Urteil vom Landgericht Kiel (10. Zivilkammer) - 10 S 108/04
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 09.11.2004 teilweise geändert und – unter Zurückweisung der Berufung im übrigen – wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 300,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.01.2004 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 3/4, der Beklagte zu ¼.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist nur zum Teil erfolgreich. Der Kläger hat aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 300,64 Euro gegen den Beklagten.
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Zu Unrecht greift der Beklagte mit der Berufungsbegründung die Aktivlegitimation des Klägers wegen angeblicher Nichtigkeit der Abtretung nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz an. Nach Art. 1 § 1 RBerG ist erlaubnispflichtig die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Einziehung einer zu Einziehungszwecken abgetretenen Forderung. Danach liegt keine erlaubnispflichtige Tätigkeit des Klägers vor. Die Abtretung durch den Patienten ... war – wie sich aus der eingereichten Abtretungserklärung vom 23.12.2003 ergibt – nicht zum Zwecke der Einziehung erfolgt. Die Geltendmachung der Forderung stellt auch keine Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten dar, denn der Kläger hatte dem Patienten den Rechnungsbetrag bereits erstattet, so dass es sich bei der Geltendmachung der Forderung ausschließlich eine eigene Angelegenheit des Klägers handelte. Aus § 1 der 5. AVO zum RBerG, wonach der geschäftsmäßige Erwerb von Forderungen zum Zwecke der Einziehung erlaubnispflichtig ist, ergibt sich ebenfalls keine Nichtigkeit der Abtretung. Diese Vorschrift ist nämlich durch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 16.07.2003 (NJW 2003, 2767) für ungültig erklärt worden. Im übrigen liegen keine ausreichenden Anzeichen dafür vor, dass der Kläger solche Abtretungen geschäftsmäßig entgegen nimmt und die Einziehung geschäftsmäßig betreibt.
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Der abgetretene Anspruch des verstorbenen Patienten ... ergibt sich aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 BGB. Der Beklagte hat jedoch nur einen Betrag in Höhe von 300,64 Euro ohne Rechtsgrund erlangt.
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Aus dem Wahlarztvertrag in Verbindung mit §§ 611, 612 BGB stand dem Beklagten grundsätzlich eine Forderung gegen den Patienten zu. Der am 21.10.2003 unterzeichnete Wahlarztvertrag war auch wirksam. Die nach § 22 Abs. 2 BpflVO notwendige Schriftform ist gewahrt.
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Die Forderung gegen den Patienten ist auch nicht wegen Unmöglichkeit gemäß §§ 275, 326 Abs. 1 BGB untergegangen. Das wäre dann der Fall, wenn der Beklagte zur Erbringung der ärztlichen Leistung höchstpersönlich verpflichtet war, denn diese ist nach Durchführung der Narkose durch Dr. Neumann nicht mehr möglich.
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Eine höchstpersönliche Verpflichtung des Beklagten bestand jedoch nicht, denn er hatte – vertreten durch die Oberärztin ... – mit dem Patienten ... am 21.10.2003 wirksam eine Stellvertretervereinbarung getroffen.
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Die ärztliche Leistung ist zwar grundsätzlich eine höchstpersönliche Leistung, § 613 BGB. Allerdings ist diese Vorschrift nach allgemeiner Meinung abdingbar (Palandt-Putzo, 63. Aufl., § 613, Rn. 1). Für den Bereich der privatärztlichen Tätigkeit ergibt sich aus § 5 Abs. 5 GOÄ, dass der Gesetzgeber sogar von der Möglichkeit der Abänderung der höchstpersönlichen Leistungsverpflichtung ausgegangen ist.
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Die geschlossene Stellvertretervereinbarung verstößt auch nicht gegen die Vorschriften über die allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß §§ 305 ff BGB.
