Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm - 8 Sa 1110/14
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 17.06.2014 – 2 Ca 267/13 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 24.480,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2013 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses weiter darüber, ob ein einzelvertraglich begründeter Tantiemeanspruch der Klägerin durch Bestimmungen ihres Aufhebungsvertrages ausgeschlossen ist.
3Die Klägerin war seit dem 01.01.2000 bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag zuletzt ein schriftlicher, im Dezember 2006 errichteter Arbeitsvertrag zugrunde (Bl. 6 ff d. A.), auf den der Einzelheiten wegen Bezug genommen wird. Danach fungierte die Klägerin als „Leiterin Human Resources EU“, wobei diese Funktion mit der Erteilung einer Gesamtprokura und der Zugehörigkeit zum sog. „Führungskreis 3“ verbunden war. In diesem Arbeitsvertrag war unter „III. Bezüge:“ folgendes bestimmt:
4Frau T erhält ein Jahresgrundgehalt von
5a) brutto € 115.000 ab 01.12.2006 (anteilig)
6b) brutto € 120.000 ab 01.01.2008
7Die Zahlung erfolgt in zwölf monatlichen Teilbeträgen jeweils zum
8Ende eines Monats.
9Für das Jahr 2006 erfolgt die Gehaltszahlung pro rata temporis.
10Daneben gilt die dem Vertrag als Anlage 3 beigefügte Tantieme-regelung für Führungskräfte der Gesellschaft in ihrer jeweils gültigen Fassung, soweit dieser Vertrag nicht ausdrücklich abweichende Regelungen enthält.
11Das Bruttojahresgehalt umfasst alle Entgeltleistungen, welche die Gesellschaft üblicherweise aufgrund von Gesetzen, Verordnungen oder ähnlichen Regelungen oder Richtlinien gewährt.
12…
13Das zwischenzeitlich erhöhte Grundgehalt der Klägerin betrug zuletzt 122.400,00 € (12 x 10.200,00 €). Die vertraglich einbezogene Tantiemeregelung für die Mitglieder des Führungskreises 3, Anlage 3 zum Arbeitsvertrag (Bl. 12 ff d. A.), auf die der Einzelheiten wegen vollinhaltlich Bezug genommen wird, sah vor, dass eine Jahrestantieme von bis zu 40 % des Jahresgrundgehalts erreicht werden konnte, wovon die Hälfte (20 %) auf die persönliche Zielerreichung und je 10 % auf die Entwicklung der Umsatzrendite und der Wachstumsrate des Unternehmensbereichs bezogen waren. Hierzu ist unstreitig, dass die Klägerin ihre persönlichen Ziele für das Jahr 2011 vollständig erreicht hat, während der Unternehmensbereich eine negative Umsatzrendite erzielte, die jedoch rund 30 % unterhalb des insoweit geplanten Minusbetrages blieb.
14Im Hinblick auf die negative Umsatzrendite 2011 vertrat die Beklagte zunächst den Standpunkt, dass ihren tantiemeberechtigten Führungskräften für das Jahr 2011 keine Zahlung insoweit zustehe. Nach Intervention des Betriebsrats im Frühsommer 2012 revidierte sie diese Haltung für die Mitglieder der Führungskreise 4 und 5, für die gesonderte Tantiemeregelungen bestanden, während sie einen Anspruch der Mitglieder des Führungskreises 3 weiter negierte.
15Zuvor, unter dem 21.12.2011 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag mit Wirkung zum 31.12.2012 (Bl. 80/81 d. A.), auf den Bezug genommen wird. Dort ist unter anderem folgendes bestimmt:
16- 1.17
Beendigung
N und Frau T sind sich darüber einig, dass der zwischen ihnen bestehende Anstellungsvertrag auf Veranlassung von N, zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung, unter Beachtung der vereinbarten Kündigungsfristen mit dem Ablauf des 31.12.2012 endet. Bis zu diesem Zeitpunkt wird Frau T ihr Gehalt weiter beziehen, sofern sie das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 31.12.2012 beendet. Für jeden Monat der Beendigung vor dem 31.12.2012 – allerdings frühestens ab dem 01.07.2012 – erhält Frau T ein zusätzliches halbes Monatsgehalt als Abfindung.
