Urteil vom Landgericht Magdeburg (2. Zivilkammer) - 2 S 214/09

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Schönebeck vom 04.06.2009, Geschäftsnummer 4 C 544/08, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, zu dulden, dass die Kläger und deren Rechtsnachfolger das Grundstück der Beklagten, eingetragen im Grundbuch von B Blatt 854, gelegen in der Flur 3, Flurstück 853/58 zur Bewirtschaftung des eigenen Grundstückes, dieses gelegen in der Gemarkung B Flur 3, Flurstück 852/58, eingetragen im Grundbuch von B Blatt 154, betreten und befahren dürfen.

Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 10.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen die Kläger als Gesamtschuldner zu 40 % und die Beklagte zu 60 %.

Die Kosten der zweiten Instanz tragen die Kläger als Gesamtschuldner zu 20 % und die Beklagte zu 80 %.

Das Urteil ist für die Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5000 Euro vorläufig vollstreckbar.

Für die Beklagte ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Forderung abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Wert: 3000 Euro.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über ein zu Gunsten des Grundstücks der Kläger auf dem Grundstück der Beklagten lastendes Wegerecht, das die Beklagte nicht oder allenfalls eingeschränkt gewähren will. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz nimmt die Kammer Bezug auf das amtsgerichtliche Urteil.

2

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht die Beklagte verurteilt, zu dulden, dass die Kläger ihr Grundstück zur Bewirtschaftung ihres Grundstücks begehen und befahren und hat zudem den Verlauf des Wegerechtes festgelegt. Wegen der die Entscheidung des Amtsgerichts tragenden Gründe wird auf das amtsgerichtliche Urteil verwiesen.

3

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Sie meint, dass die Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis haben, weil das mit der Klage angestrengte Verfahren nur mehr oder weniger einer Bestätigung des bestehenden Rechtes diene und hält den Klageantrag für unzulänglich und nicht den §§ 1027, 1004 BGB entsprechend formuliert. Zudem ist sie der Auffassung, dass die Kläger keinen Anspruch auf die Festlegung des Wegerechtes an einer bestimmten Stelle haben. Anhaltspunkte dafür, dass das Wegerecht so, wie vom Amtsgericht ausgeurteilt, verlaufen müsse, gebe es nicht. Eine entsprechende Einigung der Rechtsvorgänger der Parteien habe es nicht gegeben. Nachdem sich die Beklagte zunächst lediglich hinsichtlich der Beseitigung des Baumbestandes auf Verjährung berufen hatte, hat sie im Laufe der Berufungsinstanz auch wegen des Unterlassungsanspruches die Einrede der Verjährung erhoben. Der jetzigen Geltendmachung des Wegerechts stehe ihres Erachtens auch § 242 BGB entgegen, nachdem die Kläger das nunmehr geltend gemachte Recht im Zeitraum von 1980 bis 2002 nicht genutzt und geltend gemacht hätten.

4

Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

5

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

6

Die Berufung ist zulässig, aber überwiegend unbegründet.

7

Die Kläger können gem. den §§ 1004, 1027 BGB von der Beklagten verlangen, dass diese die Beeinträchtigung des zu Gunsten des klägerischen Grundstücks eingetragenen Wegerechts unterlässt.

8

Angesichts der Tatsache, dass die Beklagte den Klägern verwehrt, über ihr Grundstück zum Grundstück der Kläger zu gelangen, liegt eine Beeinträchtigung des eingetragenen Wegerechtes vor, die ein Rechtsschutzbedürfnis begründet.

9

Die Kammer hat weder hinsichtlich des Klageantrages noch des Tenors des amtsgerichtlichen Urteils zu Ziffer 1 1. Absatz Bedenken. Aus dem Ausspruch „verurteilt, zu dulden“ ergibt sich zweifelsfrei, dass die Beklagte Beeinträchtigungen des Wegerechtes unterlassen soll. Die Formulierung entspricht mithin dem Ziel des § 1004 BGB und ist nicht zu beanstanden.

