Urteil vom Landgericht Lübeck (14. Zivilkammer) - 14 S 122/21

Tenor

Die Berufung der Klägerin und die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 18.11.2021, Az. 26 C 1325/21, werden zurückgewiesen.

Die Klägerin und der Beklagte zu 2) haben die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte zu 2) kann die Vollstreckung durch die Klägerin durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Lübeck ist für den Beklagten zu 2) ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten zu 2) kann die Vollstreckung aus dem in Ziffer 1 genannten Urteil durch die Klägerin durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden.

Die Revision wird im Hinblick auf die Zurückweisung der Berufung des Beklagten zu 2) zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.044,98 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 18. November 2021. Lediglich zur Verdeutlichung der Abläufe werden diese im Folgenden nochmals wie folgt zusammengefasst:

2

Am 18. September 2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Beklagte bestellt. Am 17. August 2018 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. Der Beklagte wurde zum Treuhänder in der sich anschließenden Wohlverhaltensphase ernannt. Im Folgenden zahlte die Klägerin innerhalb der maßgeblichen Abtretungsfrist die Kosten des Insolvenzverfahrens. Unter dem 25. März 2020 stellte die Klägerin Antrag auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung. Am 18. September 2020 lief die für die vorzeitige Restschuldbefreiung maßgebliche 5-Jahres Frist ab. Auch nach dem 18. September 2020 bis einschließlich Dezember 2020 zog der Beklagte als Treuhänder weiter pfändbare Gehaltsanteile der Klägerin ein. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 wurde der Klägerin vorzeitige Restschuldbefreiung zugebilligt. Der Beschluss wurde noch am selben Tag rechtskräftig. Der Beklagte erstattete sodann die Gehaltsanteile für Dezember zurück, nicht aber die Gehaltsanteile für Oktober und November, mithin den Klagebetrag in Höhe von 2.044,98 EUR. Diese Beträge kehrte er vielmehr an die Gläubiger aus. In der Folge erhob die Klägerin Klage sowohl gegen den Beklagten zu 1) „in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Insolvenzverwalter und (ehemaliger) Treuhänder“ als auch gegen den Beklagten „persönlich“.

3

Das Amtsgericht hat die Klage gegen den Beklagten zu 1) abgewiesen und hierzu ausgeführt, die Erfüllung der Forderung sei dem Beklagten zu 1) unmöglich, da nach Ende des Insolvenzverfahrens und der Treuhänderstellung keine Haftungsmasse mehr bestehe. Den Beklagten zu 2) hat es hingegen vollumfänglich zur Zahlung des oben genannten Betrages zzgl. Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte zu 2) gem. §§ 300 Abs. 4 Satz 3, 300a InsO verpflichtet gewesen wäre, die streitgegenständlichen Beträge nach Rechtskraft der Restschuldbefreiung an die Klägerin zurückzuzahlen.

4

Im Hinblick auf das Vorbringen der Parteien im Berufungsrechtszug wird im Übrigen auf die von ihnen in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

5

Die Klägerin und Berufungsführerin beantragt,

6

das Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 18.11.2021 – 26 C 1325/21 – abzuändern und die Beklagte zu 1) gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin € 2.044,98 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf € 272,00 seit dem 01.10.2020, auf € 679,99 seit dem 01.11.2020 und auf weitere € 1.092,99 seit dem 01.12.2020 zu zahlen.

7

Der Beklagte zu 1) beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

9

Der Beklagte zu 2) und weitere Berufungsführer beantragt,

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das am 18.11.2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lübeck zu ändern und die Klage auch gegenüber dem Beklagten zu 2) abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,

12

die Berufung zurückzuweisen.

II.

13

1. Der in zulässiger Weise eingelegten Berufung der Klägerin ist in der Sache der Erfolg versagt. Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die gegen den Beklagten zu 1. „in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Insolvenzverwalter und (ehemaliger) Treuhänder“ erhobene Klage abgewiesen.

