerfreie Grundstückslieferung und keine derartige bauwerksbezogenen Werklieferung, die zur Anwendung des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG führt (BFH-Urteil vom 22.08.2013 V R 37/10, BStBl II 2014, 128; FG München, Urteil vom 10.10.2017 14 K 344/16, EFG 2017, 1842, Revision anhängig unter V R 49/17; FG Münster, Urteil vom 31.01.2017 15 K 3998/15 U, EFG 2017, 527).

35

ee) Vorliegend ist die Steuerschuldnerschaft folglich nicht auf die Bauträger als Leistungsempfänger übergegangen, weil sie selbst keine Werklieferungen erbracht, sondern die in ihrem Eigentum stehenden und von der A-GmbH bebauten Grundstücke veräußert haben.

36

3. Der Beklagte war zur Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre gegenüber der A-GmbH bzw. dem Kläger befugt.

37

a) aa) Zwar konnte der Beklagte gegenüber dem Kläger in Bezug auf die streitgegenständlichen Umsatzsteuerforderungen keine geänderten Umsatzsteuerbescheide erlassen, weil es sich um Insolvenzforderungen handelt, die zur Insolvenztabelle anzumelden waren (s. unten 4.). Für die materielle Berechtigung der Forderungsanmeldung und die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Feststellungsbescheides kommt es jedoch darauf an, ob der Beklagte die Festsetzungen ohne Insolvenzeröffnung hätte ändern dürfen.

38

bb) Sind Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15.02.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein (§ 27 Abs. 19 Satz 1 UStG i. d. F. vom 25.07.2014).

39

cc) Grundsätzlich stünde einer Änderung der Steuerfestsetzung zwar der nach § 176 Satz 2 AO zu berücksichtigende Vertrauensschutz entgegen. Denn durch das Urteil des BFH vom 22.08.2013 (V R 37/10, BStBl II 2014, 128, s. oben 2. b. cc.) wurde eine von den Verwaltungsvorschriften abweichende Rechtsauffassung vertreten.

40

dd) Jedoch soll die Vorschrift des § 176 Satz 2 AO nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG einer Änderung nicht entgegenstehen. Allerdings rechtfertigt der mit § 27 Abs. 19 Satz 1 bis 4 UStG verfolgte Zweck unter Berücksichtigung der zwingenden Vorgaben des Unionsrechts eine Einschränkung des durch § 176 AO gewährleisteten Vertrauensschutzes nur dann, wenn dem Leistenden gegen den Leistungsempfänger ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der - vom Finanzamt an den Leistungsempfänger zu erstattenden - Umsatzsteuer zusteht, wobei das Bestehen und die Abtretbarkeit der Forderung nicht erst im Erhebungs-, sondern bereits im Festsetzungsverfahren zu klären sind. Da die Abtretung der Forderung des Leistenden gegen den Leistungsempfänger auf Zahlung des geschuldeten Umsatzsteuerbetrages nach § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG an Zahlungs statt wirkt, steht der Leistende bei dieser Auslegung so, wie er stünde, wenn alles von vornherein richtig beurteilt worden wäre (BFH-Urteil vom 23.02.2017 V R 16/16 u. a., BStBl II 2017, 760).

41

ee) Im Hinblick auf die vom BFH angenommene Änderungsvoraussetzung, dass dem leistenden Unternehmer ein korrespondierender und abtretbarer Zahlungsanspruch gegen den Leistungsempfänger zusteht, ist die Rückwirkung der Vorschrift verfassungsrechtlich unbedenklich (BFH-Urteil vom 23.02.2017 V R 16/16 u. a., BStBl II 2017, 760, mit zustimmender Anm. Pflaum, HFR 2017, 539; Sterzinger, UR 2017, 325; a. A. Lippross, DStR 2017, 1297).

42

b) Im Streitfall liegen die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 UStG vor.

43

aa) Die Bauträger und die A-GmbH gingen zunächst übereinstimmend von einer Steuerschuldnerschaft der Bauträger nach § 13b UStG aus. Dies zeigt sich an der Vereinbarung von Nettopreisen in den Bauwerkverträgen und an den von der A-GmbH erteilten Rechnungen, mit denen sie nur über ein Entgelt ohne Steuerbetrag abrechnete und dabei ausdrücklich auf die Steuerschuldnerschaft der Bauträger nach § 13b UStG hinwies (s. oben A. I. 1.). Dass dies auch dem Verständnis der Bauträger entsprach, wird dadurch belegt, dass diese die von der A-GmbH empfangenen Leistungen als Leistungsempfänger gemäß § 13b UStG versteuerten.

