Urteil vom Landgericht Koblenz (6. Zivilkammer) - 6 S 464/14

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Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Andernach vom 21.11.2014, Az. 63 C 957/13, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.497,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 19.06.2013 zu zahlen zuzüglich außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 169,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 29.03.2014.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 23 % und die Beklagte 77 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, welche ein Mietwagenunternehmen betreibt, macht nach einem Verkehrsunfall vom 12.03.2013 aus abgetretenem Recht der Geschädigten restliche Mietwagenkosten gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Schädigers geltend, dessen volle Haftung dem Grunde nach unstreitig ist.

2

Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

3

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund der Gesamtumstände sei davon auszugehen, dass das Ersatzfahrzeug nicht zu den im Mietvertrag genannten Preisen angemietet worden sei, sondern allenfalls zum ortsüblichen Tarif. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klägerin habe jedoch nicht nachgewiesen, dass der begehrte Mietzins der seinerzeit ortsübliche gewesen sei. Ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch hätte zu dem hier angegebenen Tagespreis in Höhe von 219,23 € kein Fahrzeug angemietet.

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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt.

5

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft und ergänzt ihren erstinstanzlichen Vortrag.

6

Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

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Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet.

8

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der restlichen Mietwagenkosten gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 398 BGB in Höhe von 1.497,29 € zu.

9

Die Kammer geht zunächst davon aus, dass zwischen der Klägerin und der Geschädigten ein wirksamer Vertrag über die Anmietung des hier gegenständlichen Ersatzfahrzeugs wie schriftlich fixiert (Bl. 82, 88 d. GA) zustande gekommen ist. Dass die Klägerin ihrer Abrechnung vom 31.07.2013 (Anlage K 2, Bl. 12 d. GA) gegenüber der Geschädigten letztlich einen niedrigeren Tarif gemäß Schwacke zugrunde legt, nachdem sich die ursprünglich in Aussicht genommene Mietdauer von 10 Tagen um 15 Tage verlängert hatte, rechtfertigt noch keine andere Beurteilung.

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Die Klägerin kann auch die in Rechnung gestellten Mietwagenkosten in voller Höhe verlangen.

11

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot kann der Geschädigte für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis verlangen. Darüber hinausgehende bei gebotener wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht erforderliche Mietwagenkosten kann der Geschädigte aus dem Blickwinkel der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nur dann ersetzt verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer (Normal-) Tarif zugänglich war (BGH, Urteil vom 18.12.2012 – VI ZR 316/11, zit. nach juris, m.w.N.).

12

Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Die Art der Schätzungsgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden und ferner dürfen wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Betracht bleiben. Auch darf das Gericht in für die Streitentscheidung zentralen Fragen auf nach Sachlage unerlässliche fachliche Erkenntnisse nicht verzichten. Gleichwohl können in geeigneten Fällen Listen oder Tabellen bei der Schadensschätzung Verwendung finden. Nach diesen Grundsätzen ist der Tatrichter grundsätzlich weder gehindert, seiner Schadensschätzung die Schwacke-Liste noch den Fraunhofer-Mietpreisspiegel zugrunde zu legen. Der Umstand, dass die vorhandenen Markterhebungen im Einzelfall zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen können, genügt nicht, um Zweifel an der Eignung der einen oder anderen Erhebung als Schätzgrundlage zu begründen. Die Listen dienen dem Tatrichter nur als Grundlage für seine Schätzung nach § 287 ZPO. Er kann im Rahmen seines Ermessens unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls von diesen – etwa durch Abschläge oder Zuschläge auf den sich aus ihnen ergebenden Normaltarif – abweichen (BGH, Urteil vom 18.12.2012 – VI ZR 316/11, zit. nach juris).

13

Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf allerdings dann, aber auch nur dann, der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken. Die Anwendung der Listen durch den Tatrichter begegnet also nur dann Bedenken, wenn die Parteien deutlich günstigere bzw. ungünstigere Angebote anderer Anbieter für den konkreten Zeitraum am Ort der Anmietung aufzeigen (BGH, Urteil vom 18.12.2012 – VI ZR 316/11, zit. nach juris).

14

In ständiger Rechtsprechung (vgl. u.a. Urteil vom 26.08.2014 – 6 S 302/13; Urteil vom 11.11.2014 – 6 S 284/14) schätzt die Kammer bislang noch die nach § 249 Abs. 2 BGB ersatzfähigen Mietwagenkosten grundsätzlich nach der Schwacke-Liste, sofern nicht in dem konkreten Einzelfall dargelegt wird, dass einer anderen Schätzungsgrundlage, etwa dem Fraunhofer-Mietpreisspiegel, der Vorrang einzuräumen ist. Selbst im Hinblick auf die von der Beklagten zitierten Entscheidungen des OLG Koblenz vom 02.02.2015 (Az. 12 U 1429/13) und des OLG Düsseldorf vom 24.03.2015 (Az. I-1 U 42/14) sieht die Kammer in dem vorliegenden Fall zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass.

15

Denn mit ihren zu den Akten gereichten Screenshots (Anlage B 2, Bl. 40 f. d. GA) hat die Beklagte noch nicht deutlich günstigere Angebote anderer Anbieter aufgezeigt, aus denen geschlossen werden könnte, dass der zur Schadensbehebung erforderliche maßgebende Normaltarif zum Zeitpunkt der Anmietung deutlich günstiger gewesen sein könnte als der Tarif des Schwacke-Mietpreisspiegels. Vielmehr handelt es sich vorliegend lediglich um die Screenshots eines Mietpreisvergleichs vom 15.05.2014 für Koblenz, der erst über Links auf die Internet-Angebote der jeweiligen Anbieter verweist und daher noch keinen substantiierten Vortrag zu günstigeren Vergleichsangeboten ersetzt.

