Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (8. Kammer) - 8 Sa 321/16


Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.06.2016 - 9 Ca 3701/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten die im Wege der Zwangsvollstreckung erlangten Beträge an die Masse zurückzugewähren.

2

Der Beklagte war bei der E.-T. AG (nachfolgend Insolvenzschuldnerin) von November 2002 bis zu seiner fristlosen Eigenkündigung wegen verweigerter Gehaltszahlungen am 05.10.2010 als Key-Account-Manager mit einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 10.259,67 EUR beschäftigt. Durch rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 09.12.2011 mit dem Az.: … (Bl. 94 ff. d.A.) wurden unter anderem offene Gehaltszahlungen an den Beklagten für die Monate Juli 2010 bis Oktober 2010 tituliert. Anlässlich der vom Beklagten aus diesem Titel betriebenen Zwangsvollstreckung in ein Geschäftskonto der späteren Insolvenzschuldnerin erhielt der Beklagte aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin eine Zahlung am 05.07.2012 in Höhe von 3.683,15 EUR und eine am 14.08.2012 in Höhe von 282,57 EUR.

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Durch Versäumnisurteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 11.06.2012 (Az.: …) war die Insolvenzschuldnerin zur Rückzahlung von 1.988.539,48 EUR auf ein ihr über 2.000.000,00 EUR gewährtes Darlehen an die S. M. GmbH verurteilt worden. Um die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil abzuwenden, traf die Insolvenzschuldnerin im Juli 2012 eine Rückzahlungsvereinbarung mit der S. M. GmbH, die von der Insolvenzschuldnerin nach Zahlung der ersten Rate über 50.000,00 EUR am 31.07.2012 aber nicht mehr eingehalten wurde; die Forderung der S. M. GmbH wurde zuletzt in Höhe von 2.062.874,89 EUR zur Insolvenztabelle festgestellt. Über diesen Anspruch der S. M. GmbH hinaus sah sich die Schuldnerin am 05.07.2012 weiterer offener Forderungen in Höhe von insgesamt 134.307,73 EUR ausgesetzt. Der Kassenbestand in der von der Insolvenzschuldnerin geführten Barkasse belief sich am selben Tag auf 34.860,97 EUR, der Sollsaldo auf dem Geschäftskonto der Insolvenzschuldnerin (mit einem der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredit über 285.000,00 EUR) auf 415.433,16 EUR, das Guthaben der Insolvenzschuldnerin auf ihrem weiteren Geschäftskonto (ohne einen ihr auch für dieses Konto eingeräumten Kontokorrentkredit) auf 2.326,82 EUR.

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Mit Beschluss vom 01.11.2012 zum Aktenzeichen … hat das Amtsgericht A-Stadt am selben Tag aufgrund des am 01.10.2012 bei Gericht eingegangenen eigenen Antrags der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und den Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

5

Mit Schreiben vom 22.04.2013, vom 20.06.2013 und zuletzt mit Schreiben vom 09.07.2013 forderte die jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers den Beklagten vergebens unter Fristsetzung auf, den Betrag in Höhe von insgesamt 3.965,72 EUR zur Insolvenzmasse zurückzugewähren.

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Der Kläger hat zur Begründung seiner am 28.05.2015 zunächst bei dem Amtsgericht W. eingegangenen und dem Beklagten am 20.06.2015 zugestellten Klage vorgetragen, vom 05.07.2012 an bis zur Insolvenzeröffnung sei die Insolvenzschuldnerin zahlungsunfähig gewesen.

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Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.965,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2012 zu zahlen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dem Kläger stehe kein Rückgewähranspruch zu, wobei er zunächst auch die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin mit Nichtwissen bestritten hat. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung an einen Insolvenzgläubiger erfolgte Zahlungen seien keine anfechtbaren Rechtshandlungen wegen inkongruenter Deckung im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO. Zudem machte er geltend, dass eine wirksame Anfechtungserklärung durch den Kläger nicht erfolgt sei und inzwischen jedenfalls Verjährung oder zumindest Verwirkung eingetreten sei.

