Beschluss vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Kammer) - 5 Ta 34/17

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 26.05.2017 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 24.04.2017, Aktenzeichen 1 Ca 430/17, zuvor 1 Ca 1240/16, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten über die Zahlung des Arbeitsentgelts für Juni und Juli 2016 (06.06. bis 22.07.2016).

2

Die Beklagte ist eine Kommanditgesellschaft, deren persönlich haftende Gesellschafterin die MV COMPANY WORLD LIMITED in L. ist. Director der in Großbritannien registrierten Gesellschaft ist Herr H. C.. Herr C. ist zugleich Kommanditist der Beklagten. Als Prokuristin ist Frau A. K. im Handelsregister eingetragen. Die Beklagte liefert unter der Bezeichnung "meinbackbote.de" Brötchen und andere Backwaren.

3

Die Beklagte stellte den Kläger mit dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 06.06.2016 zum selben Tag als kaufmännischen Mitarbeiter mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden bei einem Stundenlohn von € 13,- brutto, zahlbar am 15. des Folgemonats, ein.

4

Mit Schreiben vom 18.07.2016 mahnte der Kläger die Lohnzahlung für den Monat Juni 2016 an und setzte der Beklagten eine Frist bis zum 22.07.2016. Da er keinen Lohn erhielt, kündigte der Kläger mit Schreiben vom 22.07.2016 das Arbeitsverhältnis fristlos zum selben Tag.

5

Am 26.07.2016 klagte er den ausstehenden Lohn für den Zeitraum 06.06. bis 22.07.2016 in Höhe von insgesamt € 3.649,- brutto nebst Zinsen ab 16.07.2016 beim Arbeitsgericht Schwerin ein. Da die Beklagte in der Güteverhandlung am 07.09.2016 nicht erschien, gab das Arbeitsgericht der Klage antragsgemäß durch Versäumnisurteil statt. Das Versäumnisurteil wurde der Beklagten durch Einlegen in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten am 10.09.2016 zugestellt.

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Rund ein halbes Jahr später hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 24.03.2017, am selben Tag beim Arbeitsgericht Schwerin eingegangen, Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und zugleich beantragt, ihr wegen Versäumung der Einspruchsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Darüber hinaus hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Directors der Limited, H. C., vorgelegt.

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Die Beklagte hat vorgetragen, dass das Versäumnisurteil der Komplementärin nicht ordnungsgemäß zugestellt sei. Herr H. C. habe von den Machenschaften und etwaigen Rechtsgeschäften zulasten der Gesellschaft erst durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfahren. Sein Bruder T. C. habe ihn wegen der laufenden Privatinsolvenz gebeten, als Geschäftsführer für die Limited aufzutreten und seinen Namen hierfür herzugeben. Die Geschäfte habe allein sein Bruder führen sollen. Er habe ihm diesen Gefallen getan und sei davon ausgegangen, es handele sich um irgendwelche Internetgeschäfte. Erst später habe er erfahren, dass es um Backwaren gehe. Der Arbeitsvertrag mit dem Kläger sei ebenso wie alle anderen Rechtsgeschäfte mangels Vertretungsmacht unwirksam (§§ 177 ff. BGB). Eine Genehmigung werde nicht erteilt.

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Mit Urteil vom 20.04.2017 hat das Arbeitsgericht den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil als unzulässig verworfen und zur Begründung darauf verwiesen, dass die Einspruchsfrist nicht eingehalten sei. Das Versäumnisurteil sei ausweislich der Zustellungsurkunde ordnungsgemäß am Geschäftssitz der Beklagten zugestellt worden. Der Wiedereinsetzungsantrag sei unzulässig, da die Beklagte nicht dargelegt habe, dass sie die Wiedereinsetzungsfrist eingehalten habe.

9

Mit denselben Erwägungen hat es auch den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 24.04.2017 mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist der Beklagten am 26.04.2017 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 26.05.2017, am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen, hat sie hiergegen rechtzeitig sofortige Beschwerde erhoben. Sie verweist nochmals darauf, dass Herr H. C. und Frau K. lediglich formal ihren Namen hergegeben hätten. Die eigentlichen Geschäfte habe Herr T. C. geführt. Er habe als Einziger Zugang zu den Geschäftsräumen gehabt. Was er tatsächlich getrieben und wie er die Geschäfte geführt habe, sei Herrn H. C. und Frau K. erst im Nachhinein bekannt geworden.

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Ebenfalls am 26.05.2017 erstattete die Beklagte bei der Staatsanwaltschaft Schwerin Strafanzeige gegen Herrn T. C. (Aktenzeichen 177 Js 14998/17).

11

Darüber hinaus hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.05.2017 fristgerecht Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 20.04.2017 eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 23.06.2017 rechtzeitig begründet (5 Sa 77/17). Für das Berufungsverfahren hat die Beklagte ebenfalls Prozesskostenhilfe beantragt.

12

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 02.06.2017 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Landesarbeitsgericht hat der Beklagten am 16.06.2017 einen rechtlichen Hinweis erteilt und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

13

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Beklagten zu Recht Prozesskostenhilfe versagt.

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Eine juristische Person oder parteifähige Vereinigung erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe,

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wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz, § 116 Satz 2 ZPO),
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wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und
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wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
18

Die Kommanditgesellschaft gehört ebenso wie die offene Handelsgesellschaft zu den parteifähigen Vereinigungen im Sinne des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - IX ZB 145/09 - Rn. 7, juris = NJW 2011, 1595).