19- 2.20
Abfindung
Frau T erhält als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 92.820,00 €. Die Auszahlung ist sofort fällig und vererblich und erfolgt mit der letzten Gehaltsabrechnung unter Berücksichtigung der aktuellen steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.
22- 3.23
Freistellung
Das Unternehmen behält sich vor, Frau T nach erfolgter Übergabe ihrer Tätigkeiten, unter Anrechnung von Urlaubs- und Freizeitstunden widerruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen. Im Falle einer Freistellung hat Frau T keinen Anspruch auf eine Tantieme für das Jahr 2012.
25…
26- 6.27
Ausgleichsklausel
Mit Beendigung des Anstellungsvertrages und Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung, ob bekannt oder unbekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten. Davon ausgenommen ist der Anspruch auf ordnungsgemäße Ausfüllung, die Aushändigung der Arbeitspapiere sowie die bereits erworbenen Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung. Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Über diese Vereinbarung ist Stillschweigen zu wahren.
29…
30Dieser Aufhebungsvertrag beruht auf einem Entwurf der Klägerin, wobei die Regelung zum Wegfall des Tantiemeanspruchs für das Jahr 2012 im Falle der Freistellung unter Ziffer 3 auf Betreiben der Beklagten ergänzt worden ist.
31Mit ihrer am 26.02.2013 bei Gericht eingegangenen Klage, die am 01.03.2013 zugestellt worden ist, verfolgt die Klägerin den auf die Erreichung ihrer persönlichen Ziele gestützten und beschränkten Tantiemeanspruch für das Jahr 2011 (20 % des Jahresgrundgehalts) auf dem Rechtsweg. Gegen diesen hat sich die Beklagte zunächst damit verteidigt, dass ein auf die einschlägige Tantiemeregelung gestützter Anspruch wegen der Erreichung persönlicher Ziele nur dann entstehe, wenn im Bezugszeitraum zugleich eine Umsatzrendite und ein Wachstum von zumindest 4 % erreicht werde, was für das Geschäftsjahr 2011 unstreitig nicht der Fall gewesen sei.
32Nachdem die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm mit Urteil vom 07.03.2014 – 10 Sa 221/13 – unter Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts Minden vom 16.01.2013 – 3 Ca 969/12 – einem anderen Mitglied des Führungskreises 3 bei identischer Vertragslage den auf die persönliche Zielerreichung entfallenden Teil der Jahrestantieme 2011 rechtskräftig zugesprochen hat, nahm die Beklagte zur Abwendung des vorliegend streitgegenständlichen Anspruchs mit Schriftsatz vom 02.06.2014 auf die Regelung zu Ziffer 6 des Aufhebungsvertrages Bezug.
33Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
34die Beklagte zu verurteilen, an sie 24.480,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2013 zu zahlen.
35Die Beklagte hat beantragt,
36die Klage abzuweisen.
37Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.06.2014 – 2 Ca 267/13 – abgewiesen. Wenngleich mit der angesprochenen Entscheidung des LAG Hamm in dem Parallelverfahren davon ausgegangen werde, dass ein Tantiemeanspruch der geltend gemachten Höhe für das Jahr 2011 entstanden sei, müsse dieser im konkreten Fall nach Ziffer 6 des Aufhebungsvertrages vom 21.12.2011 als ausgeschlossen betrachtet werden. Insoweit hätten die Parteien ein negatives Schuldanerkenntnis begründet, welches im Interesse der beidseits gewollten abschließenden Regelung der finanziellen Fragen des auslaufenden Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag weit auszulegen sei. Der Tantiemeanspruch sei nicht Teil des unter Ziffer 1 angesprochenen, bis zum 31.12.2012 zu zahlenden Gehalts, welches nur das Grundgehalt einschließe. Ferner postuliere Ziffer 6 ausdrücklich einen Katalog von der Ausgleichsklausel nicht erfasster Ansprüche, in den die Jahrestantieme 2011 gerade nicht aufgenommen worden sei, was ebenfalls auf einen Willen zum Ausschluss dieses Anspruchs hinweise.
38Gegen dieses ihr am 08.07.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.08.2014 Berufung eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 02.09.2014, der am 04.09.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, begründet.
