Urteil vom Landgericht Magdeburg (11. Zivilkammer) - 11 O 776/14
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 78,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz ab dem 20.10.2014 bis zum 16.12.2014 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Zwangsvollstreckung wegen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Forderung abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Zugleich wird beschlossen: Der Streitwert wird auf 5.682 € festgesetzt.
Tatbestand
- 1
Die Klägerin verlangt gezahlte Prämien aus einem fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrag zurück, den sie am 1.2.2001 geschlossen und bis zum 1.10.2012 mit Prämien in Höhe von insgesamt 7.929,84 € bedient hat.
- 2
Der Lebensversicherungsvertrag gewährte ihr nach dem Versicherungsschein im Todesfall Deckungsschutz nach den Tarifbedingungen, aber auch bereits vor Beginn der Abrufphase mindestens 34.320 DM (=17.547,54 €).
- 3
Am 28.8.2012 erklärte sie Widerspruch gemäß § 5a Abs. 1 VVG a.F. (Fassung 29.7.1994- 31.7.2001) wegen einer fehlerhaften Widerspruchsbelehrung, die sie in der Sache damit begründet, dass die erteilte Belehrung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, wonach der Widerspruch schriftlich zu erfolgen hat. Im Jahre 2010 hatte sie allerdings auf der Grundlage eines Entnahmevertrages (Anlage B 3, Anlagenband) bereits eine Entnahme aus dem Fonds in Höhe von 4.476,32 € ausgezahlt erhalten.
- 4
Das Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 27.5.2010 führt insoweit aus:
- 5
"Bitte berücksichtigen Sie, dass bei Tod der versicherten Person während der ersten beiden Jahre nach Auszahlung der Entnahme sich die Todesfallleistung um den entnommenen Betrag vermindert".
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage B 4 (Anlagenband) Bezug genommen.
- 7
Nachdem die Beklagte den Widerspruch zurückwies, erklärte die Klägerin mit weiterem Schreiben „ hilfsweise“ Kündigung.
- 8
Mit Schreiben vom 14.2.2013 (Anlage B 22, Blatt 87 d.A.) ermittelte die Klägerin aus dem verbleibenden Fondvermögen einen Rückkaufswert von 1.881,27 €, zog einen Stornoabschlag von 326,88 € ab und zahlte einen Rückkaufswert von 1.554,39 € aus.
- 9
Am 16.12.2014 zahlte sie den abgezogenen Betrag von 326,88 € nach.
- 10
Die Klägerin verlangt von der Beklagten noch 2.277, 80 € genutzte Prämien nebst Nutzungen auf alle Prämien in Höhe von weiteren 3.411,12 € zurück, die sie auf der Grundlage eines Zinssatzes von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz berechnet.
- 11
Sie ist der Auffassung, ihr stehen die gesamten Prämien und ein Rückkaufswert ohne Kostenverrechnung zu.
- 12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift und ihr weiteres Vorbringen Bezug genommen.
- 13
Die Klägerin beantragt,
- 14
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.688,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.10.2014 zu bezahlen,
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ferner die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 759,22 € (außergerichtliche Geschäftsgebühr...) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.10.2014 zu bezahlen.
- 16
Die Beklagte beantragt,
- 17
die Klage abzuweisen.
- 18
Sie hält der Klägerin zum einen entgegen, dass ihre Klage im Wesentlichen auf einem Textbaustein beruhe. Ferner hält sie ihre erteilte Widerrufsbelehrung nach § 5a VVG für ausreichend, da sie nur zum Ausdruck bringe, dass sie jedweden Widerruf, auch den der nicht schriftlich erfolgt wäre, akzeptiert hätte. Schließlich macht sie auch geltend, dass der Fondvertrag die Besonderheit aufweise, dass es zu Entnahmen gekommen sei. Damit habe die Klägerin den Vertrag bestätigt, selbst wenn er unwirksam gewesen wäre.
- 19
Darüber hinaus habe sie auch keine Nutzungen gezogen, sondern mit den Prämien Fondanteile erworben. Ein Bereicherungsausgleich komme nicht in Betracht. Im Übrigen seien Ansprüche auch verjährt und verwirkt.
- 20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 21
Die Klage ist nur in Höhe der nicht anrechenbaren Geschäftsgebühr wegen des erst nach Rechtshängigkeit geleisteten Stornoabzugs begründet. Im Übrigen nicht.
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a) Die Klägerin hat keine weiteren Ansprüche aus den §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB.
- 23
aa) Die Auffassung der Beklagten, ihre Widerrufsbelehrung sei wirksam, teilt die Kammer nicht, weshalb ein rückabwicklungsfähiger Vertrag vorliegt.
