Urteil vom Niedersächsisches Finanzgericht (13. Senat) - 13 K 178/15

Tatbestand

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Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt eine nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers festgesetzte Einkommensteuerschuld vollumfänglich erheben darf, obwohl die Einkommensteuer entstanden ist, als das Insolvenzverfahren noch anhängig war.

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Die Kläger sind Ehegatten, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Der Kläger ist X (Beruf). Er erzielte u.a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus einer Beteiligung an der „A & B GbR“.

3

Mit Gesellschafterbeschluss vom xx. Dezember 2010 wurde die GbR zum 31. Dezember 2010 aufgelöst und als Liquidationsgesellschaft fortgeführt. Es wurde ein Liquidator bestellt, der nicht an der Gesellschaft beteiligt war.

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Über das Vermögen des Klägers wurde am xx. August 2011 ein Insolvenzverfahren eröffnet (Amtsgericht C, Az.). Der Kläger konnte die Belastungen aus der fremdfinanzierten Anschaffung von mehreren Immobilien nicht mehr tragen.

5

In der Folgezeit vereinnahmte der Insolvenzverwalter den auf den Kläger entfallenden Teil am Liquidationserlös der „A & B GbR“ zugunsten der Insolvenzmasse.

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Im Mai 2013 ging beim beklagten Finanzamt eine von beiden Klägern unterschriebene Einkommensteuererklärung für das Jahr 2012 ein. Die Einkünfte aus der GbR waren in der Erklärung nicht enthalten. Der Beklagte übersandte dem Insolvenzverwalter Kopien der Erklärung. Der Insolvenzverwalter unterschrieb die Einkommensteuererklärung im Juni 2013.

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Der Beklagte erließ nach Maßgabe der Angaben in der eingereichten Einkommensteuererklärung am xx. September 2013 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012. Der Bescheid wurde der Klägerin und dem Insolvenzverwalter bekannt gegeben.

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Aufgrund von Einsprüchen des steuerlichen Vertreters der Kläger änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid am xx. Oktober 2013 und am xx. November 2013 antragsgemäß ab.

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Im Jahr 2013 wurden außerdem erhebliche Anstrengungen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens unternommen. Nachdem sich die Klägerin bereit erklärt hatte, einen Betrag in Höhe von xxx € in die Insolvenzmasse zu zahlen, bestätigten die Gläubiger am xx. Mai 2013 einen vorher ausgearbeiteten Insolvenzplan. Der Bestätigungsbeschluss des Amtsgerichts C erging am xx. August 2013.

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Der Insolvenzplan sah vor, dass die Insolvenzgläubiger auf ihre zur Insolvenztabelle festgestellten Forderungen verzichteten. Als Gegenleistung wurde der zur Verfügung gestellte Betrag von xxx € sowie die vorhandene Insolvenzmasse anteilig an die Gläubiger ausgezahlt. Für die Gläubiger ergab sich eine Quote auf ihre Insolvenzforderungen in Höhe von etwas über 1 %. Besondere Regelungen zu den Masseverbindlichkeiten enthielt der Insolvenzplan nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Aktenauszug der Insolvenzakte des Amtsgerichts C - Insolvenzgericht - verwiesen, der sich in der Gerichtsakte befindet.

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Der Insolvenzverwalter berichtigte die unstreitigen Masseansprüche und führte anschließend die Schlussverteilung entsprechend der Bestimmungen des Insolvenzplans durch.

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Am xx. März 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers gemäß § 258 Abs. 1 InsO aufgehoben.

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Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens erging eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die „A & B GbR“ für das Jahr 2012 (Datum des Bescheids: xx. Mai 2014). Der Feststellungsbescheid wurde gegenüber dem Liquidator der GbR bekannt gegeben.

14

Daraufhin erließ der Beklagte am xx. Juni 2014 einen gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 2012, in dem er die für den Kläger festgestellten Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 20.xxx € berücksichtigte. Weil das Insolvenzverfahren zwischenzeitlich aufgehoben worden war, wurde der geänderte Einkommensteuerbescheid nur noch den Klägern bekannt gegeben.

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Der Einkommensteuerbescheid wies eine Nachzahlung in Höhe von 8.xxx,xx € Einkommensteuer, xx € Zinsen, xxx,xx € Solidaritätszuschlag und xxx,xx € Kirchensteuer aus. Die Kläger zahlten die Beträge am xx. August 2014.

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In dem sich anschließenden Einspruchs- und Klageverfahren argumentierte der Kläger, dass ihm im Streitjahr keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit zugeflossen seien. Die Einkünfte seien von dem Insolvenzverwalter für die Insolvenzmasse vereinnahmt worden. Deshalb sei die darauf entfallende Einkommensteuer gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass das Insolvenzverfahren mittels eines Insolvenzplans beendet worden sei.

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Der Einkommensteuerbescheid wurde am xx. September 2014 wegen eines anderen Punktes noch einmal geändert.