12

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 23.06.2016 der Klage des Insolvenzverwalters stattgegeben. Es hat den Anspruch aus § 131 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 143 Abs. 1 S. 1 InsO für begründet erachtet. Es hat hierzu zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass Inkongruenz zu bejahen sei, da der Beklagte keinen Anspruch auf einen Vollstreckungserfolg unter Einschaltung staatlicher Vollstreckungsorgane gehabt habe. Für das Gericht sei zuletzt auch nicht zweifelhaft gewesen, dass die Insolvenzschuldnerin spätestens ab dem 05.07.2012 nicht länger in der Lage gewesen sei, fällige Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen und deshalb zahlungsunfähig gewesen sei. Einer ausdrücklichen Anfechtungserklärung durch den Kläger habe es zudem nicht bedurft. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage sei die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren jedenfalls noch nicht abgelaufen. Schließlich lägen auch keine Anhaltspunkte für die Verwirkung der vom Kläger verfolgten Anfechtungsansprüche vor.

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Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Beklagten am 05.07.2016 zugestellt. Der Beklagte hat hiergegen am 01.08.2016 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 05.10.2016 begründet.

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Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 401 ff. d. A.), macht der Beklagte zur Begründung seines Rechtsmittels im Wesentlichen geltend:

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Die Insolvenzschuldnerin sei zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung nicht zahlungsunfähig gewesen, da sie die erste Rate in Höhe von 50.000,00 EUR an die S.-M. zum 31.07.2012 entsprechend der Vereinbarung vom 24.07.2012 gezahlt habe. Ferner sei er der Auffassung, dass keine inkongruente Deckung durch die Zwangsvollstreckung unter Beachtung der mit dem Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Rechtsicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung des verlautbarten gesetzgeberischen Sichtweise gegeben sei. Im Übrigen habe der Kläger es außergerichtlich nicht geschafft, ein rechtlich wirksames Aufforderungsschreiben an den Kläger zu richten. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes und des Umstandes, dass der Kläger erst mit den gesetzgeberischen Reformvorschlägen aktiv geworden sei, läge Verwirkung vor.

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Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.06.2016 - Az.: 90 CA 3701/15 abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

20

Der Kläger verteidigt das angegriffene erstinstanzliche Urteil als zutreffend.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Sitzungsniederschrift sowie den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache selbst keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung der zulässigen Klage stattgegeben. Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten bezüglich der streitgegenständlichen Zahlungen ein Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 i.V.m. §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu.

I.

23

Die Klage ist begründet. Die Voraussetzungen eines Rückgewähranspruchs nach §§ 143 Abs. 1, 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO wegen der im Wege der Zwangsvollstreckung erlangten Zahlungen sind gegeben.

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1. Nach § 129 Abs. 1 InsO kann der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO Rechtshandlungen anfechten, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Anfechtbar ist gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war.

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Dies ist vorliegend der Fall.

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a) Der Beklagte erhielt die Zahlungen aus der Zwangsvollstreckung am 05.07.2012 und am 14.08.2012 und damit in der kritischen Zeit im zweiten bzw. dritten Monat vor dem Eröffnungsantrag vom 01.10.2012. Die Insolvenzschuldnerin war zu diesen Zeitpunkten auch bereits zahlungsunfähig, wie das Arbeitsgericht zutreffend und ausführlich dargestellt hat.

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Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.

28

Hierbei ist es nicht erforderlich, dass der Schuldner überhaupt keine Zahlungen mehr leisten kann. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10% oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGH 24.05.2005 - IX ZR 123/04 - juris, Rn. 31).

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Dem substantiierten Vortrag des Klägers ist der Beklagte auch in der Berufungsinstanz nicht qualifiziert entgegengetreten. Insbesondere hat er nicht die Aufstellung der zum 05.07.2012 fälligen Verbindlichkeiten, sondern vielmehr allein die daraus folgende Bewertung der Zahlungsunfähigkeit bestritten. Doch konnte die Insolvenzschuldnerin aus den ihr verfügbaren Mitteln der Barkasse und des weiteren Geschäftskontos die bereits fälligen Verbindlichkeiten keineswegs bedienen und zwar mit oder ohne Blick auf die Darlehensrückzahlungsverpflichtung gegenüber der S. M. GmbH. Die Liquiditätslücke betrug egal wie (deutlich) mehr als 10 %. Der Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin sich sodann noch im Juli 2012 mit der S. M. GmbH auf eine Ratenzahlung hinsichtlich des offenstehenden Darlehensrückzahlungsbetrages zur Abwendung der Zwangsvollstreckung einigte und einmalig zum 31.07.2012 eine Rate in Höhe von 50.000,00 EUR zahlte, ändert hieran nichts. Einzelne Zahlungen schließen die Zahlungsunfähigkeit nicht aus, es sei denn, sie würden mehr als 90 % der gesamten fälligen Zahlungspflichten tilgen (MüKoInsO/Kayser , 3. Aufl. 2013, InsO § 131 Rn. 28 m.w.N.), was vorliegend nicht der Fall war. Diese einzelne Zahlung ändert daher nichts daran, dass sich die Insolvenzschuldnerin weiterhin auch zu diesem Zeitpunkt außer Stande sah ihren übrigen fälligen Verbindlichkeiten nachzukommen. Zumal sie zu diesem Zeitpunkt darüber hinaus nicht mehr in der Lage war, die hinzu gekommenen weiteren Verbindlichkeiten in Form der im Juli 2012 fällig gewordenen Gehälter ihrer Arbeitnehmer in Höhe von ca. 300.000 EUR zu zahlen.

