Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (8. Kammer) - 8 Sa 591/11

Tenor

Die Berufung der Beklagten zu 1. gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 1.9.2011 - 10 Ca 423/11 - wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Beklagten zu 2. wird unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 42 % den Beklagten als Gesamtschuldner und zu 58 % der Beklagten zu 1. auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund einer von der Beklagten zu 1. ausgesprochenen ordentlichen Kündigung geendet hat sowie über mehrere Zahlungsansprüche des Klägers.

2

Der 1951 geborene Kläger war seit April 1991 zunächst bei dem Beklagten zu 2. und seit dem 01.01.2011 nach dem Übergang des bis dahin vom Beklagten zu 2. geführten Betriebes auf die Beklagte zu 1. bei dieser als kaufmännischer Angestellter gegen ein Gehalt in Höhe von zuletzt monatlich 2.689,88 € brutto beschäftigt.

3

Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 01.04.1991, hinsichtlich dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 4 f. der Akte Bezug genommen wird, enthält u. a. folgende Bestimmungen:

4

"§ 4 Vergütung

5


Ein 13. Monatsgehalt ist in der Zeit vom 1.11.-31.12. jeden Jahres zu zahlen.
Ein Rechtsanspruch auf eine Weihnachtsgratifikation besteht nicht. Falls eine solche gewährt wird, stellt sie eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers dar.

6

§ 8 Kündigung

7

Das Dienstverhältnis kann - nach Ablauf der Probezeit - von jedem Vertragsteil mit einer Frist von 6 Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Die Kündigung hat schriftlich zu erfolgen."

8

Im Dezember 2003 erhielt der Kläger letztmals vom Beklagten zu 2. einen als Weihnachtsgratifikation bzw. Weihnachtsgeld bezeichneten Geldbetrag in Höhe von 625,00 € brutto. Dabei unterzeichnete er - ebenso wie in den Vorjahren - eine "Empfangsbestätigung von Weihnachtsgeld", in der es heißt:

9

"Ich wurde darauf hingewiesen, daß es sich bei obiger Zahlung um eine freiwillige Leistung als Anerkennung für treue Mitarbeit handelt, auf die kein Rechtsanspruch besteht und deren Wiederholung in den folgenden Jahren vorbehalten bleibt.

10

Ich bestätige, daß ich zur Rückzahlung dieser Gratifikation verpflichtet bin, wenn ich aufgrund eines von mir zu vertretenden Anlasses bis zum 31. März des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres ausscheide."

11

Ein Weihnachtsgeld bzw. eine Weihnachtsgratifikation oder ein 13. Monatsgehalt wurde dem Kläger seither nicht mehr gezahlt.

12

Mit Schreiben vom 20.01.2011, welches dem Kläger noch am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte zu 1. unter Hinweis auf wirtschaftliche Gründe das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2011.

13

Mit seiner am 07.02.2011 beim Arbeitsgericht eingereichten und im weiteren Verlauf des Verfahrens erweiterten Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten zu 1. durch die ordentliche Kündigung vom 20.01.2011 erst zum 31.07.2011 aufgelöst worden ist. Darüber hinaus hat der Kläger die Beklagte zu 1. auf Zahlung von Arbeitsvergütung für die Monate April und Mai 2011 sowie beide Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes für die Jahre 2008 bis 2010 in Anspruch genommen.

14

Zur weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 01.09.2011 (Bl. 67 - 70 d. A.) Bezug genommen.

15

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 01.09.2011 in vollem Umfang stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 - 11 dieses Urteils (= Bl. 70 - 75 d. A.) verwiesen.

16

Gegen das den Beklagten am 20.09.2011 zugestellte Urteil ist mit Telefax ihrer Prozessbevollmächtigten am 20.10.2011 Berufung eingelegt worden. Der Text der Berufungsschrift lautet:

17

"Berufung in dem Rechtsstreit

18

A., Peter-Klöckner-Str. 4, A-Stadt, ges. vertreten durch Nicole Z
-Beklagte und Berufungsklägerin-

19

Prozessbev.: Rechtsanwälte Y und X, Poststrasse 8, A-Stadt

20

gegen

21

Herrn E., St.-Florianstr. 26, E-Stadt
-Kläger und Berufungsbeklagter-

22

Prozessbev. I. Instanz: F., Kottenheimerweg 39, F-Stadt

23

Aktenzeichen I. Instanz: 10 Ca 423/11, Arbeitsgericht Koblenz

24

legen wir namens der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das am 01.09.2011 verkündete und am 20.09.2011 zugestellte Urteils des Arbeitsgericht Koblenz, AZ.: 10 Ca 423/11

25

Berufung

26

ein. Anträge und Berufungsbegründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Die Urteilsausfertigung, deren Rückgabe erbeten wird, sowie zwei beglaubigte Abschriften sind beigefügt."

