Beschluss vom Landgericht Kleve - 180 StVK 356/14
Tenor
bleibt es bei der mit Beschluss der Kammer vom 06.10.2014 unter Ziffer 2 des Tenors getroffenen Anordnung. Die Untergebrachte ist – da der angeordnete Überführungstermin inzwischen abgelaufen ist - umgehend in die Justizvollzugsanstalt zu überführen.
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Gründe:
2Mit hiesigem Beschluss vom 06.10.2014 wurde die Maßregel nach § 64 StGB wegen fehlender Erfolgsaussicht gemäß § 67 d Abs. 5 StGB für erledigt erklärt und ihre Überführung in Strafhaft für den 28.10.2014 festgelegt.
3Mit Schreiben vom 24.10.2014 teilte die Staatsanwaltschaft Duisburg unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 26.09.2006 mit, dass die Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt erst nach Rechtskraft des Beschlusses veranlasst wird.
4Allerdings widerspricht die dortige Handhabung dem Gesetz. Der eindeutige Wortlaut des § 307 Abs. 1 StGB lautet: „Durch Einlegung der Beschwerde wird der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht gehemmt.“ Danach hat die sofortige Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung.
5Eine davon abweichende Ausnahmeregelung, wie sie z.B. in § 81 Abs. 4 Satz 2 StPO oder § 231 a Abs. 3 Satz 3 StPO normiert ist, fehlt.
6Eine analoge Anwendung der im Gesetz enthaltenen Ausnahmeregelungen auf die Fälle der sofortigen Beschwerde §§ 463 Abs. 6, 462 Abs. 3 Satz 1 StPO gegen den Erledigungsbeschluss gemäß § 67 d Abs.5 StGB scheidet aus, da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.
7Gegen ein Versehen des Gesetzgebers sprechen bereits die vom Gesetzgeber genau in diesem Zusammenhang für besondere benannte Fälle im Rahmen der Vollstreckung normierten Ausnahmeregelungen einer aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde, insbesondere die Ausnahmeregelungen der §§ 454 Abs. 3 Satz 2, 462 Abs. 3 Satz 2 StPO, wonach allein die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Vollstreckungsaussetzungs- bzw. Vollstreckungsunterbrechungsbeschluss aufschiebende Wirkung hat. Dies belegt den Willen des Gesetzgebers, diese Suspensivwirkung nur in Fällen anzuordnen, in denen der Betroffene andernfalls umgehend auf freien Fuß käme.
8Der Rückgriff auf den Beschluss des OLG Frankfurts vom 26.09.2006, 3 Ws 907/06, auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 17.01.1964 (NJW 1964, 1085) und auf den Rechtsgedanken des § 449 StPO überzeugt schon deshalb nicht, weil die 50 Jahre alte Begründung des OLG Karlsruhe, mit der dieses für die aufschiebende Wirkung einer Widerrufsentscheidung argumentierte, angesichts des nach 1964 eingefügten § 453 c Abs. 1 StPO im Fall der Beschwerde gegen den Widerruf ohnehin obsolet geworden sein dürfte.
9Aber selbst bei Annahme einer planwidrigen Regelungslücke im Fall des § 67 d Abs. 5 StGB passen die vorgebrachten Argumente nicht.
10Es geht bei der Erledigungserklärung nach § 67 d Abs. 5 StGB schon nicht um ein Strafurteil oder eine Entscheidung von gleicher Tragweite, von deren Ergebnis die Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel abhängt. Die Freiheitsstrafe ist neben der Anordnung der Maßregel bereits mit Strafurteil unbedingt verhängt. Die Entscheidung des erkennenden Gerichts ist hinsichtlich der Anordnung der Freiheitsstrafe und der Maßregel formell und materiell rechtskräftig. Das Vollstreckungsgericht ändert dieses auch nicht ab, sondern stellt im Rahmen der aktuellen Überprüfung nach § 67 e StGB (nur) fest, dass die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB nicht mehr vorliegen. Eine Erledigungsentscheidung der Maßregel gemäß § 67 d Abs. 5 StGB bewirkt damit zwar - wie auch der Widerruf einer Bewährung - dass nunmehr die Freiheitsstrafe sofort vollziehbar ist. Da der Betroffene sich bei der vorliegenden Fallgestaltung aber ohnehin bereits im Freiheitsentzug befindet, geht es hier letztlich um die Frage des regelwidrigen Vollzuges im Rahmen von Organisationshaft und/oder der Anrechenbarkeit von Maßregelvollzug auf Strafhaft. Aus diesem Grund betreffen auch die entsprechenden Entscheidungen des OLG Frankfurt (s.o.), des OLG Celle v. 12.01.2006, 2 Ws 5/06 – juris-, und des OLG Zweibrücken v. 19.11.2008, 1 Ws 368/08 letztlich „nur“ Entscheidungen über die Strafzeitberechnung, wobei der Rückgriff auf den Grundgedanken des § 449 StPO und die vergleichbare Tragweite der Entscheidung in den dortigen Fällen jeweils negativ für die Betroffenen war, denen nämlich – wegen Ablaufs der anrechenbaren Zeit gem. § 67 Abs. 4 StGB – die noch im Maßregelvollzug verbrachte Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung gerade nicht mehr auf die Strafe angerechnet wurde.
