Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 14c O 112/14
Tenor
I.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle der Wiederholung bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland Handtaschen wie nachfolgend abgebildet, auch in anderen Farben des Korpus`, anzubieten oder anbieten zu lassen:
1.
2.
II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihr durch Handlungen gemäß Ziffern I. 1 und 2 sowie durch das Anbieten oder Anbieten lassen, das Einführen, Ausführen oder durch die Inbesitznahme zu diesen Zwecken der nachfolgend abgebildeten Täschchens in der Europäischen Union entstanden ist oder noch entstehen wird:
III.
Die Beklagte wird verurteilt, schriftlich Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über die Herkunft der Taschen gemäß Ziffer I. 1 und 2 sowie II. und den gesamten Umfang der in Ziffern I. 1 und 2 sowie II. bezeichneten Verletzungshandlungen und zwar unter Angabe
1.
von Namen und Anschrift aller Lieferanten sowie aller gewerblichen Abnehmer,
2.
der von ihr insgesamt bezogenen Stückzahlen, den Bezugszeitpunkten sowie den jeweiligen Einkaufspreisen,
3.
der von ihr insgesamt abgesetzten Stückzahlen, aufgeschlüsselt nach Filialen, Vertriebshandlungen im Wege des Fernabsatzes und den jeweiligen Kalenderdaten des Verkaufs sowie den jeweils erzielten Verkaufspreisen,
jeweils aufgeschlüsselt nach Artikeln und unter Vorlage von Rechnungen als Nachweis.
IV.
Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem Besitz oder Eigentum stehenden Täschchen gemäß Ziffer II. zur Vernichtung an den zuständigen Gerichtsvollzieher herauszugeben.
V.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.586,90 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.08.2014 zu zahlen.
VI.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VII.
Die Widerklage wird abgewiesen.
VIII.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 15 % und die Beklagte zu 85 %.
IX.
Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 400.000,- € und für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Vertriebs zweier Handtaschenmodelle aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz auf Unterlassung, Schadenersatzfeststellung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die erfolgte Abmahnung der Beklagten in Anspruch. Weiter nimmt sie die Beklagte wegen des Vertriebs eines Täschchens zuletzt noch auf Schadenersatzfeststellung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Herausgabe zum Zwecke der Vernichtung sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die erfolgte Abmahnung der Beklagten aus einem eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster in Anspruch. Die Beklagte nimmt die Klägerin im Wege der Widerklage wegen einer angeblich unberechtigten Schutzrechtsverwarnung auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
3Die Klägerin ist ein französisches Unternehmen, das sich mit der Herstellung von hochwertigen Lederwaren, Handtaschen, Koffern und modischen Accessoires befasst. Zu ihrem Sortiment gehört seit Mitte der 1990er Jahre eine faltbare Handtasche aus Nylon, die sie unter der Bezeichnung „Le Pliage“ anbietet und in Deutschland über eine Tochtergesellschaft vertreibt. Die hier streitgegenständliche Handtasche wird dabei unter den Art-Nr. 1621, 1623 - 1625, 2605, #####/#### in verschiedenen Farben und Größen sowie in zwei verschiedenen Henkellängen von der Klägerin selbst bzw. von Dritten unter ihrer Produktionskontrolle hergestellt. Auf die Abbildungen in der Anlage K 1 wird insoweit Bezug genommen. Das nachfolgend in gefülltem und in zusammengefalteten Zustand wiedergegebene Modell trägt die Artikelnummer 1899 – vormals 2724:
4 5 6Das weitere nachfolgend in gefülltem Zustand wiedergegebene Modell trägt die Artikelnummer 1621:
7 8Die oben näher bezeichneten Ausführungsformen des Handtaschenmodells sind auf dem deutschen Markt außerordentlich erfolgreich. Im Jahre 2001 erzielte die deutsche Vertriebsgesellschaft der Klägerin, die M GmbH, mit diesen Taschen in Deutschland einen Umsatz von rund 900.000,- €, der sich im Jahr 2002 um etwa 50 % auf 1.400.000,- € erhöhte. Im Jahre 2003 verdoppelte sich der Umsatz auf 2.900.000,- €. Im Jahr 2004 und den darauf folgenden Jahren lag die Umsatzzahl bei jährlich über 3 Millionen €. In den Jahren danach konnte der Umsatz nochmals gesteigert werden. Allein von der Tasche mit der Artikelnummer 1899 setzte die Klägerin in Deutschland seit 2003 jährlich 30.000 Stück, im Jahr 2010 über 40.000 Stück und im Jahr 2011 über 60.000 Stück ab. In den Jahren 2012 und 2013 lagen die Absatzzahlen nochmals darüber. Von der Tasche mit der Artikelnummer 1621 setzte die Klägerin in Deutschland im Jahr 2009 über 40.000 Stück ab, 2010 über 60.000 Stück und 2011 sogar über 80.000 Stück. In den Jahren 2012 und 2013 lagen die Absatzzahlen nochmals darüber. Dabei tätigt die Klägerin schon seit längerem keine Ausgaben für Werbung.
