Beschluss vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (3. Kammer) - 3 Ta 117/11

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 17.06.2011, in Gestalt des Beschlusses vom 04.08.2009, Az. 52 Ca 801 d/08, aufgehoben und die Beschwerden mit Datum vom 04.08.2009 und vom 25.05.2011 zur erneuten Nichtabhilfeprüfung an das Arbeitsgericht zurückgegeben.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Mit seinen Beschwerden wendet sich der Kläger gegen die Aufhebung der ihm gewährten Prozesskostenhilfe, die bereits mit Beschluss vom 04.08.2009 erfolgte.

2

Dem aus P... stammenden Kläger war im Rahmen einer Kündigungsschutzklage mit Beschluss vom 09.10.2008 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt worden. Mit Verfügung vom 06.05.2009 war er vom Arbeitsgericht aufgefordert worden, innerhalb einer Frist von 4 Wochen mitzuteilen, ob und ggf. wie sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seither geändert haben. Nachdem eine Erinnerung vom 23.06.2009 erfolglos war, hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 04.08.2009 die Prozesskostenhilfe wegen fehlender Mitwirkung aufgehoben.

3

Dieser Beschluss ist zur Post gegeben worden am 05.08.2009 (Bl. 49 d. PKH-Akte). Am gleichen Tag - 05.08.2009 – ging bei dem Arbeitsgericht ein auf den 04.08.2009 datiertes Anschreiben des Klägers und ein ausgefüllter Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst einer Vielzahl von Belegen ein. Der Aufhebungsbeschluss wurde dem Klägervertreter am 06.08.2009 zugestellt. Mit gerichtlicher Verfügung vom 25.09.2009 wurde beim Kläger unter nicht näher spezifiziertem Hinweis, der Vordruck sei unvollständig ausgefüllt, angefragt, ob dieses Schreiben als eine Beschwerde gelten solle. In dem Fall sei es notwendig, die Beschwerde binnen zwei Wochen ausreichend zu begründen und die Erklärung zu vervollständigen. Nach fruchtlosem Fristablauf werde die Sache als erledigt angesehen und die Kosten zum Soll gestellt. Der Kläger reagierte hierauf nicht. Das Arbeitsgericht stellte die Kosten zum Soll.

4

Am 25. Mai 2011 übermittelte der Kläger unaufgefordert erneut eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen. Er wurde mit Verfügung vom 03.06.2011 darauf hingewiesen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits mit Beschluss vom 04.08.2009 aufgehoben wurde und dieser Beschluss rechtskräftig geworden sei. Der Kläger wies darauf hin, er sei nach wie vor nicht zahlungsfähig. Daraufhin wertete das Arbeitsgericht seine Schreiben als Beschwerde und half ihr unter Hinweis auf die Rechtskraft des Beschlusses vom 04.08.2009 nicht ab. Sodann legte das Arbeitsgericht unter Bezugnahme auf seinen Nichtabhilfebeschluss vom 17.06.2011 die Akte dem Landesarbeitsgericht am 21.06.2011 zur Entscheidung vor.

II.

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Die einheitlich als Beschwerden gegen den Prozesskostenhilfe aufhebenden Bescheid des Arbeitsgerichts vom 04.08.2009 auszulegenden Schreiben des Klägers vom 04.08.2009 und vom 25.05.2011 haben teilweise Erfolg. Über die Beschwerde des Klägers vom 04.08.2009 ist seitens des Arbeitsgerichts rechtsfehlerhaft bis heute nicht entschieden worden. Damit ist der Bescheid des Arbeitsgerichts vom 04.08.2009 nicht rechtskräftig. Das ist in der durch das erneute Schreiben des Klägers vom 25.05.2011 ausgelösten Nichtabhilfeprüfung vom 03.06.2011 nicht hinreichend berücksichtigt worden.

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1. Das Arbeitsgericht hätte das Schreiben des – selbständigen - Klägers vom 04.08.2009, mit dem er unter Hinweis auf den späten Erhalt der Gewinnermittlung für das Vorjahr eine neue Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen zur Akte gereicht hat, als Beschwerde behandeln und den Kläger nach inhaltlicher Prüfung bescheiden müssen. Das ergibt sich im Rahmen der gebotenen deutenden Auslegung von Eingaben einer Partei entsprechend § 140 BGB in Verbindung mit §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ZPO.

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a) Im Falle noch laufender Beschwerdefrist sind Eingaben, die Übermittlung von Unterlagen und/ oder Anträge einer Partei, die eine gerichtliche Entscheidung abwehren sollen, als sofortige Beschwerde einzuordnen, wenn ihnen auch nur ansatzweise inhaltliches tatsächliches oder rechtlich relevantes Vorbringen entnommen werden kann.