39Das Arbeitsgericht habe die Ausgleichsklausel des Aufhebungsvertrages in anspruchsschädlicher Weise zu weit ausgelegt. Diese greife erst mit der Erfüllung der Ansprüche aus dem Aufhebungsvertrag, zu denen nach der Regelung der dortigen Ziffer 1 Satz 2 die Gehaltszahlung bis zum 31.12.2012 gehöre, deren Teil der Tantiemeanspruch 2011 sei. Die Bezügeregelung des Arbeitsvertrages (dort III.) differenziere zwischen dem Jahresgrundgehalt und einem erfolgsbezogenen Gehaltsbestandteil mit besonderer Fälligkeit, der Tantieme, womit erkennbar beide Komponenten dem Gehaltsbegriff des Aufhebungsvertrags zuzuordnen seien. Ferner zeige die gesonderte Regelung zur Tantieme 2012 im Kontext der Freistellungsregelung, dass man im Übrigen nicht von einem Ausschluss der Tantiemeansprüche durch den Aufhebungsvertrag ausgegangen sei. Diese sei zudem – was unstreitig ist – erst auf Intervention des Leiters „Rechts- und Personalpolitik“ der Beklagten aufgenommen worden, wozu bei anderem Verständnis der Ausschlussklausel kein Anlass bestanden habe.
40Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 17.06.2014 – 2 Ca 267/13 – abzuändern und
41die Beklagte zu verurteilen, an sie 24.480,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2013 zu zahlen.
42Die Beklagte beantragt,
43die Berufung zurückzuweisen.
44Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Dieses habe die Ausschlussklausel in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts weit ausgelegt und auf diese Weise ein ebenso nachvollziehbares wie zutreffendes Ergebnis gefunden.
45Die Diskussion der Frage des Tantiemeanspruchs 2012 bei Abschluss des Aufhebungsvertrages zeige gerade, dass auch bezüglich aller Tantiemeansprüche eine insgesamt abschließende Regelung gefunden werden sollte. In diesem Kontext habe die Klägerin die Ansprüche für 2011 gar nicht thematisiert, obwohl sie als Führungskraft bereits bei Abschluss des Aufhebungsvertrages im Dezember 2011 in Kenntnis der zu erwartenden Geschäftsergebnisse habe davon ausgehen müssen, dass insoweit keine Zahlung erfolgen werde, wenngleich dies erst im Sommer 2012 verbindlich mitgeteilt worden sei.
46Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 08.01.2015 war, sowie auf die tatbestandlichen Feststellungen erster Instanz Bezug genommen.
47Entscheidungsgründe
48Die Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.
49I.
50Die gem. § 64 Abs. 1 u. 2b ArbGG statthafte Berufung ist zulässig. Die Klägerin hat das Rechtsmittel insbesondere nach § 66 Abs. 1 S. 1 u. 2 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
51II.
52Die Berufung der Klägerin ist begründet.
531. Für das Geschäftsjahr 2011 ist gestützt auf Ziffer III Abs. 4 des Arbeitsvertrages i. V. m. dessen Anlage 3, Tantiemeregelung für Mitglieder des Führungskreises 3, ein Zahlungsanspruch in der geltend gemachten Höhe (20 % des Jahresgrundgehalts) entstanden, weil die Klägerin im Bezugsjahr ihre persönlichen Ziele vollständig erreicht hat. Die Auffassung der Beklagten, dass dieser Teil des Tantiemeanspruchs ein paralleles Erreichen bestimmter Rendite- und Wachstumswerte voraussetzt, findet in der einbezogenen Tantiemeregelung keine rechtlich hinreichende Begründung. Da dieser Gesichtspunkt zweitinstanzlich von der Beklagten nicht wieder aufgegriffen und weiter vertieft worden ist, beschränkt sich die Berufungskammer insoweit darauf, sich nach § 69 Abs. 3 ArbGG ausdrücklich den zutreffenden Erwägungen der 10. Kammer des Hauses im Urteil vom 07.03.2014 – 10 Sa 221/13 – anzuschließen, die einen insoweit rechtlich gleich gelagerten Sachverhalt betrifft und die den Parteien bekannt ist.
542. Dieser Anspruch ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durch eine unter dem 21.12.2011 vereinbarte Ausgleichsklausel ausgeschlossen worden, was zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung führen muss. Die Auslegung der Ziffern 6 und 1 des Aufhebungsvertrages ergibt nämlich, das sämtliche bis zum Beendigungszeitpunkt entstehenden Gehalts- bzw. Entgeltansprüche der Klägerin unberührt bleiben sollten, was ihren Tantiemeanspruch für das Geschäftsjahr 2011 einschließt.