9Über die in Rede stehenden Taschen der Klägerin wurde überdies seit #####/#### durch verschiedene Medien berichtet. So war die „Le Pliage“ Gegenstand von Berichterstattungen, u. a. in der Freundin (1994), Bild der Frau (1995), BUNTE (2005), Brigitte (2005), Welt am Sonntag (2005) und Vogue (2006) (vgl. Anlagen K 6.1 und 6.2, 7.1 bis 7.3 und 7.5). Die Tasche der Klägerin wird in der Öffentlichkeit zudem im Zusammenhang mit bekannten Persönlichkeiten abgebildet (vgl. Anlagen K 7.6, 7.8, 7.12). Schließlich werden die Taschen von Lufthansa im Rahmen ihres Bonusprogramms angeboten (Anlage K 7.14).
10Die Klägerin bietet unter der Oberbezeichnung „Le Pliage“ Variationen der unter der oben genannten Artikelserie vertriebenen Handtaschenmodelle an, wie sie sich beispielsweise aus den Anlagen FN 2 bis FN 9 ergeben. Größtenteils hat die Klägerin diese Artikel zum Anlass des 20-jährigen Vertriebs der „Le Pliage“ im Jahre 2014 entwickelt und auf den Markt gebracht. Die in den Anlagen FN 2, 5 und 10 abgebildeten Modelle, welche bereits seit längerem auf dem deutschen Markt vertrieben werden, machen weniger als 3 % der Umsatzzahlen der hier streitgegenständlichen Modelle aus.
11Weiter bietet die Klägerin seit über 10 Jahren zu den in Rede stehenden Handtaschen weitere Taschen und Accessoires (Kosmetiktäschchen, Portmonnaies) an. Insoweit ist die Klägerin Inhaberin des am 26.05.2003 angemeldeten und am 11.11.2003 eingetragenen und veröffentlichten Gemeinschaftsgeschmacksmuster (im Folgenden: Klagegeschmacksmuster). Das Klagegeschmacksmuster steht in Kraft und zeigt ein Täschchen wie nachfolgend abgebildet:
12 13Die Beklagte betreibt Im- und Export von Waren aller Art, insbesondere von Spielzeugen, Geschenkartikeln, Bekleidung und Haarartikeln sowie Groß- und Einzelhandel mit diesen Waren mit Schwerpunkt im deutschen, europäischen und mediterranen Raum. Durch eine nach Abmahnung abgegebene umfassende Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung der Firma E 2014 erlangte die Klägerin Kenntnis davon, dass die Beklagte die im Urteilstenor bildlich wiedergegebenen Erzeugnisse an die Firma E zum Zwecke des Verkauf geliefert hatte.
14Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25.03.2014 mahnte die Klägerin die Beklagte ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs-erklärung auf (Anlage K 15). Eine Antwort erfolgte nicht.
15Die Klägerin ist der Auffassung, die „Le Pliage“-Tasche verfüge über wettbewerbliche Eigenart. Ihr unter den Art-Nr. 1621, 1623 - 1625, 2605, #####/#### in verschiedenen Farben und Größen sowie in zwei verschiedenen Henkellängen vertriebenes Handtaschenmodell hebe sich deutlich von den übrigen, gegenwärtig am Markt erhältlichen Handtaschen ab, wie beispielsweise die als Anlage K 2 vorgelegte Marktübersicht, veröffentlicht in der Frauenzeitschrift „Cosmopolitan“ im Jahre 2003 zeige. Die von der Beklagten vertriebenen und nunmehr angegriffenen beiden Taschenmodelle stellten eine nahezu identische Leistungsübernahme ihres Taschenmodells dar und führten bei den Abnehmern die Gefahr einer vermeidbaren Täuschung über die betriebliche Herkunft herbei und nutzten die Wertschätzung der Taschen der Klägerin aus. Auch wenn die angegriffenen Taschen über keinen echten „Überschlag“, der von der Rückseite der Tasche über den oberseitigen Reißverschlss auf die Vorderseite verlaufe, aufweisen würden, sondern einen sog. Trompe l´œil-Überschlag, der unmittelbar unterhalb des oberseitigen Reißverschlusses aufgebracht sei, nicht aber über diesen auf die Rückseite hinausreiche, sei dies für den interessierten Verbraucher schon nicht wahrnehmbar. Auch die geringere Größe falle nicht auf. Ohnehin würde der Verbraucher auch dann ohne Weiteres davon ausgehen, die Klägerin biete den von ihren Accessoires bekannten Miniaturüberschlag nunmehr auch für die „Le Pliage“ an. Auch der auf der Vorderseite des einen beanstandeten Taschenmodells angebrachte Reißverschluss stelle lediglich eine praktische – funktionale – Ergänzung ihres Handtaschenmodells dar, so dass der Verkehr hierin jedenfalls nur eine weitere Ausführungsform der „Le Pliage“ sehe.
16Das angegriffene kleine Täschchen sei eine Verletzung des Klagegeschmacks-musters. Allein die Anbringung einer Trageschlaufe am oberseitigen Reißverschluss-zug sei nicht geeignet, dieses aus dem Schutzbereich des Klagegeschmacksmusters herauszuführen.