14

a. Soweit die Klägerin den Beklagten „in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Insolvenzverwalter“ verklagte, war die Klage bereits unzulässig.

15

In der ständigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ist unstreitig, dass der „in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter“ verklagte Insolvenzverwalter im Rechtsstreit im eigenen Namen für die Masse auftritt, und zwar sowohl im Aktiv- als auch im Passivprozess. Der von der Rechtsprechung geprägten Rechtslage entsprechend führt der Insolvenzverwalter den Prozess in eigenem Namen und als Partei in eigener Verantwortung, aber mit Wirkung (nur) für die Insolvenzmasse

16

(unstr., vgl. etwa MüKoInsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, InsO § 80 Rn. 74 m.w.N.).

17

In der logischen Konsequenz ist in der Rechtsprechung ebenso geklärt, dass nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen an den Schuldner zurückfällt, damit die Prozessführungsbefugnis des Verwalters entfällt und ein Parteiwechsel vom Insolvenzverwalter auf den Schuldner stattfinden muss

18

(ebenso unstr., vgl. MüKoInsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, InsO § 80 Rn. 97, 98 m.w.N.).

19

Hieraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass eine Klage gegen den Beklagten „in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Insolvenzverwalter“ nicht zulässig ist, da damit in der Sache eine Entscheidung mit Wirkung für die Insolvenzmasse begehrt wird – die es jedoch nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens bereits am 17. August 2018 nicht mehr gab, so dass eine derartige Klage mangels Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters für eine nicht mehr existente Masse ins Leere geht.

20

Dem kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass damit Klagen nach § 60 InsO nach Beendigung des Insolvenzverfahrens praktisch unmöglich würden, da dann derartige Klagen gegen den Insolvenzverwalter persönlich zu führen wären, dieser aber nicht persönlich nach § 60 InsO hafte (so Schriftsatz vom 14. Juni 2022, S. 2 f.). Dieses Argument verkennt ganz grundlegend, dass § 60 InsO tatsächlich gerade eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters – und eben gerade keine Haftung der Masse – begründet

21

(unstr. und stetige Rspr. seit BGH, Urteil vom 05. Oktober 1982 - VI ZR 261/80 -, NJW 1983, 1799; MüKoInsO/Schoppmeyer, 4. Aufl. 2019, InsO § 60 Rn. 1a m.w.N.: „Um den Einfluss und die Handlungsmacht auszugleichen, die ihm im Interesse des Insolvenzzwecks zugewiesen sind, haftet der Insolvenzverwalter gemäß § 60 persönlich“)

22

und daher eben Prozesse wegen Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO auch gegen diesen persönlich zu führen sind.

23

b. Des Weiteren ist die Klage auch unzulässig, soweit die Klägerin den Beklagten „in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Treuhänder“ verklagte.

24

Insoweit gilt schon grundsätzlich, dass eine Prozessführung gegen den Beklagten „als (ehemaligen) Treuhänder“ gesondert neben der Prozessführung gegen den Beklagten „persönlich“ der Zivilprozessordnung fremd ist. Eine derartige Aufspaltung setzte voraus, dass – analog der Situation bei der Insolvenzverwaltung – eine rechtlich verselbständigte „Treuhandmasse“ existiert und der Prozess, wie im Falle der Insolvenzmasse (vgl. oben), mit Wirkung für diese geführt werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall, da sich die Stellung des Treuhänders insoweit grundlegend von der Stellung des Insolvenzverwalters unterscheidet

25

(MüKoInsO/Stephan, Inso, 4. Aufl. 2020, InsO § 292 Rn. 17; BeckOK InsR/Riedel, InsO, 27. Ed. 15.4.2022, InsO § 292 Rn. 1-4)

26

und eine verselbständigte „Treuhandmasse“ als solche, hinsichtlich der der Treuhänder verfügungsbefugt und damit auch prozessführungsbefugt wäre, gerade nicht existiert

27

(BeckOK InsR/Riedel, InsO, 27. Ed. 15.4.2022, InsO § 292 Rn. 1-4: „Insbesondere ist der Treuhänder nicht Inhaber der Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Vermögenswerte des Schuldners“; Braun/Pehl, 9. Aufl. 2022, InsO § 292 Rn. 9: „Zwar besteht in formell-rechtlicher Hinsicht ein Unterschied insofern, als der Treuhänder nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners erhält, diese vielmehr nach Beendigung des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner zurückfällt.“).

