Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - III-2 RVs 67/16
Tenor
1.
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Der in dem Strafbefehl des Amtsgerichts M. vom 13. Dezember 2013 enthaltene Schuldspruch wird dahin berichtigt, dass der Angeklagte des Diebstahls in sechs Fällen und des versuchten Diebstahls schuldig ist.
Die Sache wird betreffend den Strafausspruch zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Kleve zurückverwiesen.
2.
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unzulässig verworfen.
1
G r ü n d e :
3I.
4Das Amtsgericht M. hat gegen den Angeklagten durch Strafbefehl vom 13. Dezember 2013 „wegen Diebstahls geringwertiger Sachen in 6 Fällen und eines weiteren versuchten Diebstahls geringwertiger Sachen“ eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 60 Euro festgesetzt. Den gegen diesen Strafbefehl eingelegten Einspruch hat der Angeklagte nachträglich „auf den Rechtsfolgenausspruch“ beschränkt.
5Das Amtsgericht hat seinem Urteil vom 20. Mai 2014 den rechtskräftigen Schuldspruch zugrunde gelegt und keine eigenen Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen. Bei der Bemessung der Strafe hat es lediglich die Höhe des Tagessatzes reduziert und auf eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 Euro erkannt.
6Die hiergegen gerichteten Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, dessen Sprungrevision als Berufung zu behandeln war, hat das Landgericht am 8. Dezember 2014 als unbegründet verworfen.
7Gegen das Berufungsurteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision.
8Ferner hat der Angeklagte am 10. Januar 2015 sofortige Beschwerde gegen die in dem Berufungsurteil getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung eingelegt. Denn dort war hinsichtlich der erfolglosen Berufung der Staatsanwaltschaft nicht ausgesprochen worden, dass die Staatskasse die Kosten dieses Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat.
9II.
10Die Revision des Angeklagten hat mit der auf die Verletzung des § 315 Abs. 2 Satz 2 StPO gestützten Verfahrensrüge vorläufig Erfolg (dazu II.3), so dass die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen ist, wobei - wie im ersten Berufungsverfahren - allein über den Strafausspruch zu befinden sein wird.
11Ein weitergehender Erfolg ist der Revision nicht beschieden. Denn das Verfahren ist weder nach § 206a Abs. 1 StPO einzustellen (dazu II.1) noch künftig auf den Schuldspruch, der lediglich in der Formulierung zu berichtigen ist, zu erstrecken (dazu II.2).
121.
13a) Nach dem in dem Strafbefehl bezeichneten Sachverhalt begab sich der Angeklagte während seiner Tätigkeit als Beamter des mittleren Dienstes in der Strafabteilung des Amtsgerichts ... in sieben Fällen in die Dienstzimmer der sitzungsbedingt abwesenden Richterinnen M. und K. Er öffnete die Dienstzimmer jeweils mit seinem Dienstschlüssel und entwendete dort insgesamt 85 Euro, nämlich dreimal je einen 10-Euro-Schein und einmal einen 20-Euro-Schein zum Nachteil der Richterin M. sowie je einmal einen 20-Euro-Schein, einen 5-Euro-Schein und einen 10-Euro-Schein zum Nachteil der Richterin K. Im letzten Fall war die Banknote von der Kriminalpolizei als Diebesfalle präpariert worden.
14Die Verfahrensvoraussetzung des § 248a StGB ist in sämtlichen Fällen erfüllt.
15Allerdings hat die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nur in den beiden Fällen bejaht, die erst nach der Strafanzeige und Zeugenvernehmung der betroffenen Richterinnen bekannt geworden sind. Wäre das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, das hier auf der Hand liegt, einheitlich in allen sieben Fällen bejaht worden, wäre die zum Teil schwierige Prüfung, ob in den weiteren fünf Fällen jeweils der erforderliche Strafantrag gestellt worden ist, entbehrlich.
16Bei der polizeilichen Befragung der Richterin M. am 21. Januar 2013 wurden zwei Formulare ausgefüllt, nämlich die „Strafanzeige“ und die „Zeugenvernehmung“. In der Strafanzeige, die allein der aufnehmende Kriminalbeamte unterzeichnet hat, fehlt in der Rubrik „Ich stelle Strafantrag“ die dort vorgesehene Unterschrift der Geschädigten. Allerdings wurde am Ende des Protokolls der Zeugenvernehmung, das die Geschädigte unterzeichnet hat, nochmals aufgenommen: „Ich stelle in allen drei Fällen Strafantrag.“ Damit liegt unzweifelhaft ein den Anforderungen des § 158 Abs. 2 StPO genügender Strafantrag vor. Der vierte Diebstahl zum Nachteil dieser Geschädigten wird von der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft erfasst.