17Die Klägerin hat mit der am 25.07.2014 bei Gericht eingegangenen und am 21.08.2014 zugestellten Klageschrift zunächst begehrt,
18I.
19die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland, beziehungsweise, nämlich bezüglich des nachfolgend unter 3 abgebildeten Erzeugnisses, in der Europäischen Union, Handtaschen und Täschchen wie nachfolgend abgebildet, auch in anderen Farben des Korpus‘, anzubieten oder anbieten zu lassen und – bezüglich des nachfolgend unter 3 abgebildeten Erzeugnisses - in die Europäische Union einzuführen oder auszuführen oder zu diesen Zwecken zu besitzen:
201.
21 222.
23 243.
25 26II.
27festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu erstatten, der ihr durch Handlungen gemäß Ziffern I. 1. bis I. 3. entstanden ist und noch entstehen wird;
28III.
29die Beklagte zu verurteilen, schriftlich Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über die Herkunft der Taschen gemäß Ziffern I. 1. bis I. 3. und den gesamten Umfang der in Ziffern I. 1. bis I. 3. bezeichneten Vertriebshandlungen und zwar unter Angabe
30- 31
1. von Namen und Anschrift aller Lieferanten sowie aller gewerblichen Abnehmer,
- 33
2. der von ihr insgesamt bezogenen Stückzahlen, den Bezugszeitpunkten sowie den jeweiligen Einkaufspreisen,
- 35
3. der von ihr insgesamt abgesetzten Stückzahlen, aufgeschlüsselt nach Filialen, Vertriebshandlungen im Wege des Fernabsatzes und den jeweiligen Kalenderdaten des Verkaufs sowie den jeweils erzielten Verkaufspreisen,
jeweils aufgeschlüsselt nach Artikeln und unter Vorlage von Rechnungen als Nachweis;
37IV.
38die Beklagte zu verurteilen, die in ihrem Besitz oder Eigentum stehenden Taschen gemäß Ziffer I. 3. zur Vernichtung an den zuständigen Gerichtsvollzieher herauszugeben;
39V.
40die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 4.586,90 zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.08.2014 zu zahlen.
41Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16.10.2014 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung entsprechend dem angekündigten Klageantrag zu I. 3 abgegeben und die Klägerin diese angenommen hat, haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
42Die Klägerin beantragt nunmehr unter Berücksichtigung der teilweisen übereinstimmenden Erledigungserklärung im Übrigen entsprechend des Antrags aus der Klageschrift zu erkennen.
43Hilfsweise zu I. 1 und 2, II. und III. beantragt sie,
44zu erkennen wie geschehen.
45Die Beklagte beantragt,
46die Klage abzuweisen.
47Widerklagend beantragt sie,
48die Klägerin zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 4.411,25 € zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
49Die Klägerin beantragt,
50die Widerklage abzuweisen.
51Die Beklagte ist der Auffassung, dem klägerischen Taschenmodell fehle es an wettbewerblicher Eigenart. Taschen mit den Merkmalen, wie sie die Klägerin für ihr Modell in Anspruch nehme, seien in Deutschland dem Verkehr seit Jahrzehnten bekannt, wobei sie auf die Taschen von Mrs. D (Anlagen FN 29 bis 35 b) und von Picard (Anlagen FN 16 bis 18) verweist. Jedenfalls seien die das klägerische Taschenmodell prägenden Merkmale inzwischen Allgemeingut geworden, wie eine Vielzahl anderer Handtaschen zeige (Anlagen FN 15 bis 19). Die Klägerin selbst habe zu der Verwässerung der wettbewerblichen Eigenart ihres Taschenmodells beigetragen. So biete die Klägerin mittlerweile so viele verschiedene Ausführungsformen der Taschen an (Anlagen FN 2 bis 10), dass nicht mehr von einem typischen, auf sie hinweisenden Gesamteindruck gesprochen werden könne. Wenn überhaupt werde die wettbewerbliche Eigenart der Le Pliage nur noch durch den Überschlag, welcher sich mittig zwischen den Henkeln befinde, begründet. Gerade dieses Merkmal des Überschlags sei bei den angegriffenen Taschen-modellen nicht zu finden. Entsprechend seien ihren Taschen – unstreitig – auch nicht faltbar. Bei der angegriffenen kleineren Tasche falle überdies sofort ins Auge, dass diese eine kleine Außentasche mit Reißverschluss besitze.
52Sie sei bezüglich des angegriffenen Täschchens, wie es sich aus dem inzwischen übereinstimmend für erledigten Klageantrag zu I. 3. ergebe, auch nicht zur Auskunftserteilung, Vernichtung und Schadenersatzzahlung verpflichtet. Denn es weise gegenüber dem Klagegeschmacksmuster Unterschiede auf, die zu einem abweichenden Gesamteindruck führten. So sei es im Gegensatz zum geschützten Täschchen stark durchsichtig; außerdem besitze es eine Tragschlaufe. Hierdurch wirke es anders als das geschützte Muster nicht wie ein schicker, modischer und tendenziell feiner Geldbeutel, vielmehr wie ein praktisches, preiswertes und einfaches Utensil.