- 24
Zwar ist es denkmöglich zu sagen, die Belehrung bringe nur zum Ausdruck, dass die Beklagte einen fristgemäßen Widerspruch in jeglicher Form akzeptiert hätte, weil die Beklagte zugunsten des Verbrauchers selbstverständlich nicht verpflichtet ist, Formenstrenge zu wahren. Sie bleibt gleichwohl hinter dem Anliegen des Gesetzgebers zurück, sicherzustellen, dass der Verbraucher dann, wenn die Frage streitig wäre, den Widerspruch und auch den Lauf der Widerspruchsfrist liquide nachweisen kann. Als Nachweis hat nach § 5 a Abs. 2 Satz 3 VVG a.F. der Nachweis des Absenden eines Widerspruchs genügt. Es ist für einen Verbraucher, der im Streitfall auf die ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel zurückgreifen muss ein wesentlicher Unterschied, ob er sich gegebenenfalls eines postalischen Nachweises bedienen kann, wenn es darum geht einen rechtzeitigen Widerruf zu beweisen. Es ist aber auch ein erheblicher Unterschied im Streitfall gegebenenfalls zu beweisen, dass ein Widerruf nicht von ihm herrührt (§ 126 Abs. 1 BGB). Die gesetzliche Systematik im Rahmen des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu beachten ist aber auch dann geboten, wenn die Beweisfrage im Einzelfall unerheblich ist, weil Allgemeine Geschäftsbedingungen von vornherein für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert werden (§ 305 Abs. 1 BGB) Demzufolge ist es folgerichtig eine Abweichung von einem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 3 VVG anzuerkennen und eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzunehmen. Von § 309 Nr. 12 und 13 BGB wird die Frage nämlich nicht erfasst.
- 25
bb) Auch wenn danach nach der ergangenen Rechtsprechung des EuGH (vom 19.12.2013, C-209/12 = VersR 2014, 225) und des BGH (vom 7.5.2014 IV ZR/76/11 = VersR 2014, 817) von einer Rückabwicklungsfähigkeit des Vertrages nach § 812 Abs. 1 BGB auszugehen ist, führt dies zu keinem für die Klägerin günstigen Ergebnis.
- 26
Die Kammer ist in ihrer bisherigen Rechtsprechung (Urteil vom 18.4.2013, 11 O 1827/12) zunächst davon ausgegangen, dass die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 242 BGB auch an den Grundsätzen der illoyalen Verspätung zu messen ist (BGHZ 25,52; NJW 1984, 1684) und hat bislang im Rahmen dieser Prüfung den Besonderheiten des Versicherungsvertrages Rechnung getragen. Diese Besonderheiten bestehen darin, dass, anders als bei einem typischen Warenlieferungsvertrag, bei dem der das Widerrufsrecht ausübende Vertragsteil auch die bereits empfangene Leistung wieder zurück gewährt, der Versicherungsnehmer die empfangene Leistung nicht mehr zurückgeben kann, weil die Leistung des Versicherers darin bestanden hat Deckungsschutz für den gesamten Versicherungszeitraum bis zum Ablauf des Vertrages zu gewähren ( dem folgend auch OLG München vom 20.6.2013, 14 U 103/13 bei juris Rn 27,28).
- 27
cc) Versicherungsverträge werden aber nach dem Gesetz der großen Zahl kalkuliert (BVerwG 1992, 2978; VersR 1993, 1217), weil erst die Risikogemeinschaft einer großen Anzahl von Versicherten es ermöglicht, Prämienzahlungen überhaupt so zu kalkulieren, dass ein Lebensrisiko abgesichert werden kann. Diese Sicherheit hat einen Wert und auch einen Preis. Deshalb müssen auch bei einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages die Grundsätze der Risikogemeinschaft beachtet werden. Der Beklagten kann die Prämie deshalb auch nicht in vollem Umfang entzogen werden (LG Magdeburg vom 18.4.2013, 11 O 1827/12 m.w.N. auf die Einzelheiten der Rechtsprechung des BVerfG zur Reichweite der Eigentumsgarantie des Rückkaufswerts und den danach zu beachtenden Belangen der Versicherung BVerfG NJW 2005,2376, 2378; BVerfG VersR 2006,489 bei juris Rn 59). Andernfalls wäre es nicht nur möglich, dass dem Verbraucher aufgrund eines Formfehlers ein Weg eröffnet wäre, den Deckungsschutz, den er über viele Jahre genossen hat, ohne jede Prämienleistung zu behalten. Gemessen an dem "Gesetz der großen Zahl" könnten derartige Folgen letztlich auch den Versicherungsvertrag insgesamt zum Einsturz bringen.
- 28
dd) An dieser Erwägung ist festzuhalten. Die Rechtsprechung des EuGH steht dem nicht entgegen. Das auf Vorlagebeschluss des BGH ergangenen Urteil des EuGH vom 19.12.2013 betraf nur die Frage, ob ein Widerruf möglich ist, nicht jedoch die Frage der Rückabwicklungsfolgen. Insoweit hat die Rechtsprechung des EuGH bereits früher ausdrücklich verlangt, dass ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten herzustellen ist (EuGH NJW 2010, 1511).