28

Überzeugend geht deshalb auch das Landgericht Halle davon aus, dass ein Treuhänder als solcher nicht prozessführungsbefugt ist, da ein verselbständigtes „Treuhandvermögen“ der Konzeption der InsO fremd ist. Dessen folgenden Ausführungen macht sich auch das hier erkennende Gericht vollumfänglich zu eigen (Hervorhebungen durch die Kammer):

29

„a) Der Kläger ist bereits nicht prozessführungsbefugt.

30

aa. Insbesondere ist nicht von einer gesetzlichen Prozessstandschaft auszugehen.

31

Gem. § 292 InsO obliegt es dem Kläger als Treuhänder, die Beträge, die er gem. § 292 InsO erlangt bzw. sonstige Leistungen Dritter von seinem Vermögen getrennt zu halten und einmal jährlich aufgrund des Schlussverzeichnisses an die Gläubiger zu verteilen. Hieraus folgt aber nicht, dass der Kläger befugt ist, eine bestimmte Vermögensmasse als deren materieller Rechtsträger an dessen Stelle auch gegen dessen Willen zu verwalten und über diese Masse zu verfügen. Vielmehr ist er an die im Schlussverzeichnis rechtskräftig festgestellte Forderungsreihenfolge und daraus resultierende Dividende gebunden und hat die vereinnahmten Beträge demgemäß an die Gläubiger auszukehren, ohne darüber aber eigenmächtig verfügen zu können.

32

bb. Die Prozessführungsbefugnis lässt sich auch nicht in sonstiger Weise aus den gesetzlichen Aufgaben eines Treuhänders ableiten.

33

Insbesondere unterscheidet sich das Aufgabengebiet des Treuhänders ganz erheblich von demjenigen eines Insolvenzverwalters. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetzgeber gerade eine Unterscheidung zwischen einem Insolvenzverwalter und einem Treuhänder vorgenommen und bei der Bestimmung der Aufgaben des Treuhänders in den §§ 291 ff. InsO gerade nicht auf die Aufgaben des Insolvenzverwalters verwiesen, sondern vielmehr den Aufgabenkreis des Treuhänders explizit aufgeführt hat.

34

Danach dient der Treuhänder und die ihm vom Gesetzgeber auferlegte Pflicht, die Beträge und sonstigen Leistungen des Schuldners oder von Dritten von seinem Vermögen getrennt zu halten sicherzustellen, dass jedem Insolvenzgläubiger eine Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO möglich ist, wenn etwa durch einen Gläubiger des Treuhänders in das Treugut vollstreckt wird oder aber eine Drittwiderspruchsklage des Schuldners, weil er sich auf die fortbestehende, wirtschaftliche Zuordnung des Treugutes zu seinem Vermögen beruft (Ehricke, in: MünchKomm-InsO, § 292, Rdnr. 6-8).

35

Hinzu kommt, dass mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Aufsicht des Insolvenzgerichts endet (BGH, Beschluss vom 30. September 2010, IX ZB 85/10). Insoweit würde der Treuhänder - würde man ihn auch im Sinne einer Prozessführungsbefugnis über das Vermögen für verfügungsbefugt halten - keiner Kontrolle unterliegen. Es spricht gar nichts dafür, dass dies der Konzeption des Gesetzgebers entsprach.

36

cc. Die Prozessführungsbefugnis des Klägers als Treuhänder kann nach der Bewertung der Kammer auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 259 Abs. 2 InsO abgeleitet werden.