53Da es sich mithin insgesamt um eine unberechtigte Schutzrechtverwarnung handele, sei die Klägerin zur Erstattung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten in Höhe der Widerklageforderung (nicht anrechenbare 1,25 Gebühr aus 600.000,- € zzgl. 20,- € Auslagenpauschale) verpflichtet.
54Mit nicht nachgelassenen Schriftsätzen vom 15. und 16.01.2015 hat die Klägerin jeweils ein Exemplar ihrer Artikel mit der Nr. 1899, 1621 sowie 3693 zur Akte gereicht sowie weiter vorgetragen. Die Beklagte hat mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 29.01.2015 weiter vorgetragen.
55Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die tatsächlichen Feststellungen in den nachfolgenden Entscheidungsgründen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
56Die Klage ist im Hauptantrag teilweise bereits unzulässig und hat insoweit erst mit dem Hilfsantrag Erfolg. Soweit sie zulässig ist, ist sie auch begründet. Die Widerklage hat keinen Erfolg.
57A.
58Die Klage ist hinsichtlich des Hauptantrags zu I. 1 und 2 und dem folgend teilweise bezüglich der Hauptanträge zu II. und III. bereits unzulässig, da diese Anträge nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und es in der Zwangsvollstreckung, wenn dem gestellten Antrag im Erkenntnisverfahren Rechnung getragen würde, die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen wäre (BGH, GRUR 2011, 152 ff. – Kinderhochstühle im Internet; BGH, GRUR 1998, 489 ff. – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; Köhler/Bornkamm-Köhler, Wettbewerbsrecht, UWG, 33. Aufl. 2015, § 12 Rz. 2.35).
59So liegt der Fall hier. Den zum Gegenstand der Klageanträge zu Ziffern I. 1 und 2 und damit auch II. und III. gemachten Abbildungen lässt sich die Gestaltung der Taschen nicht hinreichend klar entnehmen. Wie die Klägerin selbst mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 19.11.2014 vorgetragen hat, ist auf den Bildern nicht erkennbar, ob die jeweils zwischen den Henkeln angeordnete Lederapplikation wie beim Original über den oberseitigen Reißverschluss führt oder nicht, was ein für die Frage der unlauteren Nachahmung wichtiges Detail der angegriffenen Taschen ist. Zwar ist ein Klageantrag im Grundsatz auslegungsfähig. Auf den Hinweis der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.01.2015 hat die Klägerin indes auf dem Antrag in der angekündigten Fassung bestanden, so dass bei entsprechender Tenorierung in einem etwaigen Vollstreckungsverfahren die Gefahr bestünde, dass Streit darüber entsteht, ob von dem Tenor nur Taschen mit einem echten Überschlag erfasst sind oder auch solche, die ihn nur andeuten.
60B.
61Indes hat die Klage mit den insoweit hilfsweise geltend gemachten Anträgen vollumfänglich Erfolg. Die Klägerin kann von der Beklagten Unterlassung, Auskunft bzw. Rechnungslegung und Schadenersatz in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang verlangen.
62I.
63Der Unterlassungsanspruch folgt aus § 8 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a UWG.
641.
65Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Anspruchsberechtigt für die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 1 UWG in Verbindung mit den Grundsätzen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes ist der Hersteller des Originals, also derjenige, der das Produkt in eigener Verantwortung herstellt oder von einem Dritten herstellen lässt und über das Inverkehrbringen entscheidet (OLG München, GRUR-RR 2004, 85; Köhler/Bornkamm-Köhler, Wettbewerbsrecht, 33. Aufl. 2015, § 4 Rz. 9.85). Dies ist vorliegend unbestritten die Klägerin.
66Überdies sind die Parteien Mitbewerber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, da sie auf dem deutschen Markt für Handtaschen in einem konkreten Wettbewerbs-verhältnis stehen.
672.
68Der Vertrieb eines nachahmenden Erzeugnisses ist wettbewerbswidrig, wenn das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt und besondere Umstände hinzutreten, welche die Nachahmung als unlauter erscheinen lassen. Dies ist der Fall, wenn die Nachahmung geeignet ist, eine Herkunftstäuschung hervorzurufen und der Nachahmer geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlässt (§ 4 Nr. 9 a) UWG) oder wenn ein Nachahmer die Wertschätzung der nachgeahmten Ware unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt (§ 4 Nr. 9 b) UWG). Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen, so dass bei einer größeren wettbewerblichen Eigenart und einem höheren Grad der Übernahme geringere Anforderungen an die besonderen Umstände zu stellen sind, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (st. Rspr.: vgl. nur BGH, GRUR 2010, 80 – LIKEaBIKE; BGH, GRUR 2009, 79 Rn. 27 - Gebäckpresse).