44

bb) Die Annahme, dass die Bauträger Steuerschuldner seien, erwies sich als unrichtig (s. oben 2. b.) und die Bauträger haben die Erstattung der zu Unrecht entrichteten Umsatzsteuer auf die von der A-GmbH erbrachten Bauleistungen gefordert (s. oben A. II. 1.).

45

cc) Der A-GmbH stehen gegen die Bauträger Ansprüche auf Zahlung der Umsatzsteuer zu, die für die Erbringung der Bauleistungen jeweils entstanden ist.

46

aaa) Die Ansprüche beruhen auf einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2017 I-23 U 23/16, juris; OLG Köln, Urteil vom 04.08.2016 I-7 U 177/15, NJW 2017, 677; LG Bonn, Urteil vom 20.07.2016 1 O 12/16, juris; zu ergänzender Vertragsauslegung bei anderen Fehlvorstellungen der Parteien bzgl. der umsatzsteuerlichen Behandlung einer Leistung BGH-Urteil vom 14.01.2000 V ZR 416/97, DStR 2000, 834; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.07.2012 16 U 159/11, juris; FG Hamburg, Beschluss vom 11.02.2014 3 V 247/13, juris).

47

(1) Die zwischen der A-GmbH und den Bauträgern geschlossenen Bauwerkverträge waren lückenhaft. Die Vertragsparteien gingen bei Vertragsschluss von einer Steuerschuldnerschaft der Bauträger aus (s. oben aa.). Der Fall, dass entgegen der Annahme der Vertragsparteien zur Zeit des Vertragsschlusses aufgrund einer späteren, von der Verwaltungsauffassung abweichenden höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht die Bauträger, sondern die A-GmbH die Umsatzsteuer schulden würde, war vertraglich nicht geregelt.

48

Hätten die Parteien diesen Fall bedacht, hätten sie vereinbart, dass die Bauträger den jeweiligen Pauschalpreis zzgl. der darauf entfallenden Umsatzsteuer zu entrichten hätten. Dies entspricht einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben. Denn für die A-GmbH hätte es zu einer erheblichen finanziellen Einbuße geführt, wenn sie die Umsatzsteuer aus den vereinbarten, als Nettopreise gedachten Pauschalpreisen hätte entrichten müssen. Demgegenüber wäre es für die Bauträger finanziell unerheblich gewesen, ob sie die Umsatzsteuer an die A-GmbH oder, wie ursprünglich vereinbart, an das Finanzamt zahlten. Das Interesse der Bauträger an einem Leistungsbezug ohne Umsatzsteuerbelastung, also an der Ausnutzung eines steuerrechtlichen Zufallsgewinns ("windfall-profits"), ist unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage nicht schutzwürdig (vgl. BFH im Urteil vom 23.02.2017 (V R 16/16 u. a., BStBl II 2017, 760).

49

(2) Im Ergebnis kann aber auch dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung vorliegen, da aus denselben Gründen jedenfalls ein entsprechender Anspruch der A-GmbH auf eine Anpassung der Bauwerkverträge gemäß § 313 Abs. 1 oder 2 BGB bestand. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des BFH im Urteil vom 23.02.2017 (V R 16/16 u. a., BStBl II 2017, 760) Bezug genommen (für die Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB auch FG Niedersachsen, Urteil vom 29.10.2015 5 K 80/15, EFG 2016, 338).

50

dd) Die Ansprüche gegen die Bauträger sind abtretbar.

51

aaa) Gemäß § 80 Abs. 1 InsO ging die Befugnis zur Verwaltung und Verfügung über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der A-GmbH über. Dieser ist weder durch ein absolutes noch durch ein relatives Veräußerungsverbot (§ 135 BGB) an einer Abtretung der zur Insolvenzmasse gehörenden Ansprüche gegen die Bauträger auf Zahlung eines zusätzlichen Entgelts in Höhe der Umsatzsteuerbeträge gehindert. Dass er die anderen Gläubiger dadurch benachteiligen würde, dass er den Anspruch an den Beklagten abtritt, statt die Zahlungen zur Masse zu ziehen und im Rahmen der Schlussverteilung gleichmäßig auf alle Gläubiger zu verteilen, begründet kein Verfügungsverbot (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 77. Aufl., § 134 Rz. 17).

52

bbb) Die Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 23.02.2017 V R 16/16 u. a., BStBl II 2017, 760), wonach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG einschränkend auszulegen ist und die Abtretbarkeit des Anspruchs gegen den Leistungsempfänger voraussetzt (s. oben a. dd.), ist nicht auf Fälle zu erweitern, in denen die Forderung zwar abtretbar ist, der Leistende durch die Abtretung aber schuldrechtliche Pflichten gegenüber Dritten verletzt und sich evtl. schadensersatzpflichtig macht. Eine derartige Pflichtwidrigkeit einer dinglich möglichen Abtretung steht einer Nichtabtretbarkeit nicht gleich.