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Mit Urteil vom 17. März 2015 wies das Niedersächsische Finanzgericht die von den Klägern erhobene Klage gegen die Einkommensteuerfestsetzung ab (13 K 193/14). Es führte aus, dass es sich bei der Einkommensteuer 2012 ursprünglich um eine Masseverbindlichkeit gehandelt habe, da im Jahr 2012 das Insolvenzverfahren anhängig gewesen sei. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens habe der Kläger die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Massebestandteile wieder zurück erhalten. Deshalb habe das beklagte Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2012 zu Recht gegenüber dem Kläger und nicht gegenüber dem früheren Insolvenzverwalter bekannt gegeben. Außerdem hafte der Kläger ab der Aufhebung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich mit seinem gesamten Vermögen bis zur vollständigen Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten. Umstritten sei jedoch, ob wegen der ehemaligen Masseverbindlichkeit nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in das gesamte Vermögen des ehemaligen Insolvenzschuldners vollstreckt werden dürfe oder ob die Vollstreckung auf die Gegenstände beschränkt sei, die bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehörten und die dem Insolvenzschuldner nach der Beendigung zugefallen seien. Da es sich hierbei aber nicht um eine Problematik der Steuerfestsetzung handele, ändere dieser Meinungsstreit nichts an der Klageabweisung.

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Daraufhin beantragten die Kläger am xx. März 2015 einen Abrechnungsbescheid.

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Der Beklagte führte in dem am 6. Mai 2015 erlassenen und am 7. Mai 2015 zur Post gegebenen Abrechnungsbescheid aus, dass die Einkommensteuerschuld bezahlt worden sei und dass den Klägern kein Erstattungsanspruch zustehe. Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens seien die während des Bestehens des Insolvenzverfahrens begründeten Steuerschulden gegenüber dem Steuerpflichtigen und nicht gegenüber dem früheren Insolvenzverwalter geltend zu machen. Ebenso würden Erstattungsansprüche, die sich für die Zeit der Insolvenz ergeben würden, nach Beendigung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzschuldner erstattet werden, wenn keine Nachtragsverteilung angeordnet werde. Die vom Niedersächsischen Finanzgericht aufgeworfene Frage, ob in das gesamte Vermögen des Steuerpflichtigen vollstreckt werden könne, stelle sich im vorliegenden Fall nicht, weil die Einkommensteuernachzahlung von den Klägern entrichtet worden sei, so dass keine Vollstreckung erforderlich gewesen sei. Der Kläger habe gewusst, dass Einkünfte in der „A & B GbR“ erzielt worden seien. Er hätte diese Einkünfte in der Einkommensteuererklärung 2012 angeben und so erreichen können, dass die Masse im laufenden Insolvenzverfahren für die Steuerrückstände hätte aufkommen müssen.

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Mit am 12. Juni 2015 eingegangenem Schreiben legten die Kläger Einspruch ein und trugen vor, dass ihnen der Abrechnungsbescheid erst am 12. Mai 2015 bekannt gegeben worden sei. Der Beklagte wies darauf hin, dass die Einspruchsfrist am 11. Juni 2015 abgelaufen sei und bat um Vorlage des Fristenkontrollbuchs. Der Kläger legte eine Kopie der ersten Seite des Abrechnungsbescheids vor, auf dem der Eingangsstempel der Rechtsanwaltskanzlei enthalten war, der den 12. Mai 2015 als Eingangsdatum auswies. Außerdem befanden sich auf der Bescheidkopie eine notierte Vorfrist mit dem Datum des 9. Juni 2015 und ein notierter Fristablauf mit dem Datum des 12. Juni 2015. Der Kläger führte aus, dass er darüber hinaus kein Fristenkontrollbuch mehr führe. Die Fristen würden elektronisch verwaltet werden.

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Mit Einspruchsbescheid vom 28. Juli 2015, der am 29. Juli 2015 mit einfachem Brief zur Post gegeben wurde, wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Der Beklagte führte aus, dass die Kläger glaubhaft dargelegt hätten, dass der Abrechnungsbescheid erst am 12. Mai 2015 zugegangen sei. Im Übrigen verwies der Beklagte auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 17. März 2015 und auf die schon in den Erläuterungen des Abrechnungsbescheids vertretene Argumentation.

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Mit am 1. September 2015 beim Gericht eingegangener Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Die Kläger verweisen auf ihren Vortrag in dem Klageverfahren 13 K 193/14.

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Mit am 24. September 2015 eingegangenem Schreiben beantragen die Kläger Wiedereinsetzung in die Klagefrist. Da der Einspruchsbescheid vom 28. Juli 2015 den Klägern bereits am 30. Juli 2015 zugegangen sei, werde davon ausgegangen, dass die Klagefrist bereits am 31. August 2015 (Montag) abgelaufen sei.

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Die Kläger beantragen,

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unter Aufhebung des Einspruchsbescheids vom 28. Juli 2015 den Abrechnungsbescheid vom 6. Mai 2015 dahingehend abzuändern, dass ein Erstattungsanspruch in Höhe von 8.xxx,xx € Einkommensteuer, xx € Zinsen, xxx,xx € Solidaritätszuschlag und xxx,xx € Kirchensteuer ausgewiesen wird.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte verweist auf den Einspruchsbescheid.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

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I. Die Klage ist zulässig. Die Klagefrist ist eingehalten worden.

32

Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf.