10

Entgegen der Auffassung der Beklagten müssen sich die Kläger nicht darauf verweisen lassen, das Grundstück 54/1 zur Erreichung des herrschenden Grundstückes mit zu benutzen. Dass dieses Grundstück ebenfalls im Eigentum der Kläger steht, ist unerheblich, da die Grundstücke rechtlich selbständig und deshalb unabhängig voneinander zu betrachten sind.

11

Die Beklagte hat daher entsprechend dem eingetragenen Wegerecht über das Flurstück 853/58 die Zuwegung zum Grundstück 852/58 zu gewährleisten.

12

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Beseitigungsanspruch nicht verjährt.

13

Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB verjähren kann (vgl. hierzu Toussaint in: jurisPK-BGB, 4. Auflage 2008, § 902 BGB).

14

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Entscheidung vom 23.02.1973 (V ZR 109/71) ausgeführt, dass der Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung einer Grunddienstbarkeit nicht unter § 902 Abs. 1 S. 1 BGB falle und damit der Verjährung unterliege. Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, dass sowohl die Verjährungsvorschriften als auch die Grundbucheintragungen der Rechtssicherheit dienen würde. Die Verjährung schütze nach Ablauf der Verjährungsfrist den Verpflichteten vor der Geltendmachung von Ansprüchen, während die Grundbucheinrichtung den Berechtigten schütze, dessen Recht sie durch Eintragung feststelle und damit der Ungewissheit entziehe. Folglich entfalle bei eingetragenen Rechten, soweit sich ihr Inhalt aus dem Grundbuch ergebe, der Grund, auf dem die Verjährung beruhe. Dass nach dem Willen des Gesetzgebers nur eingetragene Rechte von der Verjährung ausgenommen sein sollten, erkenne man zudem an § 902 Abs. 1 S. 2 BGB, der seinen Sinn darin habe, dass die dort genannten Rechte aus dem Grundbuch nicht ersichtlich seien und deshalb das Grundbuch, wenn man die Verjährung zulasse, nicht unrichtig werde. Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB ergebe sich ebenfalls nicht aus dem Grundbuch, er sei kein Anspruch aus einem eingetragenen Recht i. S. d. § 902 Abs. 1 S. 1 BGB und unterliege damit der Verjährung. Dieser Auffassung haben sich zahlreiche Gerichte angeschlossen (vgl. z. B. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 05.11.2008, 1 U 147/08; OLG Köln, Urteil vom 24.11.1993, 11 U 136/93; OLG Celle, Beschluss vom 22.08.2006, 4 W 101/06).

15

Die Auffassung hat aber auch Ablehnung gefunden (vgl. z. B. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 09.01.2003, 6 U 36/02; LG Tübingen, Urteil vom 29.01.1990, 1 S 208/89, Toussaint, a.a.O., m. w. N.).

16

Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

17

Sinn und Zweck des § 902 BGB ist, durch die Eintragung des Rechts im Grundbuch den Fortbestand des Rechts auch gegen die Wirkungen der Verjährung zu sichern und mit der Unverjährbarkeit der aus dem Recht folgenden Ansprüche das Recht selbst davor zu schützen, durch Zeitablauf inhaltsleer zu werden.

18

Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB steht dem dinglichen Anspruch, zu dessen unbeschränkter Ausübung und Durchsetzung er unbedingt erforderlich ist, näher als einem Schadensersatzanspruch nach § 902 Abs. 1 S. 2 BGB. Denn § 1004 Abs. 1 BGB ist ein Anspruch aus einem eingetragenen Recht: Er ergänzt den Schutz des eingetragenen Rechts, soweit eine Beeinträchtigung vorliegt und gewährt die Möglichkeit, das eingetragene Recht entsprechend dem Zweck der Eintragung zeitlich unbegrenzt auszuüben und gegen unrechtmäßige Beeinträchtigung durchzusetzen. Die Tatsache, dass § 1028 BGB ausdrücklich darauf verweist, dass der Anspruch auf Beseitigung von Anlagen der Verjährung unterliegt, auch wenn die Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist, lässt den Schluss zu, dass der Beseitigungsanspruch in den übrigen Fällen nicht der Verjährung unterliegen soll. Zudem ist aus § 1028 BGB das gesetzgeberische Ziel, wonach im Grundbuch keine inhaltsleeren Rechte verzeichnet sein sollen, erkenntlich: Danach erlischt die Dienstbarkeit mit der Verjährung, soweit der Bestand der Anlage mit ihr in Widerspruch steht, was wiederum die Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB eröffnet (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht, LG Tübingen, Toussaint, jeweils a.a.O. m. w. N.).