37

Es ist bereits nicht ersichtlich, weshalb die zum Insolvenzverfahren getroffenen Regelungen für die gleichermaßen gesetzlich geregelte Wohlverhaltensphase gelten sollen. Zum Einem liegt gerade kein vergleichbarer Sachverhalt vor, denn es fehlt an einem „Insolvenzplan“. Vielmehr ist das vereinfachte Insolvenzverfahren unstreitig und uneingeschränkt aufgehoben worden. Das vorliegende Schlussverzeichnis ist schon nach seiner abweichenden Bezeichnung nicht mit einem Insolvenzplan vergleichbar bzw. entsprechend zu behandeln.

38

Zum anderen ist ersichtlich nicht von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen, denn - wie bereits ausgeführt - sind die übrigen Gläubiger durch die Möglichkeit der Erhebung einer Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO hinreichend geschützt, so dass davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber bewusst die Aufgaben des Treuhänders so gering halten wollte, wie er es tatsächlich auch getan hat.“ (LG Halle, Urteil vom 22. Juli 2011 – 2 S 35/11 -, BeckRS 2011, 19463).

39

Diese Feststellungen decken sich im Übrigen auch mit der anerkannten Rechtsstellung des Treuhänders im Falle der Zwangsvollstreckung durch Dritte. Betreiben Neugläubiger des Schuldners die Zwangsvollstreckung in das Treugut, können lediglich die Insolvenzgläubiger – nicht aber der Treuhänder - die Drittwiderspruchsklage erheben, da das Treugut eben (und dies eben anders als die Insolvenzmasse) wirtschaftlich nicht ihm zugeordnet ist

40

(MüKoInsO/Stephan, 4. Aufl. 2020, InsO § 292 Rn. 21).

41

2. Der in ebenfalls zulässiger Weise eingelegten Berufung des Beklagten zu 2) ist in der Sache ebenfalls der Erfolg versagt. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht den Beklagten zu 2) zur Zahlung von 2.044,98 EUR nebst Zinsen verurteilt.

42

a. Zutreffend hat das Amtsgericht insoweit §§ 280 Abs. 1, 249 BGB als Anspruchsgrundlage herangezogen.

43

Zwar wird in der Rechtswissenschaft teilweise erwogen, für die Haftung des Treuhänders § 60 InsO analog heranzuziehen. Dem wird allerdings – überzeugend – entgegengehalten, dass die Voraussetzungen für eine derartige Analogie, nämlich eine planwidrige Regelungslücke, nicht vorliegen:

44

(„Doch scheitert die analoge Anwendung des § 60 an der Voraussetzung des Vorliegens einer unbewussten Regelungslücke. In § 293 Abs. 3 S. 2 hat der Gesetzgeber im Hinblick auf den Treuhänder nicht etwa allgemein auf die §§ 56 bis 66 verwiesen, wie er dies in § 313 Abs. 1 S. 3 für den Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren oder im § 21 Abs. 2 Nr. 1 im Hinblick auf den vorläufigen Insolvenzverwalter – wo allerdings der Verweis auf § 57 ausgespart ist – getan hat, sondern er hat detailliert nur die §§ 58 und 59 für anwendbar erklärt. Daraus ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst auf eine Anwendbarkeit des § 60 auf den Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren verzichtet hat.“ MüKoInsO/Stephan, InsO, 4. Aufl. 2020, InsO § 292 Rn. 108, 109)

45

Entsprechend ergibt sich die Grundlage für die persönliche Haftung des Treuhänders aus dem allgemeinen Zivilrecht, und dort – da es sich bei dem Treuhandverhältnis um ein gesetzliches Schuldverhältnis handelt, welches es dem Treuhänder insb. auferlegt, auf die Vermögensinteressen der Treugeberin zu achten – aus den §§ 280 ff. BGB

46

(ebenso: MüKoInsO/Stephan, InsO, 4. Aufl. 2020, InsO § 292 Rn. 111 m.w.N.; Andres/Leithaus/Andres, InsO, 4. Aufl. 2018, InsO § 292 Rn. 14; BeckOK InsR/Riedel, InsO, 27. Ed. 15.4.2022, InsO § 292 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Römermann, 44. EL November 2021, InsO § 292 Rn. 46-49 usw.).

