Urteil vom Landgericht Flensburg - 4 O 181/17

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.214,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.09.2017 zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Touran Highline 2,0 l TDI mit der Fahrgestell-Nr. … durch den Kläger an die Beklagte.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorgenannten Fahrzeugs seit dem 19.05.2017 in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte wird außerdem verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.348,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.05.2017 zu zahlen.

Wegen der weitergehenden Nebenforderung wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von der Beklagten als Schadensersatz die Rückzahlung des Kaufpreises für einen vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Pkw.

2

Der Kläger erwarb gemäß der verbindlichen Bestellung vom 21.10.1010 (Anlage K 1, Bl. 34 ff. d. A.) von der A. Z. F. Vertriebs GmbH den im Tenor näher bezeichneten, von der Beklagten hergestellten VW Touran zum Preis von 29.250,00 € als Neufahrzeug, mit dem er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung 68.682 km zurücklegte. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor ausgestattet, dessen Motorsteuerung ursprünglich so programmiert war, dass der Wagen im normalen Straßenbetrieb im sogenannten Modus 0 lief, auf einem Prüfstand aber im Modus 1. Im Modus 1 wurde zur Verringerung des Stickoxydanteils im Abgas mehr Abgas zur Verbrennung zurückgeführt. Im Modus 1 erfüllte der Motor die Vorgaben nach der Euro 5-Norm, die entsprechenden Abgaswerte wurden so auch in der Werbung und den Verkaufsdokumenten der Beklagten angegeben.

3

Nach Bekanntwerden der beschriebenen Programmierung der Motorsteuerung forderte die Beklagte die Eigentümer betroffener Fahrzeuge auf, ein Software-Update vornehmen zu lassen. Dieser Aufforderung kam der Kläger nach. Seitdem läuft der Motor nur noch im Modus 1.

4

Der Kläger behauptet, seit dem Software Update sei sein durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch um ca. 33 % gestiegen. Nur bei bestimmter Fahrweise werde der Motor nicht abgewürgt, der Partikelfilter verruße. Seit dem Update sei das Fahrzeug nahezu in einem unfahrbaren Zustand.

5

Der Kläger meint, er sei von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden. Die von der Beklagten eingebaute Motorsteuerung stelle eine unzulässige Abschaltvorrichtung i.S.d. Artikel 5 Abs. 2 EUVO 715/2007 dar. Er behauptet, dass er bei Kenntnis der Manipulation an der Motorsteuerung das Fahrzeug nicht gekauft hätte. Es drohe eine Stilllegung wegen Fehlens einer wirksamen Typengenehmigung. Deshalb und wegen der seit dem Software-Update aufgetretenen Probleme sei der Weiterverkaufswert herabgesetzt.

6

Die Beklagte habe bewusst die gesetzeswidrige Manipulation vorgenommen, weil es ihr sonst nicht gelungen sei, diese Motoren gemäß den gesetzlichen Vorgaben zu entwickeln, sie aber die Marktführerschaft auf dem Markt für Personenfahrzeuge habe erreichen wollen und insbesondere für den amerikanischen Markt eine groß angelegte Clean Diesel-Marketingkampagne gestartet habe. Auch Vorstandsmitglieder bis hin zum Vorstandsvorsitzenden seien über die Manipulation informiert gewesen.

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Der Kläger beantragt,

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1. Die Beklagte zu verurteilen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Touran Highline 2,0 l TDI mit der Fahrgestell-Nr. … im Wege des Schadensersatzes an die Klagepartei 29.250,00 € unter Anrechnung einer noch zu beziffernden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

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2. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 19.05.2017 in Annahmeverzug befindet;

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3. die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.564,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.05.2017 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

13

Die Beklagte meint, dass es schon an einem Mangel und an einer Täuschung darüber fehle. Der Gesetzgeber habe ja lediglich Emissionswerte für den Betrieb auf dem Teststand vorgegeben, und diese Vorgaben habe der Motor im streitgegenständlichen Pkw stets erfüllt. Eine unzulässige Abschalteinrichtung liege nicht vor, das Fahrzeug habe stets der Typengenehmigung entsprochen. Die Beklagte bestreitet, dass Vorstandsmitglieder, deren Wissen und Verhalten ihr nach § 31 BGB zuzurechnen wäre, von der Programmierung der Motorensteuerung auf zwei unterschiedliche Betriebsmodi Kenntnis gehabt haben.