33

Der Einspruchsbescheid ist am 29. Juli 2015 (Mittwoch) mit einfachem Brief zur Post gegeben worden. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Inland übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Bekanntgabe wäre danach am 1. August 2015 (Samstag) anzunehmen. Da sich die sog. Drei-Tages-Frist nach der Rechtsprechung des BFH auf den nächsten Werktag verlängert, wenn ihr Ende auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt (vgl. nur BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BStBl II 2003, 898; BFH-Urteil vom 19. November 2009 IV R 89/06, BFH/NV 2010, 818; BFH-Beschluss vom 05. Mai 2014 III B 85/13, BFH/NV 2014, 1186 mit weiteren Nachweisen), ist die Bekanntgabe verfahrensrechtlich erst am 3. August 2015 (Montag) erfolgt.

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Entgegen der erkennbaren Auffassung der Kläger ist es für die Fristberechnung nicht maßgeblich, dass der Verwaltungsakt tatsächlich früher, als es nach § 122 AO fingiert wird, beim Empfänger ankommt (BFH-Beschluss vom 26. Januar 2010 X B 147/09; BFH/NV 2010, 1081; BFH-Urteil vom 19. November 2009 IV R 89/06, BFH/NV 2010, 818). Da die Bekanntgabe erst am 3. August 2015 als erfolgt gilt, fällt das Fristende für die Klagefrist gemäß § 54 FGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB auf den 3. September 2015 (Donnerstag).

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Die Klageerhebung am 1. September 2015 erfolgte innerhalb der Klagefrist. Mangels versäumter Klagefrist kommt es auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht an.

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II. Die Klage ist unbegründet.

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1. Dem Gericht ist eine inhaltliche Prüfung nicht deshalb versagt, weil die Kläger die Einspruchsfrist gegen den Abrechnungsbescheid vom 6. Mai 2015 versäumt haben.

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a) Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Der Abrechnungsbescheid ist am 7. Mai 2015 (Donnerstag) mit einfachem Brief zur Post gegeben worden. Wie bereits ausgeführt wurde, gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Inland übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Bekanntgabe wäre danach am 10. Mai 2015 (Sonntag) anzunehmen. Da sich die sog. Drei-Tages-Frist nach der Rechtsprechung des BFH auf den nächsten Werktag verlängert, wenn ihr Ende auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt (siehe oben), ist die Bekanntgabe verfahrensrechtlich erst am 11. Mai 2015 (Montag) erfolgt. Dementsprechend endet die Einspruchsfrist gemäß § 108 Abs. 1 AO in Verbindung mit §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 11. Juni 2015 (Donnerstag). Da der Einspruch erst am 12. Juni 2015 eingegangen ist, wäre der Einspruch bei Anwendung der Dreitagesfrist gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO zu spät eingelegt worden.

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b) Nach § 122 Abs. 2 zweiter Halbsatz AO gilt die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO allerdings dann nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zeitpunkt des Zugangs zu beweisen.

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Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern lediglich den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische - Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post - ernstlich in Betracht zu ziehen ist. An diese Substantiierung sind aber keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, damit die Regelung über die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Behörde trifft, nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen umgekehrt wird (BFH-Urteil vom 3. Mai 2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365; BFH-Beschluss vom 31. März 2008 III B 151/07, BFH/NV 2008, 1335).

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Im vorliegenden Fall haben die Kläger eine Kopie des Abrechnungsbescheids vom 6. Mai 2015 vorgelegt, der einen Eingangsstempel der Rechtsanwaltskanzlei mit dem Datum 12. Mai 2015 ausweist. Zwar reicht ein abweichender Eingangsvermerk allein nicht aus, um Zweifel am Zugang eines Verwaltungsakts innerhalb der Dreitagesfrist zu wecken (BFH-Beschluss vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389). Hinzu kommt vorliegend jedoch, dass offenbar auch die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter, die oder der die Fristberechnung in der Kanzlei vorgenommen hat, von einem Zugang am 12. Mai 2015 ausgegangen ist. Dies ergibt sich aus der notierten Vorfrist am 9. Juni 2015 und dem notierten Fristende am 12. Juni 2015. Dies zusammengenommen reicht aus, um Zweifel an dem Zugang des Abrechnungsbescheids innerhalb der Dreitagesfrist zu wecken. Da entsprechende Zweifel vorhanden sind, hat das Finanzamt nach § 122 Abs. 2 Halbsatz 2 AO den Nachweis des Zugangs innerhalb der Dreitagesfrist zu führen. Da dies für das Finanzamt nicht möglich ist, ist von einer Bekanntgabe erst am 12. Mai 2015 auszugehen.

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Wird dieses Bekanntgabedatum zugrunde gelegt, endet die Einspruchsfrist gemäß § 108 Abs. 1 AO in Verbindung mit §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 AO erst am 12. Juni 2015. Deshalb hat der Beklagte den Einspruch zu Recht als nicht verspätet behandelt.

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2. Die Kläger haben keinen Erstattungsanspruch in Höhe von 8.xxx,xx € Einkommensteuer, xx € Zinsen, xxx,xx € Solidaritätszuschlag und xxx,xx € Kirchensteuer.

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a) Der Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO kann allerdings nicht bereits deshalb verneint werden, weil die Kläger die nachgeforderte Einkommensteuer gezahlt und nicht die Vollstreckung dieser Beträge abgewartet haben.