30

b) Entgegen der Auffassung der Berufung ist das Arbeitsgericht zudem zutreffend davon ausgegangen, dass die im Wege der Zwangsvollstreckung am 05.07.2012 und am 14.08.2012 beigetriebenen Beträge eine inkongruente Befriedigung des Beklagten bewirkten.

31

Der Gläubiger hat eine Befriedigung nicht nur dann nicht „in der Art“ zu beanspruchen, wenn er an Stelle der Leistung, die er zu fordern hat, in der kritischen Zeit eine andere, nicht geschuldete Leistung erhält. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 24.10.2013 – 6 AZR 466/12, NZA-RR 2014, 254 ff. m.w.N.) und des Bundesgerichtshofs (BGH 24.05. 2012 - IX ZR 96/11 - Rn. 2) hatte der Gläubiger auch eine während dieser Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigung nicht „in der Art“ zu beanspruchen.

32

Der erneut mit der Berufungsbegründung vorgebrachte Einwand, dass es wenig interessengerecht scheint, wenn ein Gläubiger, der lediglich von den ihm zur Verfügung stehenden gesetzlichen Zwangsmitteln Gebrauch gemacht hat, unabhängig von der Kenntnis der schuldnerischen Krise um die Früchte seiner Anstrengungen gebracht werden kann und seine Auffassung auch vom Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung vom 18.12.2015 (BT-Drucks. 18/7054) geteilt werde, vermag nicht zu überzeugen.

33

Denn es ist nach Auffassung der Berufungskammer sachlich gerechtfertigt, den Vorrang des zeitlich früheren Gläubigers ohne subjektive Voraussetzungen begrenzt in typisierender Betrachtungsweise einzuschränken, wenn das Vermögen eines Schuldners nicht mehr ausreicht, um alle seine Gläubiger zu befriedigen. Die stärkere Einschränkung für diejenigen Gläubiger, die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung - im Gegensatz zu freiwilliger Zahlung (§ 130 InsO) - finden, ist gerechtfertigt, weil gerade der Zahlungsrückstand des Schuldners, welcher den Gläubiger zur Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen veranlasst, (auch bei ihm) den "Verdacht" wecken muss, dass der Schuldner insolvenzreif ist, also nicht mehr alle seine Gläubiger zu befriedigen vermag (vgl. zu diesem Aspekt bereits LG Köln 21.07.2010 - 13 S 89/10, ZIP 2010, 2060).

34

Zudem rechtfertigt sich diese Differenzierung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs auch dadurch, dass der Gläubiger, der staatliche Zwangsmaßnahmen in Anspruch nimmt oder androht, anders als der Gläubiger, der eine freiwillige Zahlung entgegennimmt, aktiv auf das zur Befriedigung aller Gläubiger unzureichende Vermögen des Schuldners zugreift und zugleich andere Gläubiger von einem solchen Zugriff ausschließt. In der Unternehmenskrise soll eine Ungleichbehandlung der Gläubiger nicht mehr durch den Einsatz von oder die Drohung mit staatlichen Machtmitteln erzwungen werden. Der Einsatz dieser Mittel nimmt der Leistung des Schuldners aus objektiver Sicht den Charakter der Freiwilligkeit. Muss der Gläubiger den Schuldner durch die Drohung mit der Zwangsvollstreckung zur Leistung zwingen, liegt der Verdacht nahe, dass der Schuldner nicht zahlungsfähig ist. Eine solche Leistung ist nicht insolvenzfest (BAG 24.10.2013 – 6 AZR 466/12, NZA-RR 2014, 254 ff. m.w.N., vgl. auch BGH 24.05. 2012 - IX ZR 96/11 - Rn. 2).