14

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und bis auf einen kleinen Teil der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begründet.

I.

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Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB zu. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob sich ein solcher Schadensersatzanspruch auch aus § 311 Abs. 3 BGB, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV ergeben würde.

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1. Der streitgegenständliche, von der Beklagten produzierte und über einen Vertragshändler an den Kläger verkaufte Pkw wies von vornherein einen wertmindernden Mangel auf. Dieser Mangel bestand darin, dass der Wagen die der EU 5-Norm entsprechenden und auch der Typgenehmigung zugrunde gelegten Abgaswerte nicht mit dem für den normalen Betrieb im Straßenverkehr vorgesehenen Betriebsmodus 0 erreichen konnte, sondern nur mit dem speziell für den Teststandbetrieb vorgesehenen Modus 1.

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a) Die Argumentation der Beklagten, der Gesetzgeber habe ja nur Emissionswerte für den Labor-Testbetrieb vorgegeben, und da der Motor im streitgegenständlichen Fahrzeug diese Werte erreicht habe, liege kein Verstoß gegen die öffentlich-rechtlichen Vorschriften vor, verkennt bereits im Ansatz den Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorgaben. Aus diesem Sinn und Zweck ergibt sich zwingend als ungeschriebene (weil vom Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzte) Vorgabe, dass der jeweilige Motor die Labor-Testwerte in demselben Betriebsmodus erreichen muss, in dem er auch im tatsächlichen Straßenverkehr arbeiten soll. Das wäre im vorliegenden Fall der Modus 0. Im Modus 0 hätte der Motor aber die vorgeschriebenen Grenzwerte nicht einhalten können. Das ergibt sich zum einen daraus, dass das Kraftfahrt-Bundesamt ein Update, das praktisch zur Anwendung des Modus 1 auch im normalen Straßenverkehrsgebrauch geführt hat, verlangt hat, und zum anderen schlicht daraus, dass die Beklagte den zusätzlichen technischen Aufwand zweier unterschiedlicher Betriebsmodi vernünftigerweise niemals betrieben hätte, wenn schon der Modus 0 allen Anforderungen entsprochen hätte. Das Verhalten der Beklagten ist nur damit nachvollziehbar zu erklären, dass es eben des speziellen Modus 1 bedurfte, um die geforderten Abgaswerte auf dem Teststand einhalten zu können.

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Der Gesetzgeber hat bei seinen Vorgaben auf die Emissionswerte im Labor-Testbetrieb und nicht auf diejenigen im echten Straßenverkehrsbetrieb abgestellt, weil die Labor-Testwerte leichter zu ermitteln und zu überprüfen sind und auch weniger durch spezielle Umstände des jeweiligen Einzelfalls (Straßenverhältnisse, Witterungsbedingungen, individuelles Fahrverhalten des Fahrers) beeinflusst werden als die Verbrauchswerte im Echtbetrieb. Auf diese Weise sollte auch eine Vergleichbarkeit der für verschiedene Fahrzeugtypen unterschiedlicher Hersteller ermittelten Werte gesichert werden. Dabei war und ist dem Gesetzgeber und zumindest auch jedem Fachmann von vornherein klar, dass die Labor-Testwerte, die ja sozusagen unter Idealbedingungen zustande kommen, niedriger und damit günstiger liegen als die Werte im normalen Straßenverkehrsbetrieb. Trotzdem ermöglicht ein Vergleich der Labor-Testwerte unterschiedlicher Automodelle einem Kaufinteressenten einen Rückschluss darauf, welches Fahrzeug auch im realen Betrieb einen geringeren Schadstoffausstoß aufweist. Auch die steuerlichen Begünstigungen, die der Gesetzgeber an die Einhaltung bestimmter Grenzwerte geknüpft hat, gehen davon aus, dass ein im Testbetrieb weniger umweltschädlicher Motor auch im realen Straßenverkehrsbetrieb zu einer geringeren Umweltbelastung führt.