47

b. Die Voraussetzungen des §§ 280 Abs. 1 BGB liegen vor.

48

(1) Zwischen den Parteien bestand ein gesetzliches Schuldverhältnis in Folge der Treuhänderstellung des Beklagten zu 2 (vgl. oben).

49

(2) Der Beklagte zu 2) hat im Rahmen dieses Schuldverhältnisses die ihm obliegenden Pflichten verletzt, indem er die streitbefangenen Beträge in Höhe von 2.044,98 EUR aus den Monaten September bis November 2020 nicht an die Klägerin zurückgezahlt, sondern die Beträge an die Gläubiger ausgekehrt hat. Denn die unterlassene Rückzahlung verstieß gegen §§ 300 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 300a Abs. 1, 2 Satz 3 InsO (in der hier maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 1. Juli 2014 bis 1. September 2020 gem. Artikel 103k Abs. 1 des Insolvenzordnung-Einführungsgesetzes).

50

(aa) Gemäß des hier anwendbaren § 300a Abs. 2 Satz 3 InsO (a.F.). hat der Insolvenzverwalter bei Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung dem Schuldner den Neuerwerb herauszugeben und über die Verwaltung des Neuerwerbs Rechnung zu legen. Der vorgenannte Neuerwerb ist dabei gem. § 300a Abs. 1 InsO (a.F.) als das Vermögen definiert, das der Schuldner nach dem Ende der Abtretungsfrist erworben hat. Es handelt sich vorliegend unstreitig um den streitbefangenen Betrag.

51

(bb) Diese Bestimmung ist zur Überzeugung des Gerichts nicht nur im sog. asymmetrischen Insolvenzverfahren gem. § 300a InsO, sondern auch in dem hier vorliegenden Fall eines bereits aufgehobenen Insolvenzverfahrens mit anschließender Wohlverhaltensphase auf die Pflichten des Treuhänders anzuwenden. Dies folgt ausdrücklich aus der Verweisungsnorm des § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO a.F., der explizit auf § 300a InsO verweist und diesen für entsprechend anwendbar erklärt. In der Sache überzeugend hat insoweit bereits das Landgericht Bochum entschieden, dass der Verweis des § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO a.F. auch auf § 300a InsO a.F. dazu führt, dass das Vermögen, dass der Schuldner nach Ende der Abtretungsfrist erwirbt, im Falle der Erteilung der Restschuldbefreiung so zu behandeln ist, als wäre die Abtretung rückwirkend entfallen

52

(LG Bochum, Urteil vom 23. April 2021 – I-9 S 115/20 -, Rn. 8 ff., Juris).

53

Auch der hier erkennenden Kammer erschließt sich nicht, welche andere überzeugende Lesart dem ausdrücklichen Verweis in § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO a.F. auf § 300a InsO zugemessen werden könnte. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzgebungshistorie oder der Gesetzessystematik ergeben sich irgendwelche Hinweise, dass mit dem Verweis etwas Anderes bezweckt worden sein könnte als eben diese Rechtsfolge. Ersichtlich wird dies – wie auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erörtert – anhand der Kontrollfrage, wie der Gesetzgeber vorgegangen wäre, wenn er diese Rückwirkung tatsächlich strikt auf die Ausnahmefälle der sog. asymmetrischen Insolvenzverfahren hätte beschränken wollen, wie von Beklagtenseite vertreten. Ersichtlich hätte der Gesetzgeber es dann bei der Regelung des § 300a Abs. 2 Satz 3 InsO a.F. belassen und in § 300 Abs. 4 InsO a.F. keinen Verweis auf diese Regelung aufgenommen. Bei einer derartigen Regelung wäre durch den dann alleinigen Verweis auf § 299 InsO klar gewesen, dass die Abtretungsfrist eben erst mit Rechtskraft der Entscheidung endet und jeder zwischenzeitliche Erwerb noch dem Treuhandregime unterfällt. Derart ist der Gesetzgeber jedoch eben gerade nicht vorgegangen, indem er zudem einen Verweis auf § 300a InsO aufgenommen hat. Einen Sinn ergibt diese Verweisungsregelung entsprechend nur dann, wenn der Gesetzgeber eben gerade die für die asymmetrischen Verfahren neu normierte Regelung auch auf den Normalfall des Treuhandverhältnisses im Anschluss an ein Insolvenzverfahren für anwendbar erklären wollte – wie eben geschehen. Auch in der Zusammenschau ergibt sich bei Zugrundelegung dieses Normverständnisses ein in sich schlüssiges Normgefüge, wie von Allemand (in: NZI 2021, 634) überzeugend herausgearbeitet:

54

„Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein gut nachvollziehbarer Verweisverlauf zwischen §§ 300, 300a und 299InsO. Für eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung während des laufenden Insolvenzverfahrens ergeben sich angesichts der eindeutigen Regelung in §300aInsO keine Fragen: „Wird dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt, gehört Vermögen, das der Schuldner nach [...] Eintritt der Voraussetzungen des § 300 I 2 erwirbt, nicht mehr zur Insolvenzmasse.“ Diese Klarstellung muss erfolgen mit Hinblick darauf, dass der Insolvenzbeschlag noch fortbesteht. Die Handlungsanweisung in §300aII 3 InsO an den Insolvenzverwalter ist auch eindeutig: „Bis zur rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung hat der Verwalter den Neuerwerb treuhänderisch zu vereinnahmen und zu verwalten. Bei Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung hat der Verwalter den Neuerwerb herauszugeben.“

55

Vor der Einführung des §300aInsO war diese Frage im Zusammenhang mit den asymmetrischen Verfahren (das Insolvenzverfahren dauert länger als die Abtretungsfrist) bis zur Entscheidung des BGH vom 3.12.2009 (NZI 2010, 111) ungeklärt. §300aInsO hat die BGH-Entscheidung in das Gesetz übernommen und angesichts der neu eingeführten Verkürzungsmöglichkeiten diese für das (noch) laufende Insolvenzverfahren gleich mitgeregelt. Nicht ausdrücklich geregelt ist jedoch der Fall der Verkürzung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens in der Restschuldbefreiungszeit: Der Insolvenzbeschlag greift nicht mehr, die Abtretungserklärung ist nunmehr Grundlage für die Einziehung des pfändbaren Einkommens. Sie endet gem. der Regelung des § 299 InsO erst mit rechtskräftiger Entscheidung über die Restschuldbefreiung. Die tatsächlichen Umstände sind für beide Konstellationen jedoch völlig gleich: Die drei Jahre sind abgelaufen und bis das Gericht entschieden hat, vergeht Zeit, in welcher weiter Einkommen aufgrund der Abtretungserklärung abgeführt wird (im eröffneten Verfahren wurde aufgrund des fortbestehenden Insolvenzbeschlags abgeführt). Daher sieht das Gesetz in § 300 IV 3 InsO eine entsprechende Anwendung von § 300a InsO vor. Es bleibt auch kein Raum für ein Missverständnis im Zusammenhang mit dem Verweis auf § 299 InsO. Auch dadurch ergibt sich ein Gleichklang zu der Situation während des Insolvenzverfahrens: Das Amt des Insolvenzverwalters und Treuhänders bleibt bis zur Entscheidung über das Verfahrensende bestehen, ebenso der Insolvenzbeschlag und die Abtretungserklärung. Rückwirkend entfällt jedoch gem. § 300a InsO die Zuordnung des abgeführten pfändbaren Einkommens zur Verteilungsmasse für die Gläubiger.“