- 10
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach § 305 Abs. 1 BGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei stellt, wobei gleichgültig ist, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst mit aufgenommen werden, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftart sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat (so st. Rspr., zuletzt BGH, Urt. v. 19.05.2005, NJW 2005, 2543). Nach dieser Definition stellt die Stellvertretervereinbarung eine allgemeine Geschäftsbedingung dar. Die Vereinbarung ist in wesentlichen Teilen für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert und von dem Beklagten als Verwender gestellt. Daran ändert nichts, dass es in dem Formular möglich ist, verschiedene Wahlmöglichkeiten anzukreuzen (vgl. Palandt-Heirichs, 63. Aufl., § 305, Rn. 12).
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Allerdings liegen allgemeine Geschäftsbedingungen selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 305 BGB dann nicht vor, wenn diese Bedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB). Ob das hier bei der auf der Station abgeschlossenen Stellvertretervereinbarung der Fall ist, kann letztlich dahinstehen, denn für die Entscheidung kommt es nicht darauf an.
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Für eine Individualvereinbarung spricht – worauf die Kammer in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat –, dass die Vereinbarung mehrere Stunden nach dem Abschluss des eigentlichen Wahlarztvertrages, an einem anderen Ort und mit Beteiligung anderer Personen zustande kam. Zudem war die Stellvertretervereinbarung auch auf einem gesonderten Papier niedergelegt und enthielt ausschließlich diese Vereinbarung. Bedenken an dem Vorliegen einer Individualvereinbarung bestehen aber insoweit, als der Patient letztlich nur vor die Alternative gestellt wird, an der Wahlarztvereinbarung mit dem Beklagte festzuhalten und auf die persönliche Leistung des Beklagten zu verzichten oder von der Wahlarztvereinbarung gänzlich Abstand zu nehmen und die Anästhesie als allgemeine Krankenhausleistung zu erhalten. Verhandelt wird danach nicht in Bezug auf die Bedingungen des Vertrages, sondern nur über die Frage, ob der Vertrag weiterhin bestehen bleibt oder aufgehoben wird. Gerade vor dem Hintergrund der neusten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu der Frage des Aushandelns (BGH a. a. O.) scheint hier – anders als es die Kammer noch in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat – eher nicht von einem Aushandeln und damit nicht von einer Individualvereinbarung auszugehen zu sein.
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Doch auch als allgemeine Geschäftsbedingung ist die Stellvertretervereinbarung nicht unwirksam.
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Zweifelhaft ist hier bereits, ob die Stellvertretervereinbarung überhaupt einer Inhaltskontrolle unterliegt. Gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB gelten die Vorschriften über die Inhaltskontrolle der §§ 307 Abs. 1 und 2, 308 und 309 BGB nämlich nur für Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Leistungsbeschreibungen fallen nach allgemeiner Meinung nicht darunter (Palandt-Heinrichs, 63. Aufl., § 307, Rn. 57). Leistungsbeschreibungen sind Regelungen, die Art, Güte und Umfang der Leistung unmittelbar festlegen. Die Stellvertretervereinbarung betrifft die Frage, durch wen die vereinbarte ärztliche Leistung erbracht werden soll und damit die Leistung unmittelbar.
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Letztlich kommt es aber auch darauf nicht an, denn die Stellvertretervereinbarung hält auch einer Inhaltskontrolle stand.
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Die Unwirksamkeit der Stellvertretervereinbarung wegen spezieller Klauselverbote aus §§ 308 und 309 BGB wird nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
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Die Stellvertretervereinbarung ist auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB unwirksam. Nach dieser Generalbestimmung ist eine Klausel unwirksam, durch die der Vertragspartner unangemessen benachteiligt wird. Das ist im Zweifel dann der Fall, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (Abs. 2 Ziff. 1). Zwar wird durch die Stellvertretervereinbarung von der Vorschrift des § 613 BGB, der die persönliche Leistungserbringung durch den dienstverpflichteten Wahlarzt vorsieht, abgewichen. Dennoch liegt im hier gegebenen Fall, keine unangemessene Benachteiligung vor.