69a)
70Die von der Klägerin hergestellten Taschen besitzen wettbewerbliche Eigenart. Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH, GRUR 2007, 795, 797 - Handtasche). Die wettbewerbliche Eigenart eines Produktes kann sich sowohl aus ästhetischen, als auch aus technischen Merkmalen ergeben. Auf die Neuheit oder schöpferische Eigentümlichkeit der Gestaltung kommt es dabei ebenso wenig an wie darauf, ob die zur Gestaltung eines Produktes verwendeten Einzelmerkmale originell sind. Entscheidend ist vielmehr, ob sie in ihrer Kombination dem Produkt ein Gepräge geben, das dem Verkehr einen Rückschluss auf die betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten ermöglicht (BGH, GRUR 2013, 1052, 1054 - Einkaufswagen III; Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rn. 9.27). Die Bekanntheit eines Produktes im Verkehr ist hierfür nicht Voraussetzung, sie kann aber zur Steigerung der wettbewerblichen Eigenart beitragen (BGH, GRUR 2010, 1125, Rn. 24 - Femur-Teil).
71Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die „Le Pliage“-Taschen der Klägerin über wettbewerbliche Eigenart verfügen.
72Die verschiedenen Modelle der Falttasche „Le Pliage“ weisen alle die folgenden Merkmale auf:
73a) Querformatiger, trapezförmiger Korpus aus Nylon oder nylonartigem Material,
74b) dessen Oberseite sich mit einem Reißverschluss öffnen und verschließen lässt,
75c) beidseits unmittelbar neben dem Reißverschluss sind mit Sichtnähten voluminös ausgestaltete, schlauchförmige Tragegriffe und zwischen diesen ein Überschlag angebracht,
76d) an beiden Enden des Reißverschlusses befinden sich leicht ansteigend überstehende Besatzstücke („Ohren“),
77e) Tragegriffe, Überschlag und Besatzstücke sind aus Leder gefertigt, welches in farblichem Kontrast zum Korpus steht,
78f) die Tasche ist faltbar mit der Möglichkeit, die Faltung mittels des Überwurfs zu fixieren.
79Diese Elemente vermitteln der Tasche in ihrer Kombination ein ganz eigenes Gepräge, das sie deutlich vom vorbekannten Formenschatz abhebt. Das zeigt insbesondere die in der Ausgabe Mai 2003 der Zeitschrift „Cosmopolitan“ präsentierte und als Anlage K 2 vorgelegte Übersicht „101 Taschen“, in der die Tasche der Klägerin als Nr. 23 aufgeführt ist, wobei sie sich deutlich von anderen Modellen abhebt.
80Dass bei der Markteinführung von „Le Pliage“, dessen Zeitpunkt in den Jahren #####/#### die Klägerin durch Verweis auf aus dieser Zeit stammende Medienberichte (Anlagen K 6.1 und 6.2) hinreichend dargelegt hat und dem die Beklagte nicht entgegen getreten ist, eine Tasche bekannt gewesen wäre, die eine identische Merkmalskombination mit der beschriebenen Kontrastwirkung vorweggenommen hätte, hat die Beklagte nicht darzulegen vermocht. Die von dieser angeführten D Taschen (Anlagen FN 29 bis 35 b) weisen teils zwar einen querformatigen, trapezförmigen Korpus auf und verfügen über zwei Tragegriffe, zwischen denen ein Überschlag angebracht ist. Bereits mit ihren horizontalen Lederstreifen oben und unten sowie dem erkennbar steifen und überdies stark verzierten Korpusmaterial wirken sie erkennbar verspielter, zugleich aber auch steifer als das sportlich-schicke, unaufdringliche Taschenmodell der Klägerin. Hinsichtlich der weiteren als Anlagen FN 16 bis 19 angeführten Entgegenhaltungen hat die Beklagte schon nicht ausreichend dargetan, dass diese Tasche bereits im Zeitpunkt der Markteinführung der Taschen der Klägerin vertrieben worden sind und damit eine vorrangige Priorität genießen. Selbst die entgegengehaltene Picard-Tasche ist nach eigenem Vorbringen der Beklagten allenfalls zeitgleich mit dem klägerischen Taschenmodell, nämlich im Jahr 1995, auf den Markt gekommen. Sie stehen der wettbewerblichen Eigenart zum Zeitpunkt der Markteinführung deshalb nicht entgegen. Dass möglicherweise einzelne Merkmale des Taschenmodells der Klägerin für sich genommen vorbekannt waren, ist unschädlich, da die wettbewerbliche Eigenart – wie bereits ausgeführt – nicht Neuheit voraussetzt.
81Die durch das eigene Gepräge der Tasche der Klägerin geschaffene Möglichkeit des Rückschlusses auf die betriebliche Herkunft ist auch nicht durch die zwischenzeitliche Entwicklung verloren gegangen. Die Beklagte, die für die tatsächlichen Voraussetzungen des nachträglichen Entfallen einer einmal begründeten wettbewerblichen Eigenart darlegungs- und beweisbelastet ist (BGH, GRUR 1998, 477 – Trachtenjanker), hat zwar verschiedene Taschen (Anlagen FN 16 bis 19) angeführt, die ihrer Ansicht nach die eigentümlichen Merkmale der Tasche „Le Pliage“ nahezu identisch oder jedenfalls ähnlich aufweisen. Diese Annahme trifft indes in Teilen erkennbar schon nicht zu. So weisen die Taschen der Serie „Easy“ des Herstellers Picard (Anlagen 16 bis 18) alle eine auffallend andere, nämlich jaquardmusterartige Stoffstruktur auf, die diesem Modell eine sehr spezielle und damit selbständige Gesamtanmutung geben.