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(1) Die Einlegung einer Beschwerde geschieht zwar grundsätzlich durch Einreichung einer Beschwerdeschrift. Die unrichtige Bezeichnung eines Rechtsmittels ist aber stets unschädlich, solange der Wille zum Ausdruck gebracht wird, die angefochtene Entscheidung möge sachlich geprüft werden. Bei nicht anwaltlich vertretener Partei ist entgegenkommende großzügige Auslegung geboten (Zöller-Heßler, Kommentar zur ZPO, Rz. 7 und 7a zu § 570 ZPO).

9

(2) Im Verfahrensrecht gilt der Grundsatz, dass eine Parteihandlung mit einem prozessrechtlichen Gehalt auszulegen und als bestimmte Handlungsform – ggf. analog § 140 BGB – zu deuten oder umzudeuten ist, wenn sie die Voraussetzungen der Prozesshandlung erfüllt und ein entsprechender maßgeblicher Parteiwille zu erkennen ist (LAG Rheinland-Pfalz vom 13.01.2005 – 2 Ta 281/04 – zitiert nach Juris, Rz. 8 m.w.N.). Dabei ist dem erkennbaren Parteiwillen Rechnung zu tragen, eine gerichtliche Entscheidung nicht akzeptieren zu wollen, weil sie der Rechtslage nicht entspreche (LAG Rheinland-Pfalz, a.a.O). Das Rechtsstaatsprinzip gebietet es, den Zugang zu Rechtsbehelfsverfahren nicht in unzumutbarer Weise zu erschweren (BVerfG NJW 1993, 1380). Deshalb hat ein Gericht den Vortrag sachdienlich so auszulegen, dass die Erreichung des regelmäßig gewünschten Ziels, eine günstige anderweitige Entscheidung zu erreichen, möglich ist. Alle Anträge gegen getroffene Entscheidungen bis zum Ablauf der Beschwerdefrist sind grundsätzlich als Beschwerde aufzufassen, da mit der Beschwerde sowohl die Unrichtigkeit der getroffenen Entscheidung als auch eine zwischenzeitliche Veränderung bis zum Erlass der Beschwerdeentscheidung geltend gemacht werden können (Kalthoener/ Büttner, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Auflage 2010, Rz. 861). Auch bloße Eingaben oder Gegenvorstellungen sind in Fällen noch möglicher sofortiger Beschwerde als solche aufzufassen (Künzl/Koller, Prozesskostenhilfe, 2. Auflage, Rz. 516). Im Rahmen sachdienlicher Auslegung ist der Einreichung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse regelmäßig der erkennbare Wille zu entnehmen, dass z.B. eine Aufhebungsentscheidung nach § 120 Abs. 4 ZPO durch die Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse verhindert oder aus der Welt geschaffen werden soll.

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b) Gehen Eingaben, Unterlagen oder sonstige Erklärungen einer Partei zwischen Erlass und Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung ein, ist mit ihrem Eingang bei Gericht das Rechtsmittel - hier der sofortigen Beschwerde gem. §§ 127 Abs. 2, 567 ZPO – als fristwahrend eingelegt zu betrachten. Das hat zur Folge, dass dieses Rechtsmittel gem. § 572 ZPO zu bescheiden ist, ohne dass die Partei dieses nochmals ausdrücklich verlangen muss.

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(1) Die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ist gem. § 127 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 569 Abs. 1 ZPO binnen einer Notfrist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses (§ 127 Abs. 3 S. 3 ZPO). Das ist regelmäßig die Zustellung des Beschlusses nach § 329 Abs. 3 ZPO. Die sofortige Beschwerde kann erst ab Erlass der Entscheidung, aber schon vor dem Beginn der Frist eingelegt werden. Erlassen ist die Entscheidung mangels Verkündung mit der ersten Hinausgabe aus dem inneren Gerichtsbetrieb (Thomas/ Putzo - Reichold, Kommentar zur ZPO, Rz. 3 zu § 569 und Rz. 5 zu § 329 ZPO). Das ist beispielsweise das Einlegen in das RA- oder Abtragefach der Geschäftsstelle. Damit ist der Beschluss existent. Bis dahin eingehende Schriftstücke sind bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen (Putzo- Reichold, Rz. 5 zu § 329 ZPO).

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(2) Angesichts dieser klaren gesetzlichen Vorgaben ist es unzulässig, Schriftstücke, die zwischen Erlass der Entscheidung und dessen Zustellung eingehen, einerseits nicht mehr bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen und gleichzeitig andererseits nicht als rechtlich relevant einzuordnen. Derartige Eingänge sind in jedem Fall zu bescheiden. Ist bei deren Eingang die gerichtliche Entscheidung bereits existent, muss daher das Abhilfeverfahren nach § 572 ZPO durchgeführt werden, es sei denn die Partei nimmt das als Rechtsmittel auszulegende Anliegen definitiv schriftlich zurück.

