Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamburg (2. Kammer) - 2 Ta 17/15
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 06. Oktober 2015 – 27 Ca 255/15 – aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
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Die sofortige Beschwerde wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe in einem arbeitsgerichtlichen Bestandsschutzrechtsstreit.
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Im Ausgangsverfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg streiten die Parteien über die Beendigung ihres Rechtsverhältnisses durch eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten und über Weiterbeschäftigung.
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Mit Bestellungsurkunde vom 06. November 2014 (Anlage K 3 – Bl. 28 d.A.) wurde der Kläger im Unternehmen der Beklagten, die Dönerspieße herstellt und vertreibt, zur Fachkraft für Arbeitssicherheit nach § 5 ASiG bestellt. Über die Tätigkeit des Klägers schlossen die Parteien einen „Vertrag sicherheitstechnische Regelbetreuung“, von dem eine Fassung vom 06. November 2014 mit einem vereinbarten Jahreshonorar von 3.000,00 € netto zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer besteht (Anlage B 1 – Bl. 113 d.A.) und eine weitere Fassung vom 28. November 2014 mit einer – vom Kläger als jährlich verstandenen – Einsatzzeit von 133,125 Stunden und einem Stundensatz von 85,00 € netto je Einsatzstunde (Anlage K 4 – Bl. 30 d.A.).
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Mit Schreiben vom 08. Mai 2015 (Anlage K 9 – Bl. 78 d.A.) kündigte die Beklagte den „Vertrag sicherheitstechnische Regelbetreuung vom 06. November 2014“ außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst möglichen Zeitpunkt.
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Mit Schreiben vom 17. Mai 2015 (Anlage K 12 – Bl. 91 d.A.) informierte der Kläger die Beklagte darüber, dass er seit dem 15. Oktober 2012 zur Gruppe der gleichgestellten behinderten Menschen gehört (Gleichstellungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 30. Oktober 2012, Anlage K 12 – Bl. 91 [92] d.A.).
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Mit Schreiben vom 20. Mai 2015 (Anlage K 14 – Bl. 97 d.A.) kündigte die Beklagte vorsorglich erneut sämtliche mit dem Kläger bestehende Vertragsverhältnisse außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächst möglichen Zeitpunkt.
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Der Kläger hat vorgetragen, die Kündigungen der Beklagten seien unwirksam, da ein rechtfertigender Grund im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG und andere gesetzliche Grundlagen nach § 627 BGB nicht gegeben seien. Er stehe in einem dauernden Arbeits- und Dienstverhältnis mit festen Bezügen. Außerdem seien § 612a BGB und § 85 Abs. 2 SGB IX von der Beklagten nicht beachtet worden.
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Mit seiner am 27. Mai 2015 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen und unbedingt erhobenen Klage hat der Kläger angekündigt zu beantragen
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 08. Mai 2015 und dem anwaltlichen Schreiben vom 20. Mai 2015 aufgelöst worden ist, sondern weiter fortbesteht,
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2. für den Fall des Obsiegens, den Kläger als Sicherheitsingenieur (Fachkraft für Arbeitssicherheit) zu den Arbeitsbedingungen gemäß Verpflichtungsvertrag nach dem Gesetz über „Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (Arbeitssicherheitsgesetz – ASiG –) vom 28. November 2014 und Bestellung vom 06. November 2014 weiter zu beschäftigen.
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Zugleich hat der Kläger beantragt, die Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts zu bewilligen, und mit weiterem Schriftsatz vom 12. Juli 2015 (Bl. 120 d.A.) unter Vorlage einer ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Bl. 1 PKH-Heft), ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts zu gewähren.
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Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2015 (Bl. 111 d.A.) hat die Beklagte die Rechtswegzuständigkeit des Arbeitsgerichts gerügt. Hierüber hat das Arbeitsgericht bisher nicht entschieden.
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Das Arbeitsgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 06. Oktober 2015 – 27 Ca 255/15 – (Bl. 8 PKH-Heft) den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die beabsichtigte Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Kläger habe die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bzw. seinen Anspruch nicht schlüssig dargelegt. Nach seinem Vortrag fehle es für den Kündigungsschutzantrag hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung an der Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass er Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person sei. Bei fehlender Rechtswegzuständigkeit sei der Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückzuweisen, eine Verweisung an das zuständige Gericht von Amts wegen erfolge nicht. Soweit sich der Kläger gegen die ordentliche Kündigung wende und Kündigungsschutz nach § 1 KSchG geltend mache, sei zwar die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gegeben („sic-non-Fall“), es fehle jedoch an hinreichenden Erfolgsaussichten, weil der Kläger nach seinem eigenen Vortrag kein Arbeitnehmer sei und das Kündigungsschutzgesetz auf arbeitnehmerähnliche Personen keine Anwendung finde. Soweit der Kläger die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung auf Gründe außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes stütze, fehle es an der Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bzw. an den hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage. Der Kläger sei weder als Arbeitnehmer noch als arbeitnehmerähnliche Person tätig geworden. Im Übrigen finde § 612a BGB auf arbeitnehmerähnliche Personen keine Anwendung. Entsprechendes gelte für die angebliche Unwirksamkeit der Kündigung nach § 85 SGB IX wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamts.