82Ob hinsichtlich der weiteren angeführten Taschen angenommen werden kann, dass diese - zumindest überwiegend - die eigentümlichen Merkmale der „Le Pliage"-Taschen übernehmen, kann dahinstehen. Allein der Umstand, dass ein Modell vielfach nachgeahmt wird, lässt die wettbewerbliche Eigenart jedenfalls dann nicht entfallen, sofern die prägenden Gestaltungsmerkmale infolge der Vielzahl oder des großen Umfangs von Nachahmungen noch nicht Allgemeingut geworden sind und der Verkehr noch zwischen dem Original und den Nachahmungen unterscheidet (vgl. BGH, GRUR 2005, 600 – Handtuchklemmen; BGH, GRUR 2007, 795 Rn. 28 - Handtaschen). Die Klägerin hat durch die Vorlage zahlreicher Gerichts-entscheidungen und Unterlassungserklärungen substantiiert dargelegt, dass sie Nachahmungen ernsthaft und umfangreich verfolgt. Anhaltspunkte dafür, dass die das Taschenmodell der Klägerin prägende Merkmalskombination trotzdem bereits Allgemeingut wäre, bestehen nicht. So fehlen – trotz des dahingehenden Hinweises der Klägerin – konkrete Angaben zu Vertriebszeitraum und Absatzzahlen bezüglich der mit den Anlagen FN 15 und 19 sowie FN 29 bis 35 b entgegen gehaltenen Taschen sowie der angeführten Hexagona-Tasche (Abbildung Bl. 75 GA). Solche zuverlässigen Angaben ergeben sich – entgegen der Ansicht der Beklagten – auch nicht aus den Anlagen FN 29 bis 33 selbst. Angesichts der unstreitigen Umsatzzahlen des in Streit stehenden klägerischen Taschenmodells hätte das Entfallen wettbewerblicher Eigenart aber erst bei einem besonders intensiven Vertrieb von Nachahmungen angenommen werden können. Das klägerische Handtaschenmodell ist auch nicht aufgrund seines durchschlagenden Erfolgs zum Allgemeingut geworden, wie die Beklagte meint. Im Gegenteil vermag die Bekanntheit eines Erzeugnisses den Grad der wettbewerblichen Eigenart zu steigern (BGH, GRUR 2013, 1052 Rz. 24 – Einkaufswagen III; Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rz. 9.25). Schließlich vermag auch der Umstand, dass die Klägerin bei Sonderausführungen einzelne Merkmale des hier in Streit stehenden Taschenmodells verändert hat (Anlagen FN 2 bis 10), eine relevante Verwässerung seiner wettbewerblichen Eigenart nicht herbeizuführen. Ebenso wie die Eigenart nicht schon dann verloren geht, wenn der Hersteller das Original (u.U. schon jahrelang) nicht mehr vertreibt (Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rz. 9.26), vermögen auch Weiterentwicklungen und Varianten die wettbewerbliche Eigenart allenfalls dann zu schwächen, wenn sie in einem relevanten Umfang vertrieben werden. Hiervon kann indes nicht ausgegangen werden, da unstreitig geblieben ist, dass die Variationen überwiegend erst im Jahre 2014 auf den Markt gekommen sind und im Übrigen nur einen geringen einstelligen Prozentsatz des Gesamtumsatzes ausmachen.
83b)
84Die beiden von der Beklagten angebotenen Handtaschenmodelle stellen eine Nachahmung des klägerischen Taschenmodells dar.
85Bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit ist grundsätzlich auf die Gesamtwirkung der sich gegenüberstehenden Produkte abzustellen (BGH, GRUR 2007, 795 Rz. 32 – Handtaschen). Denn der Verkehr nimmt ein Produkt in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen wahr, ohne es einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen (BGH, GRUR 2010, 80 Rz. 39 – LIKEaBIKE). Daher genügt es nicht, nur einzelne Gestaltungsmerkmale zu vergleichen, um den Grad der Ähnlichkeit zu bestimmen.
86Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn die Nachahmung nur geringfügige, im Gesamteindruck unerhebliche Abweichungen vom Original aufweist (vgl. BGH, GRUR 2000, 521, 524 – Modulgerüst I; BGH, GRUR 2010, 1125 Rz. 25 – Femur-Teil). Eine nachschaffende Nachahmung ist anzunehmen, wenn die fremde Leistung nicht identisch oder nahezu identisch nachgeahmt, sondern lediglich als Vorbild benutzt und nachschaffend unter Einsatz eigener Leistung wiederholt wird, somit eine bloße Annäherung an das Originalprodukt vorliegt (BGH, GRUR 2007, 795 Rz. 22 – Handtaschen; Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rz. 9.37).