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Dabei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass es sich vorliegend um Anästhesieleistungen handelt, die regelmäßig nicht im Mittelpunkt des Patienteninteresses liegen. Die Notwendigkeit einer Stellvertretervereinbarung ergibt sich letztlich nur daher, dass der Patient wegen der in § 22 Abs. 3 BpflVO zwingend vorgesehenen Wahlarztkette neben dem Operateur auch mit den weiteren beteiligten Ärzten einen Wahlarztvertrag schließen muss. Regelmäßig ist sein Interesse primär auf den Operateur und behandelnden Arzt gerichtet. Dabei ist dem Patienten in der Regel nur wichtig, im Operationszeitpunkt die bestmögliche Anästhesieleistung zu erhalten. Wer diese vornimmt, ist ihm im Regelfall egal. Es besteht insoweit auch keine, sonst für Arztverträge wichtige persönliche Prägung und auf eine Person gerichtetes Vertrauen. Da der Operationszeitpunkt in der Regel nur zwischen dem Patienten und dem Operateur abgesprochen wird, ist dem Patienten daran gelegen, zu diesem Zeitpunkt eine Leistung zu erhalten, die immer noch einen besseren ärztlichen Standard aufweist als die allgemeine Krankenhausleistung. Diesem Interesse wird die Stellvertretervereinbarung gerecht. Ohne diese würde sich der Patient mit allgemeiner Krankenhausleistung zufrieden geben müssen, obwohl er privat versichert ist. Solange das Liquidationsrecht der Ärzte im Krankenhaus in dieser Weise geregelt ist und die Wahlarztkette gesetzlich zwingend vorgesehen ist, ist die Möglichkeit einer Stellvertretervereinbarung als sachgemäß und den Interessen des Patienten entsprechend anzuerkennen, weil sonst die privat versicherten Patienten nicht diejenige Behandlung bekommen würden, für die sie privat vorgesorgt haben. Eine unangemessene Benachteiligung sieht die Kammer danach nicht.
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Die Stellvertretervereinbarung verstößt auch nicht gegen das Transparenzverbot. Da die Frage der Stellvertretung die einzige in der Vereinbarung geregelte Frage ist, ist sie für den Patienten nach – wie hier erfolgter Aufklärung – auch klar erkennbar.
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Die Narkose durfte daher von dem Oberarzt Dr. ... für den Beklagten vorgenommen werden. Unmöglichkeit, die die Vergütungsleistung entfallen ließe, liegt daher nicht vor.
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Der Höhe nach stand dem Beklagte die Vergütung jedoch nur gekürzt zu. Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 5 GOÄ, wonach bei ärztlichen Leistungen, die weder von dem Wahlarzt noch von seinem ständigen Vertreter vorgenommen worden sind, für die Vergütung der Schwellenwert des § 5 Abs. 1 GOÄ herabgesetzt ist. Vorliegend hat die ärztliche Leistung weder der Beklagte selbst noch der wirksam bestellte ständige Vertreter erbracht. Die Kammer schließt sich der Meinung in Rechtsprechung und Literatur an, nach der nur eine Person als ständiger Vertreter bestellt werden kann (vgl. Uleer/Miebach/Patt, 2. Aufl., § 4 GOÄ, Ziff. 2.8, S. 51 f m. w. N.; LG Konstanz, VersR 2003, 867).
- 22
Nur dies entspricht dem Wortlaut des Gesetzes in § 4 Abs. 2 S. 3 GOÄ und dem Willen des Gesetzgebers, wie er aus der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift hervorgeht. Soweit der Beklagte auf die der Wahlarztvereinbarung beigefügten Liste verweist, sind dort insgesamt 17 Ärztinnen und Ärzte aufgeführt. Dies ist als Regelung über den ständigen Vertreter unwirksam. Dr. ... handelte bei der Behandlung des Patienten ... als "normaler" Vertreter, so dass der Beklagte dafür auch nur die herabgesetzten Gebühren liquidieren kann. Anstelle der beiden in der Rechnung vom 28.11.2003 mit dem 3,5fachen Satz berechneten Gebühren war insoweit nur der 2,3fache Satz geschuldet. Es hätten demnach nur die Beträge von 68,38 Euro (Pos. 462) und 699,66 Euro (Pos. 463) berechnet werden dürfen. Dies hat zu einer Überzahlung in Höhe eines Betrages von 300,64 Euro geführt. Diesen muss der Beklagte zurückerstatten.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Ziff. 10 ZPO.
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