19

Soweit das dienende Grundstück der Beklagten teilweise bebaut und bepflanzt worden ist, kann zwar gem. § 1028 BGB die Beseitigung der von der Beklagten gepflanzten Bäume nicht mehr ohne Weiteres verlangt werden. Das hat allerdings keine Auswirkungen auf das bestehende Wegerecht. Denn nach § 1028 BGB erlischt das Wegerecht bei Aufbauten nur dann, wenn es nicht mehr an anderer Stelle des Grundstücks möglich ist. Das ist hier indes nicht der Fall. Ausweislich der mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder bietet das Grundstück der Beklagten trotz der Aufbauten und Anpflanzungen noch genügend Platz, um einen 3 Meter breiten Weg einzuräumen.

20

Der Anspruch der Kläger ist auch nicht verwirkt. Zwar ist es unstreitig, dass die Kläger seit 1980 das Grundstück der Beklagten zur Erreichung ihres eigenen Grundstücks lediglich zu einem kleinen Teil in Anspruch genommen haben. Das lag jedoch darin begründet, dass sie bis 2002 das Grundstück des Herrn M nutzten, um auf ihr Grundstück zu gelangen. Unabhängig von der Frage, ob der Einwand der Verwirkung bei einem unverjährbaren Anspruch überhaupt zum Tragen kommen kann, ist der Zeitraum von 2002 bis zur Klageerhebung im Jahr 2008 zu kurz, um einen Vertrauenstatbestand zu Gunsten der Beklagten zu begründen.

21

Einen Anspruch auf ein Wegerecht an einer von den Klägern bestimmten Stelle haben diese jedoch nicht. Ein bestimmter Verlauf kann dann verlangt werden, wenn er bei der Wegerechtsbestellung vereinbart wurde. Das war hier nicht der Fall: Eine Vereinbarung darüber, wo das Wegerecht ausgeübt werden sollte, ist auch nach dem Vorbringen der Parteien nicht getroffen werden.

22

Eine längere Zeit geduldete tatsächliche Ausübung des Rechtes, die Aufschluss darüber geben kann, was die Vertragsparteien gewollt und – konkludent – vereinbart haben, gab es hier nicht, weil das herrschende Grundstück zunächst über das Grundstück des Herrn M erreicht wurde und die Kläger, nachdem ihnen dieser Weg versagt worden war, überwiegend über ihr eigenes Grundstück 54/1 und nur teilweise über das Grundstück der Beklagten auf das herrschende Grundstück gelangten.

23

Damit gilt § 1020 S. 1 BGB i. V. m. § 1023 BGB: Das Wegerecht ist so schonend wie möglich auszuüben, wobei der Eigentümer des dienenden Grundstücks den Ort der Ausübung bestimmen kann. Es muss nur sichergestellt sein, dass die Kläger ihr Grundstück 852/58 von einer öffentlichen Zuwegung und über das Grundstück 853/58 der Beklagten erreichen können.

24

Hinsichtlich der Festlegung des Weges war das Urteil mithin abzuändern und die Klage abzuweisen.

25

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 1, 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

26

Die Revisionszulassung beruht auf § 543 Abs. 2 ZPO. Angesichts der Tatsache, dass gegensätzliche Gerichtsentscheidungen zur Frage der Verjährbarkeit eines Anspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB im Hinblick auf im Grundbuch eingetragene Rechte vorliegen, liegt eine Entscheidung des Revisionsgerichts im Interesse der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.


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