56

Nachvollziehbare Argumente, die gegen diese Lesart sprechen könnten, finden sich weder in der veröffentlichten Rechtsprechung noch in der hierzu verfügbaren Literatur. Vielmehr finden sich auch hier – soweit diese Problematik überhaupt gesehen wird – soweit ersichtlich nur Ausführungen, die die obige Auslegung stützen

57

(Ahrens: Rechtsfragen des neuen § 300 InsO, NJW-Spezial 2021, 725; wohl auch Nerlich/Römermann/Römermann, 44. EL November 2021, InsO § 300 Rn. 21: „Die § 299 und § 300a InsO finden im Fall der vorzeitigen Restschuldbefreiung nach § 300 Abs. 1 S. 2 InsO Anwendung. Mit der Rechtskraft des die Restschuldbefreiung erteilenden Beschlusses enden demnach die Abtretungsfrist, das Amt des Treuhänders und die Beschränkung der Gläubigerrechte (§ 299 InsO). Außerdem gehört der Neuerwerb nach Rechtskraft der positiven Entscheidung über die Restschuldbefreiung nicht mehr zur Insolvenzmasse (§ 300a InsO)“).

58

(3) Der Beklagte zu 2) hat diese damit objektiv feststehende Pflichtverletzung auch subjektiv zu vertreten. Dabei ist im Ansatz davon auszugehen, dass ein Verschulden des Beklagten zu 2) vermutet wird, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Entsprechend obliegt es dem Beklagten zu 2) Umstände darzulegen, die sein vermutetes Verschulden widerlegen und diese ggf. zu beweisen.

59

(a) In der Rechtsprechung ist insoweit anerkannt, dass ein Schuldner für einen unverschuldeten Rechtsirrtum nicht einzustehen braucht. An das Vorliegen eines derartigen unverschuldeten Rechtsirrtums sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen, wobei jeweils anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden ist

60

(MüKoBGB/Ernst, BGB, 9. Aufl. 2022, BGB § 286 Rn. 137 ff.).

61

Darlegungs- und beweisbelastet ist dabei der Schuldner.

62

(b) Den damit dem Beklagten zu 2) obliegenden Exkulpationsnachweis hat dieser nicht hinreichend geführt.

63

(aa) Soweit der Beklagte zu 2) zu seiner Entlastung ausführt, dass – bis heute – unterschiedliche Rechtsauffassungen hinsichtlich der Frage vertreten würden, bis zu welchem Zeitpunkt der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens vom Treuhänder einzuziehen und an die Gläubiger auszukehren ist, ist zunächst festzustellen, dass es insoweit zum Zwecke der Exkulpation nicht auf den Sachstand heute ankommt, sondern darauf, was im Zeitpunkt der damaligen Auskehrung vertreten wurde. Die insoweit zur Unterstützung dieser Behauptung zitierte Fundstelle (Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. 3, 3. Auflage, 2014, § 300 Rn. 36) überzeugt schon deshalb nicht, weil sie im Zeitpunkt der Pflichtverletzung überholt und damit vor dem Hintergrund des strengen Maßstabes an einen unvermeidbaren Rechtsirrtum keine taugliche Quelle zur Auslegung mehr war. Denn Ende 2020 lag von dem genannten Werk bereits die 4. Folgeauflage vor, die hinsichtlich der hier maßgeblichen Frage keine Aussage liefert, da die Problematik dort offenkundig nicht als solche erkannt und entsprechend auch nicht erörtert wird (vgl. MüKoInsO/Stephan, InsO 4. Aufl. 2020, InsO § 300 Rn. 90-94). Weitere Quellen, die die Aussage des Beklagten zu 2) stützen könnten, legt dieser nicht vor. Solche sind auch dem Gericht nicht bekannt (vgl. oben).