20

Diese Ziele und Zwecke der gesetzlichen Regelvorgaben laufen demgegenüber ins Leere, wenn ein Hersteller - wie die Beklagte - seine Motoren so programmiert, dass sie im Testbetrieb in einem ganz anderen Modus arbeiten als im normalen Straßenverkehrsbetrieb. In diesem Fall lassen die Laborwerte nämlich keinerlei Rückschluss mehr auf die Emissionswerte im Normalbetrieb zu. Dabei liegt es auf der Hand, dass es dem Gesetzgeber nicht darum gehen konnte, von den Herstellern einen schadstoffarmen Testmodus in ihren Motoren zu verlangen und sie gleichzeitig für den eigentlichen Betriebsmodus von allen Einschränkungen freizustellen. Der Gesetzgeber hat sich bei der Formulierung seiner Normen schlicht ein Verhalten wie dasjenige der Beklagten gar nicht vorstellen können.

21

Abweichend von ihrem jetzigen Prozessvortrag hat auch die Beklagte selbst in dieser Hinsicht schon einmal mehr Einsicht gezeigt, indem sie nach Bekanntwerden der Manipulationen im Herbst 2015 nach den allgemein bekannten Medienberichten ein Fehlverhalten öffentlich eingeräumt und durch ihren damaligen Vorstandsvorsitzenden dafür um Entschuldigung gebeten hat.

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b) Die Nichteinhaltung der Emissionsgrenzwerte nach der EU 5-Norm und damit nach der EU-Typengenehmigung und der Zulassung in dem für den Normalbetrieb bestimmten Modus 0 führt bereits für sich genommen zu einer Wertminderung des Fahrzeugs. Sie begründet nämlich zumindest die erhebliche Gefahr einer Stilllegung des Fahrzeugs durch die Zulassungsbehörde. Dafür spricht bereits, dass das Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 15.10.2015 vom Vorliegen einer verbotenen Abschalteinrichtung im Sinne des Artikel 5 Abs. 2 der EG-Verordnung Nr. 715/2007 ausgegangen ist und Maßnahmen zu deren Beseitigung verlangt hat, also im Ergebnis die Durchführung des von der Beklagten angebotenen Software-Updates. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat damit zugleich zum Ausdruck gebracht, dass es bei Fahrzeugen, bei denen ein solches Software-Update nicht vorgenommen wird, davon ausgeht, dass diese die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht mehr erfüllen.

23

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob die vorstehende Rechtsauffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes richtig ist. Die formalen Argumente, mit denen die Beklagte begründen will, dass es sich nicht um eine Abschaltvorrichtung handele und dass weder die Typgenehmigung noch die Zulassung dadurch in ihrer Gültigkeit beeinträchtigt würden, können deshalb dahingestellt bleiben. Für die tatsächliche Verwaltungspraxis ist die Rechtsauffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes ausschlaggebend, zumal es nach Medienberichten inzwischen tatsächlich zu vereinzelten Stillegungen von Fahrzeugen gekommen sein soll, bei denen kein Software-Update vorgenommen worden war. Allein schon die Gefahr eines Einschreitens der Zulassungsbehörde aufgrund der verwaltungsintern vertretenen Rechtsauffassung mindert am Markt den Wert eines Fahrzeuges, diese Minderung wird nicht vollständig dadurch ausgeglichen, dass ein Käufer die Hoffnung haben kann, sich im Zweifelsfall mit einer abweichenden Rechtsauffassung zumindest im gerichtlichen Instanzenzug zu seinen Gunsten durchsetzen zu können.