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aa) Ist der Steuerpflichtige der Auffassung, dass eine Einkommensteuer nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens nicht erhoben werden darf, weil sie während des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit aus der Insolvenzmasse zu begleichen gewesen wäre, braucht er nicht gegen ihn gerichtete Vollstreckungsakte abzuwarten. Er kann die Steuerschuld auch – wie im vorliegenden Streitfall – unter Protest begleichen und anschließend einen Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO geltend machen. Unabhängig von der vorhandenen Steuerfestsetzung wird die Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt, soweit die Erhebung der Steuer auf bestimmte Vermögensmassen beschränkt ist und die Vermögensmasse für die Begleichung der Steuerschuld nicht ausreicht.

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bb) Diese Grundsätze hat der BFH für die beschränkte Erbenhaftung entwickelt (BFH-Urteil vom 10. November 2015 VII R 35/13, BStBl II 2016, 372). In dem vom BFH entschiedenen Fall bestand eine eigene Steuerschuld des Erben, weil dieser nach dem Tod des Erblassers den Tatbestand der Einkünfteerzielung allein verwirklichte. Der Erbe durfte die gegen ihn festgesetzte Steuerschuld unter Protest begleichen und anschließend im Rahmen eines Abrechnungsverfahrens einen Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO geltend machen. Er brauchte nicht die Vollstreckung abzuwarten, um den Einwand, dass seine Haftung auf den Nachlass begrenzt sei, durchzusetzen.

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cc) Diese Überlegungen sind auf die hier vorliegende Fallkonstellation übertragbar. Im vorliegenden Fall hat der Senat bereits entschieden, dass der Beklagte die Einkommensteuer zu Recht gegenüber den Klägern festgesetzt hat, weil diese nach Abschluss des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Massebestandteile zurückerlangt haben (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 17. März 2015 – 13 K 193/14, in den Gründen unter I. 5. bis 7.). Die Frage, ob für die Begleichung der Einkommensteuer nach Beendigung des Insolvenzverfahrens das gesamte Vermögen des ehemaligen Insolvenzschuldners oder nur die Beträge zur Verfügung stehen, die bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehörten, ist eine Frage der Steuererhebung (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 17. März 2015 – 13 K 193/14, in den Gründen unter I. 8.). Daher ist die Situation der Kläger mit der Situation, in der sich Erben befinden, die gegen die Steuererhebung die beschränkte Erbenhaftung geltend machen wollen, vergleichbar (vgl. dazu BFH-Urteil vom 11. August 1998 VII R 118/95, BStBl II 1998, 705). In beiden Fällen kann von dem Steuerpflichtigen nicht verlangt werden, dass er die Vollstreckung abwartet, um sein Recht auf eine begrenzte Haftung mit einem bestimmten Vermögensteil geltend zu machen. Der Einwand des Beklagten, dass sich die Problematik einer eventuell nur begrenzten Vollstreckbarkeit gar nicht stelle, weil die Einkommensteuernachzahlung bereits entrichtet worden sei, ist deshalb unzutreffend.

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b) Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO liegen allerdings nicht vor. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO steht demjenigen, auf dessen Rechnung eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, ein Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags zu. Ein solcher Erstattungsanspruch wäre im vorliegenden Fall gegeben, wenn die Kläger das Finanzamt darauf verweisen könnten, dass die Steuererhebung auf diejenigen Gegenstände zu beschränken ist, die bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehörten und die dem Insolvenzschuldner mit der Beendigung zugefallen sind. Indes ist nach Auffassung des Senats eine Beschränkung auf eine bestimmte Vermögensmasse nicht gegeben. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

49

aa) Die in dem Einkommensteuerbescheid 2012 vom xx. Juni 2014 (später geändert durch Bescheid vom xx. September 2014) nachgeforderte Einkommensteuer und die damit zusammenhängenden Annexbeträge waren ursprünglich Masseverbindlichkeiten in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers.

50

aaa) Die nachgeforderte Einkommensteuer resultierte aus den anteilig dem Kläger zugerechneten Einkünften aus der „A & B GbR“ für das Jahr 2012. Der Kläger hatte seine Mitunternehmerstellung aufgrund der Insolvenz nicht verloren (BFH-Urteil vom 5. März 2008 X R 60/04, BStBl II 2008, 787; BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2014 X B 89/14, BFH/NV 2015, 470). Dementsprechend erzielte der Kläger – und nicht der Insolvenzverwalter - die im Streitjahr verwirklichten Einkünfte aus der GbR. Steuerrechtlich ist der Insolvenzschuldner der Steuerschuldner der während des Insolvenzverfahrens bezogenen Einkünfte (BFH-Urteil vom 23. August 1993 V B 135/91, BFH/NV 1994, 186; BFH-Urteil vom 6. Juli 2011 II R 34/10, BFH/NV 2012, 10).