17Bei der polizeilichen Befragung der Richterin K. am 15. Februar 2013 wurden ebenfalls die Formulare „Strafanzeige“ und „Zeugenvernehmung“ ausgefüllt. In der Strafanzeige, die allein der aufnehmende Kriminalbeamte unterzeichnet hat, unterblieb in der Rubrik „Ich stelle Strafantrag“ wiederum die dort vorgesehene Unterschrift der Geschädigten. Anders als bei der Geschädigten M. wird in dem Protokoll der Zeugenvernehmung, welches die Geschädigte K. unterzeichnet hat, ein Strafantrag nicht erwähnt.
18Der dritte Diebstahl zum Nachteil der Geschädigten K. ist wegen der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft verfolgbar. Der Senat bejaht aufgrund der nachfolgenden Erwägungen das Vorliegen des in den beiden weiteren Fällen erforderlichen Strafantrags.
19Die Geschädigte K. hat in dem von ihr unterzeichneten Vernehmungsprotokoll unzweideutig ihren Willen zur Strafverfolgung des - seinerzeit noch unbekannten Täters - erklärt. Bei dem Täter musste es sich um einen Mitarbeiter des Amtsgerichts ... handeln, der mit seinem Dienstschlüssel Zugang zu ihrem Dienstzimmer hatte. Es lag auch nahe, den Täterkreis auf solche Mitarbeiter einzugrenzen, die dienstlichen Anlass zum Betreten ihres Dienstzimmers haben konnten. Daher hat die Geschädigte K. 13 Mitarbeiter der Familien- und Strafabteilung (darunter den Angeklagten) namentlich benannt. Diese Angaben belegen unmissverständlich ihren Willen zur Strafverfolgung. Die Unterzeichnung des Vernehmungsprotokolls, das im Zusammenhang mit diesen auf die Ermittlung und Verfolgung des Täters abzielenden Angaben erstellt wurde, erfüllt auch die in § 158 Abs. 2 StPO geforderte Form des Strafantrags (vgl. BGH NStE Nr. 2 zu § 158 StPO; NStZ 1995, 353, 354; KK-Griesbaum, StPO, 7. Aufl., § 158 Rdn. 45).
20Hinzu kommt, dass vorliegend unter Verwendung der Formulare „Strafanzeige“ und „Zeugenvernehmung“ eine künstliche Aufspaltung bei der Entgegennahme der Erklärungen der Geschädigten vorgenommen wurde. So endet die Strafanzeige, in der wegen des weiteren Sachverhaltes auf das beigefügte Vernehmungsprotokoll verwiesen wird, nahezu wortgleich mit der Aussage, mit der die Zeugenvernehmung beginnt:
21„Ich bin heute nach telefonischer Terminvereinbarung bei der Polizei in ... erschienen, um anzuzeigen, dass mir in zwei Fällen am 13. und 14.02.2013 aus meinem Büro ... im Amtsgericht ... Euro 20,00 bzw. Euro 5,00 entwendet worden sind.“
22Angesichts dieser zwischen den beiden Formularen bestehenden Verbindung liegt eine einheitliche Betrachtungsweise ohnehin nahe, so dass die Unterzeichnung des Vernehmungsprotokolls durch die Geschädigte zwanglos auch der Strafanzeige zugeordnet werden kann, in welcher die Erklärung „Ich stelle Strafantrag“ ausdrücklich enthalten ist.
23b) Das Revisionsvorbringen, der Strafbefehl des Amtsgerichts M. vom 13. Dezember 2013 sei von der zuständigen Richterin nachträglich, nämlich erst nach dem 26. Juli 2014 unterzeichnet worden, ist unzutreffend. Vielmehr wurde der Strafbefehl richterlich unterzeichnet, als dieser am 13. Dezember 2013 erlassen wurde. Es bedarf daher keiner Erörterung, ob und ggf. unter welchen Umständen ein Strafbefehl auch ohne richterliche Unterschrift wirksam erlassen werden kann.
24Die zuständige Richterin hat in ihrer dienstlichen Erklärung vom 11. Februar 2015 eindeutig bestätigt, dass sie den Strafbefehl am 13. Dezember 2013 erlassen und zum damaligen Zeitpunkt datiert und unterschrieben hat.