24

Dass der Markt ein solches rechtliches Risiko mit einem Wertabschlag berücksichtigt, ist für das Gericht unmittelbar einsichtig. Auf eine genaue Bezifferung des dadurch verursachten Minderwertes kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Selbst wenn sich dieser Umstand aufgrund anderer Marktgegebenheiten in den konkreten Gebrauchtwagenpreisen nicht messbar niederschlagen sollte, läge darin jedenfalls bei normativer Wertung ein Schaden. Es kommt deshalb nicht auf den Streit der Parteien darüber an, wie sich der sogenannte Diesel-Skandal konkret auf die Gebrauchtwagenpreise ausgewirkt hat.

25

Ebenso wenig schließt es das Vorliegen eines mangelbedingten Minderwertes aus, dass das Fahrzeug für den Kläger im Betriebsmodus 0 unstreitig problemlos und störungsfrei genutzt werden konnte. Auch spielt es keine Rolle, ob die verletzten Abgas-Grenzwertbestimmungen dem Schutz der Autokäufer oder dem Schutz der Umwelt dienen sollen.

26

2. Der Kläger ist über das Vorliegen des Mangels durch die Beklagte getäuscht worden. Zum einen hat die Beklagte unstreitig in ihren Werbeangaben und Verkaufsunterlagen Abgaswerte angegeben, die der EU 5-Norm entsprachen, obwohl der Fahrzeugtyp diese im maßgeblichen Betriebsmodus 0 tatsächlich nicht erreichen konnte. Zudem hat sie mit der Übereinstimmungsbescheinigung, die sie als Herstellerin jedem einzelnen Fahrzeug beizugeben hatte, bestätigt, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht, die für den genehmigten Typ gelten. Sie hat damit bei ihren Kunden den Eindruck hervorgerufen, dass das Fahrzeug alle Zulassungsvoraussetzungen problemlos erfülle und deshalb kein Risiko einer Stilllegung durch die Zulassungsbehörde bestehe.

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3. Die Täuschung der Beklagten war auch kausal für den Kaufentschluss des Klägers. Dabei ist es nicht erheblich, ob es dem Kläger etwa wegen einer besonders umweltfreundlichen Gesinnung persönlich wichtig war, ein Auto mit geringen Schadstoffwerten zu erwerben. Maßgeblich ist allein, dass ohne weiteres als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, dass der Kläger ein Auto erwerben wollte, das den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprach und bei dem er nicht mit dem Risiko zu rechnen brauchte, dass ihm wegen Manipulationen des Herstellers die Zulassung entzogen werden könnte. Es ist auch ohne weiteres davon auszugehen, dass der Kläger dann, wenn er auf dieses Risiko hingewiesen worden wäre, entweder ein Fahrzeug einer von den Manipulationen nicht betroffenen Herstellungsreihe der Beklagten oder aber ein Fahrzeug eines anderen, sich gesetzestreu verhaltenden Herstellers erworben hätte. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob in einem Fall wie dem vorliegenden die Vermutung für beratungsrichtiges Verhalten eingreift oder nicht. Die entsprechende Überzeugung des Gerichts ergibt sich in der vorliegenden Konstellation jedenfalls daraus, dass in aller Regel jeder vernünftige Neuwagenkäufer ein Fahrzeug erwerben will, das er auch problemlos nutzen darf. Es sind keine nachvollziehbaren Gründe ersichtlich, die den Kläger oder einen anderen verständigen Käufer dazu hätten bewegen können, ein manipuliertes Fahrzeug auch mit entsprechender Kenntnis zu erwerben. Insbesondere waren die Fahrzeuge der Beklagten ja nicht etwa deutlich preiswerter als vergleichbare Fahrzeuge gesetzestreuer anderer Hersteller.

28

4. Die Beklagte hat für das Verhalten derjenigen natürlichen Personen, die die Schädigung durch ihr Verhalten herbeigeführt haben, einzustehen.

29

a) Entsprechend der Behauptung des Klägers ist davon auszugehen, dass zu diesen Personen auch Vorstandsmitglieder der Beklagten gezählt haben, deren Verhalten sich die Beklagte nach § 31 BGB zurechnen lassen muss. Die Beklagte hat diese Behauptung nämlich nur einfach bestritten, obwohl sie nach den Regeln über die sekundäre Darlegungslast verpflichtet gewesen wäre, konkret zu bestreiten und ihrerseits darzulegen, welche Personen innerhalb ihres Unternehmens von den Manipulationen Kenntnis gehabt haben sollen und welche nicht.