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bbb) Die nach steuerrechtlichen Grundsätzen zu ermittelnde Einkommensteuer war allerdings für die Dauer den noch nicht abgeschlossenen Insolvenzverfahrens in verschiedene insolvenzrechtliche Forderungskategorien einzuordnen. Insolvenzforderungen (§§ 35 Abs. 1, 38, 87, 174 ff., 187 ff. InsO) sind solche Forderungen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet sind. Sonstige Masseverbindlichkeiten sind dagegen insbesondere Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die Abgrenzung richtet sich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Maßgeblich ist, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wird (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2014 X R 12/12, BStBl II 2016, 852; BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2014 X B 89/14, BFH/NV 2015, 470; BFH-Urteil vom 3. August 2016 X R 25/14, juris; BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2016 IV B 119/15, juris).

52

ccc) Nach diesen Grundsätzen ist auch die Einkommensteuer insolvenzrechtlich einzuordnen, die aus der anteiligen Zurechnung der Einkünfte der „A & B GbR“ resultierte. Betreffen Beteiligungseinkünfte – wie hier – den Zeitraum nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wird der Besteuerungstatbestand der Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Verbindung mit §§ 18 Abs. 4 Satz 2, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erst nach der Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und führt zu einer Masseverbindlichkeit. Dies gilt unabhängig davon, ob die Einkünfte aus der Beteiligung in die Insolvenzmasse geflossen sind (BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2014 X B 89/14, BFH/NV 2015, 470; BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 26/14, BStBl II 2016, 848; BFH-Urteil vom 16. Juli 2015 III R 32/13, BStBl II 2016, 251, Tz. 37 ff. bei juris; BFH-Urteil vom 3. August 2016 X R 25/14, juris; vgl. auch schon Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 28. Oktober 2008 - 13 K 457/07, EFG 2009, 486; BFH-Urteil vom 18. Mai 2010 X R 60/08, BStBl II 2011, 429 und BFH-Urteil vom 9. Dezember 2014 X R 12/12, BStBl II 2016, 852, Tz 45 f. bei juris).

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ddd) Eine explizite Handlung des Insolvenzverwalters im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO ist insoweit nicht notwendig. Unabhängig davon, dass die GbR bereits zum 31. Dezember 2010 aufgelöst worden war, wurde sie zum Zwecke der Abwicklung als Liquidationsgesellschaft fortgeführt. Der Gesellschaftsanteil an dieser Liquidationsgesellschaft war im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Teil der Insolvenzmasse, so dass die Insolvenzmasse an den Ergebnissen der Beteiligung teilhatte (ausführlich: BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 26/14, BStBl II 2016, 848; auch BFH-Urteil vom 16. Juli 2015 III R 32/13, BStBl II 2016, 251, Tz. 37 ff. bei juris; BFH-Urteil vom 3. August 2016 X R 25/14, juris). Die insoweit entstehende Einkommensteuer wird unabhängig von einer bestimmten Handlung des Insolvenzverwalters gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO „in anderer Weise“ durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet (BFH-Urteil vom 3. August 2016 X R 25/14, juris). Dabei geht die Verwaltung des Gesellschaftsanteils über eine - für die Begründung einer Masseverbindlichkeit nicht ausreichende - Duldung der selbständigen Tätigkeit hinaus (vgl. dazu BFH-Urteil vom 16. April 2015 III R 21/11, BStBl II 2016, 29; BFH-Urteil vom 16. Juli 2015 III R 32/13, BStBl II 2016, 251, Tz. 37 ff. bei juris; BFH-Urteil vom 18. September 2012 VIII R 47/09, BFH/NV 2013, 411; BFH-Urteil vom 18. Mai 2010 X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114). Die Einkommensteuer stellt daher eine Masseverbindlichkeit dar (Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Auflage, S. 75, 169, 172 f., 176; Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Auflage, Rz. 4.217).

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bb) Wären die auf den Kläger entfallenden Einkünfte aus der GbR und die daraus entstandene Einkommensteuer während des noch laufenden Insolvenzverfahrens bekannt geworden, hätte der Beklagte die Einkommensteuer durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festsetzen müssen. Der Insolvenzverwalter hätte die Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit vorweg aus der Insolvenzmasse befriedigen müssen (BFH-Urteil vom 16. April 2015 III R 21/11, BStBl II 2016, 29; BFH-Urteil vom 16. Juli 2015 III R 32/13, BStBl II 2016, 251; BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 26/14, BStBl II 2016, 848; BFH-Urteil vom 3. August 2016 X R 25/14, juris; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Auflage, S. 86; Roth Insolvenzsteuerrecht, 2. Auflage, Rz. 3.371 ff.). Daran ändert auch nichts, dass ein Insolvenzplan beschlossen worden ist. § 258 Abs. 2 Satz 1 InsO sieht ebenso wie § 53 InsO eine Vorwegbefriedigung der Masseverbindlichkeiten vor. In die vorrangige Rechtsstellung der Massegläubiger kann durch einen Insolvenzplan nur eingegriffen werden, wenn die Massegläubiger einer entsprechenden Regelung zustimmen (Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Auflage, Rz. 2.233; Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage, § 258, Rz. 10 f.; Abschnitt 61 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Durchführung der Vollstreckung nach der Abgabenordnung -VollstrA-). Im vorliegenden Fall enthält der Insolvenzplan aber keine Regelungen zu den Masseverbindlichkeiten. Dementsprechend hat der Insolvenzverwalter die bekannten Masseverbindlichkeiten vorab befriedigt. Erst danach wurde die Schlussverteilung nach Maßgabe des Insolvenzplans durchgeführt.