27

Die Berufungsbegründung ist am Montag, dem 21.11.2011 eingegangen. Sie enthält einleitend folgende Formulierung:

28

"In Sachen
E. ./. A. u. a."

29

Nachdem die Beklagten im Hinblick auf diese Formulierung mit Schreiben des Gerichts vom 23.11.2011 darauf hingewiesen worden waren, dass die Berufung ausweislich des eindeutigen Inhalts der Berufungsschrift nur für die Beklagte zu 1. eingelegt worden sei, haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 05.12.2011 geltend gemacht, dass die Berufung nach ausdrücklicher Anweisung ihres Prozessbevollmächtigten gegen das erstinstanzliche Urteil insgesamt habe eingelegt werden sollen; dies ergebe sich auch aus dem Inhalt der Berufungsschrift, wonach gegen das erstinstanzliche Urteil die Berufung ohne jede Beschränkung eingelegt worden sei. Es sei ihrem Prozessbevollmächtigten entgangen, dass der Beklagte zu 2. nicht ausdrücklich als Beklagter und Berufungskläger aufgeführt worden sei.

30

Dem betreffenden Schriftsatz war eine eidesstattliche Versicherung einer Mitarbeiterin der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 05.12.2011 beigefügt, hinsichtlich deren Inhalt auf Blatt 163 d. A. Bezug genommen wird.

31

Der Beklagte zu 2. hat mit selbigem Schriftsatz vom 05.12.2011 beantragt, ihm wegen der möglichen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und zugleich (nach seiner Auffassung nochmals) gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt.

32

Die Beklagten machen im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts belaufe sich die Kündigungsfrist nach Maßgabe der in § 8 des Arbeitsvertrages getroffenen Vereinbarung auf sechs Wochen zum Quartalsende. Es gelte daher nicht eine längere Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 BGB. In Kleinbetrieben könne nämlich die Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 5 Nr. 2 BGB verkürzt werden. Die betreffende Bestimmung beziehe sich nicht nur auf die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB, sondern gelte auch für die verlängerten Fristen in § 622 Abs. 2 BGB. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die arbeitsvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist der im Zeitpunkt des Zustandekommens des Arbeitsvertrages maßgeblichen Gesetzeslage entspreche. Die Verlängerung der Kündigungsfristen durch die erst im Oktober 1993 in Kraft getretene Neufassung des § 622 BGB stelle sich im vorliegenden Fall als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar und sei mit Art. 14 GG und dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbaren. Den vom Kläger geltend gemachten Ansprüchen auf Zahlung von Arbeitsvergütung für die Monate April und Mai 2011 stehe im Übrigen bereits entgegen, dass der Kläger die Voraussetzungen eines Annahmeverzuges nicht vorgetragen habe, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass der Kläger sich bereits ab April 2011 arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld bezogen habe. Ein Anspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes stehe dem Kläger ebenfalls nicht zu. Soweit in § 4 des Arbeitsvertrages einerseits von einem "13. Monatsgehalt" und andererseits von einer "Weihnachtsgratifikation" die Rede sei, so handele es sich um die Regelung ein und desselben Sachverhaltes; das 13. Monatsgehalt sei nichts anderes als die sogenannte Weihnachtsgratifikation, hinsichtlich derer ausdrücklich ein Freiwilligkeitsvorbehalt vereinbart sei. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts stehe § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB der Wirksamkeit des Freiwilligkeitsvorbehaltes nicht entgegen. Zwar treffe es zu, dass der Arbeitsvertrag vom 01.04.1991 mit Hilfe eines Musterformulars erstellt worden sei. Betreffend der Vergütungs- und Zahlungsverpflichtungen sei das Formular jedoch aufgrund einer einzelvertraglichen und individuellen Abrede ausgefüllt worden. Die vertragliche Bestimmung bezüglich 13. Monatsgehalt/Weihnachtsgratifikation sei auch nicht widersprüchlich. Mit der Formulierung, dass ein 13. Monatsgehalt in der Zeit vom 01.11. - 31.12. jeden Jahres zu zahlen sei, sei lediglich der Zeitpunkt der Zahlung geregelt worden. Es sei aber zwischen den Parteien klar vereinbart worden, dass die Zahlung einer solchen Sonderzuwendung freiwillig und ohne Rechtsanspruch erfolge. In diesem Sinne sei die Vereinbarung auch über viele Jahre gelebt worden. Auch habe der Kläger durch Unterzeichnung der "Empfangsbestätigung von Weihnachtsgeld" im Dezember 2003 - ebenso wie in den Vorjahren - ausdrücklich bestätigt, dass sie sich um eine freiwillige Leistung handele und darüber hinaus auch (nochmals) mit dem Arbeitgeber eine diesbezügliche Vereinbarung getroffen. Ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes sei darüber hinaus verwirkt. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger mehr als sieben Jahre habe verstreichen lassen, um seine angeblichen Ansprüche einzufordern und bereits zuvor die Freiwilligkeit der betreffenden Zahlungen ausdrücklich bestätigt habe. Sie - die Beklagten - hätten sich aufgrund des Verhaltens des Klägers auch gemäß dem geschaffenen Vertrauenstatbestand in Bezug auf ihre Zahlungsverpflichtungen eingestellt.