30

Während der Kläger nämlich als Außenstehender naturgemäß keinen Einblick in die internen Abläufe bei der Beklagten haben kann, ist es ihr möglich und zuzumuten, dazu nähere Angaben zu machen. Gerade nur sie kann innerhalb ihres Unternehmens die Vorgänge und Entscheidungsprozesse nachvollziehen, die dazu geführt haben, dass ihre Dieselmotoren mit zwei verschiedenen Betriebsmodi und entsprechender Software hergestellt und in die Fahrzeuge eingebaut worden sind. Die Beklagte kann sich dabei auch nicht einfach darauf zurückziehen, dass sie solche Untersuchungen ja bereits veranlasst habe, diese aber noch nicht abgeschlossen seien. Dieses Argument hat sicherlich für die ersten Wochen und Monate nach Bekanntwerden der Manipulationen im Herbst 2015 Gültigkeit gehabt, die mündliche Verhandlung im vorliegende Rechtsstreit hat aber mehr als 2 Jahre danach stattgefunden. Wenn die Ermittlungen mit dem gebotenen Nachdruck und zugleich auch mit der anfangs von der Beklagten gegenüber der Öffentlichkeit versprochenen Offenheit geführt worden sein sollten, müsste die Beklagte zumindest Zwischenergebnisse offenlegen können. Sie müsste zunächst einmal diejenigen Personen namentlich benennen können, die in den fraglichen Zeiträumen überhaupt betriebsintern für die Entwicklung und Produktion der einschlägigen Motorkomponenten zuständig waren. Sollte sie ihre damaligen Mitarbeiter befragt haben, und sollten diese unterschiedliche und widersprüchliche Angaben gemacht haben, ohne dass es der Beklagten derzeit möglich wäre, abschließend zweifelsfrei Verantwortlichkeiten festzustellen, dann müsste sie jedenfalls den derzeitigen Sachstand offenlegen und es dem Kläger überlassen, hinsichtlich welcher Einzelpersonen er ggf. den Nachweis führen zu können meint. Auf den Abschluss strafrechtlicher Ermittlungen kommt es im Zusammenhang mit dem zivilprozessualen Sachvortrag ohnehin nicht an, darauf darf die Beklagte deshalb auch nicht warten.

31

b) Eine Haftung der Beklagten besteht aber auch dann, wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen nicht von einer Kenntnis und persönlichen Verantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern ausgeht, sondern zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die Manipulationen lediglich von Ingenieuren oder anderen technischen Mitarbeitern veranlasst worden sind, die damit die an sie gestellten Anforderungen und Erwartungen der Geschäftsführung und des Vorstandes erfüllen wollten, obwohl sie die geforderten technischen Werte auf gesetzeskonforme Weise nicht erreichen konnten. Auch wenn dies das vorrangige Motiv dieser Mitarbeiter gewesen sein sollte, hätten sie nämlich jedenfalls auch die Vorstellung gehabt, dass die manipulierten Motoren und Kraftfahrzeuge über gutgläubige Händler an gutgläubige Kunden verkauft werden sollten, und dass die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben nur durch technische Manipulationen dazu führen konnte, dass bei Entdeckung dieser Manipulationen die Zulassung dieser Fahrzeuge gefährdet sein konnte. Sie müssen auch - im Hinblick auf die Täuschung - gewusst haben, dass die Vertriebsabteilung der Beklagten die Einhaltung der Grenzwerte werbemäßig herausstellen würde, obwohl diese eben bei einem gesetzeskonformen Motorbetrieb gar nicht eingehalten werden konnten.