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Schließlich hat diese Rechtsprechung vom Gesetzgeber bisher auch Anerkennung gefunden. So ist sie bereits im Gesetzgebungsverfahren des Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge vom 26. März 2007 bestätigt worden (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drucks. 16/3844 S. 11) und ist jedenfalls deshalb legitimiert (vgl. BAG 31.08.2010 – 3 ABR 139/09, NZA 2011, 995). Schon damals wurde der erneut mit dem jetzigen Gesetzesentwurf wieder aufgegriffene Formulierungsvorschlag, nach dem eine Rechtshandlung „nicht allein dadurch zu einer solchen nach § 131 Satz 1“ wird, dass „der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erlangt“ hat, aufgrund einer bewussten Entscheidung im parlamentarischen Verfahren nicht Gesetz, weil sie als mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung nicht vereinbar angesehen wurden (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drucks. 16/3844 S. 11, vgl. BAG 31.08.2010 – 3 ABR 139/09, NZA 2011, 995).

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Dementsprechend sieht der jetzige Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung in Artikel 2 (BT-Drucks. 18/7054, s. 8) auch vor, dass nach Art. 103 … des Einführungsgesetzes zur InsO auf Insolvenzverfahren, die vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung bereits eröffnet worden sind, das bis dahin geltende Recht weiter anzuwenden ist. Dem Gesetzesentwurf lässt sich daher nur die Absicht der Bundesregierung entnehmen, für die Zukunft die Rechtslage zu ändern. Eine derartige Absicht berechtigt aber nicht die Gerichte, die geltende und anerkannte Rechtslage außer Acht zu lassen.

37

Weitere Tatbestandsvoraussetzungen hat § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht. Insbesondere ist es ohne Relevanz, ob der Beklagte zum Zeitpunkt der Zwangsvollstreckung noch keine Hinweise auf eine bestehende Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin hatte.

38

2. Der Kläger hat mit der Erhebung der vorliegenden Klage am 28.05.2015, die dem Beklagten zeitnah zugestellt wurde, auch rechtzeitig vor Verjährungseintritt die Verjährung nach § 146 Abs. 1 InsO durch Rechtsverfolgung nach § 204 BGB gehemmt. Gemäß § 199 Abs. 1 begann die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist vorliegend erst mit dem Schluss des Jahres 2012, da am 01.11.2012 mit Beschluss des Amtsgerichts die Insolvenz über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet wurde.

39

3. Schließlich ist der Anspruch entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht verwirkt.

40

Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB und dient dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Sie hat jedoch nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen. Weiterhin muss - als Zumutbarkeitsmoment - das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem in Anspruch Genommenen die Erfüllung des Anspruchs oder die Einlassung auf die Klage nicht mehr zuzumuten ist (BAG 13.11.2014 - 6 AZR 869/13 -, NZA 2015, 1259 ff.).

41

Der Umstand, dass der Kläger als Insolvenzverwalter die dreijährige Verjährungsfrist weitestgehend ausschöpfte bevor er die vorliegende Klage erhob, vermag keinen Vertrauenstatbestand in der Hinsicht zu begründen, dass er das Anfechtungsrecht nicht mehr ausüben werde (vgl. so auch die herrschende Meinung zu dieser gängigen Praxis z.B. MüKoInsO/Kirchhof, 3. Aufl. 2013, InsO § 146 Rn. 11).

42

Entgegen der Auffassung des Klägers kommt auch dem Umstand, dass der Kläger nach den außergerichtlichen schriftlichen Zahlungsaufforderungen im Jahr 2013 mit der Klageerhebung bis zum Sommer 2015 zuwartete, kein Vertrauensmoment zu. Auch insoweit liegt ein reiner Zeitablauf vor. Das nötige Umstandsmoment kann auch nicht daraus geschlossen werden, dass die damaligen Rückzahlungsaufforderungsschreiben von der jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers ohne Beifügung einer Originalvollmacht erfolgten und daher vom Beklagten zurückgewiesen wurden.