33

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 21.11.2011 (Bl. 102 - 109 d. A.) sowie auf die Schriftsätze der Beklagten vom 01.12.2011 (Bl. 142 f. d. A.), vom 14.12.2011 (Bl. 171 f. d. A.) und vom 06.02.2012 (Bl. 189 d. A.) Bezug genommen.

34

Die Beklagten beantragen,

35

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

36

Der Beklagte zu 2. beantragt außerdem,

37

ihm wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

38

Der Kläger beantragt,

39

die Berufung zurückzuweisen.

40

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 28.11.2011 (Bl. 119 - 122 d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

41

Die an sich statthafte Berufung des Beklagten zu 2. ist wegen Versäumung der einmonatigen Berufungsfrist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) unzulässig.

42

1. Zwar ist am letzten Tag der Berufungsfrist, am 20.10.2011, per Telefax Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt worden. Diese Berufungsschrift beinhaltet jedoch ausschließlich eine Berufung der Beklagten zu 1., nicht hingegen des Beklagten zu 2. Dies ergibt sich sowohl aus dem Rubrum der Berufungsschrift, in dem ausschließlich die Beklagte zu 1. als "Beklagte und Berufungsklägerin" bezeichnet ist, als auch aus der anschließenden Formulierung, wonach die Berufung "namens der Beklagten und Berufungsklägerin" und somit nur für eine Person eingelegt wurde. Der Inhalt der Berufungsschrift lässt in keiner Weise erkennen, dass das Rechtsmittel auch im Namen des Beklagten zu 2. eingelegt werden sollte.

43

An die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers sind strenge Anforderungen zu stellen; bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung muss jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelsklägers ausgeschlossen sein (BGH v. 11.07.2003 - V ZR 233/01 - NJW 2003, 3203 m.w.N.). Aus der Berufungsschrift muss allein oder jedenfalls mit Hilfe weiterer Unterlagen, etwa dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil, bis zum Ablauf der Berufungsfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger ist (BGH v. 13.03.2007 - XI ZB 13/06 -).

44

Vorliegend war vor Ablauf der Berufungsfrist auch nicht anhand weiterer Unterlagen für das Berufungsgericht erkennbar, dass das Rechtsmittel auch für den Beklagten zu 2. eingelegt wurde. Zwar war der Berufungsschrift eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt, woraus ohne weiteres ersichtlich war, dass auch der Beklagte zu 2. durch das angefochtene Urteil (allerdings in geringerem Umfang als die Beklagte zu 1.) beschwert ist. Hieraus ließ sich jedoch nicht der sichere Schluss ziehen, dass auch der Beklagte zu 2. das erstinstanzliche Urteil mit der am 20.10.2011 eingelegten Berufung anficht. Dies war für das Berufungsgericht erstmals in Ansehung des Inhalts der am 21.11.2011, somit nach Ablauf der Berufungsfrist, eingegangenen Berufungsbegründungsschrift erkennbar.