32

Für ein solches Verhalten der Ingenieure und technischen Mitarbeiter hätte die Beklagte nach § 831 BGB einzustehen. Sie hat diese Mitarbeiter zu Verrichtungen bestellt, nämlich zur Entwicklung und Fertigung von Dieselmotoren. Die Mitarbeiter haben ggf. die Handlungen, die zur Schädigung des Klägers geführt haben, auch nicht nur zufällig bei Gelegenheit dieser Verrichtungen verübt, sondern gerade durch die von ihnen bei der Entwicklung und Herstellung der Dieselmotoren ergriffenen Maßnahmen.

33

Die Beklagte hat schließlich auch keinen Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB geführt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sie ihre Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt hat, ist jedenfalls nichts dafür vorgetragen, dass sie sie auch daraufhin überwacht hat, ob sie bei ihrer Tätigkeit stets gesetzeskonform vorgegangen sind und ob die von ihnen entworfenen und hergestellten Motoren tatsächlich den gesetzlichen Vorgaben entsprachen. Dabei muss sich im heutigen Wirtschaftsleben jede Geschäftsführung bewusst sein, dass Rechtsverstöße durch Mitarbeiter kein unwahrscheinliches Ereignis sind. Gerade wenn unter hohem Zeit-, Kosten- und Erfolgsdruck gearbeitet und versucht wird, durch technische Innovation einen Vorsprung gegenüber Wettbewerbern zu erlangen, muss einer Geschäftsführung klar sein, dass ihre technischen Mitarbeiter anspruchsvolle und ehrgeizige Vorgaben nicht immer innerhalb der geplanten Zeit erfüllen können und sich deshalb veranlasst sehen können, mit „Tricks“ zu arbeiten, um die ihnen übergeordneten Betriebsebenen zufriedenzustellen.

34

c) In jedem Falle muss davon ausgegangen werden, dass die verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten vorsätzlich gehandelt haben. Die Entwicklung und der Bau von Motoren mit zwei unterschiedlichen Betriebsmodi, von denen einer nur für den Betrieb auf den Teststand bestimmt ist, können schlechterdings nicht fahrlässig geschehen sein. Auch über die Konsequenzen bis hin zu den potenziellen Schäden bei Fahrzeugkäufern wie dem Kläger müssen sich die handelnden Personen im Klaren gewesen sein.

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5. Dieses Verhalten ist als sittenwidrig zu qualifizieren.

36

a) Dieses gilt ohne weiteres, wenn man - wie das Gericht nach den Ausführungen zu 4. a) - von einer Verantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern der Beklagten ausgeht. In diesem Falle diente nämlich das Vorgehen der Beklagten ausschließlich dazu, sich durch ein gesetzeswidriges Verhalten Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und damit Gewinne zu erzielen, die bei einem gesetzeskonformen Vorgehen nicht erreichbar gewesen wären, weil man dann mit den Motoren die vorgegebenen Grenzwerte nicht oder jedenfalls nur mit teureren technischen Lösungen zur Abgasreinigung hätte erreichen können. Ist auch das Streben nach Gewinn für Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich zulässig, so widerspricht doch eine derartige Täuschung dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Es ist ebenso verwerflich wie in der Vergangenheit etwa die Beimischung von Glykol in Wein. Darüber hinaus hat die Beklagte auch noch eine zusätzliche Belastung der Umwelt in Kauf genommen.

37

b) Dasselbe gilt im Ergebnis aber auch dann, wenn nur Ingenieure und untergeordnete technische Mitarbeiter der Beklagten für die Manipulationen verantwortlich gemacht werden können. Auch ihnen war ja klar, was die Beklagte mit den Motoren, die den EU 5-Normen entsprechen sollten, vorhatte. Auch sie mussten davon ausgehen, dass die von ihnen vorgenommene technische Manipulation zu einem Wettbewerbsvorteil der Beklagten und zu letztlich ungerechtfertigten Gewinnen führen würde zum Schaden der Umwelt und der Kunden. Es würde ihr Verhalten auch nicht weniger sittenwidrig erscheinen lassen, wenn es ihnen in erster Linie darum gegangen sein sollte, die Anforderungen der ihnen übergeordneten Stellen zu erfüllen, um persönliche Nachteile zu vermeiden, die ihnen möglicherweise gedroht hätten, wenn sie offengelegt hätten, diese Anforderungen im vorgegebenen Kostenrahmen nicht erfüllen zu können. Auch dieses Ziel rechtfertigt nämlich die Täuschung der Kunden und der Öffentlichkeit sowie der staatlichen Stellen nicht. In diesem Falle käme sogar noch erschwerend hinzu, dass die betroffenen Mitarbeiter dann nur um ihres persönlichen Vorteils willen für die Beklagte die Gefahr eines schweren Imageschadens und erheblicher wirtschaftlicher Konsequenzen bei Bekanntwerden der Manipulationen bis hin zu Risiken für die einzelnen Arbeitsplätze im Unternehmen begründet hätten.