25Der Umstand, dass der Verteidiger auch über eine Ablichtung des Strafbefehls ohne richterliche Unterschrift verfügt, ist darauf zurückzuführen, dass er mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. Juli 2014 die Zweitakte zur Einsichtnahme erhalten hat. In der Zweitakte befand sich der von der Staatsanwaltschaft im Entwurf vorbereitete Strafbefehl. Nach dessen richterlicher Unterzeichnung in der Erstakte wurde versäumt, die Zweitakte durch Austausch der betreffenden Ablichtungen an den aktuellen Stand anzupassen.
26Dass der auszugsweise in die Revisionsbegründung einkopierte Strafbefehl (ohne richterliche Unterschrift) auf den in der Zweitakte verbliebenen Entwurf des Strafbefehls zurückgeht, lässt sich auch daran ersehen, dass der Verteidiger das Fehlen der richterlichen Unterschrift erstmals mit Schriftsatz vom 26. Juli 2014, d.h. nach Einsichtnahme in die Zweitakte, beanstandet hat. Nach Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl hatte er die Erstakte bereits Mitte Januar 2014 zur Einsichtnahme erhalten. Im Anschluss daran ist nicht geltend gemacht worden, dass die richterliche Unterschrift auf dem Original des Strafbefehls fehlen soll.
272.
28a) Der in dem Strafbefehl enthaltene Schuldspruch ist rechtskräftig. Den gegen den Strafbefehl eingelegten Einspruch hat der Angeklagte nachträglich wirksam „auf den Rechtsfolgenausspruch“ beschränkt. Gegenstand des weiteren Verfahrens war deshalb allein der Strafausspruch (sonstige Rechtsfolgen wurden nicht verhängt). Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht sind zutreffend vom Vorliegen horizontaler Teilrechtskraft ausgegangen.
29Gemäß § 410 Abs. 2 StPO kann der Einspruch gegen einen Strafbefehl auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Die Beschränkung des Einspruchs auf den Strafausspruch ist möglich, hierbei gelten dieselben Grundsätze wie bei der Beschränkung der Berufung (vgl. OLG München wistra 2006, 395; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 410 Rn. 4). Vorliegend bildet die in dem Strafbefehl enthaltene Beschreibung der Taten eine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung.
30Die Revision will die Unwirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs daraus herleiten, dass das Amtsgericht vor Erlass des Strafbefehls nicht geprüft hat, ob der Angeklagte schuldunfähig war (§ 20 StGB). Lagen nämlich bei Erlass des Strafbefehls konkrete Anhaltspunkte für Schuldunfähigkeit vor, ist die Beschränkung des Einspruchs auf den Strafausspruch unwirksam (vgl. BayObLG NJW 2003, 2397; zur Beschränkung der Berufung: OLG Hamm BeckRS 2014, 12983; OLG Bamberg BeckRS 2015, 03496). Solche Anhaltspunkte bestanden bei Erlass des Strafbefehls vom 13. Dezember 2013 indes nicht.
31In der Stellungnahme des Verteidigers vom 4. Juli 2013 hatte der Angeklagte zu den Hintergründen seines strafbaren Verhaltens an erster Stelle erhebliche Eheprobleme angeführt. Nach einer Unterleibsoperation sei die Ehefrau psychisch verändert gewesen. Auch habe er die Lebenshaltungskosten fortan nahezu allein tragen müssen, was zu Zahlungsrückständen geführt habe. Durch die Gesamtumstände sei er in eine „tief depressive Stimmung“ geraten. Sein Denken sei um die Finanzierung des Unterhalts, seine persönliche Einsamkeit und die Unsicherheit der eigenen Zukunft gekreist.
32Bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 6. März 2013 hatte sich der Angeklagte ähnlich geäußert. Von dem entwendeten Geld habe er überwiegend Lebensmittel gekauft. Zu seinen Spielbankbesuchen hatte er sich - erst auf Vorhalt am Ende der Vernehmung - wie folgt geäußert:
33„Ich gehe seit einem Jahr ca. drei- bis viermal im Monat in die Spielbank nach D. Ich würde mich aber nicht als spielsüchtig bezeichnen. Ich habe bei jedem Mal immer maximal 50,00 Euro verspielt, mehr Geld habe ich gar nicht eingesetzt. Ich bin nicht spielsüchtig, sondern habe immer nur zur Ablenkung von meinen familiären Problemen gespielt.“
34Da bei dem Angeklagten Tageskarten der Spielbank D. und EC-Kartenbelege vom 1. März 2013 und 4. März 2013 aufgefunden wurden, die den Ankauf von Jetons im Wert von 102,00 Euro und 52,00 Euro dokumentieren, haben die Ermittler allerdings Anhaltspunkte für die Annahme gesehen, dass bei dem Angeklagten zumindest eine „Spielleidenschaft“ vorliegt und die Diebstähle zur Finanzierung der Spielbankbesuche dienten.