55a) Die Rechtsqualität und die Reichweite von vertraglich vereinbarten Ausgleichsklauseln sind durch Auslegung nach den Regeln der §§ 137, 157 BGB zu ermitteln. Diese Klauseln dienen den Parteien regelmäßig als Mittel, ihre Rechtsbeziehung umfassend zu klären. Als rechtstechnische Instrumente zur Umsetzung dieses Willens kommen – mit unterschiedlichen Rechtsfolgen – der Erlassvertrag, das konstitutive oder das deklaratorische Schuldanerkenntnis in positiver wie in negativer Variante bzw. Mischformen in Betracht (BAG, Urteil vom 22.10.2008 – 10 AZR 617/07 – AP Nr. 82 zu § 74 HGB). Ein Erlassvertrag liegt vor, wenn die Parteien übereinstimmend vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, die nach übereinstimmenden Willen nicht mehr erfüllt werden soll. Ist der Wille der Parteien hingegen darauf gerichtet, alle oder bestimmte Gruppen von bekannten und / oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen, erfolgt dies regelmäßig im Wege eines konstitutiv-negativen Schuldanerkenntnisses. Soll demgegenüber lediglich die von den Parteien angenommene Rechtslage dokumentiert und damit zugleich fixiert werden, ist von einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis auszugehen (zu allem: BAG, Urteil vom 22.10.2008, aaO).
56Bei der Auslegung von Ausgleichsklauseln eines Vergleichs oder Aufhebungsvertrags muss – im Sinne einer Auslegungsregel – berücksichtigt werden, dass die Parteien damit im Regelfall eine abschließende Regelung und Bereinigung ihrer Ansprüche anstreben, was grundsätzliche deren weite Auslegung gebietet (BAG, aaO). Zu einer weiten Auslegung besteht aber nach Auffassung der Berufungskammer nur dann Anlass, wenn Zweifel über Inhalt oder Reichweite der Ausgleichsklausel bestehen. Ist hingegen klar zu ermitteln, welche Ansprüche nach dem Willen der Parteien begründet sind bzw. bestehen bleiben oder untergehen sollen, bedarf es einer solchen im Einklang mit der zitieren Rechtsprechung nicht, weil Ziel der Auslegung stets die Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien ist.
57b) Für die Auslegung von Verträgen und empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist nach §§ 133, 157 BGB maßgebend, wie die Erklärung oder Regelung nach dem Maßstab und den Verständnismöglichkeiten eines objektiven Empfängers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstanden werden musste. Grundlage der Auslegung ist der Wortlaut der Erklärung, Regelung oder Norm. Nach der Ermittlung des Wortsinns anhand des Wortlauts sind in einem zweiten Schritt die außerhalb der Erklärung liegenden Begleitumstände zu berücksichtigen. Dies sind vor allem die Entstehungsgeschichte und Äußerungen der Parteien über den Inhalt des (beabsichtigten) Rechtsgeschäfts (Palandt/Ellenberger, 72. Auflage 2013, § 133 BGB, Rn 16/17 m. w. N.). Zu berücksichtigen sind aber nur solche Umstände, die für den Empfänger bei Zugang der Willenserklärung bereits erkennbar waren, danach eintretende Umstände bleiben regelmäßig ohne Relevanz (BGH, Urteil vom 24.06.1988 – ZR 49/87 – NJW 1988, S. 2878 ff). Berücksichtigt werden kann allerdings das nachträgliche Verhalten der Parteien, soweit es Rückschlüsse auf das tatsächliche Verständnis oder den tatsächlichen Willen der am Rechtsgeschäft beteiligten Parteien bei dessen Vornahme zulässt (BGH, aaO). In den Auslegungsprozess ist – bei Verträgen neben systematischen Gesichtspunkten – letztlich einzustellen, welche Interessenlage die Parteien für die andere Seite erkennbar geleitet hat und welcher Zweck jeweils mit dem Rechtsgeschäft verfolgt wird.