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cc) Die auf die anteiligen Einkünfte aus der GbR entfallende Einkommensteuer ist im Insolvenzverfahren nicht berücksichtigt worden. Die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2012 für die „A & B GbR“ ist erst am xx. Mai 2014 und damit nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ergangen. Der nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheid 2012 ist am xx. Juni 2014 ergangen und den Klägern bekannt gegeben worden. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 17. März 2015 (13 K 193/14) diese Handhabung als zutreffend bestätigt. Dafür war maßgeblich, dass der Kläger mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Massebestandteile zurück erhalten hatte und dass er ab der Aufhebung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich mit seinem gesamten Vermögen bis zur vollständigen Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten haftete. Der erkennende Senat hatte in seinem damaligen Urteil allerdings darauf hingewiesen, dass es umstritten sei, ob wegen der ehemaligen Masseverbindlichkeit nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in das gesamte Vermögen des ehemaligen Insolvenzschuldners vollstreckt werden dürfe, oder ob die Vollstreckung auf die Gegenstände beschränkt sei, die bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehörten und die dem Insolvenzschuldner mit der Beendigung zugefallen seien. In dem damaligen Urteil wurde diese Frage offen gelassen, weil es sich nicht um eine Problematik der Steuerfestsetzung handele, sondern um eine Frage der Steuererhebung.

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dd) Der erkennende Senat beantwortet die damals offen gelassene Frage nunmehr dahingehend, dass die Erhebung- und Vollstreckungsbefugnis des beklagten Finanzamts jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation nicht beschränkt ist.

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aaa) Zunächst ist klarzustellen, dass es sich bei der Fragestellung – wie bereits in dem Urteil vom 17. März 2015 vertreten – um eine Frage der Steuererhebung handelt. Hieran ändert auch das Urteil des BFH vom 22. Oktober 2014 (I R 39/13, BStBl II 2015, 577) nichts. Zwar hat der BFH in diesem Urteil die Auffassung vertreten, dass nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans eine nachinsolvenzliche Änderung einer vorinsolvenzlich erfolgten Körperschaftsteuerfestsetzung nicht mehr zulässig sei. Der entscheidende Unterschied zu der hier vorliegenden Fallkonstellation ist aber, dass es sich bei dem Fall des BFH um die nachträgliche Änderung einer Insolvenzforderung handelte, die von der gestaltenden Wirkung des Insolvenzplans erfasst wurde. Der Insolvenzplan bildete die neue Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen. Eine geänderte Festsetzung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens war vor diesem Hintergrund nicht mehr zulässig. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um Insolvenzforderungen sondern um Masseverbindlichkeiten, die von den gestaltenden Wirkungen des Insolvenzplans gerade nicht erfasst worden sind. Die hier streitige insolvenzimmanente Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung führt nicht zum Erlöschen des Steueranspruchs und damit zu einem Festsetzungsverbot. Sie beschränkt nur die Durchsetzbarkeit der Steuerforderung und wandelt diese in eine unvollkommene Forderung um (nicht vollziehbare Naturalobligation). Sie ist zwar erfüllbar, kann aber gegen den Schuldner nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Mai 2013 VII R 2/12, BFH/NV 2013, 1543; Abschnitt 61 Abs. 6 VollstrA; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Auflage, S. 344: jeweils zum Insolvenzplan). Deshalb kann die Frage, ob eine Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung besteht, nicht im Festsetzungsverfahren sondern nur im Abrechnungsverfahren geklärt werden (ebenso: Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 12. Juli 2013 - 3 K 436/12, EFG 2013, 1985; Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Auflage, Rz. 3.206: Steuerbescheid zulässig, nur Vollstreckungshindernis). Es verhält sich danach ähnlich, wie in den Fällen der beschränkten Erbenhaftung, deren Umfang ebenfalls im Abrechnungsverfahren geprüft wird (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 2015 VII R 35/13, BStBl II 2016, 372).

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bbb) Nach der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung und Literatur beschränkt sich die Haftung des früheren Insolvenzschuldners für frühere Masseverbindlichkeiten, die während des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf die Gegenstände, die bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehörten und die dem Schuldner im Zusammenhang mit der Beendigung zugefallen sind. Es handelt sich um eine dem Insolvenzverfahren immanente Haftungsbeschränkung (BGH-Urteil vom 24. September 2009 IX ZR 234/07, NZI 2009, 841 m.w.N.; Braun, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 201, Rz. 4 (Bearbeiter P.) und § 206, Rz. 5 (Bearbeiter K.); Hintzen in Münchener Kommentar InsO, 3. Auflage, § 201, Rz. 16 und § 206, Rz. 8; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Auflage, § 201, Rz. 17 und § 206, Rz. 12; Karsten Schmidt, Insolvenzordnung, 18. Auflage, § 258, Rz. 14; Kübler/ Prütting/ Bork, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 206, Rz. 4; Haarmeyer/ Wutzke/ Förster, Präsenzkommentar zur Insolvenzordnung, Stand: 01.01.2010, § 201, Rz. 15; einschränkend: Kießner in Wimmer, Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Auflage, § 201, Rz. 5 und § 206, Rz. 4; ebenfalls einschränkend: Depré in Kreft, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 201, Rz. 3 und § 206, Rz. 4).