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1. Allgemeine Interessen

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Juristische Personen oder parteifähige Vereinigungen erhalten nur dann Prozesskostenhilfe, wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Diese Beschränkung trägt den besonderen Verhältnissen der juristischen Personen und rechtsfähigen Vereinigungen Rechnung. Diese Rechtsformen bieten den dahinter stehenden Personen wirtschaftliche Vorteile, bei Kapitalgesellschaften zusätzlich eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen. Die Rechtsträgerschaft parteifähiger Vereinigungen ist an ein ausreichendes Gesellschaftsvermögen gebunden. Dieses ist die Voraussetzung sowohl für ihre Gründung als auch für ihre weitere Existenz. Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bilden für Gesellschaften Insolvenzgründe. Mit der Insolvenzeröffnung werden die Vereinigungen aufgelöst. Die Vereinigungen besitzen demnach nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus eigener Kraft zu verfolgen (BT-Drucks. 8/3068 S. 26). Vor diesem Hintergrund will die Regelung des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO Vorsorge dagegen treffen, dass mittellose Vereinigungen wirtschaftliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit verwirklichen (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - IX ZB 145/09 - Rn. 9, juris = NJW 2011, 1595).

21

Allgemeine Interessen sind solche, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen können. Ein allgemeines Interesse kann angenommen werden, wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in Mitleidenschaft gezogen würde, weil z. B. der Allgemeinheit dienende Aufgaben nicht mehr erfüllt werden können oder eine große Zahl von Arbeitsplätzen betroffen ist (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - IX ZB 145/09 - Rn. 10, juris = NJW 2011, 1595).

22

Der vorliegende Rechtsstreit berührt keine Interessen der Allgemeinheit, sondern ausschließlich die Interessen der Kommanditgesellschaft und der wirtschaftlich an ihr Beteiligten. Für die Öffentlichkeit ist es nicht von Bedeutung, ob der Prozess durchgeführt wird oder nicht. Weder geht es um den Fortbestand einer Vielzahl von Arbeitsplätzen noch um die Versorgungssicherheit von großen Teilen der Bevölkerung.

23

2. Fehlende Leistungsfähigkeit der Kommanditgesellschaft

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Darüber hinaus hat die Beklagte nicht dargelegt, dass sie die Kosten für den Prozess nicht aufbringen kann.

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3. Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung

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Schließlich fehlt es an hinreichenden Erfolgsaussichten für die Rechtsverteidigung. Voraussetzung hierfür ist, dass die Klage unschlüssig ist oder der Beklagte Tatsachen vorträgt, die zur Klageabweisung führen können (Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 114, Rn. 25). Es muss bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller mit seinem Abweisungsbegehren durchdringen wird (LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19. März 2010 - 6 Ta 37/10 - Rn. 8, juris).

27

Der Kläger hat auf der Grundlage des zur Akte gereichten schriftlichen Arbeitsvertrages mit der Beklagten Lohnansprüche nach § 611 BGB geltend gemacht.

28

Die Beklagte beruft sich darauf, der Arbeitsvertrag mit dem Kläger sei mangels Vertretungsmacht von Herrn T. C. nicht wirksam zustande gekommen (§ 177 ff. BGB). Dieser Einwand ist nicht geeignet, den geltend gemachten Anspruch zu Fall zu bringen. Eine Bevollmächtigung von Herrn T. C., Verträge im Namen der Kommanditgesellschaft zu schließen, ergibt sich aus seiner Stellung als faktischer Geschäftsführer, die er mit Wissen und Wollen des im Register eingetragenen Directors, H. C., innehatte. Wird einem anderen faktisch die Geschäftsführung überlassen, wird damit regelmäßig zumindest konkludent Handlungsvollmacht gemäß § 54 HGB erteilt (OLG Braunschweig, Urteil vom 20. August 2001 - 7 U 13/01 - Rn. 4, juris = MDR 2002, 42). Weder Herr H. C. noch die eingetragene Prokuristin beabsichtigten, ihre registerrechtliche Funktion jemals tatsächlich wahrzunehmen. Sie hatten, wie sie selbst einräumen, nur ihren Namen gegeben. Die tatsächliche Geschäftsführung überließen sie allein Herrn T. C., ohne sich weiter darum zu kümmern.

29

Das Versäumnisurteil ist ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter einer Personengesellschaft kann dadurch erfolgen, dass das Schriftstück im Geschäftsraum einer dort beschäftigten Person übergeben wird (§ 178 Abs. 1 ZPO) oder, falls dort niemand angetroffen wird, es in den Geschäftsbriefkasten eingelegt wird (§ 180 ZPO). Eine Zustellung am Wohnsitz des Directors in C-Stadt war nicht erforderlich. Die Einspruchsfrist lief am Montag, 19.09.2016 ab. Der Einspruch vom 24.03.2017 ist verspätet.

30

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 Satz 1 ZPO hat das Arbeitsgericht zu Recht abgelehnt, da die Beklagte nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, rechtzeitig Einspruch einzulegen. Als faktischer Geschäftsführer hätte Herr T. C., dem sämtliche Angelegenheit der Kommanditgesellschaft überlassen waren, rechtzeitig Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegen können. Ein evtl. Fehlverhalten von Herrn T. C. kann nur dann zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen, wenn kein Organisationsverschulden des gesetzlichen Vertreters der Beklagten, hier des Directors, vorliegt.

III.

31

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO). Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.

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