35Auf diese Bewertung wurde in der Stellungnahme des Verteidigers vom 4. Juli 2013 Bezug genommen, wobei jedoch wiederholt wurde, dass die Diebstähle überwiegend zur Beschaffung von Lebensmitteln erfolgt seien. Der Verteidiger regte eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit an und teilte mit, dass er sich im Falle der Anklageerhebung veranlasst sehen werde, aufgrund der situativen Gegebenheiten, welche hochgradige persönlichkeitsfremde Affekte nahe legten, einen Antrag auf Einholung eines forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens zwecks Prüfung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zu stellen.
36Nach diesem Erkenntnisstand war Schuldunfähigkeit des Angeklagten, der seinen Beruf als Justizbeamter unauffällig ausgeübt und sein Privatleben geordnet geführt hat, sicher auszuschließen. Nur wenn „Spielsucht“ zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein (vgl. BGH NJW 2013, 181; StV 2015, 206). Für einen solchen Schweregrad, der die Anwendung des § 21 StGB rechtfertigen kann, bestanden keine Anhaltspunkte. Erst recht schied Schuldunfähigkeit bei Erlass des Strafbefehls auch unter Einbeziehung der angeführten depressiven Stimmung und Eheprobleme aus. Anzumerken ist, dass nach den tatrichterlichen Feststellungen Schuldunfähigkeit auch aus jetziger Sicht zu verneinen ist.
37b) Der Senat hat den Schuldspruch des Strafbefehls berichtigt. Die horizontale Teilrechtskraft steht einer bloßen Korrektur der Formulierung nicht entgegen. Der Zusatz „geringwertiger Sachen“ entfällt. Im Schuldspruch wegen Diebstahls ist nicht auf die Geringwertigkeit einer gestohlenen Sache hinzuweisen (vgl. OLG Düsseldorf 5. Strafsenat NJW 1987, 1958; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 260 Rdn. 25). Denn die Vorschrift des § 248a StGB ist kein eigenständiger Straftatbestand, sondern normiert lediglich eine Verfahrensvoraussetzung.
383.Die auf den Verstoß gegen § 315 Abs. 2 Satz 2 StPO gestützte Verfahrensrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Auf die weiteren Verfahrensrügen und die sachlich-rechtlichen Einwendungen gegen den Strafausspruch kommt es daher nicht mehr an. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
39An der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, die nach dem Einspruch gegen den Strafbefehl durchgeführt wurde, hat der Angeklagte nicht teilgenommen. Er wurde durch den mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten (§ 411 Abs. 2 Satz 1 StPO). Am 20. Mai 2014 erging das erstinstanzliche Sachurteil, durch das unter Zugrundelegung horizontaler Teilrechtskraft des Strafbefehls auf eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 Euro erkannt wurde.
40Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24. Mai 2014 „Rechtsmittel“ ein. Mit weiterem Schriftsatz vom 4. Juli 2014 beantragte er wegen Versäumung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und machte unter Vorlage von ärztlichen Attesten geltend, dass der Angeklagte krankheitsbedingt an der Teilnahme gehindert gewesen sei.
41Das Amtsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in der Folgezeit nicht beschieden. Vielmehr wurden die Akten auf die Berufung der Staatsanwaltschaft und die als Berufung zu behandelnde Sprungrevision desAngeklagten (§ 335 Abs. 3 Satz 1 StPO) dem Berufungsgericht vorgelegt, das Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 8. Dezember 2014 bestimmte.
42Zu Beginn dieses Termins beantragte der Verteidiger, die Berufungshauptverhandlung auszusetzen, weil das Amtsgericht M. bis dahin nicht über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 4. Juli 2014 entschieden hatte. Daraufhin erging folgender Beschluss des Landgerichts:
43„Der Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung wird zurückgewiesen.
44Der Angeklagte hat durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 27.05.2014unbestimmtes Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts M. vom 20.05.2014 eingelegt, ohne vorher oder gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen gemäss § 315 Abs. 3 StPO. Hierin ist der unwiderlegbare Verzicht auf einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen.“
45Die Ablehnung des Aussetzungsantrags war rechtsfehlerhaft. Denn nach § 315 Abs. 2 Satz 2 StPO musste die weitere Verfügung in Bezug auf die Berufung bis zur Erledigung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgesetzt bleiben. Angesichts dieser zwingenden Regelung hätte schon die Terminierung der Berufungshauptverhandlung unterbleiben müssen. Erst recht durfte die Berufungshauptverhandlung nicht vor der Erledigung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durchgeführt werden.