45

Die nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 05.12.2011 ausdrücklich auch für den Beklagten zu 2. eingelegte Berufung ist somit verspätet.

2.

46

Zwar hat der Beklagte zu 2. wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dieser Antrag ist jedoch unbegründet.

47

Gemäß § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn diese ohne ihr Verschulden verhindert war, die Notfrist für die Einlegung der Berufung zu wahren. Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO).

48

Vorliegend beruht die Versäumung der Berufungsfrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2.. Dieser hat die Berufungsschrift unterzeichnet, obwohl der Beklagte zu 2. dort nicht als Rechtsmittelführer genannt war. Hierin liegt ein der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden (BGH v. 21.03.2006 - VI ZB 25/06 - VersR 2006, 991).

49

Der Beklagte zu 2. kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die mit der Fertigung der Berufungsschrift betraute Rechtsanwaltsgehilfin seines Prozessbevollmächtigten weisungswidrig nicht beide Beklagten als Rechtsmittelführer in die Berufungsschrift aufgenommen hat. Dies lässt nämlich ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht entfallen, weil dieser die Berufungsschrift unterzeichnet hat. Der Prozessbevollmächtigte war gehalten, die Richtigkeit und Vollständigkeit der Rechtsmittelschrift zu prüfen. Das weisungswidrige Verhalten des Büropersonals, das seinerseits gegen Pflichten verstoßen hat, steht einem für die Fristversäumung ursächlichen Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht entgegen. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn neben dem Verschulden des Prozessbevollmächtigten andere von ihm nicht verschuldete Umstände mitgewirkt haben (vgl. BGH v. 21.03.2006 a.a.O.).

50

Die Berufung des Beklagten zu 2. war daher unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig zu verwerfen.

II.

51

Die statthafte Berufung der Beklagten zu 1. ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel der Beklagten zu 1. hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

52

Das Arbeitsgericht hat der Klage gegen die Beklagte zu 1. sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung insgesamt stattgegeben.

53

Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gem. § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener, vollständiger Entscheidungsgründe wird daher insoweit abgesehen. Das Berufungsvorbringen der Beklagten zu 1. bietet lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen:

54

1. Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. ist durch die Kündigung vom 20.01.2011 nicht bereits zum 31.03.2011, sondern erst zum 31.07.2011 aufgelöst worden. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers in dem auf die Beklagte zu 1. gem. § 613 a BGB übergegangenen Betrieb bei Kündigungsausspruch länger als 15 Jahre bestanden hatte, belief sich die Kündigungsfrist auf sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats (§ 622 Abs. 2 BGB).

55

Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt vorliegend nicht gem. § 622 Abs. 5 Nr. 2 BGB die in § 8 des Arbeitsvertrages vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende zum Tragen. Die dort für Kleinunternehmen normierte Möglichkeit zur Vereinbarung kürzerer Kündigungsfristen betrifft nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut nur die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB, nicht hingegen die verlängerten Fristen in § 622 Abs. 2 BGB. Dies entspricht allgemeiner Ansicht (vgl. z. B. Müller-Glöge in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Auflage, § 622 BGB Rz. 18; KR-Spilger, 9. Auflage, § 622 BGB Rz. 170; jeweils m.w.N.).

56

Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages die dort vereinbarte Kündigungsfrist der seinerzeitigen Fassung des § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprach. Zwar fehlt es für bestehende einzelvertragliche Regelungen in sog. Altverträgen an einer gesetzlichen Regelung des Verhältnisses zu der Neufassung des § 622 BGB. Aber auch dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien im "Altvertrag" eine konstitutive Regelung zur Kündigungsfrist getroffen haben, bleibt diese Vereinbarung von der Neufassung des § 622 nur dann unberührt, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist (vgl. BAG v. 04.07.2001 - 2 AZR 469/00 - AP Nr. 59 zu § 622 BGB; LAG Nürnberg v. 13.04.1999 - 6 (5) Sa 182/98 - NZA - RR 2000, 80; KR Spilger, 8. Auflage, § 622 BGB Rz. 281 m.w.N.). Im Streitfall gilt daher die für den Kläger günstigere Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 6 BGB. Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt die im Oktober 1993 in Kraft getretene Neufassung des § 622 BGB und die damit verbundene Verlängerung der Kündigungsfristen auch für seinerzeit schon bestehende Arbeitsverhältnisse keinen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar und ist sowohl mit Art. 14 GG als auch mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren.