87Eine Anwendung der vorstehenden Grundsätze führt zur Annahme, dass jedenfalls eine nachschaffende Leistungsübernahme anzunehmen ist.
88Das Gesamterscheinungsbild beider Taschen der Beklagten, die wie die Taschen der Klägerin einen querformatigen, trapezförmigen Korpus aus nylonartigem Material aufweisen, wird ebenfalls durch die Zweifarbigkeit der Elemente Tragegriffe/Besatzstücke einerseits und Korpus andererseits geprägt. Die unifarbenen Elemente der angegriffenen Ausführungsformen zeichnen sich weiter in Bezug auf ihre Anordnung und spezifische Formgebung ebenso wie das Original durch voluminös ausgestaltete, schlauchförmige Tragegriffe und Besatzstücke „Ohren“ an den Reißverschlussenden aus. Ferner sind auch die angegriffenen Ausführungsformen oben mit einem Reißverschluss ausgestaltet.
89Der Umstand, dass die kleinere der beiden angegriffenen Taschen über eine Außentasche auf der Vorderseite verfügt, die mittels eines sichtbaren Reißverschlusses verschlossen werden kann, sowie dass beide angegriffenen Taschen keinen Überschlag im eigentlichen Sinne aufweisen und auch nicht faltbar sind, steht der Annahme einer zumindest nachschaffenden Leistungsübernahme nicht entgegen. Denn hierdurch setzen sich beide Erzeugnisse nicht deutlich genug von dem Original ab. Im Gegenteil zeigen beide Erzeugnisse ein an derselben Stelle wie das Original zwischen den Henkeln angeordnetes, ledernes Zierelement, welches – wenn auch deutlich verkleinert – dieselbe Form wie der Überschlag und auch einen mittig angeordneten goldfarbenen Knopf hat. Damit bleibt das Original ohne Weiteres als Vorbild erkennbar.
90c)
91Es besteht auch die Gefahr einer Herkunftstäuschung, § 4 Nr. 9 lit. a) UWG. Die Beklagte hat zumutbare und geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlassen.
92Bei der Beurteilung der Herkunftstäuschung ist der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass der Verkehr die fraglichen Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung auf Grund eines Erinnerungseindrucks gewinnt. Dabei treten regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale stärker hervor, so dass es mehr auf die Übereinstimmungen als auf die Unterschiede ankommt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, GRUR 2007, 795 – Handtaschen; BGH, GRUR 2010, 80 – LIKEaBIKE). Die Herkunftstäuschung setzt nicht voraus, dass alle Gestaltungsmerkmale übernommen werden; vielmehr kommt es darauf an, dass gerade die übernommenen Gestaltungsmerkmale geeignet sind, im Verkehr auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen (Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rn. 9.43). Überdies ist bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit von Produkten auf den Gesamteindruck abzustellen, den Original und Nachahmung bei ihrer bestimmungsgemäßen Benutzung dem Betrachter vermitteln (BGH, GRUR 2002, 629, 632; Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rz. 9.43). Schließlich genügt für die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft, wenn der Verkehr bei einem nachgeahmten Produkt annimmt, es handele sich um eine neue Serie oder um eine Zweitmarke des Originalherstellers oder es bestünden lizenz- oder gesellschaftsvertragliche Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen (BGH, GRUR 2009, 1073 – Ausbeinmesser).
93Eine Prüfung anhand dieser Kriterien ergibt, dass der Beklagten eine vermeidbare Herkunftstäuschung zur Last fällt. Zwar sind bei einer lediglich nachschaffenden Übernahme die Anforderungen an die wettbewerbliche Eigenart und die sonstigen, die Unlauterkeit begründenden Merkmale höher als bei einer nahezu identischen Übernahme. Vor dem Hintergrund der aufgrund großer Verkehrsbekanntheit sehr hohen wettbewerblichen Eigenart der Taschen der Klägerin führt die Gesamtabwägung hier dennoch zu dem Ergebnis, dass wettbewerblich unzulässige Nachahmungen vorliegen.
94So mögen das Fehlen des Überschlags und – bei der kleineren Tasche – das Vorhandensein einer mittels Reißverschluss verschließbaren Außentasche dem interessierten Verbraucher auffallen. Angesichts der im Übrigen nahezu identisch übernommenen Gestaltungsmerkmale bis hin zur kreisrunden, goldfarbenen Reißverschlussschlaufe wird der Verkehr indes annehmen, es handele sich um eine neue Serie des Originalherstellers oder es bestünden lizenzvertragliche Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen. Hierfür spricht nicht zuletzt, dass die Klägerin auf ihren Accessoires das bei den angegriffenen Erzeugnissen mittig zwischen den Henkeln aufgebrachte lederne Zierelement in identischer Ausführung anstelle eines Überschlags einsetzt, diese Variante also – auch für den Verbraucher – durchaus naheliegend ist und mithin keinen Grund zu Zweifeln an der Herkunft aufkommen lässt. Die zusätzliche Außentasche auf der Vorderseite des angegriffenen kleineren Taschenmodells wird der interessierte Verbraucher lediglich als praktische Ergänzung des klägerischen Handtaschenmodells ansehen.