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Zu keinem anderen Ergebnis ist auch der BGH gelangt (VersR 2014, 718, bei juris Rn 45). Danach muss sich der Versicherungsnehmer wegen eines Anspruches nach § 812 Abs 1 Satz 1 BGB den Versicherungsschutz nach § 818 Abs. 2 BGB anrechnen lassen, wobei es der BGH mit Rücksicht auf die verschiedenen Versicherungsarten nur offen gelassen hat, wie dieser Vorteil zu bewerten ist. Allerdings hat auch der BGH ausgeführt, dass bei Lebensversicherungen dem Risikoanteil der Versicherung Bedeutung zukommen kann. Dem ist beizutreten.
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ee) Der Klägerin ist, wie sich dem Versicherungsschein entnehmen lässt, bereits von Beginn des Vertrages an eine Mindestdeckung von 17.547,54 € versprochen gewesen, ohne dass es darauf angekommen wäre, zu welchem Zeitpunkt während der Laufzeit des Vertrages das versicherte Risiko eingetreten wäre. In Höhe dieses Vermögenswertes wäre die Beklagte zu jedem Zeitpunkt eintrittspflichtig gewesen und hätte zu Lasten der Versichertengemeinschaft Leistungen in dieser Höhe erbringen müssen.
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Der Risikoanteil der Beklagten hat selbst dann, wenn die Entnahme in Höhe von 4.476,32 € und der Rückkaufswert abgesetzt werden - zu jedem Zeitpunkt die von der Klägerin noch geltend gemachte restliche Prämie, einschließlich der von ihr behaupteten gezogenen Nutzung überstiegen.
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Dass die Klägerin den ihr versprochenen Versicherungsschutz nicht in Anspruch genommen hätte, wenn der Versicherungsfall eingetreten wäre, kann die Kammer jedenfalls ausschließen. Das ergibt sich hier bereits daraus, dass die Klägerin nach mehrjähriger Laufzeit des Vertrages von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Entnahmen vorzunehmen und gar nicht daran gedacht hat, Angebote anderer Versicherungen zu prüfen und die Versicherung gegebenenfalls zu wechseln.
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b) Schließlich ergeben sich auch wegen der behaupteten Berechnung des Rückkaufwertes keine weiteren Forderungen mehr. Die Entscheidung des BGH vom 25.7.2012, IV ZR 201/10 ist erst auf Neuabschlüsse ab dem 1.1.2008 anwendbar (LG Magdeburg vom 18.4.2013, 11 O 1827/12; OLG Köln VersR 2013, 443; BGH vom 11.9.2013, IV ZR 17/13 = VersR 2013, 1429; ).
- 34
Soweit die Klägerin zu Recht gerügt hatte, dass ihr die Beklagte bei der Bemessung des Rückkaufswertes den Stornoabzug vorenthalten hat, ist dieser – wenn auch erst nach Rechtshängigkeit - im Übrigen von der Beklagten noch ausgeglichen worden.
- 35
Die Klage war daher insgesamt, auch im Hinblick auf den Stornoabzug, abzuweisen, weil die Klägerin es insoweit versäumt hat, die Klage für erledigt zu erklären. Nach erfolgter Zahlung besteht kein Rechtschutzinteresse mehr für einen Zahlungsantrag.
II.
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Die Klägerin kann wegen der ihr entstandenen Geschäftsgebühr in Höhe des verspätet geleisteten Stornoabzugs bis zum Zeitpunkt der Verzugsbeendigung am 16.12.2014 Schadensersatz wegen Zahlungsverzug verlangen, weil es sich insoweit um einen Verzugsschaden (§§ 280 Abs. 1,2, 286 Abs 2 Nr. 3 BGB) handelt. Auf die Frist des § 281 BGB kommt es wegen der Leistungsverweigerung der Beklagten nicht an, auch wenn diese möglicherweise zunächst nur durch einen Irrtum bestimmt war, entschuldigt dieser nicht, weil er vermeidbar gewesen wäre.
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Die Gebühr errechnet sich aus einem Wert bis zu 500 € mithin wie folgt:
- 38
Geschäftsgebühr:
45 x 1,3 = 58,5 €
Post und Telekommunikation
20 €
19 % MWSt
78,5 €
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Im Übrigen war aus anwaltlicher Sicht von der Einfachheit der Sache auszugehen, weil die Frage der Berechnung des Rückkaufswerts bereits höchstrichterlich geklärt gewesen ist. Ein höherer Faktor als 1,3 war daher nicht schlüssig dargelegt (Nr 2300 VV RVG). Im Übrigen hat sie keine Ansprüche, weil ihr Anliegen unberechtigt gewesen ist.
- 40
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Bei der Auferlegung der Kosten hatte es zu verbleiben, weil die Klägerin nur mit einem Bagatellbetrag obsiegt hat, im Übrigen nicht. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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