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Gegen diesen am 08. Oktober 2015 (Bl. 26 PKH-Heft) ihm zugestellten Beschluss hat der Kläger mit einem am 15. Oktober 2015 (Bl. 27 PKH-Heft) beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und sogleich begründet. Die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung biete hinreichende Aussicht auf Erfolg und sei auch nicht mutwillig. Er sei zumindest arbeitnehmerähnliche Person. Das Arbeitsgericht dürfe die hinreichende Erfolgsaussicht nicht wegen fehlenden Rechtswegs verneinen. § 612a BGB sei analog anwendbar auf arbeitnehmerähnliche Personen.
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Das Arbeitsgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2015 – 27 Ca 255/15 – (Bl. 39 PKH-Heft) der sofortigen Beschwerde gegen seinen Beschluss vom 06. Oktober 2015 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass dahinstehen könne, ob bei einer Verneinung des Rechtswegs einer Klage nicht allein deshalb die Erfolgsaussichten abzusprechen seien, weil eine Verweisung an das zuständige Gericht zu erfolgen habe. Jedenfalls seien die hinreichenden Erfolgsaussichten zu verneinen gewesen, weil der Kläger nicht schlüssig dargelegt habe, Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person zu sein.
II.
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Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Die Sache ist zur neuen Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
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1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt (§ 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, § 567 Abs. 1 Nr. 1, § 569 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 78 Satz 1 ArbGG).
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2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zum einen nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung deshalb keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, weil der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet sei. Zum anderen hätte das Arbeitsgericht, soweit es die Zurückweisung ergänzend auf die fehlende Eigenschaft des Klägers als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person stützt, zunächst über die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen entscheiden und die Rechtskraft dieser Entscheidung abwarten müssen, bevor es – ggf. – den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bescheidet.
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a) Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden dürfen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung deshalb keine hinreichenden Erfolgsaussichten biete, weil der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet sei (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. März 2011 – 12 Ta 574/11 –, Rn. 9, juris, m.w.N.).
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Hinreichende Erfolgsaussichten für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung fehlen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen nicht mehr für vertretbar hält oder von der Möglichkeit der Beweisführung nicht überzeugt ist (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 114 ZPO, Rn. 19) und unter Berücksichtigung dieses Maßstabs die beabsichtigte Klage als unzulässig oder unbegründet abzuweisen wäre. Eine Klage darf aber nicht deshalb als unzulässig abgewiesen werden, weil die Rechtswegzuständigkeit des angerufenen Gerichts fehlt. Vielmehr hat das angerufene Gericht über die Rechtswegzuständigkeit in einem Zwischenverfahren vorab zu entscheiden. Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG). Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt (§ 17a Abs. 3 Satz 2 GVG). Dies gilt für die Gerichte für Arbeitssachen erster Instanz entsprechend (§ 48 Abs. 1 ArbGG).
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b) Soweit das Arbeitsgericht die Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrags ergänzend auf die fehlende Eigenschaft des Klägers als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person stützt, hat es über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe noch nicht entscheiden dürfen.
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Werden die Klage und der Prozesskostenhilfeantrag – wie hier – zusammen eingereicht, muss das Gericht vor der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von Amts wegen über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs entscheiden und ggf. den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verweisen. Allein dieses Gericht, das auch eine Entscheidung in der Hauptsache selbst zu treffen hat, ist berufen, die erforderlichen Erfolgsaussichten des Klagebegehrens und die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu prüfen und einer Entscheidung zuzuführen (Zöller/Lückemann, ZPO, 31. Aufl., Vor §§ 17-17b GVG, Rn. 12; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08. April 2011 – 10 W 2/11 –, Rn. 7, 11, juris).
- 23
c) Danach ist die Sache zur neuen Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 572 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 78 Satz 1 ArbGG), um ihm Gelegenheit zu geben, zunächst über die – von ihm selbst bezweifelte (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG), vor allem aber von der Beklagten gerügte (§ 17a Abs. 3 Satz 2 GVG) – Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zu entscheiden und die Rechtskraft dieser Entscheidung abzuwarten, bevor es – ggf. – selbst über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe entscheidet. Denn erst mit Rechtskraft der Rechtswegentscheidung steht fest, welches Gericht als Prozessgericht (§ 117 Abs. 1 Satz 1, § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO) zur Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe berufen ist.
III.
- 24
1. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Beteiligten des Beschwerdeverfahrens einander keine Kosten zu erstatten haben (§ 127 Abs. 4 ZPO; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 127 ZPO, Rn. 39).
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2. Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht nicht zuzulassen, weil ein erforderlicher Zulassungsgrund nicht ersichtlich ist (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 78 Satz 2 ArbGG). Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist unstatthaft (BAG, Beschluss vom 11. Juni 2009 – 9 AZA 8/09 –, Rn. 6, juris).
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Referenzen
- § 5 ASiG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 627 Fristlose Kündigung bei Vertrauensstellung 1x
- BGB § 612a Maßregelungsverbot 3x
- § 1 KSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 85 SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- ZPO § 127 Entscheidungen 3x
- § 1 Abs. 2 KSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 85 Abs. 2 SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 569 Frist und Form 1x
- ArbGG § 78 Beschwerdeverfahren 3x
- GVG § 17a 4x
- ArbGG § 48 Rechtsweg und Zuständigkeit 1x
- ZPO § 572 Gang des Beschwerdeverfahrens 1x
- 27 Ca 255/15 3x (nicht zugeordnet)
- 12 Ta 574/11 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 10 W 2/11 1x
- 9 AZA 8/09 1x (nicht zugeordnet)