53

(1) Zwar wäre die Abtretung des Anspruchs gegen den Leistungsempfänger an das Finanzamt in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem über das Vermögen des Leistenden das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, im Regelfall pflichtwidrig und kann zu einer Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters gegenüber den Gläubigern (§ 60 Abs. 1 InsO) und sogar zu einer Strafbarkeit des Insolvenzverwalters wegen Untreue (§ 266 des Strafgesetzbuchs) führen. Denn es ist für die Gläubiger des Leistenden im Regelfall günstiger, wenn der Insolvenzverwalter den Zahlungsanspruch gegen den Leistungsempfänger nicht an das Finanzamt abtritt, sondern ihn selbst gegenüber dem Leistungsempfänger verfolgt und einzieht. Die Zahlung fließt dann in voller Höhe in die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO). Demgegenüber steht dem Finanzamt lediglich eine in Höhe der Insolvenzquote zu befriedigende Insolvenzforderung auf Zahlung der Umsatzsteuer zu, die nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG (Sollversteuerung) bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung entstanden und i. S. des § 38 InsO "begründet" war.

54

(2) Dennoch ist die Gleichbehandlung dieser Fälle mit einer Nichtabtretbarkeit der Forderung nach der Begründung der BFH-Rechtsprechung nicht geboten.

55

Die in § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG geregelte Einschränkung des nach § 176 AO abgabenrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutzes für den leistenden Unternehmer ist nach der Rechtsprechung des BFH nur gerechtfertigt, wenn dem Leistenden ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht. Denn dann kann der Leistende, wenn das Finanzamt ihm gegenüber von seiner Befugnis zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung Gebrauch macht, den Anspruch gegen den Leistungsempfänger an das Finanzamt mit Wirkung an Zahlungs statt abtreten (§ 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG) und steht nicht schlechter, als er gestanden hätte, wenn es beim Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger geblieben wäre.

56

Entscheidet sich der Insolvenzverwalter aus den oben (unter aaa.) genannten Gründen gegen die - rechtlich mögliche - Abtretung, ist ein weitergehender Vertrauensschutz nicht erforderlich und eine noch weiter einschränkende Auslegung des § 27 Abs. 19 UStG nicht gerechtfertigt. Ein Steuerpflichtiger, der sich gegen die ihn schadlos stellende Abtretung des Anspruchs gegen den Leistungsempfänger entscheidet, weil das für ihn noch günstiger ist als die reine Schadlosstellung, bedarf keines Vertrauensschutzes. Er nimmt das Insolvenzrisiko in Bezug auf die Person des Leistungsempfängers, vor dem ihn die Möglichkeit der Abtretung mit Erfüllungswirkung schützen soll, bewusst in Kauf.

57

Ginge man auch in diesem Fall von einer "Nichtabtretbarkeit" der Forderung aus, würde der Vertrauensschutzgedanke sogar in sein Gegenteil verkehrt. Diese Auslegung führte zu einem für den Leistenden (den Insolvenzschuldner) und seine Gläubiger nachteiligen Ergebnis, da die Differenz zwischen dem Nennbetrag der Forderung und der Insolvenzquote nicht zur Verteilung zur Verfügung stünde.

58

(3) Gegen die grundsätzliche Annahme einer Nichtabtretbarkeit des Anspruchs auf Zahlung der Umsatzsteuer bei Insolvenz des Leistenden spricht des Weiteren, dass es auch Fälle gibt, in denen es für den Leistenden (Insolvenzschuldner) und die Gläubiger vorteilhafter ist, den Anspruch gegen den Leistungsempfänger auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrages an das Finanzamt abzutreten, sodass es nicht zu einer Gläubigerbenachteiligung kommt. So kann die Abtretung im Gläubigerinteresse liegen, wenn dies im Rahmen eines Vergleichs oder Insolvenzplans vereinbart wird und dieser insgesamt vorteilhaft ist, wenn die Forderung beim Leistungsempfänger nicht eintreibbar ist bzw. über dessen Vermögen ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und dort mit einer geringeren Quote zu rechnen ist oder soweit es sich bei der Umsatzsteuerforderung des Finanzamtes um eine Masseverbindlichkeit handelt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO; s. dazu unten 4.).