58c) Nach dem Wortlaut der vorliegenden Ausgleichsklausel zu Ziffer 6 Satz 1 des Aufhebungsvertrages „und Erfüllung dieser Vereinbarung“ erfasst diese Regelung solche Ansprüche, die in dem Vertragswerk zugunsten der einen wie der anderen Partei festgeschrieben sind, ausdrücklich nicht. Dies ergibt sich zugleich daraus, dass die Parteien einer Auflösungsvereinbarung regelmäßig dort nicht Ansprüche begründen und zugleich wieder ausschließen wollen, was zum einen ihrem Klärungsinteresse entgegen liefe und zum anderen mit der Begründung von Widersprüchlichkeiten verbunden wäre, die regelmäßig nicht gewollt sind. Gemäß dortiger Ziffer 1 Satz 2 sollte die Klägerin ihr „Gehalt“ bis zur ggf. vorzeitigen Beendigung, längstens aber bis zum fixierten spätesten Auflösungstermin (31.12.2012) weiter beziehen, womit alle bis zum Beendigungszeitpunkt entstehenden Gehaltsansprüche im Sinne des Aufhebungsvertrages ausdrücklich unberührt bleiben sollten. Da der Aufhebungsvertrag den Begriff des Gehalts nicht selbst definiert, wollten die Parteien insoweit erkennbar an den allgemeinen Gehaltsbegriff unter Berücksichtigung ihrer im Arbeitsvertrag aus Dezember 2006 dazu getroffenen Regelungen anknüpfen.
59Nach III. Absatz 1 des Arbeitsvertrages erhielt die Klägerin zunächst ein „Jahresgrundgehalt“ wobei die Wortwahl impliziert, dass es daneben noch weitere Gehaltsbestandteile geben sollte, weil bei nur einer Gehaltskomponente eine erkennbar der Differenzierung von Bestandteilen dienende (Zusatz-)Bezeichnung überflüssig gewesen wäre. Als danach vorausgesetzter, weiterer Gehaltsbestandteil kommt – was der Einordnung in dieselbe Vertragsnorm wegen zudem vertragssystematisch naheliegt – der unter Ziffer III Absatz 4 genannte Tantiemeanspruch in Betracht, der ausdrücklich „daneben“ also als weiterer Baustein des Gesamtentgelts fungieren sollte. Für diese Auslegung spricht, dass Ziffer III Absatz 5 ein „Bruttojahresgehalt“ definierte, welches alle „Entgeltleistungen“ umfassen sollte, womit die Tantieme sich als Teil des klägerischen Gehalts darstellt.
60Damit korrespondiert, dass eine Tantiemeleistung, die am geschäftlichen Erfolg des Arbeitgebers im Ganzen orientiert ist, sich auch grundsätzlich als Teil des individuellen Arbeitsentgelts darstellt, weil ihr Anspruchsgrund, anders als etwa bei einer reinen Gratifikation, des durch sie honorierten Arbeitnehmerbeitrags zum Erfolg wegen im Austauschverhältnis von Arbeitsleistung und Entgelt angesiedelt ist (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 15. Auflage 2013, § 76, Rn 1 m. w. N.). Damit ist sie als erfolgsbezogener Vergütungs- oder Entgeltbestandteil – losgelöst vom konkreten Vertrag – im Allgemeinen ebenfalls als Gehaltsbestandteil des Angestellten einzuordnen.
61Da die Parteien unter Ziffer 1 des Aufhebungsvertrages eine Gehaltsregelung für das voraussichtlich noch rund ein Jahr laufende Arbeitsverhältnis getroffen und unter Ziffer 2 eine ggf. nach Ziffer 1 Satz 3 noch aufzustockende Abfindungshöhe vereinbart haben, kommt der Regelung zu Ziffer 6 Satz 1 unter Berücksichtigung der aus den Unwägbarkeiten des weiteren Verlaufs resultierenden Interessenlage der Parteien der Rechtscharakter eines deklaratorisch-negativen Schuldanerkenntnissen zu. Diese Klausel lässt nämlich im Gesamtkontext des Aufhebungsvertrages erkennen, dass die Parteien die finanziellen Fragen noch flexibel, gleichwohl aber abschließend geregelt zu haben glaubten, soweit sie – anders als ggf. bei Ansprüchen aus betrieblicher Altersversorgung – überhaupt der Regelung durch die Parteien zugänglich waren, womit sich die entsprechende Ausnahmeregelung unter Ziffer 6 Satz 2 harmonisch in den hier beschriebenen Rechtscharakter der Ausgleichsklausel einfügt.