95Schließlich steht auch der Umstand, dass die angegriffenen Erzeugnisse mit einem kleinen Label an der Seite gekennzeichnet sind, der Annahme der Gefahr einer Herkunftstäuschung nicht entgegen. Denn die Kennzeichnung tritt bereits aufgrund ihrer Größe nicht in Erscheinung.
96II.
97Die Ordnungsmittelandrohung hat ihre Grundlage in § 890 Abs. 2 ZPO.
98III.
99Gemäß § 9 S. 1 UWG ist die Beklagte der Klägerin zum Schadenersatz verpflichtet. Die Beklagte hätte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer Rechtsverletzung rechnen müssen, § 276 BGB. An der Feststellung der Schadenersatzpflicht hat die Klägerin auch ein rechtliches Interesse, § 256 ZPO, da sie Art und Umfang der rechtsverletzenden Handlungen bisher nicht kennt.
100IV.
101Der geltend gemachte Auskunftsanspruch einschließlich des Rechnungslegungsanspruchs der Klägerin folgt aus §§ 242, 259 BGB. Die Klägerin ist auf die Auskünfte angewiesen, um ihren Schadenersatzanspruch ermitteln und weitere Verletzungen verhindern zu können.
102C.
103Auch die geltend gemachten geschmacksmusterrechtlichen Folgeansprüche sind vollumfänglich gegeben.
104Der Vertrieb des im Tenor zu Ziffer II. abgebildeten Täschchens stellt eine verbotene Benutzung des Klagegeschmacksmusters, dessen Rechtsgültigkeit gemäß Art. 85 Abs. 1 S. 1 Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) vermutet wird, im Sinne des Art. 19 GGV dar, da es einen übereinstimmenden Gesamteindruck mit diesem aufweist. Die vorhandenen Unterschiede in Gestalt der Trageschlaufe sowie der Transparenz des verwandten Materials vermögen aus dem zumindest durchschnittlichen Schutzbereich des Klagegeschmacksmusters nicht hinauszuführen. Denn die das Klagegeschmacksmuster prägenden Gestaltungsmerkmale, sprich der trapezförmige Korpus, die an beiden Enden des Reißverschlusses sich befindenden überstehenden Besatzstücke („Ohren“) sowie das unterhalb des Reißverschlusses auf einer Seite angebrachte Lederlement mit mittig angeordnetem goldenen Knopf, sind identisch übernommen.
105In der Folge ist die Beklagte gemäß Art. 19 Abs. 1, 88 Abs. 2 GGV i.V.m. §§ 38, 42 Abs. 2 DesignG der Klägerin zum Schadenersatz verpflichtet. Die Beklagte hätte die Geschmacksmusterverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB. An der Feststellung der Schadenersatzpflicht hat die Klägerin auch ein rechtliches Interesse im Sinne des § 256 ZPO, da sie Art und Umfang der rechtsverletzenden Handlungen bisher nicht kennt.
106Der Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch der Klägerin folgt aus Art. 19 Abs. 1, 88 Abs. 2 GGV i.V. m. §§ 46 Abs. 1, Abs. 3, 38 DesignG, § 242 BGB.
107Der Vernichtungsanspruch ist begründet aus Art. 19 Abs. 1, 89 Abs. 1 d) GGV i.V.m. § 43 DesignG.
108D.
109Schließlich hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten in geltend gemachter Höhe unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB.
110E.
111Die Widerklage der Beklagten unterliegt der Abweisung, da die Abmahnung der Klägerin – wie die obigen Ausführungen zeigen – zu Recht erfolgte und mithin schon deshalb kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten unter dem Gesichtspunkt einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung in Betracht kommt.
112F.
113Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren die Kosten in entsprechender Anwendung des § 91 a ZPO der Beklagten aufzuerlegen, da ohne Abgabe der Unterlassungserklärung die Beklagte entsprechend aus Art. 19 GGV zu verurteilen gewesen wäre.
114Streitwert:
115bis zum 20.11.2014: 604.411,25 €
116vom 21.11.2014 bis 12.01.2015: 529.411,25 €
117danach: 629.411,25 €
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 253 Klageschrift 2x
- § 43 DesignG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- ZPO § 256 Feststellungsklage 1x
- ZPO § 2 Bedeutung des Wertes 1x
- BGB § 683 Ersatz von Aufwendungen 1x
- BGB § 259 Umfang der Rechenschaftspflicht 1x
- § 1 UWG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 670 Ersatz von Aufwendungen 1x
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 2x
- ZPO § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache 1x
- ZPO § 890 Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen 1x
- §§ 38, 42 Abs. 2 DesignG 2x (nicht zugeordnet)
- § 9 S. 1 UWG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 46 Abs. 1, Abs. 3, 38 DesignG 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 276 Verantwortlichkeit des Schuldners 2x
- BGB § 677 Pflichten des Geschäftsführers 1x