59

(4) Der Sinn und Zweck des § 27 Abs. 19 UStG besteht darin, dem Finanzamt die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer zu ermöglichen, wenn der Leistungsempfänger, der zunächst irrtümlich von seiner Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG ausging, die Änderung der Festsetzung und die Erstattung der Umsatzsteuer beantragt. Der abgabenrechtlich durch § 176 Satz 2 AO gewährleistete Vertrauensschutz soll in diesen Fällen grundsätzlich nicht gelten, weil dem Leistenden zivilrechtlich ein korrespondierender Zahlungsanspruch gegen den Leistungsempfänger zusteht, den er an das Finanzamt abtreten kann. Damit betrifft die Regelung des § 27 Abs. 19 UStG allein das Verhältnis zwischen Finanzamt und leistendem Unternehmer. Soweit der Vertrauensschutz des Leistenden nicht entgegensteht, soll das Finanzamt zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung befugt sein. Ginge man in einem Fall wie dem vorliegenden aber von einer Nichtabtretbarkeit der Forderung aus, führte das dazu, dass das Finanzamt die Änderung nicht vornehmen dürfte, obwohl der leistende Unternehmer und seine Gläubiger nicht schutzbedürftig sind (s. oben (2)). Der Fiskus müsste die vom Leistungsempfänger gezahlte Umsatzsteuer an diesen auszahlen, ohne die Umsatzsteuer gegenüber dem Leistenden festsetzen zu können und sie zumindest in Höhe der Insolvenzquote zu erhalten. Dies wäre durch den Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gerechtfertigt.

60

(5) Wäre das Finanzamt nicht zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer berechtigt, stünde dem Leistenden auch kein zivilrechtlicher Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zu (s. dazu oben cc.). Das Interesse des Leistungsempfängers, einen derartigen "windfall-profit" zu erhalten, ist aber grundsätzlich nicht schützenswert und spielt für die Auslegung des § 27 Abs. 19 UStG keine Rolle.

61

ee) Offen bleiben kann, ob die Ansprüche gegen die Bauträger als nicht abtretbar i. S. der BFH-Rechtsprechung anzusehen wären, wenn die Bauträger sich gegenüber dem Beklagten mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung berufen könnten (befürwortend Gieseler/Dürr, BB 2017, 2075). Denn die Forderungen sind nicht verjährt.

62

aaa) Die Verjährungsfrist für die Forderungen der A-GmbH auf Zahlung eines zusätzlichen Entgelts für die Bauleistungen in Höhe der auf die vereinbarten (Netto-) Pauschalpreise entfallenden Umsatzsteuer aufgrund der Vertragsanpassung (s. oben cc.) beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre.

63

bbb) (1) Sie beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1 der Vorschrift) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2).

64

Die Befugnis des Finanzamts zur Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer gilt gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG nur, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Umsatzsteuer fordert. Folglich kann der Leistende erst dann von der gegen ihn gerichteten Umsatzsteuerforderung des Finanzamtes und korrespondierend von seinem Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrages Kenntnis haben, wenn ihm das Finanzamt oder der Leistungsempfänger mitteilt, dass die Erstattung beantragt wurde (OLG Köln, Urteil vom 04.08.2016 I-7 U 177/15, NJW 2017, 677; Sterzinger, UR 2015, 293; Fleckenstein-Weiland, BB 2014, 2391).

65

(2) Im vorliegenden Fall erhielt der Kläger durch die Mitteilungen des Beklagten im Jahr 2015 (oben A. II. 2.) Kenntnis davon, dass die Bauträger die Erstattung der Umsatzsteuer beantragt hatten. Die Verjährung begann somit mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen und ist noch nicht abgelaufen.

66

ccc) Durch die Erhebung der Zahlungsklagen beim Landgericht Hamburg, deren Zeitpunkt hier nicht bekannt ist, die aber jedenfalls vor dem Urteil vom 02.06.2017 erhoben worden sein müssen, wurde die Verjährung zudem gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Sollten die Klagen bereits im Jahr 2016 erhoben worden sein, wovon auszugehen ist, wäre die Verjährungsfrist auch dann noch nicht abgelaufen, wenn man für den Beginn auf einen früheren Zeitpunkt abstellte (so FG Niedersachsen, Urteil vom 29.10.2015 5 K 80/15, EFG 2016, 338, und FG Nürnberg, Beschluss vom 26.08.2015 2 V 1107/15, EFG 2015, 2135: Beginn mit Verkündung des BFH-Urteils vom 22.08.2013 V R 37/10; Prätzler, MwStR 2014, 680: mit Schaffung des § 27 Abs. 19 UStG in 2014).

67

4. Bei den vom Beklagten in dem angefochtenen Bescheid festgestellten Forderungen handelt es sich um Insolvenzforderungen.