64

(bb) Soweit der Beklagte zu 2) des Weiteren behauptet, „zahlreiche“ Insolvenzgerichte verträten ebenfalls die auch von ihm zugrunde gelegte Auslegung, liegt ebenfalls kein hinreichender Vortrag vor. Das zur Substantiierung dieses Vortrages einzig vorgelegte Schreiben des Amtsgerichts Eutin datiert aus Dezember 2021 und erging damit etwa ein Jahr nach dem hier maßgeblichen Beschluss über die Restschuldbefreiung vom 16. Dezember 2020. Belastbare Rückschlüsse zu der allein maßgeblichen Frage, weshalb sich der Beklagte Anfang 2021 in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden haben könnte, lässt das Schreiben schon deshalb nicht zu. Zudem geht das Schreiben nicht auf die sich stellende und auch von der Gegenseite zu Recht aufgeworfene Frage ein, was der Gesetzgeber mit dem Verweis in § 300 Abs. 4 Satz 3 auf § 300a InsO anderes gemeint haben könnte als eben dessen entsprechende Geltung, wie oben erläutert. Vor dem Hintergrund, dass an die Annahme eines unvermeidbaren Rechtsirrtums strenge Anforderungen zu stellen sind, bietet es daher für sich betrachtet auch inhaltlich (abgesehen von dem zudem gegebenen untauglichen Zeitpunkt seiner Entstehung) keine geeignete Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen des Beklagten zu 2) in die Zulässigkeit seiner Maßnahmen.

65

(cc) Soweit der Beklagte zu 3) sodann auf den Umstand verweist, dass die von ihm als Anlagenkonvolut BK 2 vorgelegten sog. „ForumStar-Formulare“ darauf abstellten, dass der Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren pfändbares Arbeitseinkommen bis zur Rechtskraft der Entscheidung einzuziehen und an die Insolvenzgläubiger auszukehren habe, überzeugt dies ebenfalls nicht. Soweit ersichtlich möchte sich der Beklagtenvertreter mit der Vorlage der Beschlüsse darauf berufen, dass in diesen standardmäßig im jeweiligen Tenor der Passus „Die Abtretungsfrist endet mit Rechtskraft dieses Beschlusses.“ enthalten ist. Dieser Passus steht jedoch nicht im Widerspruch zu der obigen Auslegung der §§ 300, 300a InsO a.F. Denn, wie ausgeführt, ist es zutreffend, dass die Abtretungsfrist mit Rechtskraft des jeweiligen Beschlusses endet, §§ 300 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 299 InsO a.F.. Dies ändert jedoch nichts daran, dass dennoch gem. §§ 300 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 300a Abs. 1, 2 InsO a.F. rückwirkend die Zuordnung des zwischenzeitlich abgeführten pfändbaren Einkommens zur Verteilungsmasse für die Gläubiger entfällt (vgl. oben).

66

(4) In der Rechtsfolge schuldet der Beklagte der Klägerin die Rückzahlung der zu Unrecht von ihm an die Gläubiger ausgeschütteten 2.044,98 EUR. Der Beklagte kann sich dabei auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin vorrangig Rückzahlung von den Gläubigern verlangen kann. Denn ebenso wenig wie er selbst kann die Klägerin einen derartigen Rückzahlungsanspruch realisieren, § 301 Abs. 3 InsO.

67

c. Auch gegen die Verurteilung zur Zahlung der zuerkannten Nebenforderungen bestehen keine Bedenken. Auf die erstinstanzlichen Ausführungen wird insoweit verwiesen.

68

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 709, 711, 713 ZPO.

69

4. Im Hinblick auf die Zurückweisung der Berufung des Beklagten zu 2) wird die Revision zugelassen, da die Frage, ob die hier zugrunde gelegte Auslegung des §§ 300 Abs. 4 Satz 3 InsO, 300a InsO a.F. durchgreift, für eine Reihe gleichgelagerter Fälle Relevanz hat und ihr damit grundlegende Bedeutung zukommt, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Gründe, die Revision auch im Hinblick auf die Berufung der Klägerin zuzulassen, sind hingegen nicht festzustellen. Insbesondere erscheint die Rechtslage insoweit nicht derart unklar, dass eine Klarstellung durch den Bundesgerichtshof veranlasst wäre. Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit der sonstigen veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur.


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