57

2. Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1. nach §§ 611 Abs. 1, 615 BGB Anspruch auf Zahlung seiner vertragsgemäßen Arbeitsvergütung von zuletzt monatlich 2.689,88 € brutto für die Monate April und Mai 2011 abzüglich des seitens der Bundesagentur für Arbeit in den betreffenden Monaten gezahlten und in den Anträgen des Klägers berücksichtigten Arbeitslosengeldes. Die Beklagte zu 1. befand sich infolge ihrer zum 31.03.2011 ausgesprochenen Kündigung ab dem 01.04.2011 mit der Annahme der Arbeitsleistung des Klägers in Verzug, ohne dass es diesbezüglich eines Angebots seitens des Klägers bedurfte.

58

3. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1. auch Anspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes in Höhe von jeweils 2.650,00 € brutto für die Jahre 2008 bis 2010. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 4 des zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2. am 01.04.1991 geschlossenen Arbeitsvertrages. Die Beklagte zu 1. ist gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB in die aus diesem Arbeitsvertrag resultierenden Zahlungspflichten eingetreten.

59

Nach § 4 des Arbeitsvertrages hat der Kläger Anspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes. Diesem Anspruch steht die Formulierung, wonach auf eine Weihnachtsgratifikation kein Rechtsanspruch besteht und diese lediglich eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers darstellt, nicht entgegen.

60

Die in § 4 des Arbeitsvertrages enthaltene Abrede, die einen Freiwilligkeitsvorbehalt enthält und einen Rechtsanspruch auf eine Weihnachtsgratifikation verneint, stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung i. S. v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Sowohl Inhalt als auch die äußere Gestaltung der im Vertrag enthaltenen Regelungen sprechen dafür, dass sie zur Mehrfachverwendung formuliert worden sind. Der Vertrag enthält von seinem äußeren Erscheinungsbild her zahlreiche formelhafte Klauseln. Zu diesen gehört gerade auch die in § 4 enthaltene Freiwilligkeitsklausel. Der Anschein, dass der Vertrag zur Mehrfachverwendung entwickelt wurde, wird nicht dadurch widerlegt, dass er in Teilen individuelle Vereinbarungen enthält (vgl. BAG v. 19.08.2010 - 8 AZR 645/09 - AP Nr. 49 zu § 307 BGB; BAG v. 18.12.2008 - 8 AZR 81/08 - AP Nr. 4 zu § 309 BGB).

61

Als Allgemeine Geschäftsbedingung erweist sich die betreffende Vertragsklausel als unwirksam. Der Vertrag enthält nämlich in § 4 zugleich eine Individualabrede, wonach ein 13. Monatsgehalt in der Zeit vom 01.11. - 31.12. jeden Jahres zu zahlen ist. Dass es sich hierbei um eine Individualabrede handelt, ergibt sich daraus, dass sie mit Schreibmaschine in das Formular eingefügt wurde, welches an der betreffenden Stelle - im Gegensatz zu den sonstigen Vertragsbestimmungen - eine solche Ergänzung nicht vorsieht. Die Einfügung findet sich an einer Stelle, für die im Formular an sich eine etwaige Regelung zur Überstundenvergütung vorgesehen ist. Die betreffende Individualabrede begründet in Ansehung ihres insoweit eindeutigen Wortlautes bei isolierter Betrachtung zweifellos einen Rechtsanspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes und hat daher gemäß § 305 BGB Vorrang vor dem hierzu in Widerspruch stehenden, im Wege einer Allgemeinen Geschäftsbedingung vereinbarten Freiwilligkeitsvorbehalt, der sich daher gem. § 305 b BGB als unwirksam erweist (vgl. Palandt, BGB, 70. Auflage, § 305 b Rz. 3).