68

a) aa) Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit handelt, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Unerheblich ist demgegenüber der Zeitpunkt der Steuerentstehung. Welche Anforderungen im Einzelnen an die vollständige Tatbestandsverwirklichung zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht aber nach Insolvenzrecht. Kommt es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handelt es sich um eine Insolvenzforderung, erfolgt die vollständige Tatbestandsverwirklichung erst nach Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor (BFH-Urteil vom 29.01.2009 V R 64/07, BStBl II 2009, 682).

69

bb) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers kommt es zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile. Neben der Insolvenzmasse und dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen besteht auch ein vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil. Nach der Rechtsprechung des BFH werden noch ausstehende Entgelte für zuvor erbrachte steuerpflichtige Leistungen eines Unternehmers gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich, wenn über sein Vermögen gemäß § 27 InsO das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Denn gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten oder über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Folglich ist der Unternehmer dann aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem eigenen vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen (BFH-Urteile vom 01.03.2016 XI R 21/14, BStBl II 2016, 756; vom 24.09.2014 V R 48/13, BStBl II 2015, 506). Erbringt der Unternehmer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen eine Leistung, für die erst der Insolvenzverwalter das Entgelt vereinnahmt, begründet die Entgeltvereinnahmung in Höhe der darin enthaltenen Umsatzsteuer eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BFH-Urteil vom 01.03.2016 XI R 21/14, BStBl II 2016, 756), wobei unerheblich ist, ob der Umsatz der Ist- oder der Sollbesteuerung unterliegt (BFH-Urteil vom 09.12.2010 V R 22/10, BStBl II 2011, 996).

70

b) Die Umsatzsteuer für die von der A-GmbH ausgeführten steuerpflichtigen Leistungen ist mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der jeweiligen Leistungserbringung entstanden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG). Soweit in den von den Bauträgern - als vermeintliche Nettobeträge - gezahlten Pauschalpreisen rechnerisch Umsatzsteuer enthalten war, handelt es sich um vor Insolvenzeröffnung entstandene Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO, die der Beklagte zu Recht zur Insolvenztabelle angemeldet hat. Soweit die Bauträger das Entgelt noch nicht entrichtet haben, nämlich in Höhe der vom Kläger mit Rechnungen vom 01.12.2016 (s. oben A. II. 6.) zusätzlich in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge, wurde die rechnerisch darin enthaltene Umsatzsteuer durch die Insolvenzeröffnung uneinbringlich. Sollten die Bauträger diese Beträge in Folge der anhängigen Zivilklagen an den Kläger bezahlen, entstünden in Höhe der Umsatzsteuern Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO. Der Beklagte hat die Umsatzsteuer bei den Steuerberechnungen vom 13.03.2016, der entsprechenden Nachmeldung der Beträge vom 29.02.2016 und der darauf beruhenden Feststellung im angefochtenen Bescheid in zutreffender Weise lediglich auf die vor Insolvenzeröffnung von den Bauträgern geleisteten Zahlungen berechnet.

II.

71

1. Eine Beiladung der Bauträger zum hiesigen Verfahren gemäß § 60 Abs. 1 FGO kam nicht in Betracht. Eine Beiladung setzt danach voraus, dass die rechtlichen Interessen des Beizuladenden nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden. Eine sonstige rechtliche Bedeutung der Entscheidung, etwa im Hinblick auf einen (zivilrechtlichen) Schadensersatz- oder Ausgleichsanspruch des Klägers gegen den Beizuladenden, genügt hierfür nicht (BFH-Beschluss vom 28.12.1998 VII B 280/98, BFH/NV 1999, 815). Die Interessen des leistungsempfangenden Bauträgers in einer Konstellation wie der vorliegenden sind daher nicht i. S. von § 60 Abs. 1 FGO nach den Steuergesetzen berührt, da der Anspruch des Leistenden gegen den Leistungsempfänger auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrages nach Zivilrecht zu beurteilen ist (Lippross, DStR 2017, 1297).

72

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

73

3. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die Rechtslage ist durch das BFH-Urteil vom 23.02.2017 (V R 16/16 u. a.) weitgehend geklärt. Die entscheidungserhebliche und noch nicht ausdrücklich geklärte Rechtsfrage, ob bei Insolvenz des leistenden Unternehmers von einer Nichtabtretbarkeit der Forderung gegen den Leistungsempfänger auszugehen ist, betrifft auslaufendes Recht, da § 27 Abs. 19 UStG nur auf vor dem 15.02.2014 erbrachte Leistungen anzuwenden ist. Dass eine Vielzahl vergleichbarer Fälle anhängig wäre, ist nicht ersichtlich.

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