46Die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oblag dem Amtsgericht und ggf. in zweiter Instanz der Beschwerdekammer des Landgerichts. Die in § 315 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebene Aussetzung der Berufung knüpft allein an die fehlende Erledigung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an. Die Zulässigkeit oder sachliche Erfolgsaussicht des Antrags hatte das Berufungsgericht nicht zu prüfen. Zwar stand der Zulässigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliegend die gesetzliche Verzichtsvermutung des § 315 Abs. 3 StPO entgegen. Auch bestand in der Sache keine Erfolgsaussicht, weil der Angeklagte in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung durch den Verteidiger im Willen und in der Erklärung vertreten wurde und daraufhin ein Sachurteil - nicht etwa ein Prozessurteil nach §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 StPO - ergangen ist. Dies ändert aber nichts daran, dass das Berufungsgericht eine rechtskräftige Entscheidung über den unerledigten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuwarten hatte und die Berufungshauptverhandlung nicht durchführen durfte.
47Wird die Hauptverhandlung durchgeführt, obwohl der Angeklagte einen Aussetzungsantrag gestellt hat, dem zwingend stattzugeben war, unterliegt das angefochtene Urteil auf die Verfahrensrüge der Aufhebung (vgl. zu § 265 Abs. 3 StPO: BGH NW 2003, 1748; zu § 217 Abs. 2 StPO: OLG Düsseldorf [1. Strafsenat] VRS 97, 139). Das Urteil beruht unmittelbar auf dem Verfahrensmangel, weil es bei dieser Hauptverhandlung nicht hätte ergehen dürfen. Auch kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass eine neu angesetzte Berufungshauptverhandlung - zumal bei anderer Schöffenbesetzung - zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis geführt hätte.
48III.
49Für die neue Berufungshauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
50Bei der Strafzumessung wird zugunsten des Angeklagten die Geringwertigkeit der jeweiligen Diebesbeute zu berücksichtigen sein. Auch sind die beamtenrechtlichen Disziplinarfolgen, zu denen bisher Feststellungen fehlen, in den Blick zu nehmen (vgl. BGH NStZ 1982, 507; NStZ 1985, 215).
51Ferner wird die Gewährung von Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) zu bedenken sein.
52Schließlich wird zu prüfen sein, ob und inwieweit das lang andauernde Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist und es deshalb einer Kompensation bedarf. Mangels Erhebung einer entsprechenden Verfahrensrüge konnte sich der Senat nicht mit etwaigen bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist entstandenen Verzögerungen befassen (vgl. BGH NStZ 2000, 418). Bei dem weiteren Verfahren ist nicht zu beanstanden, dass die nachträgliche Erledigung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand über zwei Instanzen nebst Anhörungsrüge von Mai bis November 2015 ca. sechs Monate in Anspruch genommen hat. Indes sind die Akten bereits am 10. Dezember 2015 erneut bei der Generalsstaatsanwaltschaft eingegangen. Die Vorlage an den Senat ist erst mehr als sechs Monate später am 21. Juni 2016 erfolgt. Damit ist ein angemessener Bearbeitungszeitraum - auch unter Berücksichtigung des weit überdurchschnittlichen Umfangs der Revision - um mehrere Monate überschritten worden.
53IV.
54Die sofortige Beschwerde gegen die in dem Berufungsurteil vom 8. Dezember 2014 getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung ist unzulässig.
55Die einwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde begann am 8. Dezember 2014 mit der - in Anwesenheit des Angeklagten erfolgten - Verkündung der Entscheidung (§§ 35 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO) und endete am 15. Dezember 2014. Die erst am 10. Januar 2015 eingelegte sofortige Beschwerde war verspätet.
56Die rechtzeitige Einlegung der Revision gegen das Urteil umfasste entgegen dem Verteidigungsvorbringen gerade keine isolierte Anfechtung der Kosten- und Auslagenentscheidung. Dies gilt hier umso mehr, als sich die isolierte Anfechtung dagegen richtete, dass hinsichtlich der erfolglosen Berufung der Staatsanwaltschaft nicht ausgesprochen worden war, dass die Staatskasse die Kosten dieses Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat. Die rechtskräftig erledigte Berufung der Staatsanwaltschaft und die daraus resultierende Kostenfolgen konnten nicht Gegenstand der Revision des Angeklagten sein.
57Die Kostenentscheidung zu der unzulässigen sofortigen Beschwerde folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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