16

Damit ist der Vortrag der Beklagten nicht geeignet, die Tauglichkeit der von der Klägerin herangezogenen Schwacke-Liste als Schätzungsgrundlage zu erschüttern.

17

Der Kammer ist es auch nicht verwehrt, eine andere Schätzungsgrundlage als das Amtsgericht zu wählen. Denn das Berufungsgericht kann im Fall einer auf § 287 ZPO gründenden Entscheidung den Prozessstoff auf der Grundlage der nach § 529 ZPO berücksichtigungsfähigen Tatsachen ohne Bindung an die Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts selbständig nach allen Richtungen von neuem prüfen und bewerten. Selbst wenn es die erstinstanzliche Entscheidung zwar für vertretbar hält, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, darf es nach seinem Ermessen eine eigene Beurteilung vornehmen (BGH, Urteil vom 12.04.2011 – VI ZR 300/09, zit. nach juris).

18

Soweit das Amtsgericht in diesem Zusammenhang der Klägerin aufgegeben hat, den Nachweis der Erforderlichkeit der Mietwagenkosten durch Vorlage der zwanzig vor dem hier streitigen Mietvertrag und der zwanzig danach abgeschlossenen Mietverträge zu führen, überspannt es nach Auffassung der Kammer die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin. Dass die Klägerin der Auflage nicht nachgekommen ist, führt daher noch nicht dazu, dass sie ihrer Darlegungslast hinsichtlich der Erforderlichkeit der Mietwagenkosten nicht nachgekommen wäre.

19

Die Beklagte hat auch nicht deshalb nach § 254 BGB niedrigeren Schadensersatz zu leisten, weil feststeht, dass der Geschädigten ein günstigerer Normaltarif in der konkreten Situation „ohne weiteres“ zugänglich war (BGH, Urteil vom 24.06.2008 – VI ZR 234/07, zit. nach juris). Denn dies hat nach den allgemeinen Grundsätzen der Schädiger, hier die Beklagte, darzulegen und zu beweisen. Hierfür reicht jedoch der Beklagtenvortrag nicht aus, insbesondere genügen dazu aus den oben bereits dargestellten Gründen nicht die vorgelegten „Vergleichsangebote“.

20

Die Klägerin kann darüber hinaus einen pauschalen Aufschlag von 20 % auf den Normaltarif zur Abgeltung der durch die besondere Unfallsituation veranlassten Leistungen verlangen. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 02.02.2010 (Az. VI ZR 7/09, zit. nach juris) entschieden, dass es noch nicht allein gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoße, ein Kraftfahrzeug zu einem höheren Tarif mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen u.ä.) anzumieten, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in Betracht komme. Nicht erforderlich sei es, für die Frage der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines Unfallersatztarifs die Kalkulation des konkreten Vermieters nachzuvollziehen, vielmehr habe sich die Prüfung darauf zu beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein den Mehrpreis rechtfertigten. Vorliegend hat die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 05.06.2014 zu den konkret angefallenen unfallspezifischen Mehrleistungen im Schadensfall unbestritten vorgetragen, ihr entstünden infolge der Vermietung an Unfallgeschädigte erhöhte Verwaltungs- sowie Vorhaltekosten, der Mietzins und die Umsatzsteuer seien vorfinanziert und das Fahrzeug sei der Geschädigten ohne Sicherheitsleistung zur Verfügung gestellt worden, so dass sie ein entsprechendes Ausfallrisiko übernommen habe. Weiter hat sie vorgetragen, zum Zeitpunkt der Anmietung sei die Haftung nicht geklärt und die Mietdauer nicht bekannt gewesen. Danach erscheint der Kammer der übliche Aufschlag von 20 % auf den Normaltarif als gerechtfertigt.

21

Schließlich kann die Klägerin auch Erstattung der geltend gemachten Zusatzkosten für die Zustellung/Abholung an der Reparaturwerkstatt sowie die wintertaugliche Bereifung verlangen.

22

Ein Abzug für ersparte Eigenkosten scheidet vorliegend aus, da ein Fahrzeug abgerechnet wurde, das einer niedrigeren Fahrzeugklasse (Gruppe vier) als das verunfallte Fahrzeug (Gruppe 5) angehört.

23

Nicht erstattungsfähig sind dagegen die zusätzlich berechneten Kosten für die Haftungsreduzierung auf eine Selbstbeteiligung von 1.500,00 €, da diese bereits bei dem hier zugrundegelegten Mietpreis nach Schwacke Berücksichtigung gefunden haben.

24

Von den danach insgesamt zu erstattenden Mietwagenkosten in Höhe von 2.905,61 € brutto hat die Beklagte bereits 1.408,32 € gezahlt, so dass die Klage in Höhe des Differenzbetrages von 1.497,29 € begründet ist.

25

Die Klägerin kann darüber hinaus Erstattung ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 1.497,29 € in Höhe von 169,50 € verlangen (§§ 280, 286 BGB).

26

Die Zinsansprüche sind nach §§ 286, 288, 291 BGB gerechtfertigt.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

28

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Die Schätzung der erstattungsfähigen Mietwagenkosten anhand der Schwacke-Liste ist bereits höchstrichterlich gebilligt. Im übrigen handelt es sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung.

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