62Unter dieser Voraussetzung kann nicht angenommen werden, dass die Klägerin mit der Regelung zu Ziffer 6 Satz 1 einen bei Vertragsabschluss schon verdienten Tantiemeanspruch für das Jahr 2011 negativ-konstitutiv gestalten oder der Beklagten einen solchen gar erlassen wollte. Für einen derartigen, in den gemeinsamen Willen der Parteien aufgegangenen Willen der Klägerin, die den Aufhebungsvertrag gestaltet hat, fehlt vielmehr schon im Ansatz jedweder tatsächlicher Anhaltspunkt. Insbesondere hatte die Klägerin keinen erkennbaren Anlass, bereits gegen Ende 2011 den an die Erreichung persönlicher Ziele gebundenen Teil des Tantiemeanspruchs aufzugeben. Bei damals rechtlich mindestens offen erscheinender Auslegungsmöglichkeit der Tantiemeregelung insoweit und mangels konkreter Verlautbarung der Beklagten musste zu dieser Frage schlicht noch kein konkreter Standpunkt entwickelt werden, weshalb eine Verlautbarung hierzu nicht erwartet und folglich auch nicht in die Ausgleichsklausel hineininterpretiert werden konnte.
63Dafür, dass auch die Beklagte erkennen musste und erkannt hat, dass die Aufhebungsvereinbarung Tantiemeansprüche unberührt lässt, sprechen ferner die Entstehungsgeschichte des Vertrages und seine Gestaltung im Übrigen. Hätte sich, aus der Sicht der Beklagten, der Wille der Klägerin Tantiemeansprüche ausschließen zu wollen bereits aus der Ziffer 6 des Aufhebungsvertrages oder deren Zusammenspiel mit dem Gehaltsbegriff der Ziffer 1 ergeben, so wäre eine Intervention zwecks Aufnahme einer gesonderten, negativ-konstitutiven Tantiemeregelung für das Jahr 2012 im Kontext der Freistellungsoption zu Ziffer 3 gerade nicht erforderlich gewesen. Der Ergänzungswunsch der Beklagten an dieser Stelle lässt vielmehr im Gegenteil den Rückschluss darauf zu, dass sie – zutreffender Weise – einen Ausschluss von Tantiemeansprüchen durch den Aufhebungsvertrag nach dem Entwurf der Klägerin gerade nicht angenommen hat.
64Für dieses Auslegungsergebnis der Berufungskammer spricht letztlich auch das Verhalten der Beklagten nach Vertragsschluss. So hat sich die Beklagte gegen die ihr im März 2013 zugestellte Tantiemeklage zunächst ausschließlich mit ihrer Auslegung der Tantiemeregelung verteidigt, obwohl ihr das Arbeitsgericht bereits mit Beschluss vom 18.03.2013 aufgegeben hatte, sämtliche Einwendungen gegen die Klageforderung darzulegen. Erst nach dem Bekanntwerden der zitierten Entscheidung der 10. Kammer vom 07.03.2014 hat sie mit Schriftsatz vom 02.06.2014 den Aufhebungsvertrag in das Verfahren eingeführt und mit einem Anspruchsausschluss durch die dortige Ausgleichsklausel argumentiert, was darauf schließen lässt, dass sie der Ausgleichsklausel im Hinblick auf die vorliegend streitige Tantiemeforderung zunächst – zutreffend – keine Bedeutung beigemessen hat.
653. Der Zinsanspruch folgt nach Grund und Höhe aus §§ 291, 288 BGB.
66III.
67Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
68Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich. Der Rechtsstreit wirft weder entscheidungserhebliche Fragen grundsätzlicher Bedeutung auf noch weicht die Kammer in entscheidungserheblicher Weise von obergerichtlicher Rechtsprechung ab.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ArbGG § 69 Urteil 1x
- BGB § 157 Auslegung von Verträgen 2x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- BGB § 137 Rechtsgeschäftliches Verfügungsverbot 1x
- 3 Ca 969/12 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 520 Berufungsbegründung 1x
- ZPO § 519 Berufungsschrift 1x
- ArbGG § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung 1x
- BGB § 133 Auslegung einer Willenserklärung 2x
- Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 10 Sa 221/13 2x
- ArbGG § 64 Grundsatz 1x
- 10 AZR 617/07 1x (nicht zugeordnet)
- 2 Ca 267/13 3x (nicht zugeordnet)
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- BGB § 291 Prozesszinsen 1x
- HGB § 74 1x
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x