62

Darüber hinaus ist der Freiwilligkeitsvorbehalt auch nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Im Hinblick darauf, dass zu Gunsten des Klägers in der dem Freiwilligkeitsvorbehalt vorangehenden Formulierung ("ist… zu zahlen") vom Wortlaut her ein Rechtsanspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes begründet wird, sowie in Ansehung der unterschiedlichen Bezeichnung der betreffenden Leistung (einerseits "13. Monatsgehalt", andererseits "Weihnachtsgratifikation") ist der Freiwilligkeitsvorbehalt i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht klar und verständlich, da nicht hinreichend erkennbar ist, ob er sich überhaupt auf das 13. Monatsgehalt bezieht oder lediglich eine etwaige, darüber hinausgehende Weihnachtsgratifikation betrifft. Letztlich gehen diesbezügliche Zweifel nach § 305 c Abs. 2 BGB ohnehin zu Lasten der Beklagten.

63

Soweit die Beklagte zu 1. vorgetragen hat, es sei zwischen den Parteien vereinbart worden, dass der Anspruch für die betreffende Zahlung, wenn sie denn in der Zeit vom 01.11. - 31.12. jeden Jahres erfolge, ohne Rechtsanspruch und freiwillig erfolge, so erweist sich dieses Vorbringen als unsubstantiiert, da es nicht erkennen lässt, welche mündlichen Erklärungen die Parteien in Bezug auf das 13. Monatsgehalt abgegeben haben, aus denen sich die Vereinbarung eines Freiwilligkeitsvorbehaltes ergeben könnte.

64

Aus der vom Kläger im Dezember 2003, ebenso wie in den Vorjahren, unterzeichneten "Empfangsbestätigung von Weihnachtsgeld" lässt sich nichts zu Gunsten der Beklagten herleiten. Der Kläger hat dort jeweils lediglich bestätigt, den Hinweis erhalten zu haben, dass es sich bei dem gezahlten Weihnachtsgeld um eine freiwillige Leistung handelt. Die Bestätigung des Erhalts eines solchen Hinweises beinhaltet indessen noch keinesfalls ein Einverständnis. Darüber hinaus bezieht sich die Empfangsbestätigung ihrem Wortlaut nach nicht auf das durch Individualvereinbarung geregelte 13. Monatsgehalt, sondern wohl eher auf die in § 4 des Arbeitsvertrages angesprochene "Weihnachtsgratifikation", die hinsichtlich ihrer Höhe (625,00 € brutto) ohnehin nicht einem 13. Monatsgehalt gleichzusetzen ist. Die Bestätigung einer Rückzahlungsverpflichtung für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens, die der Kläger in den Empfangsbestätigungen anerkannt hat, ist für das Bestehen des betreffenden Zahlungsanspruchs ohnehin ohne Belang.

65

Der Kläger hat seinen Anspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehalts auch nicht verwirkt. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie hat nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Es müssen vielmehr zu dem Zeitmoment besondere Umstände, sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen. Der Berechtigte muss unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BAG v. 14.02.2007 - 10 AZR 35/06 - NZA 2007, 690). Im Streitfall fehlt es jedenfalls an dem für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment. Es sind keine besonderen Umstände im Verhalten des Klägers erkennbar, die bei der Beklagten das Vertrauen erwecken konnten, der Kläger werde seinen vertraglichen Anspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes nicht mehr geltend machen. Ein Gläubiger ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schuldner darauf aufmerksam zu machen, dass er sich vorbehält, ihn zukünftig gerichtlich zu belangen. Untätigkeit eines Anspruchsberechtigten führt für sich genommen nicht zur Verwirkung. Auch aus der Unterzeichnung der den Empfang von Weihnachtsgeld betreffenden Empfangsbestätigungen lässt sich - wie bereits ausgeführt - nichts zu Gunsten der Beklagten ableiten.

66

Fehlt es somit an besonderen Umständen im Verhalten des Klägers, kommt es nicht mehr darauf an, ob sich die Beklagte ihrerseits so verhielt, dass es ihr unzumutbar geworden wäre, die Forderungen des Klägers zu erfüllen ("Zumutbarkeitsmoment"), vgl. BAG v. 14.02.2007 - 10 AZR 35/06 - NZA 2007, 690).

III.

67

Nach alledem war die Berufung des Beklagten zu 2. als unzulässig zu verwerfen, die Berufung der Beklagten zu 1. zurückzuweisen.

68

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

69

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

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