38

6. Als Schadensersatz kann der Kläger verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen. Daran ändert es nichts, dass er das von der Beklagten angebotene Software-Update an seinem Fahrzeug hat durchführen lassen. Dieses geschah nämlich unstreitig lediglich unter dem Zwang der Gegebenheiten, weil ihm anderenfalls die Stilllegung des Fahrzeuges gedroht hätte. Schließlich hat ja auch das Kraftfahrt-Bundesamt - wie oben ausgeführt - die Rechtsauffassung vertreten, dass die betroffenen Fahrzeuge nur mit dem Software-Update weiterbetrieben werden dürfen. Auf sein Recht, im Wege des sogenannten großen Schadensersatzes den Kaufvertrag rückgängig zu machen, hat der Kläger damit nicht verzichtet. Er musste ja damit rechnen, dass sich die Beklagte nicht ohne weiteres auf eine solche Rückabwicklung einlassen würde. Um für die Dauer der Auseinandersetzung das streitgegenständliche Fahrzeug weiter nutzen zu können, musste er schon im Interesse einer Schadensminderung nach § 254 Abs. 2 BGB, nämlich zur Vermeidung eines Nutzungsausfallschadens, der Aufforderung der Beklagten nachkommen.

39

Die Beklagte kann den Kläger aber nicht darauf verweisen, dass mit dem Software-Update der Schaden behoben sei. Dabei kommt es nicht einmal auf die Behauptung des Klägers an, seit dem Software-Update sei sein durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch deutlich gestiegen, verruße der Partikelfilter und werde der Motor nur bei bestimmter Fahrweise nicht abgewürgt, sodass das Fahrzeug insgesamt nahezu in einem unfahrbaren Zustand sei. Es liegt nämlich jedenfalls auf der Hand, dass der Betrieb im nunmehr eingestellten, ursprünglich lediglich für den Teststand gedachten Modus 1 insgesamt weniger vorteilhaft ist als der Betrieb im Modus 0. Böte der Modus 1 neben der Einhaltung der Abgasgrenzwerte auch sonst alle Vorteile des Modus 0, dann hätte die Beklagte ihre Fahrzeuge niemals mit dem Modus 0 ausgestattet und diesen nicht als Regelbetriebsmodus für den Straßenverkehr vorgegeben. Selbst wenn der Modus 1 deshalb technisch einwandfrei funktionieren sollte, muss aufgrund des Verhaltens der Beklagten angenommen werden, dass er doch gegenüber dem Modus 0 mit Nachteilen verbunden ist, mögen sie sich auf den Kraftstoffverbrauch, die Haltbarkeit des Motors oder auf andere technische Umstände beziehen. Der Kläger braucht diese Nachteile nicht im Einzelnen darzulegen. Der vorgenannte Gesichtspunkt reicht bereits aus, um sein Beharren auf einer vollständigen Rückabwicklung des Kaufvertrages jedenfalls nicht rechtsmissbräuchlich erscheinen zu lassen.

40

7. Der Kläger kann, wie er das im Klageantrag zu 1.) auch von vornherein geltend gemacht hat, als Schaden die Zahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges an die Beklagte nur bei Abzug einer Nutzungsentschädigung für die von ihm tatsächlich während seiner Besitzzeit gefahrenen Kilometer verlangen. Der Kläger hat das Fahrzeug als Neuwagen für 29.250,00 € gekauft und ist damit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung 68.682 Kilometer gefahren. Bei einer zugrundezulegenden Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern entspricht der Kaufpreis einem Betrag von 0,117 €/Kilometer, sodass sich für 68.682 Kilometer eine abzuziehende Nutzungsentschädigung von 8.035,79 € ergibt. Damit hat die Beklagte an den Kläger noch 21.214,21 € zu zahlen.