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ccc) Diese Beschränkung soll nach einer Literaturauffassung auch für Steuerforderungen gelten, die während des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten darstellen (Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Auflage, Rz. 3.206 und Rz. 3.388; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Auflage, S. 176; wohl auch Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 12. Juli 2013 – 3 K 436/12, EFG 2013, 1985). Dagegen ist die Finanzverwaltung der Auffassung, dass während des Bestehens des Insolvenzverfahrens begründete Steuerschulden nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens mangels gegenteiliger gesetzlicher Regelungen gegenüber dem Steuerpflichtigen geltend gemacht und auch vollstreckt werden können (Anwendungserlass zur Abgabenordnung 2016 - AEAO - zu § 251 AO Nr. 14).

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ddd) Die Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung wird in der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung und Literatur damit gerechtfertigt, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beschränkt ist (§ 80 Abs. 1 InsO). Deshalb könne der Insolvenzverwalter den Insolvenzschuldner nur im Hinblick auf die Gegenstände der Masse verpflichten. Der Insolvenzschuldner könne für Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter eingegangen sei, nicht mit Vermögen haften, das nicht Bestandteil der Insolvenzmasse gewesen sei (vgl. BGH-Urteil vom 24. September 2009 IX ZR 234/07, NZI 2009, 841; Urteil des OLG Stuttgart vom 13. Juni 2007 – 5 W 11/07, NZI 2007, 527, Tz. 15 bei juris; Hintzen in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Auflage, § 201, Rz. 16; vgl. auch schon BGH-Urteil vom 25. November 1954 IV ZR 81/54, NJW 1955, 339, Tz 28 bei juris). Diese Herleitung der Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung führt zu einer wesentlichen Einschränkung derselben: Für sogenannten oktroyierte Masseverbindlichkeiten, die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, verbleibt es bei der unbeschränkten Haftung des Insolvenzschuldners (BGH-Urteil vom 28. Juni 2007 IX ZR 73/06, NZI 2007, 670; Depré in Kreft, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 201, Rz. 3; Kießner in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Auflage, § 201 Rz. 6; Pehl in Braun, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 201, Rz. 3). Dies beruht darauf, dass diese Masseverbindlichkeiten nicht auf einer verpflichtenden Handlung des Insolvenzverwalters beruhen, sondern aus der Handlungs- und Verfügungssphäre des Insolvenzschuldners stammen (vgl. § 90 Abs. 1 InsO). Wird von dem Insolvenzschuldner beispielsweise vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Mietvertrag abgeschlossen, der zu Mietverbindlichkeiten führt, die auch noch während des Insolvenzverfahrens entstehen, spricht nichts dagegen, den Insolvenzschuldner für solche Verbindlichkeiten weiter haften zu lassen (vgl. BGH-Urteil vom 28. Juni 2007 IX ZR 73/06, NZI 2007, 670; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Auflage, § 201, Rz. 18). Dies gilt aber nur für Masseverbindlichkeiten, die bis zu dem Zeitpunkt erwachsen, zu dem der Insolvenzverwalter das Rechtsverhältnis hätte beenden können (Urteil des OLG Stuttgart vom 13. Juni 2007 – 5 W 11/07, NZI 2007, 527; Kießner in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Auflage, § 201 Rz. 6; Pehl in Braun, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 201, Rz. 5).

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eee) Diese Rechtsgrundsätze, denen sich der erkennende Senat vollumfänglich anschließt, bedeuten für den vorliegenden Fall, dass keine Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung anzunehmen ist. Die streitigen Einkünfte aus der GbR beruhten darauf, dass der Kläger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Gesellschaftsverhältnis eingegangen ist. Eine einkünftebegründende Handlung des Insolvenzverwalters ist nicht ersichtlich (so auch Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Auflage, Rz. 3.373, zu § 90 InsO). Der Insolvenzverwalter hat lediglich den zur Insolvenzmasse gehörenden Gesellschaftsanteil verwaltet. Er hatte auch keine Möglichkeit, sich vor dem Entstehen der Masseverbindlichkeit (der Einkommensteuer 2012) aus dem Gesellschaftsverhältnis zu lösen: Die Gesellschaft war bereits seit dem xx. Dezember 2010 aufgelöst. Die Einkünfte aus der Abwicklungsgesellschaft wären auch dann angefallen, wenn der Insolvenzverwalter sofort nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Gesellschaftsverhältnis (nochmals) gekündigt hätte. Bei einer derartigen Fallkonstellation nimmt auch die insolvenzrechtliche Rechtsprechung und Literatur keine Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung an. Dies gilt unabhängig davon, dass die Einkommensteuer 2012 erst während des Insolvenzverfahrens „begründet“ worden ist. Denn die Rechtshandlungen, die die Zurechnung der erzielten Einkünfte zum Kläger rechtfertigen, wurden vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – durch den Kläger und nicht durch den Insolvenzverwalter - vorgenommen.