11Die dortige Argumentation verkennt zudem, dass eine Behandlung des Betreffenden in der Zeit nach der landgerichtlichen Entscheidung wegen dessen sog. Rückführerstatus gar nicht mehr stattfindet, weshalb diese Zeit bis zur Rechtskraft bzw. Aufhebung der Erledigungsentscheidung tatsächlich im Sinne der Therapie nach § 64 StGB „verlorene“ Zeit ist, was dafür spricht, diese Zeit als Strafhaft und nicht als Maßregelvollzugszeit anzusehen. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 16.03.1994, BVerfGE 91,1-70, festgestellt, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht weiter vollzogen werden darf, wenn entgegen einer anfänglichen positiven Prognose keine hinreichend konkrete Aussicht mehr auf einen solchen Behandlungserfolg besteht. Aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG leitet sich demnach die Forderung ab, die Behandlung abzubrechen und die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen, sobald festgestellt werden kann, dass für den Untergebrachten keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht (Rdn. 99). Die entsprechenden Regelungen müssen darauf Acht nehmen, dass bei der jeweils vorgesehenen Art der Kumulierung die Freiheitsentziehung insgesamt nicht übermäßig wird und Anrechnungsausschlüsse nicht ohne Beziehung zu Grund und Ziel der Unterbringungsmaßregel erfolgen(Rdn. 92). Grund für die damals vom Bundesverfassungsgericht erfolgte Nichtigkeitserklärung des § 67 Abs. 4 Satz 2 StGB a.F. war gerade der Ausschluss der Anrechenbarkeit für all jene Personen, die in der Entziehungsanstalt weiter verwahrt wurden, obwohl die Aussichtslosigkeit der Behandlung längst erkennbar oder gar schon erkannt war, die aber gleichwohl … in der Entziehungsanstalt behalten wurden (Rdn 106).
12Für einen im Maßregelvollzug nach Erreichung der anrechenbaren Zeit verbleibenden Untergebrachten stellt somit die von der Staatsanwaltschaft Duisburg praktizierte Handhabung wegen der Nichtanrechenbarkeit offensichtlich eine verfassungswidrige zusätzliche Belastung in diesem Sinn dar. Aber auch für die Untergebrachten, deren Zeit in der Maßregel, wie bei der Untergebrachten, wegen Nichterreichens des 2/3-Zeitpunktes noch auf die Strafhaft angerechnet wird, ist diese zusätzliche Belastung des Verbleibs in der Maßregel eine übermäßige Belastung im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Die Vorstellung, dass – trotz des gerichtlichen Erledigungsbeschlusses - noch eine zielführende Sucht-Behandlung stattfindet, die den weiteren Aufenthalt in der Maßregelvollzugseinrichtung rechtfertigen würde, ist nämlich praxisfern.
13Auch die Argumentation des OLG Frankfurt für eine erheblichen Tragweite der Entscheidung als Ausnahme-Grund für die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels der Untergebrachten, weil dieses auf die Aufhebung der festgestellten Aussichtslosigkeit der Behandlung abziele und vom Willen getragen sei, die Behandlung der Abhängigkeit fortzusetzen, kann nicht überzeugen. Der Wunsch der Untergebrachten, eine Suchttherapie durchzuführen, ist nämlich im Rahmen des § 64 StGB rechtlich unbeachtlich. Einen Anspruch auf Durchführung der Therapie nach § 64 StGB besteht gerade nicht. (vgl. für den Fall der Nichtanordnung der Maßregel einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt BGH v. 21.03.1979, 2 StR 743/78; KG Berlin 26.07.1996, 1 AR 917/96 - juris). Nichts anderes kann dann für die Weiterführung der Behandlung in einer Entziehungsanstalt gelten. Die spezielle Gesundheitsfürsorge in Form einer Suchtbehandlung ist nämlich nicht Aufgabe des Straf- oder Maßregelrechts. § 64 StGB dient in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern, wobei dieser Zweck bei süchtigen Straftätern durch die Suchtbehandlung erfolgen soll. Der Behandlungsgedanke und die damit verbundene Fürsorge steht nicht im Vordergrund. Wenn damit ein Verurteilter schon nicht beschwert ist, wenn neben einer verhängten Freiheitsstrafe nicht auch noch seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wird, kann auch ein Untergebrachter nicht beschwert sein, wenn die ursprünglich angeordnete Maßregel für erledigt erklärt wird, d.h. nachträglich entfällt.
14Entsprechend ist das Rechtsmittel eines Untergebrachten dahingehend auszulegen, dass – mangels Beschwer - nicht die Erledigung der Maßregel nach § 64 StGB angegriffen wird, sondern der drohende Beginn der Vollstreckung der Freiheitsstrafe ohne (Vorab)Vollzug der weiteren Therapie bzw. die Nichtaussetzung bzw. Nichtaufschiebung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe.
15Es bleibt nach all dem bei der eindeutigen und für alle staatlichen Organe bindenden Regelung in § 307 Abs. 1 StPO, wonach der Vollzug der angefochtenen Entscheidung der Erledigung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 5 StGB durch die (sofortige) Beschwerde des Untergebrachten nicht gehemmt wird.
16Die Untergebrachte kann die Verlegung in Strafhaft zum von der Kammer angegebenen Datum nur zu verhindern versuchen, indem sie beantragt, dass der Vollzug der angefochtenen Entscheidung gemäß § 307 Abs. 2 StPO ausgesetzt wird. Dies ist geübte Praxis und in begründeten Einzelfällen auch aussichtsreich.
17Eine solche ausdrückliche Antragstellung im Bewusstsein einer dadurch möglichen Verlängerung des Gesamtfreiheitsentzuges aufgrund der fehlenden Anrechnungsmöglichkeit nach Erreichung der 2/3 Grenze des § 67 Abs. 4 StGB ist bei einer derart negativen Rechtsfolge auch angemessen.
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