41

Die beantragten und zuerkannten Zinsen auf diesen Betrag stehen dem Kläger nach §§ 291, 288 Abs. 1 BGB als gesetzliche Prozesszinsen zu.

II.

42

Der Klageantrag zu 2.) (Feststellung des Annahmeverzuges) ist ebenfalls zulässig und begründet. Das Feststellungsinteresse des Klägers (§ 256 Abs. 1 ZPO) ergibt sich aus den für ihn vorteilhaften Rechtsfolgen eines Annahmeverzuges gemäß §§ 300 ff. BGB und aus der vollstreckungsrechtlichen Regelung in § 765 ZPO. Die Beklagte ist dadurch in Annahmeverzug gekommen, dass sie auf das Aufforderungsschreiben der Klägervertreter vom 04.05.2017 (Anlage K 4, Bl. 115 ff. d. A.) hin das Auto nicht abgeholt hat. Ein wörtliches Angebot war zur Herbeiführung des Annahmeverzuges nach § 295 BGB ausreichend, weil die Beklagte den Wagen beim Kläger abzuholen hatte.

III.

43

Schließlich umfasst der von der Beklagten zu leistende Schadensersatz auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers, wenn auch nicht in voller Höhe.

44

Dem Grunde nach hat es die Beklagte durch ihr sittenwidriges schädigendes Verhalten adäquat verursacht, dass der Kläger zur Geltendmachung seiner Rechte anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Die Sach- und Rechtslage war so kompliziert, dass sich der Kläger juristisch beraten und unterstützen lassen musste.

45

Angesichts der besonderen Schwierigkeit des Falles ist auch die geltend gemachte 1,5-Geschäftsgeführ berechtigt, allerdings nur nach einem Gegenstandswert von bis zu 22.000,00 €, sodass sich zuzüglich der Portopauschale und der Umsatzsteuer ein Anspruch von 1.348,27 € ergibt.

46

Der Gegenstandswert konnte sich nämlich auch schon zur Zeit der Einschaltung der Klägervertreter im Mai 2017 nur nach dem Schadensersatzbetrag berechnen, den der Kläger zu verlangen hatte. Das war auch damals schon der Kaufpreis abzüglich der Nutzungsentschädigung für die bereits gefahrenen Kilometer. Dabei ist der Kläger, dem das Fahrzeug nach der verbindlichen Bestellung vom 21.10.2010 zum 01.03.2011 übergeben werden sollte, in den 80 Monaten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durchschnittlich 858,5 Kilometer pro Monat gefahren. Bis Anfang Mai 2017 waren es 74 Monate und dementsprechend 63.529 Kilometer. Bei einem Satz von 0,117 €/Kilometer betrug also auch zu diesem Zeitpunkt die abzuziehende Nutzungsentschädigung bereits 7.432,89 € und der von der Beklagten zu zahlende Schadensersatzbetrag noch 21.817,11 €. Dass er gerade in der Zeit zwischen Mai 2017 und dem Schluss der mündlichen Verhandlung besonders viel mit dem Fahrzeug gefahren sei, die vor Mai 2017 zurückgelegte Fahrleistung also geringer anzusetzen wäre als bei einer Durchschnittsberechnung, hat der Kläger nicht vorgetragen. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich.

47

Die beantragten Zinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren stehen dem Kläger nach § 288 Abs. 1 BGB als gesetzliche Verzugszinsen zu.

IV.

48

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Das Unterliegen des Klägers mit einem kleinen Teil der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist geringfügig und hat keine zusätzlichen Kosten verursacht, da es sich ohnehin um eine Nebenforderung handelt, die auf die Prozessgebühren keinen Einfluss hat.

49

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.


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