43

Zum einem missversteht der Beklagte bei seiner Argumentation das Wesen der Insolvenzanfechtung. Sie beruht auf der Annahme, dabei handele es sich - wie bei der Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB - um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die nach § 174 S. 1 BGB zurückgewiesen werden könnte. Die Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO muss jedoch nicht - erst recht nicht ausdrücklich - erklärt werden, um wirksam ausgeübt zu werden. Sie ist kein Gestaltungsrecht, sondern lediglich das Geltendmachen der Rechtsfolgen, die sich aus der von selbst bestehenden Anfechtbarkeit gemäß § 143 InsO ergeben. Für die Ausübung des Anfechtungsrechts reicht es darum aus, dass die Anfechtungsabsicht erkennbar ist (BAG 19. Mai 2011 - 6 AZR 736/09 - Rn. 8; BGH 21. Februar 2008 - IX ZR 209/06 - Rn. 11). Diese Absicht wird aber auch aus einem Anfechtungsschreiben erkennbar, dass im Namen des Insolvenzverwalters ohne (Original-)vollmacht unter Hinweis auf den beigefügten Insolvenzeröffnungsbeschluss die Rückzahlung der im Wege der Zwangsvollstreckung erlangten Beträge mit Zahlungsfrist verlangt. Für eine analoge Anwendung des § 174 BGB ist im vorliegenden Fall daher kein Raum. Denn der Beklagte konnte sich aufgrund dieser Schreiben auch ohne Vorlage einer Originalvollmacht nicht mehr darauf verlassen, dass die anfechtbar erlangten Zahlungen nicht mehr zur Masse zurückgefordert werden. Der Empfänger einer Erklärung der Anfechtungsabsicht hat kein durch § 174 BGB zu schützendes Interesse, unverzüglich klare Verhältnisses zu schaffen (vgl. zu diesem Grundgedanken des § 174 BGB Soergel/Leptien, 13. Aufl., § 174 BGB Rn. 1). Anders als bei einer rechtsgestaltenden einseitigen Willenserklärung, wie etwa der Kündigung des Arbeitsverhältnisses, wird mit der Erklärung der Anfechtungsabsicht lediglich zur Erfüllung eines nach § 143 InsO bestehenden Anspruchs aufgefordert und keine weitere gestaltende Wirkung ausgelöst.

44

Zum anderen würde aber auch selbst bei abweichender Auffassung hinsichtlich der der analogen Anwendung des § 174 BGB, dies lediglich bedeuten, dass es keine wirksame außergerichtliche Geltendmachung im vorliegenden Fall gegeben hätte. Der Umstand, dass dann eine formwirksame Anfechtungserklärung erst in der vorliegenden Klage zu sehen wäre, vermag aber ebenfalls kein schutzwürdiges Vertrauen des Beklagten zu begründen. Denn auch dann verbliebe es allein dabei, dass der Kläger mit der gerichtlichen Geltendmachung bis zum Sommer 2015 zuwartete, was nicht weiter verwerflich ist.

45

Hinsichtlich des ferner vom Beklagten dem Kläger unterstellten angeblichen Motivs einer Rechtsänderung zuvorzukommen, ist zum einem bereits anzumerken, dass die Inanspruchnahme der geltenden Rechtslage im vorliegenden Fall wohl kaum zu missbilligen ist. Zum anderen geht dieser Einwand aber auch fehl, da etwaige Gesetzesänderungen mit dem Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung nur für zukünftige Insolvenzeröffnungen angestrebt werden und damit die hiesige Rückgewährforderung aus einer Insolvenzeröffnung aus dem Jahr 2012 nicht betreffen.

46

4. Der Zinsanspruch folgt nach der maßgeblichen jetzigen Gesetzeslage aus § 143 Abs. 1 S. 2 InsO, §§ 819 Abs. 1, 291 S. 1 Hs. 2, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

47

§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO enthält insoweit eine Rechtsfolgenverweisung auf § 819 Abs. 1 BGB. Auf Grund dieser Anknüpfung ist der Rückgewähranspruch auf anfechtbar erlangtes Geld als rechtshängiger Anspruch zu behandeln, so dass die Regeln über Prozesszinsen anzuwenden sind. Da der Rückgewähranspruch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig wird (BGH 01.09.2007, - IX ZR 96/04 -, NJW-RR 2007, 557 Rn. 14, 19 f.), beginnt die Zinspflicht entsprechend § 291 S. 1 BGB zu diesem Zeitpunkt. Auf die erst später erfolgte Geltendmachung gegenüber dem Beklagten kommt es daher nach der maßgeblichen jetzigen Gesetzeslage nicht an.

II.

48

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

49

2. Die Zulassung der Revision ist mangels Vorliegens gesetzlicher Gründe nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Es handelt sich um eine Entscheidung, der über den Einzelfall hinaus keine Bedeutung zukommt. Darüber hinaus sieht die Berufungskammer sich im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs sowie der zitierten herrschenden Meinung.

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