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c) Vor diesem rechtlichen Hintergrund war das Verhalten des Klägers, nämlich die mit Schreiben vom 04.08.2009 erfolgte Übermittlung des ausgefüllten Vordrucks über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne des § 117 Abs. 4 ZPO nebst Belegen als sofortige Beschwerde einzuordnen. Bei Eingang dieser Unterlagen am 05.08.2009 war die die Prozesskostenhilfe wegen fehlender Mitwirkung gem. § 124 Abs. 2 ZPO aufhebende Entscheidung bereits existent. Der Beschluss ist am 04.08.2009 ergangen und ausweislich des „Ab-Vermerks“ am 05.08.2009 zur Post gegeben worden. Damit hat der Kläger bereits zwischen Erlass und Zustellung des Aufhebungsbeschlusses das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eingelegt. Das Arbeitsgericht durfte entgegen seiner Verfügung vom 25.09.2009 diesen Rechtsbehelf weder von einer Rückäußerung abhängig machen noch schlicht als erledigt ansehen. Es hätte das Abhilfeverfahren gem. § 572 ZPO betreiben müssen. Das ist bis heute nicht geschehen, so dass der Aufhebungsbescheid vom 04.08.2009 bis dato nicht rechtskräftig geworden ist.

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2. Diese sofortige Beschwerde vom 04.08.2009, eingegangen am 05.08.2009, ist auch zulässig. Sie ist der Beschwer nach statthaft, innerhalb der Beschwerdefrist des § 127 Abs. 2 ZPO eingelegt und auch hinreichend begründet worden. Abgesehen davon, dass gem. § 571 Abs. 1 ZPO die Beschwerde nicht begründet werden muss, sondern nur begründet werden soll, ist hier entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts in der Verfügung vom 25.09.2009 auch vom Vorliegen einer Begründung auszugehen. Das Anliegen des Klägers ist hinreichend deutlich geworden. Etwas anderes konnte er als Begründung nicht vorbringen. Der Kläger hat seine Einkommensverhältnisse und Vermögensverhältnisse dargelegt. Er hat außerdem Belege zur Akte gereicht und insbesondere unter Hinweis auf den späten Eingang der Gewinnermittlung die Verspätung entschuldigt. Die Gewinnermittlung trägt das Erstellungsdatum 7. Juli 2009 (Bl. 68 d. PKH-Akte). Die an den Klägervertreter gerichtete Auflage vom 23.06.2009 zur Beibringung von Unterlagen binnen der Frist von nur einer Woche ist unverhältnismäßig kurz, konnte vom Kläger in dieser Frist auch schon deshalb nicht erfüllt werden, weil die Einkommensnachweise erst nach Ablauf dieser Woche erstellt wurden.

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3. Da der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 04.08.2009 entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht rechtskräftig geworden ist, weil gegen ihn wirksam Beschwerde eingelegt wurde, über die noch nicht entschieden worden ist, war der anlässlich der erneuten Einreichung von aktuellen Einkommensnachweisen nur auf formelle Gründe gestützte Nichtabhilfebeschluss vom 17.06.2011 rechtsfehlerhaft und deshalb aufzuheben. Es hätten die wirtschaftlichen Verhältnisse geprüft werden müssen.

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4. Im Rahmen der erneuten Überprüfung der Begründetheit des Vorbringens des Klägers vom 04.08.2009 und vom 25.05.2011 wird zu berücksichtigen sein, dass die Nichtabgabe der Erklärung im Rahmen einer Nachprüfung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht mit einer derart starken Sanktion versehen ist wie die Nichtabgabe im Rahmen einer erstmaligen Bewilligung. Zwar ist gem. § 124 Ziffer 2 ZPO eine Aufhebung für den Fall der ausbleibenden Erklärung vorgesehen, jedoch besteht im Rahmen des § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Möglichkeit des Vorbringens neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel. Eine Nachreichung von Unterlagen ist daher im Nachprüfungsverfahren noch bis zur Nichtabhilfeentscheidung des Arbeitsgerichts möglich (LAG S.-H. vom 02.06.2003 – 2 Ta 93/03). Die Angaben und Belege des Klägers sind daher in der Nichtabhilfeprüfung noch zu berücksichtigen. Soweit mit Verfügung vom 25.09.2009 moniert wurde, der Vordruck sei unvollständig ausgefüllt, wird dieses zu konkretisieren sein. Im Übrigen ist unvollständiges Ausfüllen unschädlich, wenn Lücken durch eine beigefügte zusätzliche Erklärung oder beigefügte Belege geschlossen werden können (LAG S.-H. vom 16.09.2010 – 4 Ta 133/10; Zöller-Philippi, Rz. 16 zu § 117 ZPO m.w.N.).

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Eine Kostenerstattung im Beschwerdeverfahren erfolgt gem. § 127 Abs. 4 ZPO nicht.

18

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kam nicht im Betracht.


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