62

fff) Es verbleibt deshalb bei dem Grundsatz, dass mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die haftungsmäßige Trennung zwischen Insolvenzmasse und insolvenzfreiem Vermögen sowie die Trennung zwischen Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und Neuforderungen entfällt. Der Kläger haftet als früherer Insolvenzschuldner ab der Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit seinem gesamten Vermögen bis zur vollständigen Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten (BGH-Urteil vom 28. Juni 2007 IX ZR 73/06, NZI 2007, 670; OLG Stuttgart vom 13. Juni 2007 - 5 W 11/07 NZI 2007, 527; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Auflage, § 201, Rz. 18; Depré in Kreft, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 201, Rz. 3; vgl. auch schon BGH-Urteil vom 30. Oktober 1967 VIII ZR 176/65, NJW 1968, 300, Tz 16 bei juris). Für Masseverbindlichkeiten greift § 201 Abs. 1 InsO zwar nicht ein (Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Auflage, § 201, Rz. 17; Hintzen in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Auflage, § 201 Rz. 15). Da der frühere Insolvenzschuldner aber die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen wiedererlangt hat, hat er ab diesem Zeitpunkt – vorbehaltlich der hier verneinten Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkungen - auch für die darauf lastenden Verbindlichkeiten einzustehen (Pehl in Braun, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 201, Rz. 3; Kießner in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Auflage, § 201, Rz. 4; Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage, § 259, Rz. 11 und 14).

63

ggg) Dieses Ergebnis ist auch nicht vor dem Hintergrund zweifelhaft, dass die Insolvenzmasse zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger nicht ausgereicht hat. Insoweit ist herauszustellen, dass die Einkommensteuer 2012 als Masseverbindlichkeit auch im Insolvenzplanverfahren gemäß § 258 Abs. 2 Satz 1 InsO vorab zu befriedigen war (vgl. Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage, § 258, Rz. 11). Wenn die aus den Einkünften aus der GbR resultierende Einkommensteuer 2012 während des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt worden wäre, hätte dieser die Einkommensteuer vorab begleichen müssen, bevor die Verteilung des Restvermögens an die Insolvenzgläubiger stattgefunden hätte. Dass dies nicht geschehen ist, führte zu einer Bereicherung der Insolvenzgläubiger, die eine höhere Quote erhielten, als dies der Fall gewesen wäre, wenn die Einkommensteuer 2012 rechtzeitig in der zutreffenden Höhe festgesetzt worden wäre. Indes gibt § 206 InsO vor, dass sich der Massegläubiger nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht an die bereicherten Insolvenzgläubiger halten kann. Der zutreffende Anspruchsgegner ist der Insolvenzschuldner (Hintzen in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Auflage, § 206, Rz. 8; Depré in Kreft, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 206, Rz. 4; Kießner in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Auflage, § 206, Rz. 4; Kübler/ Prütting/ Bork, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 206, Rz. 4; Jungmann in Karsten Schmidt, 18. Auflage, § 206, Rz. 4, allerdings mit einer unzutreffenden Verwendung des Begriffs der oktroyierten Masseverbindlichkeit). Ihm gegenüber ist die erhöhte Einkommensteuer 2012 festzusetzen. Er hat die aus dem von ihm eingegangenen Gesellschaftsverhältnis resultierende Einkommensteuer zu tragen.

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hhh) Dieses Ergebnis ist auch deshalb zutreffend, weil es nicht sein kann, dass der Zeitpunkt der Festsetzung der erhöhten Einkommensteuer 2012 darüber entscheidet, ob der Nachforderungsbetrag noch erhoben werden kann. Hätte das beklagte Finanzamt die höhere Festsetzung bereits während des Insolvenzverfahrens vorgenommen, wäre sie wegen ihres Charakters als Masseverbindlichkeit vorab in vollständiger Höhe befriedigt worden (§ 258 Abs. 2 Satz 1 InsO). Eine Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens hätte zur Folge, dass die spätere Festsetzung, die von Zufälligkeiten abhängt, dazu führt, dass das beklagte Finanzamt nicht mehr befriedigt wird. Ein solches Ergebnis würde sogar einen Anreiz dafür geben, dass der Insolvenzschuldner bewusst die Festsetzung verzögert, um die erhöhte Einkommensteuer nicht mehr begleichen zu müssen.

65

iii) Das gefundene Ergebnis erreicht, dass auch aus Sicht des Insolvenzschuldners im Verhältnis zu dem beklagten Finanzamt kein Unterschied besteht, ob die Einkommensteuer 2012 während des Insolvenzverfahrens oder nach Abschluss des Insolvenzverfahrens festgesetzt wird. In beiden Fällen ist die Einkommensteuer 2012 vollständig zu begleichen: Entweder während des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit, vorab vor der Befriedigung der Insolvenzgläubiger oder nach Abschluss des Insolvenzverfahrens im Rahmen der wiederhergestellten alleinigen Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Klägers. Vor diesem Hintergrund hält der Senat Überlegungen in der Literatur, dass die auf den Gesellschaftsanteil entfallende Einkommensteuer gemäß § 163 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sei (so Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Auflage, Rz. 4.217), für unzutreffend. Dass das Restvermögen der Insolvenzmasse im Zeitpunkt der Schlussverteilung zu hoch war und die Insolvenzgläubiger jeweils eine zu hohe Quote erhalten haben, ist keine Frage, die das Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem beklagten Finanzamt betrifft.

66

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

67

IV. Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), wird die Revision zugelassen.

 


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